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Ein nächtlicher Festzug hoch zu Roß

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„Hat jemand ein Paar alte braune Fingerhandschuhe gesehen?“ rief ein aufgeregtes Heinzelmännchen und suchte in allen Ecken.

„Dort liegen welche.“ Ich zeigte auf den Fußboden vor Organdies Box.

„Nein, die sind viel zu schön“, lachte das Heinzelmännchen. „Die Handschuhe, die ich suche, habe ich für meinen Vater gestrickt, aber er wollte sie nicht haben. Sie waren ihm zu häßlich …“

Der Stall wimmelte von erwartungsvollen Kindern, die Pferde striegelten und Hufe auskratzten. Noch hatte niemand mit dem Satteln angefangen.

Ich ging schnell zurück in meinen kleinen Stall, um Silber weiterzubürsten. In der anderen Box kümmerte sich Martin um Billy. Um ihn herum lungerten seine schlaksigen Mopedfreunde. Sie folgten ihm immer auf Schritt und Tritt, wie ein zweiter Schatten.

Ich holte Silbers alten, abgenutzten Passiersattel. Ich liebte diesen Sattel. Ich würde ihn nicht gegen einen neuen eintauschen, denn es dauert lange, bis ein Sattel richtig eingeritten ist.

Es machte immer wieder Spaß, Silber zu zäumen. Er sperrte sein Maul bereitwillig auf, sobald er das Klirren der Trense hörte. Er konnte es kaum erwarten, hinausgeführt zu werden, so neugierig war er. Er ging mit mir durch dick und dünn – wie ein richtiger Freund.

Allmählich versammelten sich alle auf dem Hof. Es war schon dunkel draußen. Im Schein der Lampe über der Stalltür sah alles ein bißchen unwirklich, beinahe geisterhaft aus. Hasse und Thomas spannten Rauhbein vor den Schlitten. Das war nicht schwierig, denn das Fjordpferd war daran gewöhnt. Es zog den Schlitten sogar gern. Und heute – mit dem Schellenkranz um den Hals – war es besonders stolz.

Zum Schluß kam Agneta. Es war ein feierlicher Anblick, als sie in ihrem langen weißen Pelz und mit einem Lichterkranz auf dem Kopf neben Thomas Platz nahm. Den Schlitten hatten wir mit Tannenzweigen und Lametta geschmückt. Das sah nicht nur hübsch aus, sondern roch auch gut.

„Kommt Patrik nicht zu nah. Er könnte ausschlagen“, warnte Lotta. Sie war nervös, weil die Kleinen mit ihren Ponys überall umherwirbelten. Patrik war Hasses junger Halbblutwallach, und Lotta war sein Stallknecht. Sie war überglücklich, daß sie im Luciazug mitreiten durfte.

Martin hatte schon einen kräftigen Heinzelmann zugeteilt bekommen, der den unruhigen Billy am Halfter führte. Die blaßgelbe Sessan mit ihren verspielten Ohren wollte nicht Stillstehen, als Susanne in den Sattel kletterte. Der Russe Lillebror, ein richtiger kleiner Strolch, sauste mit Pia von einem Pferd zum anderen und neckte sie, bis alle böse auf ihn wurden. Der alte Scheck sprang erschrocken zur Seite, wenn die großen Pferde ihm zu nahe kamen.

Der Hof wimmelte von Pferden und Menschen, als Lasse in raschem Trab auf uns zukam. Die Pferde hoben ihre Köpfe und spitzten neugierig die Ohren.

„He, willst du auch noch zur allgemeinen Kopflosigkeit beitragen?“ rief ich fröhlich. Lasse lachte. Seine Augen strahlten. Das taten sie oft. Wahrscheinlich fühlte ich mich deshalb in seiner Nähe so geborgen.

„Kannst du eine Fackel in der Hand halten, oder scheut dein Pferd dann?“ fragte Hasse, der mit einer brennenden Fackel auf Organdie saß Die nervöse Stute vertraute Hasse und kümmerte sich nicht um das knisternde, funkensprühende Feuer.

„Cayenne hat keine Angst“, antwortete Lasse und klopfte anerkennend den Hals seines Pferdes. „Er läßt sich durch nichts aus der Ruhe bringen.“

„Gut“, meinte Hasse. „Dann versuche ich jetzt, aus diesem Tohuwabohu einen Luciazug zu bilden …“

Er dirigierte seine heiße Vollblutstute lässig durch das Gewühl aufgeregt schnatternder Kinder. Organdie verhielt sich völlig ruhig. Das lag nur an Hasse. Ich bewunderte ihn. Er war der beste Reiter, den ich kannte. Es war egal, was für ein Pferd er ritt, er verstand sie alle. Und die Pferde taten für ihn immer ihr Bestes.

„Es schneit“, erzählte Lasse. „Den ganzen Weg hierher fielen winzige Schneeflocken auf mein Gesicht.“

Tatsächlich. Es schneite. Kleine, eisige Flocken.

Lasse nahm eine Fackel und ritt mit Hasse an die Spitze des Zuges. Dahinter kam Thomas im Schlitten mit Lucia – Agneta war eine wunderschöne Lucia, mit der Lichterkrone auf ihren langen blonden Haaren.

Als der Zug sich in Gang setzte, und die Glöckchen des Schellenkranzes fröhlich läuteten, verstummte das Schnattern der Kleinen. Kicki und Lotta ritten auf ihren dunklen Pferden hinter der strahlendhellen Lucia. Auf den Kufen des Schlittens standen kleine, rote Heinzelmännchen – alle mit Fackeln in den Händen. Sie bildeten auch den Schluß hinter Sessan, Lillebror und Scheck.

Ich wünschte, ich könnte den Luciazug in seiner vollen Länge sehen. Es mußte herrlich sein, aus der Ferne den näher kommenden Klang der Glocken zu hören, und dann die vielen Fackeln und Pferde, die Heinzelmännchen und schließlich die leuchtende Lucia zu sehen.

Wir ritten auf der großen, breiten Straße, die durch die Vororte führte. In einigen Geschäften hatten wir Plakate ausgehängt. Deshalb standen auf den Treppen überall Menschen und erwarteten uns. Aus beinahe allen Fenstern grüßten uns freundlich lächelnde Gesichter. Agneta lächelte nicht weniger freundlich zurück und winkte den Zuschauern wie eine Königin aus ihrer Kutsche zu.

Billy beunruhigten die vielen Menschen, und der Heinzelmann, der ihn führte, hatte viel Mühe mit ihm.

Der Wind ließ nach und die Luft schien milder zu werden. Der Schnee fiel jetzt wohlwollend in großen, weichen Flocken auf uns herab. Die Straße wurde zu einer ausgezeichneten Bahn für unseren Schlitten.

„Wir sollten ein Lied singen“, schlug jemand vor.

Einige der kleinen, roten Wichte kletterten vom Ende des Zuges in den Schlitten. Anfangs drohte ihr Gesang in albernem Kichern unterzugehen. Aber dann wurden sie von der ernsten Feierlichkeit gepackt und nahmen ihren ganzen Mut zusammen. Ihre hellen, reinen Kinderstimmen drangen durch die Nacht: „Kling Glöckchen, kling“ und „Stille Nacht, heilige Nacht“.

Das war so stimmungsvoll und ergreifend, daß es mir vorkam, als schwebten wir. Der Alltag war vergessen, die Wirklichkeit unwirklich. Dieses Idyll einer schönen Weihnacht spostkarte verflog schnell.

Hinter mir schimpfte Pia laut auf Lillebror: „Hör auf, verrückt zu spielen! Bleib hier! Benimm dich!“

„Schscht! Du machst ja die ganze Stimmung kaputt.“ Ich flüsterte wie eine Souffleuse im Theater.

In diesem Augenblick passierte es. Ein Heinzelmännchen verlor seine halbabgebrannte Fackel genau vor Billys Nase. Billy schnaubte empört und stellte sich auf die Hinterbeine. Armer Martin. Die anderen Pferde wurden ebenfalls unruhig und wollten am liebsten davongaloppieren. Nur Lucia blieb gelassen. Sie lächelte und winkte und lächelte.

Überall am Straßenrand standen Menschen und schauten uns zu. Kinder liefen über die Straße und wollten die Ponys streicheln. Allen schien unser Luciazug zu gefallen. Zum Glück wissen sie nicht, daß einige von uns ihre Pferde kaum noch halten können, dachte ich.

Als wir wieder nach Hause ritten, hatte es aufgehört zu schneien. Der Himmel war sternenklar. Eine wunderbare Nacht. Alle waren still. Vielleicht schläferte sie auch der langsame Schritt ein.

Im Klubhaus brannte hinter allen Fenstern Licht. Eine freundliche Mutter überraschte uns mit Zimtsternen und Pfefferkuchen, die sie extra für uns gebacken hatte. Einige Mädchen, die nicht am Luciazug teilgenommen hatten, kochten in großen Töpfen duftenden Kakao.

Kuchen und Kakao verschwanden in Windeseile. Wir waren alle ein bißchen durchgefroren und sehnten uns danach, etwas Warmes in unsere Bäuche zu bekommen.

Ich neckte Agneta und fragte sie, wie das denn sei: immer nur lächeln und winken.

„Danke“, antwortete sie. „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt noch einen rechten Arm besitze …“

Alle lachten, stopften die letzten Pfefferkuchen in sich hinein und tranken die letzten Tropfen Kakao. Das Luciafest ging seinem Ende entgegen.

„Das müssen wir nächstes Jahr unbedingt wieder machen“, rief Thomas. Wir stimmten alle begeistert zu.

Britta und die Pferde

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