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Madam Director hatte Daggert spätabends in ihr Büro bestellt. Sie blieb oft bis Mitternacht oder noch länger, und im Institut wagte niemand, vor ihr nach Hause zu gehen.

»Sie wollten mich sprechen«, sagte Daggert noch halb in der Tür.

»So ist es«, antwortete Madam Director. »Es gibt aufregende Neuigkeiten.«

Daggert machte eine leicht skeptische Miene – inwiefern aufregend? »Wurden sie gefunden?«, fragte er.

Madam Director schüttelte den Kopf. »Nein. Aber was ich Ihnen mitzuteilen habe, sollte das beschleunigen.«

Daggert wartete ab.

»Ich stelle Ihnen ein neues Team an die Seite.«

»Ein neues Team?«

Für gewöhnlich suchte Daggert sich seine Leute selbst aus. Er war für die Auswahl der Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung verantwortlich. Bestimmt ahnte Madam Director, dass es ihm gegen den Strich gehen würde, einfach irgendwelche Neulinge vorgesetzt zu bekommen.

»Ja«, sagte sie.

Zuletzt hatte Daggert mit Bailey und Crawford zusammengearbeitet. Bailey hatte sich als unfähig erwiesen und Crawford als mindestens ebenso dämlich. Doch wenn man ehrlich war, hatten sie sich auf der Mission, Chipper zu fassen und zum Institut zu schaffen, alle nicht mit Ruhm bekleckert – Daggert selbst eingeschlossen.

»Bei allem Respekt, Madam Director, ich kann mir meine Leute schon selbst aussuchen.«

»Ihre Wahl ist auf Bailey und Crawford gefallen. Zufrieden?«

»Sie haben Fehler gemacht. So wie ich auch. Aber wir werden es zu Ende bringen.«

»Da bin ich mir sicher«, erwiderte Madam Director frostig. Dann beugte sie sich vor und drückte einen Knopf auf ihrem Schreibtisch. »Schicken Sie Barbara und Timothy rein.«

Daggert war irritiert. »Barbara und Timothy? Ich kenne alle Mitarbeiter meiner Abteilung. Bei uns gibt es keine Barbara und keinen Timothy.«

Die Tür glitt beiseite.

Zunächst schaute Daggert starr geradeaus, doch auf Höhe seiner Augen war niemand zu sehen. Er musste den Blick senken, um sein neues Team zu begutachten.

Das eine Mitglied war ein Hund. Ein Labrador, der ihm locker bis übers Knie ging und mit dem Schwanz wedelte.

Das andere war ein Kind. Ein höchstens sechsjähriger Junge.

»Äh«, machte Daggert.

Der Junge streckte seine Hand in die Höhe. »Hallo«, sagte er mit auffallend selbstbewusster Kinderstimme. »Ich heiße Timothy. Sie sind also Daggert?« Nachdem er Daggert die Hand geschüttelt hatte, tätschelte Timothy dem Hund den Kopf. »Das ist Barbara.«

Daggert drehte sich zu Madam Director. »Wie kann …«

»Nun tun Sie doch nicht so überrascht. Sie wissen genau, woran bei uns gearbeitet wird.« Als sie hinter ihrem Tisch hervortrat, hielt sie ein kleines Gerät in der Hand, etwa so groß wie ein Mobiltelefon. Sie ging vor Timothy in die Hocke und drückte ihm kurz die Schultern. »Wer ist mein kleiner Goldjunge?«

»Ich«, antwortete Timothy schlicht.

In Daggerts Ohren klang seine Stimme wirklich etwas seltsam. Etwas zu nüchtern. Mit einem Tick zu wenig Gefühl.

»Aber dass es so schnell gehen würde«, wandte Daggert sich erneut an Madam Director, »das hätte ich nicht gedacht. Mir war klar, dass weitere Hunde einsatzbereit sind, aber ich hatte keine Ahnung, dass wir schon …«

»Ja«, bestätigte Madam Director. »Mit dem lieben Timothy sind wir sehr schnell vorangekommen. Ich bin äußerst zufrieden mit seiner Entwicklung. Seine Zeit bei Ihnen soll eine Art Bewährungsprobe für ihn sein. Und die gute Barbara kann es in jeder Hinsicht mit dem gesuchten Hund aufnehmen. Noch dazu lässt sie sich nicht so leicht ablenken.«

Madam Director blickte auf Barbara hinab.

»Barbara. Schau mich an.«

Die Hündin hob den Kopf, ihre künstlichen Augen fixierten die Direktorin. Zugleich betätigte diese einen Schalter an dem kleinen Gerät in ihrer Hand – und plötzlich schoss eine Maus unter dem Schreibtisch hervor und quer über den Marmorboden. Nur dass es keine echte Maus war. Es war ein Spielzeug, das sehr nach einer Maus aussah.

Für einen Sekundenbruchteil zuckten Barbaras Augen zu der Attrappe, doch sie rührte sich nicht. Sie rannte nicht hinterher, ja, sie geriet offenbar nicht mal in Versuchung.

»Wir wissen doch alle, wie H-1094 reagiert hätte?«, sagte Madam Director. »Er hätte an nichts anderes mehr denken können als an diese Maus. Aber nun zu dir, Timothy. Gib uns doch mal eine Kostprobe deiner Fähigkeiten.«

Timothy drückte den Rücken durch und wartete auf Anweisungen.

»Timothy. Worüber wird im Nachbarzimmer geredet?«

Daggerts Gesichtsausdruck sprach Bände: Wie bitte!?

Auf der anderen Seite der Wand, gleich nebenan von Madam Directors Büro, lag eine der Kommandozentralen. Den ganzen Tag saß dort eine Reihe von Mitarbeitern an Monitoren und verfolgte die Bewegungen der Agenten des Instituts, sowohl der menschlichen als auch der weniger menschlichen. In dieser Sekunde suchten sie in Daggerts Auftrag nach Harry Green, dem Jungen und dem Hund – sie hörten Telefonate ab, behielten Kontobewegungen im Auge und überprüften die Aufnahmen von Highway-Überwachungskameras.

Timothy neigte den Kopf leicht zur Seite. »Gerade sagt jemand: ›Was für eine Suppe es heute wohl in der Kantine gibt?‹«

»Durchaus beeindruckend, muss ich sagen«, meinte Daggert. »Er kann also durch Wände und Türen hören. Aber –«

»Moment«, meldete Timothy sich wieder zu Wort. »Das ist noch nicht alles. Jetzt sagt jemand: ›Diese Madam Director ist echt ein fieses Weibsstück.‹«

Die Augen der Direktorin verengten sich. »Na so was. Timothy, kannst du über deine Stimmerkennungsdaten identifizieren, um wen es sich handelt?«

Der Junge nickte und erstarrte für ein paar Sekunden, als wäre er in Kälteschlaf gefallen.

»Wilkins«, sagte er dann.

»Wilkins?«, wiederholte Daggert. »Wer ist das noch … ach, stimmt. Wilkins. Ich denke immer, er heißt Watson.«

»So denkt Wilkins also über mich …«, murmelte Madam Director leise. »Nun gut. Ihr drei könnt wegtreten.«

Mit ausdruckslosem Gesicht blickte Timothy zu Daggert hinauf. »Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit.«

»Wuff«, machte Barbara.

»Wie Sie mit Barbara kommunizieren können, erfahren Sie von Wilkins«, sagte Madam Director noch zu Daggert. »Auch in diesem Bereich konnten wir Fortschritte erzielen. Aber jetzt verschwinden Sie.«

Ohne weitere Worte gingen Daggert, Timothy und Barbara zur Tür. Doch nachdem der Junge und die Hündin das Büro verlassen hatten, blieb Daggert stehen.

»Madam Director?«, sagte er vorsichtig.

»Ja, Daggert?«

»Wegen des Jungen, also wegen Timothy …«

»Ja?«

»Wie alt ist er?«

»Er ist sechs.«

Daggert fuhr sich über den Mund. »Also … noch ein Kind.«

Madam Director starrte ihn aus schmalen Schlitzen an. »Haben Sie ein Problem damit, Daggert?«

Eilig schüttelte er den Kopf. »Natürlich nicht. Nicht das geringste. Ich mache dann mal weiter.«

»Ach ja …«, sagte Madam Director.

»Ja?«

»Könnten Sie nachher Wilkins zu mir schicken?«

Chase

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