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Kapitel 2

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Ich spazierte durch den Central Park South (das war im vergangenen Jahr, kurz nachdem mein Buch über die dreißiger Jahre erschienen war), als mir eine Gestalt entgegenkam: eine adrette, kleine Gestalt mit weißem Haarschopf, Indianergesicht, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Unsere Augen begegneten sich auf einiger Distanz, und auf meiner Höhe blieb die Gestalt stehen und sagte: »Heh – Igor Druyanov?«

»Ja.«

»Ich freue mich, Sie zu treffen, Igor.« Freundlich lächelte er mich an und gab mir die Hand. »Ist das nicht verrückt?« meinte er. »Ich bin Meyer Weisgal.«

»Wie geht es Ihnen, Mister Weisgal?« Mir hatten in letzter Zeit einige leutselige Menschen, die ich lange nicht gesehen hatte, die Hand geschüttelt. Ich zerbrach mir den Kopf.

»Was machen Sie in New York, Igor? Sie waren in Harvard, wie ich hörte.«

»Ich halte dort ein paar Vorlesungen.«

»Es ist wirklich unglaublich. Da spaziere ich hier so vor mich hin und grüble über Das Betrogene Jahrzehnt nach, und wer läuft mir über den Weg? Man braucht die Dinge also gar nicht groß zu planen.« Er tänzelte umher, und seine wäßrigen Augen betrachteten mich freundlich unter den Brauen hervor. »Es geschieht ganz einfach. So ist es mir schon so oft im Leben gegangen!« (Das stimmte. Interessierte Leser mögen sich mit seiner Autobiographie »So far«, erschienen bei Weidenfeld & Nicolson, befassen.) »Grübeln Sie nicht weiter darüber nach, wir sind uns noch nie begegnet«, sagte er. »Ich bin am Weizmann Institut in Israel.«

»Aha.«

»Es ist ein sehr gutes, ja, ein großartiges Buch.«

»Vielen Dank.«

»Ich weiß nicht, ob ich den Titel hätte durchgehen lassen. Da bricht einem ja die Zunge ab, wenn man den ausspricht. Ich bin ein guter Lektor.« Die wäßrigen Augen strahlten noch immer.

»Sie sind – Lektor beim Weizmann-Institut?« fragte ich einigermaßen verwirrt.

»Nein, nein. Ich bin Kanzler dort. Was immer man darunter verstehen mag. Sagen Sie Igor, warum gehen wir nicht ein Stück zusammen?« Er wandte sich um, und wir schlenderten in die Richtung, aus der er gekommen war.

»Wie geht es Ihrem Vater?« erkundigte er sich.

»Gut, danke.«

»Maxim Druyanov heißt er, nicht wahr?«

»Richtig.«

»Was macht er zur Zeit?«

»Er unterrichtet in London an der Schule für Slavistik und Osteuropäische Studien.«

»Bewacht man ihn noch immer?«

»Nein, nein. Das ist schon Jahre her.«

»Ihre Mutter ist Jüdin, nicht wahr?«

»Ganz recht.«

»Also, zum Teufel damit«, meinte er. Sein Akzent war eine fette Mischung aus Brooklyn, Russisch und Jiddisch. Er erzählte mir, warum er so erfreut war, mich zu treffen.

Ein großes Projekt war angelaufen – die Herausgabe der gesammelten und kommentierten Briefe von Chaim Weizmann. Vor einigen Jahren war ein Herausgeber-Komitee gegründet worden, das aus Lewis Namier, Isaiah Berlin und Jacov Talmon bestand, alles brillante Köpfe; dazu kam R.H.S. Crossman, der britische Ex-Politiker, der an Weizmanns großer Biographie schrieb.

Die meisten Bände waren bereits zugeordnet worden und befanden sich bei Politologen in Arbeit, aber bei den Jahren 1931–35, der Zeit, in der Weizmann ohne Amt war, gab es eine Lücke. Für diese Briefe, die den Zeitgeist jener unglückseligen Epoche offensichtlich so gut wiedergaben, war es nicht leicht, den richtigen Herausgeber zu finden. Das Erscheinen von Das betrogene Jahrzehnt mit seinem Neugierde auslösenden Titel schien das Problem zur Hälfte gelöst zu haben.

»Und die andere Hälfte liegt bei Ihnen. Wie wär’s, Igor?«

Inzwischen waren wir in seiner Wohnung angekommen, im Erdgeschoß, gleich beim Central Park South, denn dorthin hatte unser Spaziergang geführt. Seine Frau Shirley schenkte Kaffee ein.

»Nun. Das kommt etwas überraschend, Meyer.« Wir waren inzwischen bei den Vornamen angelangt.

»Es würden zwei Bände von größter historischer Bedeutung werden. Sie würden sozusagen die Vorgeschichte des Staates Israel darstellen. Er stand mit fast allen in Kontakt. Tag für Tag sah er den moralischen Zusammenbruch Europas in tausend Einzelheiten herannahen. Die Anmerkungen stünden Ihnen zur Verfügung, und pro Band ein langes, einführendes Essay. Das ist genau das richtige für Sie, das sehe ich schon. Ich ahne es.«

Diese Ahnung hatte mich dahin gebracht, wo ich jetzt war, und meine eigenen Vorahnungen hatte.

Ich befand mich in der Penthouse Suite des San Martin Klubhauses, auf dem Campus des Weizmann-Instituts. Die Suiten waren normalerweise für Honoratioren gedacht. Honoratioren waren im Augenblick keine zur Stelle, deshalb hatte ich diese Suite bekommen. Das Flugzeug hatte sich – wegen einer Bombendrohung in London – um Stunden verspätet, und ich saß müde da, bewunderte die Pracht und nahm mit Connie einen Drink.

Mehr denn je erinnerte sie mich an einen kleinen, südamerikanischen Kolibri – die Kreation eines Konditors, möglicherweise. Sie besaß ausgesprochen hübsche, zierliche Beine und Füße und blinzelte mit den Augen. Sie hieß Nehama, aber die Nonnen dort in der Klosterschule in Maracaibo, wo sie geboren war, hatten mit dem Namen so ihre Schwierigkeiten gehabt, und sie gefragt, was er bedeute. Sie hatte ihnen erklärt, er bedeute auf hebräisch »Trost«, daher hatten sie sie auf Consuelo umgetauft, was im Klassenzimmer auf Suelo abgekürzt wurde. Als ihre Familie nach New York zog, hatten die Lehrer dort gefragt, was Suelo bedeute. Sie antwortete, sie heiße entweder Nehama oder Consuelo, und schließlich hatten sich alle auf Connie geeinigt.

»Was soll die ganze Panik wegen Vava?« fragte ich.

»Ach, du bist zu müde für diesen Wirrwarr.«

»Was für einen Wirrwarr?«

»Laß es mich so ausdrücken. Ich verstehe es nicht, obwohl ich vom Fach bin. Er war ein Cousin von Vera.«

Vera. Veruschka. »Vava, tatsächlich?«

»Hat dein Genie Hopcroft das bei Olga nicht in Erfahrung gebracht?«

»Er hat es nicht erwähnt. Vielleicht wegen des Schlags auf den Kopf.«

»Bergmann war während der dreißiger Jahre in London mit ihm bekannt gewesen. Das hatte er ganz vergessen. Vava kam aus Veras Heimatstadt Rostow. Rußland hat er erst nach der Revolution verlassen, ging danach nach Deutschland, bis die Hitler-Geschichte anfing, und Weizmann ihn herausholte. Er gehörte zu den Flüchtlingen, denen Weizmann half. Eine Weile wohnte er bei den Weizmanns, und Chaim gab ihm im Featherstone-Labor irgendeine Arbeit.«

»Das Featherstone-Labor.« Irgendwann an diesem ermüdenden Tag, der mir mitsamt dem Flug noch zu schaffen machte, hatte mir jemand von diesem Labor erzählt, daran erinnerte ich mich. Aber was?

»Das Featherstone-Labor in London. Weizmanns Labor. Von ihm eröffnet, nachdem man ihn 1931 als Präsidenten der Organisation abserviert hatte. Damals wandte er sich wieder der Wissenschaft zu.«

»So?«

»Ja, darum geht es. Vava blieb also eine Zeit lang bei ihm, dann fand er den Job bei der Ölgesellschaft, fand eine Wohnung, und sie lebten glücklich bis an ihr Ende, er, seine Frau, und das kleine Mädchen.«

»Olga.«

»Olga«, nickte Connie.

Das alles schien keine Antwort auf die Frage zu ergeben. Außerdem war ich zu erschöpft, um darüber nachzudenken, also aß ich eine von den Orangen, die sie für mich gepflückt hatte und hörte ihr zu. Sie erzählte mir, was im Institut so vor sich ging und wer noch da war. Die meisten Leute der Fakultät waren noch immer hier: die Sassoons, die Beylises; und ein begabter Eierkopf aus Harvard namens Hammond L. Wyke.

»Gibt es etwas Neues über seine Nobelpreisaussichten?« erkundigte ich mich.

»Wir drücken die Daumen. In Japan gab es eine Initiative, die eine gewisse Unterstützung findet. Das Nobelpreis-Komitee – also ich würde versuchen, es auf eine gewisse Weise zu beeinflussen. Mit Geld, beispielsweise. Der weltfremde Wissenschaftler behauptet, das sei nicht möglich. Professor Tuomisalo aus Finnland ist auch auf unserer Seite.«

»Der Professor für Höhere Mathematik.«

»Genau der. Gut.« Sie gähnte. »Bat Yam ist ein paar Kilometer von hier entfernt, und dort steht mein Bett. Morgen früh rufst du an, wenn du zum Haus kommen willst. Zeev kommt dann und bringt dich hin.«

Ich brachte sie hinunter zum Wagen und kehrte zurück, todmüde. Bis auf das leise Pochen der Schwerwasseranlage vom Gebäudekomplex der Atomphysik ein paar hundert Meter entfernt, war es ganz still. Ich stand am offenen Fenster und atmete den Duft der Orangen ein. Vor meinen Augen flackerte es. Ich glaubte etwas zu sehen, das sich rasch und ruckartig bewegte. Kein Tier, und auch kein Fahrzeug. Es schien sich um einen rennenden Mann zu handeln.

Ich blickte der Gestalt eine Weile nach und ging zu Bett. Stundenlang warf ich mich schlaflos und unruhig von einer Seite auf die andere.

Das schwarze Gold

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