Читать книгу Und wenn du nicht die Wahrheit sprichst - Lisa Scott - Страница 12

6

Оглавление

Detective Reginald Brinkley stand allein in der Kaffeeküche des zweiten Dezernats. In ihren Ausmaßen erinnerte sie an einen hochkant gestellten Schuhkarton. Neonröhren an vergilbten Leisten verstärkten eher die Trübseligkeit des Raums als ihn zu erhellen. Wie das gesamte Roundhouse war auch die Kaffeeküche spärlich möbliert und enthielt lediglich einen Tisch mit Stahlbeinen, auf dem die Kaffeemaschine stand, und einen würfelförmigen, braunen Kühlschrank. Die Kaffeemaschine wurde von allen benutzt, der Kühlschrank von niemandem. Sein Inhalt bestand aus einer geöffneten Coladose und einer weißen Plastikgabel.

Der Geruch nach frischem Kaffee und jahrealtem Staub war Brinkley vertraut, und er fühlte sich zu Hause zwischen diesen graugrünen Amtsstubenwänden. Sie waren mit alten Merkzetteln, Polaroidfotos von der Softballmannschaft des Dezernats und einem schwarzen Autoaufkleber bepflastert, der das inoffizielle Motto verkündete: UNSER TAG BEGINNT, WENN EUER TAG ENDET. Der Spruch prangte auch auf schwarzen T-Shirts und Sweatshirts unter einem lächelnden Sensenmann, aber sein makabrer Witz hatte sich längst abgenutzt. Niemand trug die Shirts, sie wurden nur noch zum Spaß an Freunde und Bekannte verschenkt.

Brinkley schüttete Kaffeeweißer in einen dickwandigen Becher mit heißem Kaffee, den er nur aus Gewohnheit trank. Obwohl es schon spät am Abend war, brauchte er das Koffein nicht unbedingt. Er verkraftete den Schichtdienst recht gut und hatte wie sein Vater eine Vorliebe für Nachtarbeit. Außerdem war er immer noch aufgewühlt von seinem Verhör mit Newlin.

Man sah ihm die Erregung nicht an, eine Eigenart, über die sich seine Frau Sheree immer beklagt hatte. Du lässt mich nicht an dich heran, hatte sie ständig wie in einer Seifenoper lamentiert und ihn damit sogar dazu gebracht, eine Seelenklempnerin aufzusuchen. So sehr hatte Brinkley sie geliebt.

Bei dieser Erinnerung stöhnte er leise auf. Ein ganzes Jahr lang hatten sie nebeneinander auf einer weichen Couch gesessen, und Sheree und die Psychotante hatten ihn auseinander genommen, seine Persönlichkeit, seinen Job und seine Gefühle. Er unterbrach ihr Gespräch nur selten, sie wusste so gut über ihn Bescheid, dass er sich nicht an dem Gequatsche zu beteiligen brauchte. Die Therapie war sowieso der reinste Schwachsinn. Sheree veränderte sich in dieser Zeit total und trat zum Islam über, was ihrer Ehe den Rest gab. Sie war vor über einem Jahr ausgezogen, und er konnte sich immer noch nicht überwinden, die Briefe von ihrem Anwalt zu beantworten. Scheiß Anwälte.

Er sah zu, wie der kleine Berg aus Kaffeeweißer sich auflöste, eine weiße Insel, die langsam in einem schwarzen See versank, und er beschleunigte ihren Untergang, indem er den Kaffee vorsichtig mit dem Zeigefinger umrührte. Das Gebräu war zu heiß für seinen Geschmack, und er musste sowieso auf Kovich warten. Brinkley hatte sich in die Kaffeeküche verzogen, um dem Lärm im Großraumbüro zu entgehen. Die Jungs, die nicht draußen auf Einsatz waren, palaverten schon wieder über ihre Wetten für den Super Bowl, und er brauchte Ruhe zum Nachdenken. Er betrachtete den schwarzen Strudel in seinem Becher, während er sich über einen ganz bestimmten Anwalt den Kopf zerbrach.

Jack Newlin.

Brinkley hasste Anwälte, aber aus irgendeinem Grund kam ihm Newlin nicht wie ein typischer Anwalt vor und noch weniger wie ein typischer Killer. Er hatte schon Psychopathen, Mafiaschergen und Schlägern gegenüber gesessen, die Leute mit derselben Leichtigkeit auspusteten wie sie niesten. Ihn überlief es jedes Mal kalt, wenn er ihre Geständnisse aufnahm, mit monotoner Stimme heruntergeleiert, aber voller Einzelheiten, bei denen ihm speiübel wurde. Erst letzte Woche hatte er sich von einem kleinen Stück Dreck schildern lassen müssen, wie er eine alte Frau mit einem Cutter zu Tode gefoltert hatte. Der Junge hatte furchtbar gelangweilt ausgesehen, als er berichtete, dass er sie posthum auch noch vergewaltigt hatte.

Brinkley rührte erneut mit dem Finger in seinem Kaffee und pustete gedankenverloren darauf.

Ebenso wenig passte Newlin in die Sparte der Gewalttäter. Der Detective dachte an die, die er verhaftet und in den Knast geschickt hatte: Sanchez, McGarroty, Wertelli. Alles Verlierertypen. Sie waren das Gegenteil der eiskalten Psychopathen; die Gefühle gingen mit ihnen durch, sie brannten vor Wut. Gewöhnlich hatten sie keine Jobs oder waren gerade mal wieder wegen Alkohol, Crack oder Kokain gefeuert worden. Und sie waren Wiederholungstäter.

Newlin gehörte nicht zu dieser Sorte. Er war erfolgreich in seinem Beruf, wusste seine Gefühle zu beherrschen und trank offenbar so wenig, dass zwei Whisky ihn »fuchsteufelswild« machen konnten. Brinkley hatte außerdem die Liste mit den Fällen durchgesehen, die von den örtlichen Krankenhäusern gemeldet worden waren und bei denen Verdacht auf häusliche Gewalt bestand. Newlins Frau war nicht dabei gewesen.

Andererseits sprach alles für Newlin als Täter. Der Mann hatte gestanden, und was machte es schon, wenn seine Geschichte nicht ganz stimmig war? Möglich, dass die Sache Newlin verwirrt hatte, so ein Mord konnte einen schon durcheinander bringen. Obendrein war der Typ Anwalt und daran gewöhnt, das Rechtssystem zu manipulieren. Das war sein Beruf, er war reich dabei geworden. Wahrscheinlich hatte er mit sich selbst gewettet, dass er seine Frau um die Ecke bringen und mit reiner Weste fröhlich weiterleben konnte. Deshalb hatte er am Ende doch noch seinen Anwalt angerufen. Glaubte wohl, seine Geschichte sei wirr genug, um einen Freispruch zu erwirken. Vielleicht dachte er auch, er könnte auspacken, einen vorteilhaften Handel abschließen und in null komma nichts wieder draußen sein.

Brinkley schüttelte den Kopf. Lange war er der Überzeugung gewesen, nur reiche Weiße könnten ungestraft mit einem Mord davonkommen, bis O. J. Simpson bewiesen hatte, dass das Gesetz auch für reiche Schwarze käuflich war. Welch ein Fortschritt. Er nippte an seinem Kaffee, als Kovich hereinkam.

»Na, kalt genug?«, fragte sein Kollege und marschierte geradewegs auf die Kaffeemaschine zu.

»Noch nicht.«

»Verstehe nicht, wie du deinen Kaffee lauwarm trinken kannst, wenn eine frische Kanne mit heißem vor deiner Nase steht.«

»Wo warst du? Ich warte hier schon die ganze Zeit auf dich.« Brinkley hielt seinen Becher auf Armeslänge von seinem sauberen Anzug weg, weil er die Tapsigkeit seines Partners kannte. »Ich will endlich zum Tatort.«

»Ich weiß, ich auch.« Kovich griff nach einem Styroporbecher und schenkte sich Kaffee ein. »Ich musste mal für kleine Jungs. Erschieß mich.«

»Du lügst. Du hast Wetten für den Super Bowl abgeschlossen.«

»Ich doch nicht. Glücksspiel ist in diesem Staat verboten.« Kovich trank seinen Kaffee.

»Beeil dich. Wir hätten schon längst vor Ort sein sollen. Wir haben das Pferd von hinten aufgezäumt, indem wir zuerst mit dem Ehemann gesprochen haben. Ich bin mir wie ein Vollidiot vorgekommen, als ich ihn nach dem Messer gefragt habe. Als würden wir im Dunkeln tappen.«

»Was hätten wir denn tun sollen? Wir hatten keine andere Wahl. Der Typ hat 911 angerufen und gestanden. Sie haben ihn am Tatort verhaftet, und wir mussten ihn sofort vernehmen. Der Lieutenant wollte Newlin nicht auf Eis legen. Wir haben ein Geständnis, das als Beweis vor Gericht zulässig ist. Verdammt, er hätte es sogar unterschrieben, wenn ...«

Kovich unterbrach sich, aber beide wussten, wie der Satz weitergehen sollte. Wenn du es nicht vermasselt hättest, Mick.

Brinkley ging nicht darauf ein. Es war richtig gewesen, Newlin zu befragen, und er war nicht der erste Verdächtige, der seine Meinung änderte, wenn es ans Unterschreiben des Geständnisses ging. Er wollte nicht darüber streiten. Kovich war seit fünf Jahren sein Partner, und sie hatten ein angenehmes, wenn auch distanziertes Verhältnis zueinander. Brinkley wollte es so. Er traf sich auch mal mit Kovich privat, wenn er um eine Einladung nicht herumkam, hatte aber seinen Kollegen noch nie gefragt, warum er ihn Mick nannte statt Reg. Oder warum er immer »Sorry, Cholly« sagte oder »Jawoll, Bill«.

»Lass mich das hier noch austrinken, dann fahren wir hin und holen uns, was wir brauchen.«

»Holen uns, was wir brauchen?«, echote Brinkley »Das heißt also, du magst ihn?«

»Ich mag ihn nicht, ich liebe ihn.«

Das war Polizeijargon. Wenn die Detectives sagten, dass sie einen Verdächtigen »mochten«, verdächtigten sie ihn des Mordes. Wenn sie ihn »liebten«, stand seine Schuld für sie fest. Niemand außer Brinkley fand das zynisch.

»Weißt du was? Ich glaube, ich mag ihn nicht«, bemerkte Brinkley zu seiner eigenen Überraschung, worauf Kovich aufhörte, seinen Kaffee zu schlürfen.

»Was?«

»Ich mag ihn nicht. Zumindest jetzt noch nicht.«

»Herrje. Ich glaub’s nicht. Sag, dass du mich verscheißerst, Mick.«

»Nein.«

»Von was redest du da? Das ist eine Ente!« Der Slangausdruck für einen leichten Fall. Die Lösung watschelte von selbst zur Tür herein.

»Du hast es gehört. Ich bin mir noch nicht sicher.«

»Ach, zum Teufel. Warum magst du ihn nicht?«

»Weiß nicht.«

»Mick ...«

»Mir wird schon noch ein Grund einfallen.«

»Mick. Schätzchen. Baby. Wir haben ihn auf Band. Der Drecksack hat dir die ganze Geschichte erzählt, hübsch eins nach dem anderen. Er hatte ihr Blut an seinen verdammten Händen. Die Jungs von der Streife haben richtig daran getan, ihn gleich einzukassieren. Das Labor wird seine Abdrücke auf dem Messer finden.«

»Es ist sein Messer und sein Haus. Natürlich. werden sie seine Abdrücke dort finden.«

»In Blut getaucht?«

»Außerdem will ich nichts mehr von dem Messer hören.« Brinkley hatte einen Anfall bekommen, als er erfuhr, dass die Spurensicherung das Messer schon eingetütet hatte. Er hatte es an seinem ursprünglichen Platz am Tatort sehen wollen, und Polaroids waren kein Ersatz.

»Das Labor ist dabei, die Fingerabdrücke zu vergleichen. Zehn zu eins, dass sie einen vollständigen, blutigen Abdruck finden und er von Newlin stammt.«

»Hast du noch mal dort angerufen? Schon irgendwelche Ergebnisse?«

»In einer Stunde. Sie wissen, dass es ein heißes Ding ist.« Solche Eile war hochkarätigen Mordfällen vorbehalten, und das zweite Dezernat hatte noch nicht viele Fälle erlebt, die hochkarätiger waren als dieser. »Sie haben schon die Staatsanwaltschaft verständigt, Mick. Wir werden Newlin gleich morgen anklagen können.«

»Nein.« Brinkley hatte befürchtet, dass es so ablaufen würde, dass diese Dummköpfe ihm den Fall aus der Hand nehmen würden. »Es ist noch zu früh. Der Fall ist mir übertragen worden, ich bin der Verantwortliche. Ich gebe hier die Befehle, nicht die, verdammt noch mal.«

»Hör mal, die Sache ist uns doch auf dem Silbertablett präsentiert worden. Newlin hat schon bei der Zentrale zugegeben, dass er seine Frau auf dem Gewissen hat. Von der Streife wissen wir, dass es keine Anzeichen für einen Raubüberfall gibt, alles ist an seinem Platz. Er hat sofort reinen Tisch gemacht bei uns und wollte sich die Sache von der Seele reden. Du hast es doch gehört. Er war nervös wie nur was. Noch nie habe ich ein so schuldbewusstes Gesicht gesehen, du etwa?«

Kovich sah zur Tür und senkte seine Stimme.

»Im Übrigen muss ich dir wohl nicht erst sagen, dass die da oben von uns verlangen, den Fall so schnell wie möglich abzuschließen. Das ist eine Riesensache. Klagen wir Newlin sofort an, stehen wir gut da, wenn die Zeitungen es bringen. Klagen wir ihn nicht an, sieht es so aus, als würde er eine Sonderbehandlung bekommen.«

»Wieso?«

»Er ist weiß, ist dir das nicht aufgefallen? Und ich dachte immer, du bist ein schlauer Bulle.« Kovich grinste, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich versteh dich nicht, Partner. Du hasst doch die Anwälte.«

»Eben. Deswegen habe ich keine Lust, mich von einem reinlegen zu lassen.«

»Du denkst, er legt uns rein?«

Kovich sah betroffen aus. Er war nicht dumm, keiner von den Detectives war das. Man musste schon ziemlich gut sein, um es unter dem neuen Polizeipräsidenten zum Detective zu bringen. Es war, als stünde die gesamte Polizei seit seiner Ernennung unter Beobachtung.

»Schiebt sich selbst einen Mord in die Schuhe? Warum?«

»Ich weiß es nicht.« Brinkley dachte nach. »Um jemanden zu schützen.«

»Wen denn?«

»Vielleicht hat er eine Geliebte. Andererseits sieht er nicht so aus, als ob er fremdgehen würde.«

»Mick, ich bitte dich.« Kovich sah wieder zur Tür. »Alle außer dir und mir gehen fremd.«

»Geliebte oder nicht, irgendwas ist faul.« Brinkley stellte seinen noch vollen Becher ab. Er hatte keine Zeit zu warten, bis der Kaffee genug abgekühlt war. »Machen wir uns auf den Weg.«

»Vielleicht hat er einen Liebhaber?« Kovich warf seinen Styroporbecher in den Mülleimer, wobei die restliche Flüssigkeit herausschwappte. »Heutzutage ist alles möglich.«

»Zu viele Möglichkeiten. Wir wissen einfach nicht genug.«

Kovich warf seinem Partner einen spöttischen Blick zu, während er seine Krawatte festzurrte. »Weißt du, was dein Problem ist?«

»Ja. Aber du wirst es mir sicherlich trotzdem sagen.«

»Du musst alles kompliziert machen. Der Kaffee wird heiß gebrüht, aber du willst ihn kalt. Ein Mörder gesteht freiwillig, aber du musst das Ganze hinterfragen. Verstehst du, was ich meine?«

Brinkley ignorierte das. Genau so hatte Sheree auch immer geredet. »Komm jetzt. Ich brauche einen Partner, keinen Seelenklempner.«

Und wenn du nicht die Wahrheit sprichst

Подняться наверх