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Einer der merkwürdigen Aspekte der Unterredung mit Weiss war, daß er mir später ein Gesprächsprotokoll zukommen ließ. Ich hatte im Raum kein Tonbandgerät bemerkt, und außer uns war niemand zugegen gewesen. Weiss hatte früher sicher häufig unter falschen Auslegungen zu leiden gehabt, und alte Gewohnheiten gab man nur schwer wieder auf.

Ich hatte Fotos von ihm gesehen, als er noch jung war, Weizmanns Zögling, voller Selbstvertrauen und Ehrgeiz, intelligent und mit einer bestimmten ungeduldigen Energie begabt. Das bleiche, kantige Gesicht war alt geworden, das Feuer loderte nicht mehr. Ich hatte einige Zeit gebraucht, ihn zu finden. Im Gegensatz zu Rehovot, wo nur geforscht wurde, und wo es nur einige Doktoranden gab, war Jerusalem eine große Lehruniversität, und die meisten Studenten waren noch bei der Armee. Der riesige, gepflasterte Campus lag verlassen da; nur hier und da kamen ein paar Leute aus den Gebäuden. Aber ich folgte meiner Nase, machte die beunruhigenden Gerüche aus, sah Leute, die ziellos im Chemie-Gebäude herumzuschlendern schienen, und zu guter Letzt fand ich sein Büro.

Weiss hatte einen großen Teil seines Lebens im Schatten Bergmanns verbracht. Er war auch in den gewaltigen Streit verwickelt gewesen, der in den späten vierziger Jahren zwischen dem Präsidenten und Bergmann ausbrach, der bis dahin als Nachfolger in Rehovot vorgesehen war.

Der Anlaß dieses Streits war in einem Briefwechsel festgehalten, der nicht zur Veröffentlichung kam und unter strengem Verschluß gehalten wurde. Ich hatte natürlich ausreichend Gelegenheit erhalten, einen Blick darauf zu werfen, bevor ich ihn besuchte. Ich fragte mich, ob er von der Existenz dieser Briefe wußte. Nach einem Blick ging ich davon aus, daß er Bescheid wußte, und daß er darüber hinaus sehr wahrscheinlich über alles, was vorging, Bescheid wußte.

Er war klein und gebeugt, trug eine elegante Kombination in schwarzgrauen Tönen und musterte mich bei der Begrüßung überaus mißtrauisch. Einige Minuten später jedoch hatte er Dr. Finsters ganzen Wissenschaftsballast brillant vor mir ausgebreitet.

»Ja, es ist vorbei, kaputt, eine Welt mit billiger Energie, eine Welt, in der alles billig zu haben ist. Sehr gut. Schaffen wir eine bessere Welt, eine stabilere. Die Energie ist nicht das Wichtigste. Es wird Atomkraft geben, vielleicht andere Quellen. Wichtig sind die Chemikalien. Heutzutage kommt fast alles aus der petrochemischen Industrie – unsere Nahrung, Medikamente, Kleidung, tausend Dinge – und das ist ein Wahnsinn. Über Nacht wird die Welt in den Würgegriff genommen, und die Preise vervierfachen sich. Warum sollten wir uns damit abfinden?«

Ich versuchte, mich dem Wortschwall entgegenzustemmen, aber er floß weiter.

»Wir müssen aufhören, von unserem Kapital zu zehren. Das tun wir nämlich. Erdöl, Kohle, das ist unser Kapital. Wir müssen von unserem Einkommen leben, denn die Natur stellt unerschöpflichen Nachschub vom gleichen Stoff zur Verfügung. Technologisch sind wir noch immer auf dem Stand der Jäger und Sammler. Wir sollten der Energie nicht nachjagen, sondern sie züchten. Sie fragen, warum wir das nicht tun?«

Ich hatte nicht gefragt. Ich hatte gesagt. »Sehr gut, Herr Professor, sehr anschaulich. Aber um auf Vava zurückzukommen –«

»Weil die Ölgesellschaften sich dagegenstemmen. Man muß verstehen, daß eine funktionsfähige Fermentation die Macht vom Ölgürtel der Welt zu den Stärke-Gürteln hin verschieben würde – ein Faktor von ungeheurer Wichtigkeit. Es kommt dann nur noch auf das Klima an, nicht mehr auf geologische Zufälligkeiten. Außerdem, und das ist ein unschätzbarer Gewinn, löst man das Ernährungsproblem der Welt. Die gesamte Infrastruktur, Bewässerung, muß geschaffen werden. Wenn heute halb Afrika tot umfällt, schwelgt die Welt in Mitleid. Sollen sie ihr Mitleid behalten! Afrika kann sich selbst ernähren – und uns alle mit. Sie fragen, woher das Kapital kommt?«

Ich hatte nichts gefragt. In dem alten Gesicht blitzte die Energie des Jünglings.

»Ich sage es Ihnen. Für einen Stoff, der sich genauso leicht weiterverarbeiten läßt wie Erdöl – was bei Schiefer und Kohle nicht der Fall ist – stehen riesenhafte Summen zur Verfügung. Diejenigen, die die Entstehung der petrochemischen Industrie miterlebt haben, wissen das. So viele Dinge mußten da gleichzeitig geschehen, so vieles mußte entdeckt werden, daß eine massive industrielle Entwicklung erforderlich war. Alle Entwicklungen sind jetzt vorhanden. Es kommt nun darauf an, den Rohstoff zu ersetzen. Statt ihn aus einem Loch in der Erde oder der See zu holen, züchtet man ihn. Als das Öl noch billig war, gab es dazu keinen Grund. Aber jetzt? Alles, was uns noch bremst, ist die Machbarkeit. Die bekannten Fermentationsverfahren sind zu langsam und ihre Ausbeute zu gering. Ein anderer Forscher hat jedoch herausgefunden –«

(»Vava?« hatte ich eingeworfen. Und er hatte mit einem leisen Lächeln zugestimmt: »Vava.«)

»Ein anderer Forscher hat jedoch herausgefunden, daß die Ausbeute der Fermentation möglicherweise verdoppelt werden kann, und der Zeitaufwand halbiert, wenn man mit einem ganz bestimmten Bakterium an einem ganz bestimmten Material arbeitet. Das, in aller Kürze, ist der Hintergrund des Problems.«

Wir waren endlich soweit, ich seufzte erleichtert auf und sagte: »Wie Sie wissen, Herr Professor, muß ich mich auf Vava konzentrieren. Was können Sie mir über ihn sagen?«

»Professor Bergmann hat Sie über alles informiert, denke ich.« Das wissenschaftliche Eis war nun gebrochen, die Wintersonne kam langsam heraus. »Er hat 1933 in London mit uns zusammengearbeitet.«

»Im Featherstone-Labor?«

Selten. Er ist immer mal wieder vorbeigekommen. Was wissen Sie über das Featherstone-Labor?« Sein Lächeln war sanft geworden.

»Ich habe die Adresse auf einem Briefkopf gelesen.«

»Das Featherstone-Labor – das war wie einem Dickens-Roman entsprungen. Wir hatten dort den zweiten und vierten Stock, von Weizmann, soweit ich mich erinnere, gemietet. Im ersten und dritten Stock waren andere. Den ganzen Tag rannten wir treppauf und treppab. Es war unglaublich. Das Labor war in einer winzigen Seitenstraße in Holborn. Das Haus existiert nicht mehr. Ich bin mal hingefahren, aus Gründen der Nostalgie, um’s mir noch mal anzusehen. Nichts. Es wurde Anfang des Krieges zerbombt. Den ganzen Tag rannten wir auf und ab, in einem ganz dunklen Treppenhaus. Wir hielten dort nicht eine einzige Sicherheitsvorschrift ein, die gesetzlich für solche Labors vorgeschrieben waren. Aber wir haben dort einiges bewegt.«

Das stimmte. Sie hatten viel Grundlagenforschung betrieben, auf der die petrochemische Industrie beruhte, über die er nun klagte: Die Spaltung von Petroleum, die Analyse von Aromen. Ich erwähnte das.

»Wie ich sehe, haben Sie darüber gelesen. Ja, wir haben einiges entdeckt, was in die Literatur einging. Shell hat die Verfahren übernommen. Das ist lange her«, sagte er. Jetzt lächelte er sehr freundlich.

»Es war kein gut ausgestattetes Labor, nehme ich an.«

»Ausgestattet?« Er grinste breit. »Nein, das kann man wirklich nicht sagen. Wir hatten kein Spektroskop und keine physikalischen Apparate. Aber wir hatten Freunde in verschiedenen Stadtvierteln. Was wir brauchten, besorgten wir uns. Ja, im Featherstone-Labor haben wir einiges bewerkstelligt.«

»Und Vava half dabei.«

»Vava?« Das Lächeln erstarb. »Vava hatte mit diesen Dingen nichts zu tun. Er beschäftigte sich mit einem anderen Problem, Protein. Er kam und ging. Er war nur ein paar Wochen da. Damals lebte er bei den Weizmanns. Dann hat Weizmann ihm eine Arbeit besorgt – durch gute Beziehungen zu Lord Melchett, wenn ich mich recht erinnere, der damals Vorstand der ICI war.«

»Es ist merkwürdig, daß es aus der Zeit keine Korrespondenz zwischen Weizmann und Vava gibt.«

»Wie ich schon sagte, zu der Zeit wohnten sie zusammen, warum hätten sie sich Briefe schreiben sollen?«

»Weizmann schrieb, daß er mit jeder Post Nachricht von ihm bekam.«

»Ich bin kein Fachmann für Korrespondenz. Als Bergmann Ihren Brief bekam, hat er das Archiv durchsuchen lassen. Und in späteren Dokumenten, die keiner von uns beachtet hatte, stellte sich heraus, daß Weizmann sich wirklich an die Arbeit mit Vava erinnerte.«

Er betätigte einen Summer auf seinem Schreibtisch, und eine Sekretärin trat ein.

»Holen Sie mir die späten Weizmann-Dokumente ... Was Sie gleich sehen werden«, sagte er zu mir, »sind Notizen von – Meditationen. Sie kamen uns anfangs nicht wichtig vor. Als das Ölembargo kam, rief Bergmann natürlich von Amerika aus an, um Abschriften zu bekommen. Ich zeige Ihnen die wichtigen Dokumente. Es gab auch Nachfragen. Commercial Solvents hat einige der Notizen.«

»Ah!«

Das Mädchen war mit den Papieren zurückgekommen. Die Fotokopien lagen in einem Ordner: mit der Maschine geschriebene Notizen und Anweisungen. Sie waren alle datiert, einige nur bruchstückhaft, zwei oder drei Sätze.

»Da war er schon fast blind, und sehr krank«, erklärte Weiss.

»Komatose, wie ich hörte.«

»Es war kein Koma. Er blieb einfach im Bett. Manchmal stand er auf. Ich habe ihn in der Zeit natürlich nicht mehr gesprochen.«

»Natürlich.«

Er sah mich an, sagte aber nichts. Ich las in den Notizen.

»Zum Ende hin wird es ein ziemliches Durcheinander«, sagte er.

Das war es wirklich. Ein kurzes Memorandum aus dem Jahr 1952 umfaßte drei Betrachtungen: Eine zur wirtschaftlichen Lage Ägyptens, einen Vorschlag zu einem Versuch mit Meerwasser, und eine Klage über eine rauhe Stelle in einem seiner Hausschuhe.

»Eine Sekretärin stenografierte mit, wenn es nötig war.« Er sah, daß ich lächelte, und sagte abrupt: »Er war ein großer Mann.«

»Ja.«

»Ein großartiger Mann.« Wieder öffnete er den Mund, schloß ihn aber wieder.

»Darf ich das mitnehmen?«

»Natürlich. Es wurde für Sie bereitgelegt.« Er schwieg, musterte mich einen Moment mit einem merkwürdigen Blick (der sich mir erst später als Scheu erschloß), nahm ein Exemplar vom »Betrogenen Jahrzehnt« aus der Schublade und bat mich, es zu signieren.

Danach, das Schicksal der Welt und der Menschen, die in den Getreidegürteln der Welt beheimatet waren, in irgendeiner Weise in meinen Händen haltend, fuhr ich leicht verstört nach Rehovot zurück.

Das schwarze Gold

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