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... immer noch Mittwochmittag

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Stina kam nach Hause, mit einem Brief von ihrem Klassenlehrer.

„Ich brauche Nachhilfe ... brauchst den doofen Brief erst gar nicht zu öffnen ...“ Stina verzog das Gesicht, als würde gleich die Welt untergehen und sie vom Erdboden verschluckt werden, und dabei konnte sie doch nichts dafür, sie hat doch immer so viel gelernt. „Die blöden Lehrer sind daran schuld“, dachte Stina und drückte jetzt ein paar Tränen hervor.

„Jetzt sei doch nicht so traurig, ich lese den Brief und dann reden wir in Ruhe darüber“, versuchte Rebecca, ihre vierzehnjährige Tochter zu beruhigen, dabei ging ihr ständig eine Melodie im Kopf herum, die sie schon den ganzen Morgen vor sich hin summte.

Rebecca erfand gern eigene Songs, aber sie kam leider viel zu wenig dazu, ihre Lieder aufzuschreiben oder gar zu spielen. Das Klavier musste sowieso dringend gestimmt werden. Sie hatte es schon lange, seit Weihnachten, nicht mehr benutzt.

Sie fand einfach keine Zeit, ihre Kreativität auszuleben. Ständig gab es etwas anderes, worum sie sich kümmern musste. Probleme in der Schule bei Stina, Liebeskummer bei Annika, die immer wieder einen neuen Freund hatte, der sie dann unglücklich machte. Und der kleine Till war krank, er hatte Asthma, schon als Kleinkind, und Rebecca musste oft mit ihm zum Arzt. Nachts bekam er keine Luft, und beim Sport in der Schule konnte er nicht mithalten. Er konnte nicht so lange laufen wie seine Schulkameraden, wenn sie für ein Fußballspiel Ausdauertraining machten. Deshalb wurde er von einigen aus seiner Klasse auch gehänselt und wendete sich immer mehr seinem Computer zu. Das alles machte Rebecca sehr viele Sorgen. Die konnte sie aber nicht abends mit Martin besprechen, weil der wiederum ganz andere Probleme mit dem Autohaus hatte und nichts mehr hören wollte, wenn er abends um acht Uhr nach Hause kam. Er nahm sich dann eine Flasche Rotwein aus dem Keller, genehmigte sich ein, zwei Gläser vor dem Kaminofen und schaute dabei Sport im Fernsehen.

Rebecca hatte immer mehr die Nase voll von diesem Leben. Sie musste ständig zurückstecken und konnte sich selbst nicht mehr verwirklichen. Das hatte wohl begonnen, als sie mit Annika schwanger wurde. Immerhin schenkte Martin ihr einmal im Jahr ein Wochenende in einem Wellness-Hotel, das sie aber meistens mit ihrer Freundin Klara zusammen verbrachte, weil Martin entweder geschäftlich zu sehr eingespannt war oder er auf die Kinder aufpassen musste, weil Rebeccas Eltern keine Zeit hatten, die selbst gern und oft verreisten.

Nach dem Abendessen ging Rebecca in Stinas Zimmer, um mit ihr über den Elternbrief zu reden.

„Deine Lehrerin möchte mir nur mitteilen, dass du auch in Englisch bei fünf Punkten stehst und sie rät mir, dir eine Nachhilfe zu besorgen. Das ist doch nicht schlimm, das bekommen wir schon wieder hin, meine Süße, oder?“ Rebecca streichelte Stina über den Kopf und strich dabei eine blonde Strähne aus ihrem verweinten und erhitzten Gesicht.

„Meinst du, ich schaffe die achte Klasse überhaupt? Ich will nicht noch ’ne Ehrenrunde drehen ...“, weinte Stina in ihr Kissen und schlug mit den Fäusten gegen die Matratze.

„Ach Stina, du hast doch wirklich noch Zeit, gleich morgen schauen wir nach einer geeigneten Nachhilfe für Englisch, und dann wirst du das auch schaffen, ganz sicher“, beteuerte Rebecca.

Kurzer Einblick zu Martin Schönemann

Martin saß schon leicht angetrunken vor seinem zweiten Glas Rotwein und verfolgte einen „Tatort“-Krimi, als Rebecca müde aus Stinas Zimmer zurück ins Wohnzimmer kam.

Es war wie an jedem Abend. Martin schaute irgendetwas im Fernsehen an, und Rebecca legte sich auf das Sofa daneben und versuchte einfach abzuschalten. Die beiden hatten sich schon lange nicht mehr viel zu sagen. Manchmal überkam es, und sie hatten Sex, aber auch das wurde immer seltener in letzter Zeit, und Rebecca hatte die Befürchtung, dass Martin vielleicht sogar ein Verhältnis mit einer Kundin oder seiner jungen Sekretärin hatte. Er sah mit seinen einundvierzig Jahren noch sehr attraktiv und jung aus. Er kleidete sich schon immer gut und legte auch sonst sehr viel Wert auf sein Äußeres, fast mehr, als Rebecca es tat.

Also warum sollte er nicht eine andere haben und es ihr so richtig besorgen, nachdem das Büro im Autohaus geschlossen war? Rebecca malte sich schon manchmal aus, wie Martin diese junge Schiemke auf dem Schreibtisch wild nahm, und diese dann im fiepsig stöhnenden, sächsischen Dialekt seinen Namen keuchte, ungefähr so: „Öh Mardiin , öh jö du bist so en wildor Hengst ... jo besörg es mir wiedo ... dene Frau weß jö gönichd, wasse ön dir hod ...“, und dabei krallte sie dann bestimmt ihre künstlichen Fingernägel in Martins Rücken. Das Kopfkino brachte Rebecca aber eher zum Schmunzeln und nicht zu rasender Eifersucht, und genau das verwunderte sie sehr ... da stimmte doch was nicht.

Hatte sie denn keine Gefühle mehr für ihren Mann? Rebecca stellte sich diese Frage in der letzten Zeit öfter und wunderte sich über ihre Gelassenheit, wenn sie solche Gedanken von ihrem Mann und dieser Schiemke hatte.

Genau in diesem Moment sagte Martin, dass er noch mal wegmüsse, um sich zu vergewissern, dass er auch seinen Tresor im Büro abgeschlossen hatte. Es war schon nach 22 Uhr, eine sehr ungewöhnliche Zeit für Martin, der sich aufraffte und seine Jogginghose sogar auszog, um sich in seine bestsitzende Jeans hineinzuzwängen und sogar noch frisches Rasierwasser aufzutragen ... Mit den Worten: „Man weiß ja nie, wer mir noch begegnet unterwegs, da muss ich ja als Autohausbesitzer schon wenigstens ein bisschen was darstellen ...“ rechtfertigte er das auffällige Herrichten seines Äußeren.

„Warte nicht auf mich, Kleine ... Ich werd dann auch gleich noch was in der Buchführung fertig machen, wenn ich schon im Büro bin.“ Er gab ihr beim Hinausgehen einen flüchtigen Kuss und verschwand in Sekundenschnelle, als würde er schon erwartet werden.

„Kleine“, wie sie diesen Kosenamen hasste, sie Kleine zu nennen, das ist wirklich das Dümmste überhaupt, dachte Rebecca und schüttelte den Kopf. Nur weil ihr Geburtsname „Klein“ gewesen war.

„Was soll ich jetzt mit dem Abend anfangen? Mein Mann wird eine andere flachlegen, davon gehe ich jetzt mal aus, und ich ...“, dachte Rebecca und sah in diesem Moment ihre Gitarre leicht verstaubt in der Ecke stehen. Da kam ihr die Idee, endlich mal die Melodie zu spielen, die ihr schon seit einigen Tagen im Kopf herumspukte. Sie hatte ja auch schon lange einen Songtext dazu. In etwa so ...

Soll das schon alles sein?

1. Strophe

Ich steh hier im Regen, meine Haut ist ganz kalt und nass. Brauch ich Gottes Segen, oder doch vielleicht was ganz anderes?

Ich will mich neu erleben und fühlen, wie alles in mir brennt, will mich neu entdecken und spüren,

wie das Feuer mich wärmt ...

Refrain

Und dann stell ich mir die Frage, die meinen Kopf schon so lange sprengt!

Und endlich will ich leben, mich nicht mehr fragen:

„Soll das schon ALLES sein?“

Mein Leben braucht mehr Hitze und keine Eiszeit,

will die Liebe in mir spüren!

2. Strophe

Ich will so viel entdecken und fühlen, wie mein Herz wieder schlägt.

Will das Leben spüren, wenn die Hitze in mir das Eis zum Schmelzen bringt.

Ich will es mir beweisen, dass ich nicht umsonst so lang gewartet hab!

Bin mir da ganz sicher, dass ich es schaffe, und es allen zeigen kann!

Refrain

Und dann stell ich mir die Frage, die meinen Kopf schon so lange sprengt!

Und endlich will ich leben, mich nicht mehr fragen:

„Soll das schon ALLES sein?“

Mein Leben braucht mehr Hitze und keine Eiszeit,

will die Liebe in mir spüren!

3. Strophe

Ich will alles neu erleben und frei sein wie ein Vogel im Wind.

Will die Wärme spüren wie mein Ich mit seinem inneren Kind!

Will alles neu entdecken und kämpfen, wie ’ne Löwin das macht!

Brauche neue Ziele, hab schon zu lang geträumt bei Tag und bei Nacht!

Refrain (2x)

Und dann stell ich mir die Frage, die meinen Kopf schon so lange sprengt!

Und endlich will ich leben, mich nicht mehr fragen:

„Soll das schon ALLES sein?“

Mein Leben braucht mehr Hitze und keine Eiszeit,

will das Feuer in mir spüren!

Summer of Love und ein großes Sonnenblumenfeld

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