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Kapitel 3

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»Es handelt sich im Grund um ein ganz simples Problem der Karbonchemie«, erklärte Dr. Finster. »Da ist nicht viel dran, was man als besonders reizvoll bezeichnen könnte. Schließlich beschäftigt man sich damit schon seit fünfzig Jahren.«

Auch er wirkte nicht so, als reize es ihn besonders. Statt des Laborkittels trug er einen Pullover, wahrscheinlich als äußeres Anzeichen seines Mißvergnügens zu werten. In gewisser Weise hatte mich schon Professor Beylis darauf hingewiesen, mit dem ich zuvor gesprochen hatte. Das Weizmann-Institut ist ein hochklassiges Institut, und wie seine Vorbilder, das Rockefeller, Princeton, das MIT und so weiter, beschäftigt es sich mit Grundlagenforschung an der Grenze menschlichen Wissens. Ein Hauch von Ruhmeshalle und Nobelpreis lag in der Luft. In dieser Atmosphäre aus einem uralten, längst von Betriebschemikern wieder und wieder durchgekauten Prozeß neue Anwendungen herauskitzeln zu müssen, war, als wolle man an Seifenpulver Verbesserungsmöglichkeiten finden: kleine Fische.

Ich stand in Weizmanns ehemaligem Labor. Er hatte hier gearbeitet, kurz nachdem es in den dreißiger Jahren gebaut worden war. Jetzt gehörte das Labor Professor Sprinzak, und der hatte mich in eine Ecke geführt, in der Dr. Finster sich brummelnd mit einem kleinen Versuchsaufbau beschäftigte. Der beunruhigende Geruch von Chemikalien und einem großen Gasleck hing in der Luft, der einem das Betreten des Chemielabors schon in der Schule zum Trauma hatte werden lassen. Der Raum wirkte unordentlich und altmodisch. Die Regale waren mit Kolben, Retortenständern und Bunsenbrennern vollgestopft. Im Augenblick schienen eine Menge Experimente im Gange zu sein.

Ich setzte mich auf einen hohen Hocker und betrachtete den gelangweilten Dr. Finster und seinen Fermentations-Apparat, einen zylindrischen Kolben aus rostfreiem Stahl, der elektrisch erhitzt wurde. Röhren und Retorten führten in ein Glasgefäß. Im Stahlkolben befand sich Dans Kartoffelpüree – »zuerst müssen wir unser Ausgangsmaterial pürieren« –, und in dem Glasgefäß befand sich eine Menge Wasser.

»Ist es das?« fragte ich.

»Ja. Das ist das Ergebnis der Fermentation.«

Er neigte das Gefäß zu mir hin und nahm den Deckel ab. Ein recht angenehmer, voller Duft entströmte ihm, der mir vertraut vorkam; ich konnte ihn jedoch nicht zuordnen. Das Zeug roch überhaupt nicht nach Kartoffeln. Ich betrachtete die namenlose Flüssigkeit genauer. War dies die geheime Essenz des Lebens? Er hatte viel von lebenden Organismen gesprochen.

»Riecht Fuselöl so?« fragte ich.

Dr. Finster hielt die Nase über den Topf. Sie war mächtig und schien etwas zu taugen. Ihre Spitze zitterte leicht, während er seine Beobachtungen machte.

»Ja. Sehr ähnlich. Kein großer Unterschied. Aber es ist kein Fuselöl.«

»Nein.« Ich stellte mir Winogradskys Nüstern vor, die vor siebzig Jahren aufgeregt, und Weizmanns Riecher, der ein paar Jahre später, kritischer und intensiver, daran geschnuppert hatte. »Und was geschieht jetzt damit?« fragte ich.

»Jetzt kann man damit machen, was man will. Das ist eine sehr vielseitige Substanz«, sagte Dr. Finster matt. »Ich erkläre es Ihnen noch einmal.«

Diesmal lauschte ich konzentrierter.

Organische Chemie, das ist die Chemie der Lebewesen, ist im wesentlichen mit der Karbonchemie gleichbedeutend. Der Kohlenstoff kam irgendwie von der Sonne, Pflanzen synthetisierten ihn zu Stärke, Zucker und anderen Substanzen. Tiere wiederum fraßen die Pflanzen, und die Menschen aßen sowohl Tiere als auch Pflanzen. Was auch immer sie also aßen, als Kleider am Leib trugen, woraus sie Möbel bauten oder was sie verheizten, stets nutzten sie die Energie, die ursprünglich von der Sonne kam, und reihten sich so in den Kohlenstoff-Zyklus ein.

Pflanzliches Material, das diesem Kreislauf entzogen wurde, weil es keiner weiteren Verwendung zugeführt worden war, versteinerte. Es konnte in Form von Kohle, Schiefer, Torf und Öl zurückgewonnen werden. Die einfachste wissenschaftliche Methode, im Falle der Kohle, bestand darin, ein Streichholz dranzuhalten. Dann wurde in Form von Hitze und Licht ein Teil der enormen Energie frei, die die Sonne zuvor beigesteuert hatte. Dies war jedoch eine äußerst rohe Methode der Umwandlung, wie Dr. Finster feststellte.

»Wenn wir dies hier als Treibstoff betrachten wollen«, sagte er und schüttelte das Gefäß leicht, »brauchen wir den natürlichen Vorgang nur zu beschleunigen. Wir haben pflanzliche Materie genommen und Bakterien hinzugegeben, die sie in Alkohole und andere Substanzen aufspalten. Genau das hat die Natur gemacht, als sie Öl schuf. Aber in der Natur hat es Jahrmillionen gedauert, und hier brauchen wir nur ein paar Stunden dazu.«

»Und das hat Weizmann auch getan?«

»Ja. Er hat Mais dazu genommen. Er hat bestimmte Bakterien isoliert – Clostridia, genauer gesagt – die er an Mais beobachtet hat. Dann hat er sie ans Werk geschickt, eine Fermentation durchgeführt. Und sie haben die Stärke im Mais verdaut.«

»Ich dachte, er hätte Aceton gewonnen.«

»Aceton, und noch weitere Substanzen.«

»Und was hat Vava gemacht?«

»Er hat mit Ipomoea batatas gearbeitet.«

»Aha«, sagte ich. Ich wußte nicht, wonach ich ihn weiter fragen sollte. Dr. Finster musterte mich. Er sah aus, als würde er mir gern helfen, wisse aber nicht, wie.

»Und zwischen Vavas Kartoffeln und Weizmanns Mais«, fragte ich weiter, »bestehen da große Unterschiede, Dr. Finster?«

»Hinsichtlich der Versuchsergebnisse? Es gibt Unterschiede. Aber ich habe nicht herausgefunden, worin der entscheidende Unterschied, von dem Vava spricht, bestehen sollte.«

»Woher wissen wir, was Vava ihm berichtet hat?«

»Ah!« Dr. Finster ging zu einer Kiste, die auf dem Tisch stand. Darin lag ein offenes Laborbuch mit einem Kugelschreiber. Er legte beides beiseite und zog einen Bogen Papier hervor, der sich darunter befand. Es war eine Kopie, an die ich mich sofort erinnerte: Der Brief an Fritz Haber, den ich Connie vor Monaten geschickt hatte. Es war nur die zweite Seite vorhanden. Haber hatte Probleme, seine Angelegenheiten in Deutschland zu regeln. Die Regierung hatte eine Sondersteuer erlassen, die alle Juden entrichten mußten, die das Land verließen. Er hatte Weizmann schon zuvor darauf hingewiesen, daß Wissenschaftler, die in die Türkei reisten, diese Steuer nach Intervention der türkischen Regierung, die mit der deutschen auf gutem Fuß stand, nicht zu zahlen brauchten. Weizmann war in dieser Sache mit Ramsay MacDonald nicht weitergekommen, aber er hatte dem großen Rutherford nach Cambridge geschrieben (und Haber war dorthin eingeladen worden), um ihn zu bitten, seinen wissenschaftlichen Einfluß geltend zu machen. Das berichtete er Haber. Dann schrieb er noch irgendwelchen Tratsch und Klatsch. Der eingekringelte Abschnitt kam nach der Hälfte der Seite.

Was den guten Vava betrifft, er ist unverbesserlich. Er hat mit mir letztens an der Proteinfrage ...

»Können Sie Deutsch lesen?« fragte Dr. Finster.

»Ja.«

»Was den guten Vava betrifft, er ist unverbesserlich. Er hat mit mir letztens an der Proteinfrage gearbeitet, aber näherliegende Dinge sind ihm dazwischengekommen. Er hat eine Abart von Ipomoea batatas mit einem zahlenden Gast entdeckt, die dem Ganzen, wie er mir in jedem Brief versichert, eine Oktanzahl von 150 geben kann. Das wird das fragliche Nahrungsmittel sicher rascher an seinen Bestimmungsort bringen, doch die Unglücklichen, die es verzehren, werden nicht wiederkommen und mehr davon wollen!«

»Ist das alles?«

»Ja.«

»Was meint er mit ›zahlender Gast‹?«

»Offenbar ein Bakterium. Das ist Bergmanns Lesart.«

»Und Sie arbeiten mit diesem Bakterium?«

»Nein. Woher sollen wir wissen, mit welchem Bakterium Vava gearbeitet hat?«

»Ah.« Jetzt dämmerte es langsam. »Oder mit welcher Abart der batatas

»Wir benutzen hier die gewöhnlichen Ipomoea batatas

Jetzt wurde der Tag strahlend hell.

»Sie erreichen keine Oktanzahl von 150.«

»Nicht einmal annähernd.«

»Wenn Sie Vavas »batatas« und sein Bakterium hätten, könnten Sie möglicherweise 150 erreichen?«

»Das sagt er doch!«

»Ja.«

Bis hierher hatte es etwas gedauert. Wie Meyer sagte: In der Chemie mußte man immer am Ball bleiben.

Das schwarze Gold

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