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Madam Director hatte Daggert, den Sicherheitschef des Instituts, mit voller Absicht warten lassen. Einerseits war sie neugierig darauf, welche Fortschritte er vorzuweisen hatte, andererseits wollte sie ihn aber ein wenig quälen, und so ließ sie ihn fast eine halbe Stunde lang im Vorzimmer herumstehen. Endlich drückte sie einen Knopf auf ihrem Schreibtisch. »Schicken Sie ihn herein.«

Die Tür glitt beiseite, Daggert trat ein. Wie immer trug er einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte. In die Brusttasche des Jacketts hatte er seine Sonnenbrille geklemmt.

Weder erhob Madam Director sich von ihrem Chefsessel, noch bat sie ihn, Platz zu nehmen. Er stand kerzengerade vor ihr, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

»Daggert«, sagte sie und nahm ihre übergroße Brille ab, um ihn genauer zu mustern. Dabei strich sie sich eine lange rote Haarsträhne aus der Stirn.

Er nickte. »Madam Director.«

»Ist doch sicher ein gutes Gefühl, wieder trockene Klamotten anzuhaben? Wenn ich richtig gehört habe, haben Sie gestern gewissermaßen Schiffbruch erlitten.«

Daggert räusperte sich. »Das ist korrekt.«

»Sagen Sie mal, wie alt ist diese Emily Winslow noch mal, von der Sie sich haben ausmanövrieren lassen? Also das Mädchen, das Ihnen den Hund und den Jungen unter der Nase weggeschnappt hat …«

»Sie ist dreizehn«, antwortete Daggert. »Aber offenbar kennt sie sich bestens auf dem See aus. Sie hat uns auf eine Felskante knapp unter der Oberfläche gelockt und –«

»Kommen Sie mir jetzt ernsthaft mit Ausreden? Sie, der Sie seit acht Jahren für uns arbeiten und früher in Diensten der CIA und der Sondereinsatzkräfte standen?«

»Ich wollte Ihnen nur darlegen, wie –«

»Wie Sie sich von einem Kind haben vorführen lassen?«

Daggert war verstummt.

»Wie gehen wir weiter gegen das Mädchen vor?«

»Gar nicht. Zumindest vorerst nicht. Ihr Vater war bei der Polizei, daher dürfen wir nichts überstürzen. Aber wir überwachen ihre Telefone, ihre E-Mails, das volle Programm. Sie wissen nicht, wo der Junge und der Hund sind. Wir haben alle Orte im Blick, an denen sie auftauchen könnten.«

»Erzählen Sie mir von dem Jungen«, sagte Madam Director. »Er wurde da nicht zufällig hineingezogen, oder? Der Hund hat gezielt nach dem jungen Mann gesucht.«

»Das stimmt. Bei dem Jungen handelt es sich um Jeff Conroy, den Sohn von Edwin und Patricia Conroy.«

»Unserer einstigen Mitarbeiter.«

»Genau.«

»Die leider bei einem schrecklichen Flugzeugunglück ums Leben gekommen sind.«

»Genau.«

»Das aber tatsächlich kein Unglück war.«

Daggerts Brust plusterte sich unmerklich auf. »Das stimmt. Sie waren nicht einverstanden mit der Zielrichtung unserer Forschung. Es bestand Grund zur Annahme, sie könnten Informationen weitergeben, zur Presse gehen –«

»Ja, ja«, winkte Madam Director ab. »Darüber bin ich im Bilde. Aber was hatten sie mit Tier H-1094 zu tun?«

H-1094 war Chippers Identifikationsnummer.

»Mr und Mrs Conroy hatten sich intensiv mit dem Tier beschäftigt«, erwiderte Daggert.

Madam Director nickte. Im Forschungsteam hatten die Conroys eine wichtige Rolle gespielt. Sie waren vom Start weg an der Entwicklung der Hundehybriden beteiligt gewesen – der Mischwesen aus Tier und Computer, die in feindliches Gebiet geschickt werden sollten, um dort Aufnahmen anzufertigen und Informationen zu sammeln. Ein menschlicher Spion, der zu viele Fragen stellte, zog unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich. Einen Hund beachtete niemand. Er konnte sich einschleichen, wo kein Mensch hingelangte.

Bei Chipper gab es allerdings ein Problem: Seine starken natürlichen Instinkte hätten die Missionsziele gefährdet. Hätte er beispielsweise während der Jagd auf eine Person unter Terrorismusverdacht ein Eichhörnchen entdeckt, wäre er einfach spontan dem Nager hinterhergerannt. Aus diesem Grund war das Institut zu der Entscheidung gelangt, ihn stillzulegen. Einzuschläfern. Doch Madam Directors Mitarbeiter hatten sich von dem Tier überlisten lassen, und so war es ihnen entwischt.

Mr und Mrs Conroy hatten sich also intensiv mit dem Hund beschäftigt – und sobald er aus dem Institut entkommen war, hatte er sich auf die Suche nach ihrem Sohn gemacht.

Wieso?

Diese Frage richtete Madam Director an Daggert.

»Ich hätte da eine Vermutung«, erwiderte er.

»Ich bin ganz Ohr.«

»Während der Arbeiten an H-1094 haben sie vermutlich über den Jungen gesprochen – woran sich der Hund nach seiner Flucht offensichtlich erinnert hat. Er ging vielleicht davon aus, der junge Conroy würde sich um ihn kümmern und ihm sozusagen einen sicheren Hafen bieten. Außerdem glaubt er womöglich, den Jungen beschützen zu müssen, wo seine Eltern doch nicht mehr am Leben sind.«

»Denkbar«, sagte Madam Director. »Und was wissen wir über diesen Harry Green?«

»Er hat früher als Fischer gearbeitet und bei Flo’s Cabins Urlaub gemacht.«

»Und was konnten Sie sonst in Erfahrung bringen? Was ist das für ein Typ?«

Daggert zögerte. »Die Schwierigkeit ist … nun ja, Harry Green ist kein besonders ungewöhnlicher Name. Davon gibt es Tausende.«

»Ja. Und?«

»Wir durchleuchten derzeit alle Harry Greens, die zu seinem Profil passen, aber …«

»Aber was?«

»Über diesen einen Harry Green sind kaum Informationen aufzutreiben«, gestand Daggert. »Fast als hätte es den Mann nie gegeben.«

Madam Director fixierte ihn streng. »Wie lang hat er schon in der Hütte gewohnt?«

»Den ganzen Sommer schon.«

»Und wie sieht es mit den vergangenen Jahren aus?«

»Soweit wir wissen, war er zum ersten Mal dort. Und vorläufigen Informationen zufolge hat er – allein – in der Nachbarstadt gewohnt, bevor er sich die Hütte gemietet hat.«

»Seine Ankunft im Angelcamp fällt zeitlich also grob mit der des Jungen zusammen?«

Daggert nickte stumm.

»Man könnte meinen, er hätte dort auf den Hund gewartet – nur für den Fall, dass dieser flieht. Als hätte er geahnt, dass H-1094 sich zu dem Jungen aufmachen würde.« Madam Director legte eine Pause ein. »Was denken Sie, wie viele Konkurrenzorganisationen und ausländische Regierungen sich die Finger nach einem unserer Tiere lecken?«

»Die Liste nähme kein Ende«, meinte Daggert.

»Sie sagen es. Da frage ich mich doch, für wen dieser Harry Green wohl arbeitet.«

»Könnte es nicht sein, dass er für uns arbeitet? Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Organisation mehrere Mitarbeiter auf ein und dasselbe Ziel ansetzt, um die Erfolgsaussichten zu erhöhen.«

Madam Director lächelte. »Es schmeichelt mir, dass Sie mir so viel Verschlagenheit zutrauen.« Sie trommelte mit den Fingernägeln auf den Tisch. »Da kommt mir eine Idee.«

»Ja?«

»Was wäre, wenn die örtlichen Gesetzeshüter Wind davon bekämen, dass ein Junge mitsamt seinem Hund von einem Mann entführt wurde, der diesem Harry Green ähnelt? Und wenn man sie anweisen würde, es einer unserer Tarnorganisationen zu melden, sollte das Trio gesichtet werden?«

Daggert nickte langsam. »Gute Idee. Mehr Augen sehen mehr.«

»Selbstverständlich ist es eine gute Idee«, erwiderte Madam Director. »Sie stammt schließlich von mir.«

Chase

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