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buchstaben, die niemand gesehen hat

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Eines Abends, bei einem meiner Chile-Besuche, schlage ich meinem Vater vor, sich zurückzuwenden. Die Orte aufzufrischen, die uns mit der Zeit ausgetrocknet sind. Orte, die wir nach und nach hinter uns gelassen haben, ohne zurückzublicken. Vor langer Zeit hatte er, wie zuvor seine Eltern ihre Geburtsstadt Beit Jala, die kleine Provinzstadt verlassen, in der er geboren worden war. Und wie sie bin auch ich immer weitergezogen, habe die Adressen gewechselt. Einmal war ich zu meinem Elternhaus in Santiago zurückgekehrt. Unter demselben Dach, wenn auch ohne Zwischenwände, befand sich nun ein Geschäft mit persischen Teppichen. Ich lüpfte eine Teppichecke nach der anderen, ohne jeden Anhaltspunkt, bis ich das untrügliche Zeichen fand, wo mein Bett gestanden hatte: eine Schrunde, im Laufe der Jahre von einem der Eisenfüße ins Parkett gegraben. Die Wand war nicht mehr da, von der ich das Gestell jeden Morgen hatte abrücken müssen, wenn ich das Bett machte. Aber auch diesen Laden gibt es nicht mehr, weder die Nachbarhäuser noch die Bäume oder die Gitter, die sie voneinander abgrenzten. Mehr als einmal bin ich auf der Suche nach meinem Haus daran vorbeigegangen. Kehren wir also zu seinem zurück, zu seinem alten Haus, das noch steht, sage ich zu meinem Vater, entstauben wir es und setzen einen Flicken auf unser Erinnerungsloch. Ich sage, dass ich von dem Haus in der Provinz kaum mehr als ein Beet vor Augen habe, am Zaun ein Hühnerstall mit rostigem Gitter, schon ohne Hühner, der Boden übersät mit Federn und Mais. Im Ohr habe ich noch das Geräusch eines offenen Wasserhahns. Auch von dem Innenhof mit Orangenbäumen weiß ich noch. Und von den Bodenfliesen in einem langen Flur. Einem schwarzen Klavier, das niemals gespielt wurde und das nun stumm im Wohnzimmer meiner Tante-der-Zweiten ruht. Von einem Schirmständer neben dem Dielenspiegel, der nach dem Tod meiner Tante-der-Letzten weiß Gott wo hingekommen ist. Im Gedächtnis sind noch das Holztor zum Gehweg und ein paar hochgeschossene kahle Bäume, die das Pflaster anhoben. Weiter hinten der Platz mit Bronzebrunnen und buschigen Südbuchen, Linden oder gar libanesischen Zedern, aus einer anderen Zeit. Ladenschilder mit palästinensischen Namen in lateinischen Buchstaben. Zurückkehren, sage ich, zu diesen Straßen und ihrem dörflichen Rhythmus, zu diesem Haus, seinem Haus, dem seiner Schwestern. Das Haus gehört seit Jahren nicht mehr uns, korrigiert mich mein Vater mit dem Rücken zu mir, während er sich seinen täglichen Kaffee kocht, mit dickem Kaffeesatz. Was noch im Haus war, ist verkauft worden, als dein Großpapa, sagt er und vermeidet es, den Satz zu beenden. Es wurde leer geräumt und vermietet, das Haus, und dann kam der Brand. Sie hatten auch den Eckladen aufgegeben, in dem mein Großvater Stoffe vom Meter verkauft hatte, aus den Textilfabriken der Yarurs und der Hirmas, sowie fertige Kleidung (von Hemden bis zu Unterhosen und Socken) und Schuhe aus den Fabriken in der Calle Independencia. Kaschmir Marke Bellavista Tomé und Seidenballen, fügt mein Vater hinzu, und der Kopf füllt sich mir mit Fasern und Gewebe, mit Farben. Aber es sind nur verknitterte Bilder übrig, die sich nicht mehr bügeln lassen. Die schwere Holzelle, die scharfe Schere, die den Stoffrand einschneidet, bevor die Hände ihn mit einem Ruck aufreißen, die ohnmächtigen Fäden auf der Theke, die rumpelnden Zahlen, zusammengerechnet auf der Registrierkasse aus dunklem Metall, die die Preise von Wolle, Bändern und Schnürsenkeln addierte oder sogar von den Matratzen, die auf dem Speicher lagen, wo mein Bruder-der-Ältere und ich, Die-Mittlere, einander auf Kopfkissen in durchsichtigen Plastikhüllen schubsten. Diesen Verfall der Dinge möchte ich aufhalten, sie wieder zum Leben erwecken, denke ich, aber bevor ich es meinem Vater sage, wirft er auf all das ersterbende Alte einen frischen Geruch. Das habe ich dir gar nicht erzählt, sagt er, den dampfenden Kaffee in der Hand. Die kleine Provinzstadt hat neulich ihre ersten Kaufleute geehrt. Darunter auch meinen Großvater. Sein Name steht auf dem Schild einer gerade eingeweihten Straße. Druckbuchstaben, die sich kein Meruane angesehen hat, noch nicht. Es gab keine Feierlichkeiten, kein Band wurde durchschnitten. Keine Fotos. Mein Vater ist sich nicht sicher, wo genau sein Nachname eingeprägt wurde, der auch der meine ist, unserer. Und vielleicht, weil ich Erklärungen, Einzelheiten verlange, weil ich die Brauen hebe oder überrascht zusammenziehe, willigt er schließlich ein, mich auf kurvenreichen, steilen Straßen Richtung Nordosten in die Vergangenheit zu chauffieren. Fahren wir, sagt er, und stürzt seinen Kaffee hinunter. Fahren wir, als begeisterte ihn die Vorstellung auf einmal und als müsste er das laut mit seiner sonst leisen Stimme betonen. Machen wir uns ans Zurückkehren, denke ich und notiere den Satz oder den Zweifel auf einem Zettel.

Heimkehr ins Unbekannte

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