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Die drei Flüchtigen waren seit zwei Tagen unterwegs, als Harry meinte, sie sollten sich lieber noch etwas Bargeld besorgen. Für Essen und Trinken für zwei Menschen und einen Hund, Benzin und Übernachtungen in Motels waren bisher zwar nur ungefähr die Hälfte der Scheine draufgegangen, die er neulich abgehoben hatte – aber trotzdem, sagte Harry, sei es klüger, ein paar Reserven dabeizuhaben. Auf der Fahrt durch eine kleine Stadt entdeckte er eine Bank, und durch die Glastür war schon der Geldautomat zu erkennen.

»Okay, Leute«, sagte Harry und parkte den Van schräg am Straßenrand. »Sollte nur ein paar Minuten dauern.«

Er öffnete gerade die Tür, da rief Jeff vom Beifahrersitz aus: »Was ist mit Ihrer Verkleidung?«

Harry hatte schon einen Fuß auf den Asphalt gesetzt. Nun zog er sich den Schirm seiner Baseballkappe tief ins Gesicht. »Wenn ich das Ding aufhabe und immer schön nach unten gucke, sollten die Kameras nicht besonders viel von mir sehen. Sich ständig diesen Bart ins Gesicht zu pappen und wieder abzunehmen macht einen doch wahnsinnig …«

Also stieg er aus und schloss die Tür. Jeff und Chipper sahen zu, wie Harry den Bürgersteig entlang zur Bank ging.

Schau mal.

»Was ist?«, fragte Jeff.

Chipper beobachtete einen Streifenwagen, der gemächlich die Hauptstraße hinunterfuhr. Es sah aus, als würde der Officer hinterm Steuer zu Harry hinüberspähen.

»Oh-oh«, sagte Jeff.

Der Streifenwagen bog auf einen Parkplatz ein, der Officer stieg langsam aus. Kein Zweifel, er hatte Harry im Visier, der sich gerade der Bank näherte. Dann drehte der Officer sich um, warf einen Blick auf den Van und kniff die Augen zusammen. Er interessierte sich anscheinend dafür, wer in dem Wagen saß.

»Oh Gott!«, rief Jeff. »Er schaut uns direkt an.«

Das ist kein gutes Zeichen.

»Was du nicht sagst. Glaubst du, das Institut hat eine Beschreibung von uns rausgegeben? Könnte das sein?«

Es könnte sein.

Gerade als Harry die Bank betrat, drehte sich der Officer wieder zu ihm. Er legte den Kopf schief, als käme ihm der ältere Herr irgendwie bekannt vor, und lief langsam zu der Tür, die Harry eben durchquert hatte. Dort angekommen, beugte er sich zur Glasscheibe, die Augen von der Sonne abgeschirmt.

»Oh Gott!«, rief Jeff noch mal.

Der Officer griff nach der Klinke. Er wollte hineingehen.

»Wir müssen etwas tun«, sagte Jeff.

Aber was?

»Irgendein Ablenkungsmanöver.«

Drüben zog Harry seine Bankkarte aus dem Geldbeutel. Den Polizisten ganz in seiner Nähe hatte er offensichtlich nicht bemerkt.

Lass mich raus.

»Was hast du vor?«, fragte Jeff.

Lass mich einfach raus.

Es half nichts – Jeff hatte keine Zeit, sich Chippers Plan lang und breit erklären zu lassen. Er öffnete die Beifahrertür, und Chipper sprang über ihn hinweg ins Freie.

Auch Jeff stieg aus, damit er Chipper besser im Auge behalten konnte.

Der Hund flitzte mitten auf die Straße. Die Bremsen eines heranfahrenden Wagens quietschten.

»Chipper!«, rief Jeff.

Doch wie es aussah, wusste Chipper genau, was er tat. Er huschte quer über die Fahrbahn, wieder zurück und rannte auf dem gelben Streifen zwischen den beiden Spuren entlang. Immer mehr Bremsen quietschten, und Hupen tröteten.

Jeff warf einen Blick zur Bank. Die Hand des Officers ruhte noch auf der Türklinke, doch nun drehte er sich zu dem Lärm auf der Straße um.

Dort schlug Chipper immer noch Haken zwischen den Autos, und auf einmal …

WUMMS !

Ein Pick-up war mit Karacho auf einen schnittigen Sportwagen aufgefahren. Natürlich stieg dessen Fahrer sofort aus und schüttelte der Frau am Steuer des Trucks die Fäuste entgegen.

»Sie Idiotin, Sie!«, schrie er. »Passen Sie doch auf, wo Sie hinfahren!«

Die Frau steckte den Kopf aus dem Fenster. »Der blöde Hund ist schuld!«

Während der Officer im Laufschritt die kurze Strecke zum Unfallort zurücklegte, rannte Jeff los. Die Wagentür ließ er offen. Hinter geparkte Autos geduckt, eilte er zur Bank.

Als Harry sie gerade verließ und sich dabei frische Scheine in die Hosentasche stopfte, kam Jeff dort an.

»Wir müssen hier verschwinden!«, japste er.

»Was?«, sagte Harry. »Was ist los?«

Doch Jeff vergewisserte sich nur kurz, dass der Officer sich voll und ganz auf den Unfall konzentrierte, und flitzte zum Wagen zurück. Harry blieb nichts anderes übrig, als ihm hinterherzulaufen. Chipper saß schon wieder auf seinem Platz, also klemmte Harry sich schnell hinters Steuer und drehte den Schlüssel herum.

»Der Polizist da drüben hat Sie eindeutig beobachtet!«, erzählte Jeff. »Erst hat er Sie entdeckt, dann hat er uns angeschaut und dann –«

»Schon gut«, sagte Harry und parkte rückwärts aus. Der Motor jaulte auf. »Wir fahren.«

Die Schnauze an der Heckscheibe platt gedrückt, sah Chipper zu, wie der Officer beruhigend auf den zornigen Sportwagenfahrer einredete. Gleichzeitig trat Harry das Gaspedal durch.

Als Chipper sich von der Scheibe abwandte, warf Jeff einen Blick auf sein Handy.

Das war knapp.

»Ja«, sagte Jeff. »Zu knapp.«

Erzähl mir von Pepper.

Es war Abend. Harry, Jeff und Chipper waren in einem günstigen Motelzimmer, den Van hatten sie gut versteckt hinter dem Gebäude abgestellt. Da beschloss Chipper, nach der Hündin zu fragen, die Jeff früher einmal gehabt hatte.

In dem Zimmer gab es zwei Doppelbetten. Auf dem einen ruhte Harry sich aus, auf dem anderen Jeff, dazwischen lag Chipper am Boden. Den Fernseher hatte Harry auf einen Nachrichtensender gestellt, worüber Jeff nicht gerade begeistert war. Wenigstens war der Ton stummgeschaltet.

Jeff lächelte. »Pepper ist eine tolle Hündin. Ich glaube, ihr beide hättet superviel Spaß miteinander. Aber jetzt lebt sie bei Familie Thomas. Ich habe sie seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Seit damals, als meine Eltern gestorben sind und ich zu Tante Flo ziehen musste.«

Hat Pepper auch Software im Kopf?

»Nein, sie ist eine ganz normale Hündin.«

Ich weiß noch, wie es als ganz normaler Hund war. Ich träume manchmal davon, wieder ein ganz normaler Hund zu sein.

Jeff klopfte neben sich auf die Matratze, und Chipper sprang darauf und kuschelte sich an ihn. Vorher beschnupperte er allerdings noch einmal den Pizzakarton auf dem Bett, der aber inzwischen leer war. Chipper hatte zwei Stücke mit extra viel Käse und Salami verspeist.

»Pepper hat nie Pizza zum Abendessen bekommen«, meinte Jeff.

Wieso nicht?

»Für meine Eltern war das kein passendes Futter. Menschenessen ist nichts für Hunde, haben sie immer gesagt.«

Aber ich stehe total auf Pizza.

»Klar, wer steht denn bitte nicht auf Pizza?«, meinte Jeff. »Wäre das schön, wenn wir Pepper besuchen könnten …«

Da hob Harry den Kopf. »Das wäre keine gute Idee.«

Jeff nickte müde. »Ich weiß. Aber wie sieht unser Plan eigentlich genau aus? Sollen wir jetzt jahrelang rumfahren und jede Nacht in einem anderen Motel übernachten?«

Harry seufzte. »Natürlich nicht.«

»Und was sollen wir dann machen? Bald fängt die Schule wieder an. Da muss ich hin. Aber wie soll das denn gehen?«

»Die Schule ist im Moment deine kleinste Sorge.«

Ich kann dir etwas beibringen.

»Ja, sicher«, sagte Jeff zu Chipper. »Du bist ab sofort mein Lehrer.«

»Na ja, er hat schon einiges auf dem Kasten«, meinte Harry. »Hey, Chipper, warum regnet es eigentlich?«

Der Hund sah ihn an und neigte den Kopf erst zur einen, dann zur anderen Seite. Als Harry auf Jeffs Handy deutete, warf Jeff es ihm zu, und er las vom Display vor.

»Es regnet, wenn feuchte Luft aufsteigt und zu Wolken kondensiert, die die Feuchtigkeit irgendwann nicht mehr halten können, weshalb sie als Regen niedergeht.« Harry warf das Handy zu Jeff zurück. »Du musst nicht mehr zur Schule. Wir haben einen Spitzenlehrer dabei.«

»Aber ich kann mich doch nicht von einem Hund unterrichten lassen«, widersprach Jeff. »Ich kann meinem Lehrer doch nicht mit einem Kackabeutel hinterherlaufen.«

Konnten Hunde beleidigt dreingucken? Wenn ja, machte Chipper es gerade vor.

»Das war doch nicht böse gemeint.« Jeff stöhnte. »Ich kann’s selbst kaum glauben, aber dieses Jahr habe ich mich sogar auf die Schule gefreut. Früher wollte ich immer, dass die Ferien ewig weitergehen.«

Du willst wieder ein normales Leben führen.

»Sieht so aus.« Jeff zuckte die Achseln. »Dabei weiß ich gar nicht mehr, was das sein soll, ein normales Leben.«

Chipper schmiegte seine Schnauze verständnisvoll an Jeffs Knie.

Da schwang Harry sich aus dem Bett, sammelte den leeren Pizzakarton, die Getränkedosen und Servietten ein und stopfte sie in den Mülleimer im Bad. »Kommt ihr zwei ein paar Minuten alleine zurecht?«, fragte er. »Ich muss mal frische Luft schnappen.«

»Klar, kein Problem«, antwortete Jeff.

Als Harry die Zimmertür öffnete und hinaus in die Nacht schlüpfte, warf Chipper einen Blick auf Jeff.

Ich muss mal. Groß.

»Sollen wir kurz Gassi gehen?«

Nicht nötig. Und nur damit du es weißt: Wenn mich das Institut auf eine Mission geschickt hätte, wäre mir sicher niemand mit einem »Kackabeutel« hinterhergelaufen.

»Okay, das sehe ich ein. Das hätte dir deinen Job nicht gerade leichter gemacht, also das ganze heimliche Herumschleichen und so, wenn da jemand –«

Müssen wir noch weiter darüber reden?

»Nein, sorry. Ich mache dir auf.« Jeff ließ Chipper hinaus. »Falls ich einschlafe und vom Telefon nichts mehr mitkriege, kratz einfach an der Tür. Dann lasse ich dich wieder rein.«

Im Freien orientierte Chipper sich erst einmal. Zwischen diesem Motel und ihren bisherigen Unterkünften bestand kein großer Unterschied. Es lag unmittelbar am Straßenrand, immer war das Rauschen der im Dunkeln vorbeizischenden Autos und Lkws zu hören. Ungefähr die Hälfte der Zimmer war belegt, dicht vor den Türen parkten Wagen. Chipper war kein Experte für Motels und Hotels, aber seinem Eindruck nach gehörte dieses hier nicht unbedingt zur besten Kategorie.

Er beschloss, sich hinters Haus zu schleichen, um sein Geschäft zu erledigen. Also trottete er an der Front hinunter, an der Seite entlang und wollte gerade um die Ecke biegen – da hörte er eine Stimme.

Es war Harrys Stimme.

Die Schnauze vorgestreckt, linste Chipper um die Ecke. Ja, es war wirklich Harry. Da das Institut Chippers alte Augen durch Hightech-Instrumente mit eingebauter Kamera ersetzt hatte, konnte er ihn trotz der dunklen Nacht ohne größere Probleme erkennen.

Harry war allein und hielt sich ein Handy ans Ohr. Wieder einmal fragte Chipper sich, ob es so eine gute Idee war, dass Harry ein Handy dabeihatte. Während Jeffs Telefon aus guten Gründen nur noch mit Chipper verbunden war, war Harrys offensichtlich voll funktionsfähig. Einmal hatte Jeff ihn sogar darauf angesprochen, und Harry hatte gesagt, es sei ein »Wegwerfhandy«, das man nicht orten könne.

Damit war das Thema für Jeff anscheinend erledigt gewesen, doch Chipper hatte immer noch Bedenken. Harry stand nur einige Meter entfernt, deshalb verstand Chipper im Großen und Ganzen, was er sagte.

»Denen geht’s gut. Gab Pizza zum Abendessen. Der Köter ist ein Riesen-Pizzafan!« Harry lachte. »Er hat zwei Stücke verschlungen. Hoffentlich muss er sich nicht übergeben.«

Es wurde still. Harry lauschte auf die Antwort der Person am anderen Ende, wer auch immer es war.

»Auf jeden Fall«, antwortete er. Eine Pause. »Ja, Pepper fehlt ihm.«

Und bei Harrys nächstem Satz stellte Chipper erst recht die Ohren auf.

»Wir müssen ein Treffen vereinbaren, damit ich euch die beiden übergeben kann.«

Chipper fröstelte, dabei war es nicht einmal besonders kalt. Und er hatte noch nie gefröstelt, wenn nicht wirklich eisige Außentemperaturen herrschten.

»Sagt einfach Bescheid, wenn ihr so weit seid«, meinte Harry. »So lange bleiben wir in Bewegung. Heute hatten wir einmal ziemliches Schwein, ein Cop hat uns ein bisschen zu genau unter die Lupe genommen, aber wir konnten noch die Kurve kratzen. Ich melde mich morgen oder übermorgen. Keine Ahnung, wo wir dann stecken, im Moment denke ich nur von Tag zu Tag. Aber ich habe genug Bares in der Tasche und kann mir noch mehr besorgen. Habe eine Menge Karten auf verschiedene Namen dabei. Auf die Art finden die uns nie.«

Mist, ärgerte Chipper sich auf einmal, wieso hatte er dieses Gespräch nicht aufgenommen? Das wäre kein Problem gewesen. Er hätte nur per Gedankenkraft sein Aufnahmeprogramm aktivieren müssen, und das Telefonat beziehungsweise Harrys Anteil daran wäre über die Mikrofone in seinen Ohren mitgeschnitten worden.

Anscheinend kam Harry gerade zum Ende.

»Gut«, sagte er. »Bis bald.«

Harry steckte das Telefon ein.

Schnell wich Chipper zurück, machte kehrt und huschte zur Vorderseite des Motels.

Dabei überlegte er fieberhaft.

Was soll ich nur tun? Was soll ich Jeff sagen?

Chase

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