Читать книгу Das schwarze Gold - Lionel Davidson - Страница 8

2

Оглавление

Am nächsten Morgen, im tiefsten Winter, zwitscherten die Vögel, die Sonne schien, die Bäume hingen voller Früchte, und Gott hatte seine Geschäfte wieder aufgenommen – mir war das nach der Zeit in London, das Caroline so treffend beschrieben hatte, hochwillkommen. Ich betrachtete das Tal, das sich in Wellen nach allen Richtungen fortsetzte. Auf den Fußpfaden bewegten sich Menschen auf Fahrrädern zwischen den verschiedenen, hier und dort diskret verborgenen, Tempeln der Weisheit; alles wirkte äußerst anregend und schmuck.

Ich duschte, rasierte mich, krönte die Morgentoilette mit dem himmlischen Talkumpuder und ging zum Frühstück nach unten. Außer mir war nur noch ein anderer Gast im Restaurant, ein Inder, der sich zurückhaltend von den Oliven und dem Cremekäse bediente, während er die Jerusalem Post las. Ich füllte mir ein Tablett, kaufte mir ebenfalls eine Zeitung und trug alles zum Fenster.

Die Armeen standen einander am Westufer des Suezkanals noch immer gegenüber; ein sehr hübsches Porträt von Scheich Yamani, dem saudi-arabischen Erdölminister, der mit gedrechselten Worten sein Bedauern über die unglückliche wirtschaftliche Situation in Westeuropa zum Ausdruck brachte; eine mysteriöse Reisknappheit bei den israelischen Großhandelshäusern, die in eine Preiserhöhung für dieses Produkt zu münden drohte.

»Entschuldigen Sie bitte, sind Sie Mr. Druyanov?«

Der Inder lächelte vorsichtig auf mich herab. Seine Gestalt war, wenn er stand, lang, sehnig und leicht gebückt.

»Ja bitte?«

»Connie hat mir gesagt, Sie seien heute hier. Wir sind gute Freunde. Entschuldigen Sie meine Aufdringlichkeit. Ich wollte Ihnen nur sagen, wie sehr ich Ihr Buch bewundere. Es gibt zwei oder drei Punkte, die ich gern mit Ihnen diskutieren würde, die Rolle Gandhis 1939 – aber lassen Sie sich bitte von mir nicht stören.« Wir gaben uns die Hand, ich hatte mich halb aufgerichtet, und eine Salzgurke fiel zu Boden. Er schnappte danach wie eine Python. »Hier. Entschuldigen Sie. Sie sollten sie nicht mehr essen. Obwohl der Fußboden sehr sauber ist. Ich möchte Sie nicht weiter stören. Wir werden uns noch begegnen, mit Sicherheit, ich arbeite hier.«

»Sehr erfreut.«

Die ersten Anzeichen von Ärger in Arkadien.

Ich beendete das Frühstück und rief Connie an. Ein paar Minuten später brachte mich Zeev, der Chauffeur, zum Haus. Wir verließen das Institut und bogen nach links auf die Hauptstraße von Rehovot ab, dann wieder nach links und folgten der Zufahrt 500 Meter bis zum Torhaus. Dort hatten sich in der Zeit, als Chaimchik Israels Präsident war, die Wachen aufgehalten. Wir fuhren auf dem gewundenen Weg zwischen Orangenhainen hindurch daran vorbei und hielten auf der Auffahrt vor dem Haus.

So wie das große weiße Gebäude dalag, sah es aus wie ein Schwan in der Morgensonne. Die halbrunde, grüne Markise vor Chaimchiks ehemaligem Zimmer war heruntergelassen, der hölzerne Vogelkäfig hing noch immer im Freien an der Balkonbrüstung. Dort hatte er gesessen, die Vögel gefüttert und auf die Hügel von Jerusalem geblickt, die man im Augenblick als bläulichen Fleck in der Ferne erkennen konnte. Ich folgte Zeev die Eingangstreppe hinauf. Er schloß auf.

»Erinnern Sie sich noch an den Weg zu Mr. Meltzer?«

»Natürlich.«

Die breite, marmorne Wendeltreppe führte vom Foyer aus nach oben; eine geräumige Halle, sehr hell, sehr licht, sehr stattlich. Eine gewisse Kälte ging von ihr aus; das lag am Kalkeichenholz. Kalkeiche war 1937 in London gerade modern gewesen, als Veruschka den Bau überwachte. Sie hatte sie damals regelrecht gehamstert. Die Beute ihrer Raubzüge bei Sotheby’s und Christie’s war überall zu sehen: Kommoden, Bordüren, Lampen, Decken. Sie hatte ihren Herrn und Meister um lange Zeit überlebt. Anläßlich eines Besuchs in London war sie mit fünfundachtzig Jahren im Dorchester im Bad ausgerutscht und in einem Sarg zurückgekehrt.

Ich stieg die Treppe hinauf und lief den alten Korridor zu ihrem Schlafzimmer hinunter; dort hatte Julian Meltzer jetzt sein Büro.

»Aha. Man hat in Ihrem Flugzeug also eine Bombe versteckt«, sagte er.

Alte Zionisten hatten etwas von Peter Pan an sich. Er war neunundsechzig, wirkte aber zehn Jahre jünger: groß, freundlich, ruhig, in allerbester Verfassung. Über seinem Schnurrbart blitzten kluge, unschuldige Augen.

»Sie haben mir nicht zufällig ein Kistchen von unserem alten Freund Fidel mitgebracht?«

Ich öffnete vorsichtig meine Mappe und gab ihm das Kistchen.

Er starrte die Kiste eine Weile an, und sein Mund öffnete sich. Dann machte er die Kiste auf und betrachtete die Zigarren.

»Herrje! Das habe ich doch nicht ernst gemeint. Woher haben Sie die?«

Caroline hatte sie besorgt. Ihr Freund Willie war Zigarren- und Weinhändler für gehobene Ansprüche; beziehungsweise sein Vater, der Earl, war es.

»Zu Hanukkah, Julian, frohes Fest.«

»Und Ihnen Frohe Weihnachten. Igor, die müssen ein Vermögen gekostet haben.«

Ich stimmte zu. »Das stimmt. Zufällig habe ich ein ziemlich langes Papier, das Sie unterschreiben sollen. Darum können wir uns später kümmern. Was gibt es so Mysteriöses um Vava?«

»Ja, Vava.« Immer noch starrte er ungläubig auf die Zigarren. »Ich bezweifle, daß wir von Vava etwas zu sehen bekommen werden.« Er stellte die Zigarren sehr vorsichtig in einen Schrank. Darin befanden sich noch eine weitere Zigarrenkiste sowie ein Stapel Bücher und Akten. »Moment. Ich glaube, hier sollte ich sie nicht aufbewahren, sie stecken nicht in Hülsen und könnten daher den Geruch annehmen.« Unentschlossen dachte er einen Augenblick nach. Die Schränke hatten eine Reihe eingepaßter Schubladen. Hier hatte Veruschka ihre Unterwäsche aufbewahrt. Wie ihre Briefe belegten, hatte sie genaue Anweisungen für diese Schubladen gegeben. Sie hatte Mendelssohn, den gefeierten deutschen Architekten, beinahe in den Wahnsinn getrieben. Veruschka hatte sich, während ihr Chaimchik Geltung in der Welt erlangte, zu einer Dame entwickelt. »Jetzt hab’ ich’s.« Er ging zu einem weiteren Schrank am anderen Ende des Raums und vertraute ihm liebevoll das wertvolle Behältnis an. »Den Jungen haben sie nicht wegen des Geldes überfallen. Die waren hinter den Briefen her.«

Welchen Jungen? »Hopcroft?« fragte ich verblüfft.

»Ich rauche heute abend eine. Wirklich, sehr nett von Ihnen, Igor«, sagte er. »Ja, hier geht es ein bißchen rund. Haben Sie den Briefen irgend etwas Wissenschaftliches entnehmen können?«

»Ich habe doch die wissenschaftlichen Briefe nicht. Die hat Bergmann.«

»Ich muß Sie auf den neuesten Stand bringen.« Ein Akzent von irgendwoher, London möglicherweise, drang leise durch. »Hier ist man ganz scharf auf Weizmanns Aceton-Reaktion«, sagte er. »Das fing hier damit an, als Bergmann während der Ölkrise in Amerika war. Daraus kann man Benzin machen.«

»Aus Aceton?«

»Vava hat es in Ketone umgewandelt. Verstehen Sie was von Ketonen?«

»Nein.«

»Sie geben Benzin den Biß. Darum ging es in dem Brief. In dem an Fritz Haber, den Sie Connie geschickt haben.«

Ich versuchte mich an den Brief zu erinnern. Er war in Deutsch geschrieben. Ich konnte mich an nichts erinnern, außer, daß der Name Vava aufgetaucht war, den ich eingekringelt hatte.

»Und jetzt sind sie alle dahinter her«, fuhr Julian fort. »Das Zeug kann man überall herstellen. Die ganze Krise im Westen, in Japan und sonstwo, alles wäre überflüssig. Jeder miese kleine Staat könnte es selber machen, und die Araber könnten wieder Araber werden, statt die ganze Welt zu finanzieren.«

»Meinen Sie das im Ernst?«

»Weizmann war es jedenfalls ernst damit, und er war ein verdammt guter Chemiker. Die Ölinteressen haben ihn gestoppt. Er hat Churchill ein Memorandum darüber geschickt. Jetzt wird das ganze Zeug wieder aus den Akten hervorgekramt. Ihr Vava-Brief hat ganz schön was in Bewegung gesetzt.«

Ich starrte ihn an. Churchill, Ölinteressen, Energiekrise.

»Aber Hopcroft ist doch ausgeraubt worden«, widersprach ich. »Er hatte sechs Pfund bei sich, die sie ihm weggenommen haben. Ich habe ihn vorgestern im Krankenhaus besucht.«

»Ja. Connie hat es mir erzählt. Unwahrscheinlich. Es sind auch andere Sachen verschwunden, müssen Sie wissen. Bergmann hat aus Amerika Bescheid gegeben. In einer Stadt namens Terre Haute in Indiana wurde ein junger Mann niedergeschlagen. Dort befindet sich Commercial Solvents, die Firma, die Weizmanns Arbeiten ausgeführt hat. Der Mann hatte eine Korrespondenzakte abgeholt, dann kamen zwei Männer und nahmen sie ihm auf dem Weg zu seinem Wagen ab. Er ist tot. Wir haben erst gestern die Nachricht erhalten, sonst hätte ich Sie schon gewarnt. Ihre Briefe werden wir nie zu Gesicht bekommen.«

»Aber Hopcroft hatte sie nicht bei sich«, widersprach ich.

»Das wissen die inzwischen auch. Er war ziemlich gesprächig, nicht?«

»Er ist noch immer gesprächig«, korrigierte ich. »Es geht ihm bestens. Ich habe ihn besucht.«

»Dann ist es ja gut.«

»Olga wird die Briefe abschicken. Sie hat es versprochen. Sie bringt sie am Donnerstag zur Post.« Plötzlich ging mir auf, daß heute Donnerstag war. Heute wollte sie nach Wimbledon. Ihr Mann würde nicht da sein. Mit einem Mal wurde mir bewußt, wie weit die Entfernung dorthin war.

»Ja. Das bezweifle ich. Trinken Sie einen Kaffee. Nellie!« rief er.

Nellie trat ein. Ich hatte sie im Nebenzimmer tippen hören. Sie war seine Sekretärin. Sie arbeitete in dem Raum, der früher die Krankenschwester beherbergt hatte, direkt neben Chaimchiks Zimmer. Sie war winzig, weißhaarig, ein Geschöpf wie ein Lamm, sehr sanftmütig. »Hallo, Igor«, sagte sie leise. »Ich sah Sie vorüberhuschen.«

»Der Mann hat mir ein paar Zigarren von Freund Castro geschenkt«, rief Julian. »Er hat sich einen Kaffee verdient.«

Langsam und gleichmäßig klapperte Nellie auf der Marmortreppe davon, der Kaffee kam sofort. Später ging ich zum Ende des Flurs und besuchte Connie. In ihrem Büro wurden alle Akten aufbewahrt; sie war Hauptkoordinator der Forschungsarbeiten. Noch später befand ich mich in Chaimchiks Zimmer und arbeitete.

Das erwähne ich der Reihenfolge des Ablaufs wegen, tatsächlich aber dachte ich die ganze Zeit an Olga, die heute nach Wimbledon wollte, und an Hopcroft, der fröhlich quasselnd im St. Mary und St. Joseph lag, und an den Unbekannten in Terre Haute, Indiana, der keine Gelegenheit zur Redseligkeit mehr haben würde. Unterdessen vertiefte ich mich in die Aceton-Reaktion und in ein paar andere Vorgänge.

Das schwarze Gold

Подняться наверх