Читать книгу Summer of Love und ein großes Sonnenblumenfeld - Lina Nordmeer - Страница 10
Wer ist Mister Red?
ОглавлениеSamstagmorgen gab es Frühstück. Martin war anwesend, aber mit dickem Kopf, er versteckte sich hinter der Morgenpost und trank nur schwarzen Kaffee. Rebecca sprach kein Wort mit ihm, sie war immer noch ziemlich sauer wegen dieses kleinen Wörtchens naiv, was sich aber in ihr so groß anfühlte wie ein riesiger Felsbrocken. Sie konnte nichts essen und nur ihren Tee trinken, aber auch der schien in ihrem Hals zu stauben. Sie kochte innerlich wie ein brodelnder Vulkan, und ihre Gedanken kreisten ständig in ihrem Kopf. „Wie kann ich ihn fertigmachen? Er braucht echt mal einen ordentlichen Denkzettel ...“
Die Kinder kamen nacheinander zum gedeckten Tisch, Annika war die Letzte von den dreien. Sie musste wieder ewig lange vor dem Spiegel stehen und ihre Haare glätten. Sie hatte noch eine Shopping-Verabredung mit ihrer besten Freundin.
„Habt ihr Stress?“, fragte sie ihre Eltern ganz frei und offen. Das konnte sie unheimlich gut: einfach in der Wunde stochern, wenn es sowieso schon wehtat.
Martin gähnte nervös, als hätte er die Frage erst mal nicht gehört.
„Nicht, dass ich wüsste, oder, Martin?“ Rebecca schaute ihren Mann an, der sich nur über ihr durch und durch freundliches Lächeln wunderte. „Warum war sie so liebreizend? Das war doch eher unecht, oder?“, dachte er, lächelte aber vorsichtshalber mal lieb zurück.
„Ich werde heute Nachmittag für ein paar Stunden unterwegs sein. Klara und ich wollen was zusammen unternehmen ... Annika, kannst du bitte Till zum Fußball bringen? Und Martin, du wirst ihn ja sicher abholen!“
Martin nickte und überlegte sich, wie er dann Chantal am besten zwischendurch noch mal ordentlich rannehmen könnte.
Annika murmelte nur, dass sie ja eigentlich überhaupt keine Zeit für ihren nervenden Bruder hatte und ob sie dann auch länger am Abend wegbleiben könnte, wenn sie schon ihre so kostbare Zeit für Dinge verschwenden müsse, die sie nur ihren letzten Nerv kosten würden.
„Darüber sprechen wir, wenn du alles erledigt hast!“ Rebecca merkte, dass sie sich zum ersten Mal ganz klar und deutlich ausdrückte, um ihre kostbare Zeit nicht zu verlieren. Sie musste doch sonst ständig auf alle Rücksicht nehmen, das wollte sie jetzt nicht mehr.
Endlich war es soweit. Klara wusste von dem heimlichen Treffen ihrer Freundin und spielte das Spiel mit, falls irgendetwas ans Tageslicht kommen sollte.
Rebecca hatte sich ihre Jeans angezogen, die weißen Chucks und ein enges Shirt in rot. Ihre Haare hatte sie offen gelassen, ihre Locken waren heute besonders schön geformt. Auf Schminke verzichtete sie fast ganz, nur ein wenig Wimperntusche, um ihre großen blauen Augen noch mehr zu betonen, und Lipgloss in einem zarten Rosaton. Sie saß gespannt an einem Bistrotisch in der Sonne, hatte ihre große Hippie-Sonnenbrille auf, die sie in einem Second-Hand-Laden in Paris gekauft hatte, echter Siebzigerstyle, und trank schon einmal einen Milchkaffee.
Rebecca wollte lieber schon dort sein, um zu sehen, wie groß Mister Red denn sein würde. „Hoffentlich ist er nicht ganz so klein oder macht sich am Ende noch lustig über meine Körpergröße“, dachte sie. Mal wieder die alten Ängste, die sie total verunsicherten ...
Als Rebecca gerade verträumt in die Menschenmenge blickte, sah sie den Nachhilfelehrer ihrer Tochter Stina in Richtung Café gehen. „Was macht der denn jetzt hier, hoffentlich sieht er mich nicht, das wäre peinlich. Wenn Stina erfährt, dass ich mich hier mit einem fremden Mann treffe ... Was mache ich jetzt?“, grübelte Rebecca angestrengt und verbarg ihr Gesicht hinter der Getränkekarte.
Sie lugte aber neugierig daneben heraus, um zu sehen, wo Nick hingehen würde.
Er setzte sich genau zwei Bistrotische von ihr entfernt und stellte dabei einen Gitarrenkoffer neben sich ab. „Eine Gitarre“, kam es laut aus Rebeccas Mund. Einige Leute am Nachbartisch drehten sich um und wunderten sich über sie.
„Nein, das kann ja nicht sein, das ist nur ein dummer Zufall, er ist nicht Mister Red ... Red? Die roten Haare würden aber auch passen ... Ich muss hier sofort weg, bevor das alles noch chaotisch endet“, schoss es ihr durch den Kopf. Rebecca verschwendete nun keinen einzigen Gedanken mehr an ein Treffen und wollte nur noch die Rechnung.
Sie versuchte so unauffällig wie möglich, was bei ihrer Größe schwierig war, das Bistro zu verlassen. Doch sie musste an Nicks Tisch vorbei. Es gab keinen anderen Ausweg, und er wurde auf sie aufmerksam, weil sie, so tollpatschig wie sie oft war, den Gitarrenkoffer aus Versehen umstieß. Sie wurde so rot wie ihr T-Shirt, bückte sich, um den Koffer aufzuheben, dabei flog ihr die große Sonnenbrille von der Nase, die eigentlich zur Tarnung diente, und Nick blickte in ihre strahlend blauen Augen. „Hi! Das ist ja ein Zufall! Schön, dich hier zu sehen. Magst du dich setzen? Ich warte auf eine Verabredung, die nicht zu kommen scheint ... Ich lade dich auf einen Kaffee ein.“ Nick lächelte Rebecca locker an.
Rebecca war sprachlos und stotterte verlegen ein „Ja, warum nicht?“ heraus.
„Was machst du hier so ganz allein?“, fragte Nick und bestellte zwei große Milchkaffee.
„Ach, ich wollte mich mit meiner Freundin treffen, aber sie hat eben spontan absagen müssen“, log sie und merkte schon wieder, wie ihre Wangen zu glühen anfingen.
Nick erkundigte sich nach Stina und wie es in Englisch aussähe, ob sie denn besser mitkommen würde, jetzt nach den Übungsstunden mit ihm.
Irgendwann kam dann das Thema auf die Musik, und Nick erzählte, dass er in einer Band spielen würde, die zwar nicht bekannt wäre, aber doch schon ihre Fangemeinde hätte.
Rebecca war sehr aufgeregt bei diesem Thema, weil sie ja nicht wusste, ob dieser Mr. Red jetzt wirklich Nick war oder nicht. Sie versuchte, mehr herauszubekommen, und fragte etwas ungeschickt nach. „Ach ja, ich bin ja auch ein wenig musikalisch und hab schon hin und wieder einen Song getextet.“ In diesem Moment merkte sie, was sie da sagte und verschluckte sich an ihrem Milchkaffee.
„Bist du Summer of Love?“, platzte Nick heraus.
Rebecca wäre am liebsten im Erdboden versunken, und sie nickte nur zaghaft und sehr verunsichert. Was würde dieser nette, lockere und jugendliche Typ denn jetzt von der spießigen, alten und dazu noch verlogenen Mutti denken? Die Gedanken kreisten in Rebeccas Kopf.
„Na, dann bin ich ja doch noch zu meiner Verabredung gekommen ...“ Nick lachte herzhaft, und mit seinem jugendlichen Charme zwinkerte er Rebecca verschmitzt zu.
Rebecca konnte nicht fassen, wie Nick diese peinliche Situation mit seiner charmanten Art gerettet hatte.