Читать книгу Stummer Verrat - Lisa Scott - Страница 8
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ОглавлениеNat schüttelte die kalte Nachtluft ab, stellte die Tüte mit Essen aus dem Bioladen auf die Mahagonikonsole, legte ihre Handschuhe daneben und schlüpfte aus ihrem Dufflecoat. Das große Haus war hell erleuchtet und angenehm warm. Die Kristalllüster glitzerten im Schein elektrischen Lichts, und wahrscheinlich brannte im Kamin ein heimeliges Gaslichtfeuer. Eine geblümte Tapete, die sie noch nie gesehen hatte, überzog die Dielenwände. Sie konnte fast noch den Kleister riechen. Das Haus in der Courtney Road war die neueste Fertigbauvilla ihrer Eltern; bei zwölf hatte sie zu zählen aufgehört. Die Firma Greco Construction hatte sie alle konzipiert und betreut, angefangen bei ihrer ersten Doppelhaushälfte in Ocean City, New Jersey, und je größer das Familienvermögen wurde, desto größer wurden die Häuser, die dann mit noch mehr Gewinn verkauft werden konnten. Immer befand sich ein Schild mit der Aufschrift »Zu verkaufen« auf dem Rasen im Vorgarten, stabil und unvergänglich wie eine alte Eiche. Nat war in dem Glauben aufgewachsen, dass ihr Familienname »Musterhaus« lautete.
Sie hängte ihren Mantel in den Wandschrank, dessen Scharniere noch steif waren und quietschten, und sie wusste, dass ihr Vater dieses Quietschen auf seiner Mängelliste bereits vermerkt hatte. Der Duft von gebratenem Filet Mignon und gebackenen Kartoffeln zog von der Küche herüber und mischte sich mit dem Klee-Orangen-Aroma des Raumsprays, das ihre Mutter am liebsten benutzte. Im Hintergrund hörte man Tony Bennett singen, aber er wurde von ausgelassenem Lachen und einem Gewirr rauer Stimmen übertönt; Nats Freund, ihr Vater und ihre drei Brüder verfolgten offenbar ein Spiel der Eagles im Fernsehen. Im Frühjahr waren es die Sixers, im Sommer die Phillies. Man konnte sagen, sie waren mit Leidenschaft dabei. Nicht beim Sport. Beim Fernsehen.
»So nicht!«, ertönte eine Stimme aus dem Wohnzimmer. »So kann man eine Mannschaft nicht führen! Der Typ denkt, er kann die Angaben machen, aber der Trainer sagt, wo’s langgeht! Der Trainer ist der Kopf! Nicht so ein dahergelaufener Spieler, der sich Wunder was einbildet!«
Dad. Big John Greco, der gern kernige Sätze über die allgemeine Bedeutung des Managements von sich gab, was nicht nur damit zusammenhing, dass er eine erfolgreiche Baufirma und eine footballbesessene Familie führte.
»Ach, komm, Dad! Sie hätten ihn nie gehen lassen sollen! Er war der beste Receiver in der ganzen Liga. Sie haben viel zu viele gute Spieler gehen lassen, angefangen bei Corey Simon und Ike.«
John Greco, jr., besser bekannt als Junior. Er war der Chef der Planungsabteilung bei Greco Construction und hatte, wie Dad, selbst Football bei den Villanova Wildcats gespielt. Um ein Haar wäre er Profispieler geworden, auch genau wie Dad, aber jetzt war er der offizielle Kronprinz und Anwärter auf den Posten des Geschäftsführers von Greco Construction, sobald Dad in Rente ging, was nie passieren würde.
Nat wollte gerade zu ihnen stoßen, als Jelly, der riesengroße Kater mit reinrassigem Maine-Coon-Stammbaum, quer über den Perserteppich hinweg auf sie zukam. Er sah aus wie eine Ottomane in Bewegung. Als er sie fast erreicht hatte, blieb er stehen und streckte sich, dehnte zuerst die Vorderbeine mit den wuscheligen Tatzen, lehnte sich dann schläfrig vor und dehnte die Hinterbeine. Nat würde nie verstehen, wie er bei diesem Lärmpegel schlafen konnte. Bei den Grecos galt das Gesetz der natürlichen Auslese auch für die Haustiere: Nur die Tüchtigsten überlebten.
»Hör endlich mal damit auf! Das liegt jetzt Jahre zurück! Sie haben all die verloren, die sie sich schlicht nicht leisten konnten.«
Tom Greco. Er war der zweite Sohn und hatte als Offensive Lineman bei den Wildcats gespielt, bis ein Kreuzbandriss seine Footballkarriere beendete. Danach hatte er Betriebswirtschaft studiert und sich in die Buchhaltung der Firma eingearbeitet, wo er jetzt als Chef der Personalabteilung fungierte. Der Witz war, dass niemand härter arbeitete als er. Auf der ganzen Welt.
»Hallo, Jellybelly.« Nat beugte sich hinunter und kratzte den Kater, den sie nach den Jellicle-Katzen in dem Gedicht von T. S. Eliot benannt hatte. Graue Strähnen wuchsen aus seinen Ohren, sein Fell war dicht und gestreift, und nur seine schadhaften Zähne verrieten sein Alter: sechzehn Jahre. Sie hatte ihn als kleines Kätzchen zu Weihnachten bekommen. Er war das perfekte Geschenk für einen Bücherwurm gewesen, der sich am liebsten mit einem Krimi, einer Packung Schokokeksen und einem Glas Milch aufs Sofa zurückzog. Von Kindheit an hatte Nat lieber gelesen, als Sport zu treiben, und es hatte ihr nie etwas ausgemacht. Es gab Schlimmeres, als die Familienintellektuelle zu sein.
»ICH FINDE, TOM HAT RECHT! DAS IST DOCH SCHNEE VON GESTERN. KOMM ENDLICH DRÜBER WEG, JUNIOR! DENK AN TERRELL OWENS!«
Paul Greco. Der dritte Sohn, das Familienbaby, konnte nicht leiser sprechen als mit drei Millionen Dezibel, für den Fall, dass man ihm nicht genug Aufmerksamkeit schenkte. Auf der Highschool war er ein ausgezeichneter Footballspieler gewesen, aber an der Penn State University hatte er nicht genug Zeit zum Trainieren gehabt, weshalb er auf Golf umsattelte und bald mit einem Handicap von drei spielte. Eine Weile hatte er es als Profispieler probiert, bis er aufhörte, um sich bei Greco Construction um die Akquisitionen zu kümmern.
»Komisch, dass man von Rosenhaus kaum mehr etwas hört. Ich muss zugeben, dass ich ihn vermisse. Wisst ihr noch, wie T.O. mit ihm auf dem Podium stand und die Reporter ihm diese wunderbare Frage stellten? Das war doch super. Ich werd’s nie vergessen. Was hat er noch mal gesagt?«
Hank Ballisteri. Seit drei Jahren Nats Freund. Ein Grundstücksmakler, der mit Greco Construction Geschäfte machte und einen so guten Eindruck auf Big John gemacht hatte, dass er ihn bei jeder Gelegenheit zu sich nach Hause einlud, wo er erwartungsgemäß auch Nat kennengelernt hatte. Heute war Hanks dreiunddreißigster Geburtstag. Sie hatte mit ihm allein ausgehen wollen, aber er hatte gerade ein großes Geschäft mit ihrem Vater und einem gemeinsamen Kunden abgeschlossen, deshalb lag es nah, seinen Geburtstag en famille zu feiern. Es erinnerte Nat an ein Gedicht über Geburtstage. Sie kraulte Jelly, und während er schnurrte, versuchte sie, sich an das Gedicht zu erinnern. Das Geschrei war so laut, dass sie ihre eigenen Gedanken nicht hören konnte. Es klang, als hätten sie schon früh mit dem Feiern angefangen.
»WAS HABEN SIE FÜR IHREN SPIELER GETAN, AUSSER, IHM ZUM RAUSWURF ZU VERHELFEN?«, brüllten die Männer unisono und brachen dann in schallendes Gelächter aus. Jelly zuckte zurück, und sein Schwanz krümmte sich zum Fragezeichen; dann sprang er mit kurzen Sätzen wie ein Äffchen davon. Hank schrie: »Hey, stop, das ist mein Geschenk! Gib’s mir sofort zurück! Hände weg von meinem Queue!« Erneut ertönte Gelächter, und schon ging der Streit los. »ICH WÜRDE DIR NIE DEINEN BILLARDSTOCK KLAUEN, DU LOSER! DU KÖNNTEST MIR GAR NICHT GENUG DAFÜR BEZAHLEN, DASS ICH MIR DEINEN QUEUE KRALLE!«
Nat nahm ihre Einkäufe und durchquerte das Wohnzimmer des Musterhauses. Sie sank tief in den dunkelroten Teppichboden ein und ging immer dem Lärm nach ins große Zimmer. Als sie die Schwelle überquerte, stand sie in einem Raum, dessen Einrichtung genau dem Titelbild von House & Garden des letzten Monats entsprach, wenn man von den herumalbernden jungen Männern darin absah, die sich am Kaffeetisch um einen hölzernen Billardstock balgten. Alle ihre Brüder hatten den riesigen, schweren Körperbau ihres Vaters, sein dichtes, dunkles Haar, seine dunkelbraunen Augen, seine große Nase und seinen großen Mund. Offenbar hatte Big John alle genetischen Spiele gewonnen. Die Familienähnlichkeit war so groß, dass ihr Handgemenge aussah wie eine Schlägerei zwischen Riesen-Drillingen.
»Hey, passt auf!«, rief Junior, der den Queue Paul und Tom zuwarf. Sie fingen ihn auf und rannten zum anderen Ende des Raums.
»Ich hab ihn!«, rief Tom und hielt den Stock triumphierend in die Höhe, bis Hank bei ihm war und ihn ihm wieder abnahm, woraufhin sich die anderen auf ihn stürzten. Alle vier trugen seidene Krawatten und Button-Down-Hemden, während sie sich auf dem Boden wälzten und fast ihre Mutter umwarfen, die sich mit einer leeren Porzellanschale an ihnen vorbeizwängte.
»Paul, auf die andere Seite!« Ihr Vater streckte seinen elegant beschuhten Fuß aus und brachte seinen jüngsten Sohn fast zu Fall, woraufhin auch Hank stolperte, aufsah und Nat bemerkte.
»Hi, Baby!«, meldete er sich aus dem Gewühl. »Wir spielen gerade mit meinem neuen Billardstock!«
»Herzlichen Glückwunsch, Hank.« Nat winkte ihm zu. »Aber jetzt müsst ihr erwachsen werden. Ihr alle.«
»Nein, hör auf!«, schrie Tom, als sich Junior mit dem Queue in der Hand von ihm losmachte und zur Tür rannte. Dank langjähriger Übung gelang es Nat ohne weiteres, im richtigen Moment beiseitezutreten.
»Er gehört mir!« Hank stürzte Junior nach, gefolgt von Paul und Tom, und vier Krawatten flatterten im Luftzug.
»Ich kriege euch alle!«, brüllte ihr Vater am Ende der Reihe. Mit sechzig Jahren war er immer noch so kräftig wie in seinen besten Jahren als Quarterback, obwohl er jetzt ein blaues Business-Hemd, Hermès-Tuch und Bügelfalten trug. Er hatte einnehmende Züge, runde braune Augen mit tiefen Krähenfüßen und dünn werdendes Haar, das eine Nuance zu dunkel war, um vollständig glaubwürdig zu sein. Als er vorbeirannte, stieg Nat sein herbes Parfum in die Nase.
»Hallo, Dad«, rief sie, aber er war schon außer Hörweite. Es wurde unvermittelt still. Das Zimmer lag da wie ausgestorben, und die beiden Frauen blieben mit Tony Bennett allein zurück. Nat folgte ihrer Mutter in die Küche. Elfenbeinfarbene Schränke im Landhausstil zierten die Wände oberhalb der Fliesen mit grün-weißem Rankenmuster. »Neue Fliesen, Ma?«
»Vom Designberater empfohlen.«
»Hübsch.«
»Hast du den Kuchen bekommen?«
»Schokolade mit roten Rosen, und zwei Sorten Käsekuchen, einfach und mit Kirschen.« Nat nahm die Einkaufstüte, ging zu dem riesigen Kühlschrank hinüber und schob sie hinein. »Wie kann ich dir helfen?«
»Ist schon alles fertig. Tisch gedeckt, ich brauche nur noch die Servietten.«
Nat faltete die Servietten, insgesamt sieben. »Ohne Freundinnen heute?«
»Die Jungs sind direkt von der Baustelle hergekommen, also ja. Mit uns allein ist es genug Arbeit, glaub mir.«
Das gab Nat einen Stich. »Ich hab ein schlechtes Gewissen, weil du so viel zu tun hast.«
»Sei nicht albern. Ich war den ganzen Tag zu Hause. Dein Vater hat mich nicht gebraucht.«
»Danke dafür.« Nat ging zu der Arbeitsplatte aus Granit hinüber, an der ihre Mutter stand. Die ehemalige Diane Somers war Stewardess gewesen, als sie John Greco in der Erste-Klasse-Kabine der heute nicht mehr existierenden Eastern Airlines kennenlernte, und so wurde ihr Bund im Himmel geschlossen, oder wenigstens auf 35 000 Fuß Höhe. Damals war ihre Mutter hochgewachsen, honigblond und hübsch gewesen. Heute war sie eine richtige Schönheit. Sie hatte dunkelblaue Augen, die von fotogenen Fältchen eingerahmt wurden, ihre Nase war klein und gerade. Ihr Mund mit den vollen Lippen zeugte von Großherzigkeit. Sie hatte ihr Haar glatt zurückgekämmt und trug einen schicken Pferdeschwanz, ihr Make-up war perfekt und ihre Stirn faltenlos, obwohl sie nie zugegeben hätte, dass sie ab und zu den Schönheitschirurgen aufsuchte, nicht einmal Nat gegenüber. Besonders nicht Nat gegenüber, die noch einmal fragte: »Bist du sicher, dass ich dir nicht helfen kann?«
»Nein. Ich mache das doch gern.« Ihre Mutter schichtete Cocktailtomaten auf einen Teller und begann dann, einen nassen, schwammigen Mozzarella – Ball aufzuschneiden. Nat wusste genau, wie es weiterging, so wie Töchter immer wissen, wie ihre Mütter die Lieblingsgerichte der Familie zubereiten.
»Ihr habt Hank also einen neuen Queue geschenkt.«
»Paul hat ihn ausgesucht. Seine Initialen stehen darauf.«
»Das ist sehr nett von euch.«
»Wir sind eben nette Leute«, sagte ihre Mutter gleichmütig, und Nat entgegnete nichts darauf. So sehr sie ihre Mutter liebte, sie war ihr doch niemals wirklich nah gekommen. Dieselbe Ergebenheit, die Diane Somers Greco einst den Passagieren der Business-Klasse entgegengebracht hatte, galt nun den Mitgliedern ihrer Familie; sie nannte sich eine »Männerfrau«, und Nat wusste, was sie meinte. Sie selbst, als Dritte geboren, würde es nie zu mehr schaffen als zum vierten Platz.
»Wie geht’s dir, Mom?«
»Nicht gut.« Ihre Mutter schüttelte den Kopf, ihre Stimme klang beunruhigt. »Ich bin krank vor Sorge um Paul.«
»Mich macht er auch ganz krank.«
Ihre Mutter lachte nicht. »Er ist erkältet, und nichts hilft. Es geht einfach nicht weg. Ich fürchte, es ist eine Lungenentzündung.« Ihre Mutter hielt den Mozzarella zwischen den durchsichtig lackierten Nägeln und drückte die überschüssige Flüssigkeit mit den Fingerspitzen heraus. »Er hat Federball gespielt und ist völlig außer Atem geraten.«
»Wahrscheinlich ist er einfach zu viel herumgerannt.«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Sag ihm, er soll zum Arzt gehen, Antibiotika nehmen.«
»Er will einfach nicht. Behauptet, alles wäre okay.« Ihre Mutter schnitt weiter, und weißliche Flüssigkeit tropfte aus dem Käse.
»Es ist bestimmt nichts Schlimmes. Mach dir keine Sorgen, Mom.«
»Wie soll das gehen? Ich werde mir immer Sorgen machen. Er war eine Frühgeburt.«
Vor sechsundzwanzig Jahren. Nat ritt nicht weiter darauf herum. Sie hatte schon vor langer Zeit akzeptiert, dass Paul der Liebling ihrer Mutter war. Sie selbst war nur eine halbe Portion.
»Ich hab im Internet nachgeschaut, aber das hat es nur noch schlimmer gemacht. Es ist nicht gut, wenn man alles Mögliche über Krankheiten erfährt. Meiner Meinung nach ist unvollständiges Wissen gefährlich.«
»Wenig Wissen ist besser als gar kein Wissen, Mom. Man muss nur wissen, dass man fast nichts weiß.«
Ihre Mutter legte die Mozzarellascheiben über die Tomaten auf der Platte, und Nat wusste, dass sie das Falsche gesagt hatte. Es gab eine Pause, in der Tony Bennett seinen Charme spielen ließ, aber Nat spürte, dass sie die Verbindung zu ihrer Mutter verloren hatte. Sie versuchte, wieder ins Spiel zu kommen.
»Was sagt Dad dazu?«
»Er sagt, ich soll mir keine Sorgen machen.«
»Er hat recht.« Ihr Vater machte sich nie Sorgen; das passte nicht zu den Grecos. Jede Verletzung beim Football betrachtete er als Beweis der Härte seiner Jungs. Mit seiner Frau zusammen hatte er sie seit der Highschool auf den Sport vorbereitet; er hatte die Preisverleihungen für die Trainer organisiert, und jedes Haus, in dem sie gewohnt hatten, war der inoffizielle Mannschaftsraum gewesen. Jeder kannte die Grecos. Sie waren keine Familie, sie waren Kult.
»Das wird ein richtig schönes Essen werden.« Ihre Mutter schnitt frisches Basilikum und streute die grünen Streifen über die Platte. Nat holte die Pfeffermühle aus dem Schrank und gab sie ihr.
»Das sieht toll aus, Mom.«
»Danke, Liebes.« Ihre Mutter nahm die Platte und trug sie zum Tisch im Esszimmer. Er war aus Kirschbaumholz, oval, und die Teller waren aus teurem Porzellan. Als ihre Mutter wieder in die Küche kam, setzte sie das Gespräch fort. »Ich bin froh, dass wir das tun können. Du weißt, wie sehr wir Hank ins Herz geschlossen haben.«
Nat ahnte, was als Nächstes kommen würde. Sicher ging es um Enkelkinder. Höchste Zeit, das Thema zu wechseln. »Mom, rate, wohin ich morgen fahre?«
Plötzlich ließ sich ein lautes Krachen aus dem Wohnzimmer hören, es folgte das unvermeidliche Klirren von Glas, gefolgt von Fluchen und Gelächter. Die Köpfe der Frauen fuhren herum.
»O nein«, sagte ihre Mutter, die schon fast an der Tür war. »Was haben sie jetzt wieder kaputtgemacht?«
Hauptsache, sie haben dem Kater nichts getan. Nat folgte ihr auf dem Fuß.
Um Mitternacht kamen Nat und Hank in ihre Wohnung in Center City zurück. Sie zog sich halb aus und ging ins Badezimmer, von wo sie nackt ins Schlafzimmer tappte. Die einzige Beleuchtung war ein Streifen grauen Mondlichts, das durch den Vorhang drang, und die Halogenlampe auf Hanks Nachttisch. Der ganze Raum mit seinen blassblauen Wänden, dem graublauen Teppichboden, dem Toilettentisch und einem Schreibschrank, in dem der Fernseher sich versteckte, war in einen sanften Schimmer getaucht. Über dem Bettgestell hing ein Aquarell, die Darstellung einer Katze, die wie Jelly aussah. Sie saß auf einem gelben Tisch, und ihr Schwanz lag auf den genau parallel ausgerichteten Tatzen. Das Bild war signiert und nummeriert. Nat hatte es in einer Galerie der Innenstadt gekauft, es war der Beweis dafür, dass sie ihren eigenen Geschmack hatte. Auf beiden Nachttischen stapelten sich Bücher. Nat liebte jeden Zentimeter dieses Zimmers, besonders wenn Hank bei ihr übernachtete, was in letzter Zeit ziemlich oft vorkam. Sie kletterte neben ihm ins Bett und zog die blaue Flanelldecke über sich. Es war eigentlich zu kalt, um nackt zu schlafen, aber sie schuldete ihm etwas zum Geburtstag.
Sie drehte sich zur Seite und stützte sich auf den Ellbogen. Er hatte die Augen geschlossen. Seine Nase war kräftig und von vollkommener Form, und seine Lippen waren flach und sehr küssenswert, wie sie fand. Die Nachttischlampe ließ sein braunes Haar rötlich leuchten. Sie strich ihm sanft über den Kopf, der sich seidig anfühlte. Hank hatte wunderschönes Haar, was die reinste Verschwendung war, da er fälschlicherweise glaubte, es gebe wichtigere Dinge auf der Welt. Golf, zum Beispiel.
Nat lächelte in sich hinein. Hank war ein echter Sunny Boy, groß und schlaksig, extrovertiert, leutselig. Als Betriebswirt und geborener Verkäufer nahm er mühelos zu Menschen Kontakt auf, wodurch er sie selbst perfekt ergänzte. Sie hatte gelesen, dass eine Beziehung, bei der die Partner einander nur ergänzen, auf die Dauer nicht tragfähig ist, aber es tat ihr dennoch gut, dass sie ihr Gesellschaftsleben an ihn abtreten konnte, wenigstens in nächster Zeit.
Ihre kalten Zehen berührten seine Füße unter der Decke, und er bewegte ebenfalls die Zehen. Es war ihr Willkommensritual. Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn auf seine leicht ölige Wange, da er sich abends nie das Gesicht wusch, und er drehte sich auf den Rücken, lächelte träge und öffnete die Augen. Er hatte große, dunkelbraune Augen.
»Danke für diese tolle Geburtstagsparty«, murmelte er.
»Gern geschehen. Ich hab den ganzen Tag gekocht.«
»Immerhin hast du die Torte gekauft.«
»Stimmt.«
»Ich liebe meinen neuen Füller. Hoffentlich verliere ich ihn nicht.«
»Bestimmt nicht. Du bist jetzt vierunddreißig. Dreiunddreißigjährige verlieren Füller mit Goldminen. Männer, die so alt sind wie du, nie.«
Hank lächelte belustigt und erschöpft. Er hob die Hand und berührte ihr Haar. »Ich liebe dich.«
»Ich dich auch. Und meine Familie liebt dich sogar noch mehr als ich.«
»Das mit der Lampe war Pauls Schuld. Auch wenn er es abstreitet.«
»Ich weiß. Vergiss die Lampe.« Nat rückte näher und wärmte ihre Brust an seinem Arm. »Übrigens habe ich nichts an.«
»Das hab ich schon bemerkt.«
»Ich will, dass du mir richtig dankst.«
»Dafür, dass du dieses grässliche Sweatshirt nicht anhast?«
»Genau.« Sie lächelten beide, und Nat streichelte seine Brust. »Bist du zu müde?«
»Wofür?«
Eigentlich wollte Nat ihm die Geschichte von dem Vizedekan und der Fahrt zum Gefängnis erzählen, aber Männer blieben um diese Zeit nicht wach, um über Arbeit zu sprechen. »Für einen Geburtstagsgruß.«
»Das ist es wert, auf den Spätfilm zu verzichten«, sagte er, rollte sich auf ihre Seite und küsste sie ernsthaft.
Nachdem sie sich geliebt hatten, fiel Hank in tiefen Schlaf, aber Nat warf sich noch lange im Bett herum. Immer wieder dachte sie an ihr Seminar, an ihren Vortrag im Gefängnis. Sie bedauerte, Angus zugesagt zu haben. Vielleicht wäre es besser, sich im letzten Augenblick doch noch zu entschuldigen und nicht mitzufahren. Schließlich hatte sie genug zu tun. Zum Beispiel musste sie einen weiteren Artikel schreiben, den doch niemand lesen würde. Was sollte sie in einem Gefängnis? Und noch wichtiger, was sollte sie dort tragen? Wie zog man sich an, um möglichst unattraktiv auszusehen?
Sie drehte sich um und schloss erneut die Augen. Sie konnte jetzt Licht machen und anfangen zu lesen, aber dann würde sie nie mehr einschlafen. Draußen herrschte Frost, während hier in ihrem dunklen, behaglichen Schlafzimmer die Luft angenehm warm war. An ihrer Seite schlummerte der Mann, den sie liebte. Schließlich gelang es ihr doch, sich zu entspannen, und auf der Schwelle zum Tiefschlaf erinnerte sie sich an das Lied, das sie Hank zum Geburtstag gesungen hatten.
Wie froh macht uns die Liebe doch,
Die diesen Tag vergoldet.