Читать книгу Britta und die Pferde - Lisbeth Pahnke - Страница 6

Was soll aus Siboney werden?

Оглавление

Wir hielten vor der Stalltür und stiegen von unseren Ponys. Automatisch schnallte ich die Steigbügel hoch und brachte Billy zu seinem Platz.

Der Stall besaß nur vier Boxen, ansonsten Verschläge. Aber er war sehr originell und gemütlich. Wir hatten in dem ehemaligen Kuhstall alles selber gemacht.

Sonst kam ich gern in den Stall und redete lange mit den Pferden. Aber heute sattelte ich Billy so schnell wie möglich ab, überprüfte routinemäßig seine Hufe und wusch mit einem Schwamm die Sattellage aus. Billy versuchte nach mir zu schnappen, aber ich merkte es kaum. Er sah sehr lustig aus: außer einem braunen Kopf mit einer weißen Blesse und einem großen braunen Fleck auf der einen Seite war er schneeweiß.

„Kommst du in die Sattelkammer, wenn du fertig bist?“ fragte mich Kicki, während sie Lord Peter in seine Box führte. „Wir wollen über das Luciafest reden.“

„Kann ich, ja“, antwortete ich ohne große Begeisterung. Ach ja, das traditionelle Vorweihnachtsfest kam immer näher. Und ich hatte gar keine Lust für den Trubel, den Festumzug mit Lichterkranz und Schellengeläut.

In der Sattelkammer roch es nach Pferden und Leder. Heute duftete es zusätzlich verlockend nach warmem Kakao, den eines der Mädchen in einer Thermosflasche mitgebracht hatte. Kicki und ich platzten mitten in eine lebhafte Diskussion hinein.

„Natürlich muß sie reiten“, behauptete Martin, der Besitzer von Billy. „Lucia hoch zu Pferd. Etwas anderes kommt gar nicht in Frage.“

„Ich finde, sie sollte im Schlitten sitzen“, mischte sich Cilla vorsichtig ein. „Dann können einige von uns als Heinzelmännchen mitfahren und Fackeln tragen.“

„Nein, sie soll reiten“, widersprach Martin energisch. „Ich überlasse ihr sogar Billy …“

„Dann scheide ich als Lucia aus“, rief Agneta. „Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich mich auf deinen verrückten Billy setze? Wenn ich Lucia werde, reite ich nur Kurre.“

Darüber mußten alle furchtbar lachen und Thomas sagte: „Als ob das weniger verrückt wäre. Wir wollen doch keine Lucia haben, die auf einem Pferd sitzt, das mit ihr durchgeht. Das Vernünftigste ist wirklich, Lucia fährt mit dem Schlitten. Zwei reiten mit Fackeln voran und …“

„Wer?“ riefen alle gleichzeitig.

Kicki und ich fragten: „Und wer zieht den Schlitten?“

„Welche Ponys dürfen denn überhaupt dabeisein?“ wollte Cilla wissen.

„Wir nehmen doch keine Ponys für den Luciazug“, antwortete Thomas entrüstet. Aber sein Gesicht sah so verschmitzt aus, daß wir nicht wußten, ob er das ernst meinte.

„Was? Überhaupt keine Ponys?“ Cilla war beleidigt. „Das ist wohl das Dümmste, was ich je gehört habe. Ein Luciazug nur mit vier Pferden!“

Ich muß zugeben, daß mich die Sache jetzt doch interessierte.

„Silber und Billy sollten nebeneinander hinter dem Schlitten laufen“, schlug ich vor. „Anschließend Lillebror und Sessan. Als letzter Scheck. Jemand sollte, als Heinzelmännchen verkleidet, ihn führen und eine Fackel in der Hand halten …“

„Ich will das Heinzelmännchen sein“, meldete sich Lillan.

„Du bist doch viel zu klein, um Scheck zu führen“, wandte ihre älteste Schwester Mia sofort überlegen ein. „Ich brauche dich wohl nicht daran zu erinnern, was passierte, als du im Sommer Lillebror von der Weide holen solltest und …“

„Das war doch Lillebror, und das war im Sommer, und der Sommer ist schon furchtbar lange vorbei. Jetzt bin ich viel größer.“

„Du bist aber immer noch nicht groß genug“, behauptete ihre große Schwester.

„Das bin ich doch“, rief Lillan wütend. „Vielleicht erinnerst du dich mal, wer beim Sprungwettbewerb am besten war.“

„Hier geht es nicht um einen Sprungwettbewerb, sondern um einen Luciazug, du Dummerchen.“ Mia war ziemlich sauer.

An dieses Springturnier wollte sie nicht gern erinnert werden. Alle zogen sie damit auf. Als ob sie etwas dafür konnte, daß Lillebror ausgerechnet an diesem wichtigen Tag nur zu Streichen aufgelegt war und so lange an ihrem Hosenbein zerrte, bis sie auf den Boden plumpste. Lillan und Scheck dagegen waren ohne einen einzigen Fehler über den Parcours gekommen.

„In welcher Reihenfolge sollen wir reiten?“ wollte Kicki wissen.

„Wieso wir?“ neckte Thomas sie. „Worauf gedenkst du denn zu reiten?“

„Auf Rauhbein natürlich. Wie immer.“

Thomas schüttelte den Kopf.

„Entschuldige, aber Rauhbein ist der einzige, der den Schlitten ziehen kann.“

Kicki machte ein langes Gesicht.

„Wieder mal typisch“, sagte sie und zuckte mit den Schultern.

Thomas fuhr fort: „Ich denke mir das so: Zwei reiten mit Fackeln vorweg. Hinter dem Schlitten mit Lucia folgen zwei große Pferde und daran anschließend alle Ponys. Britta, du als Reitlehrerin kannst am besten beurteilen, welche Kinder auf den Ponys reiten dürfen. Ich kümmere mich um die großen Pferde.“

Die Vorfreude auf das Luciafest und auf Weihnachten hatte uns gepackt. Einige fingen an, „Kling, Glöckchen“ zu singen. Und so kamen wir auf die Idee, daß es wunderbar wäre, wenn wir einen Schellenkranz hätten.

Einige der Mädchen, die auf alten Bauernhöfen lebten, versprachen, in jeder Scheune und in jedem Winkel unter den Dächern danach zu suchen.

In der warmen Sattelkammer hatte ich für kurze Zeit vergessen, was mich bedrückte und welch schweren Entschluß ich heute gefaßt hatte. Als ich wieder auf den Hof hinaustrat, war die vorweihnachtliche Stimmung wie weggewischt, wurden die Pläne für das Luciafest belanglos. Es goß in Strömen. Ich zitterte vor Kälte und wagte kaum an morgen zu denken. Es war Abend geworden und schon ganz dunkel. Ich mußte meine Pferde noch füttern. Ich selbst hatte auch noch nichts gegessen. Und dann schlafen – falls ich es konnte.

Früh am nächsten Morgen klingelte ich an Kickis Tür. Sie wohnte nicht weit entfernt von der Reitschule. In Hausschuhen und einem knallroten Morgenrock öffnete sie verschlafen die Tür.

„Hei! Entschuldige bitte, daß ich dich so früh störe“, begann ich leise, „aber ich muß sofort den Tierarzt anrufen.“

„Macht nichts“, antwortete Kicki. „Ich mußte sowieso aus den Federn. Du weißt ja, wo das Telefon steht. Auf dem Notizblock daneben findest du die Nummer vom Tierarzt.“

Ich wählte, ohne genau zu wissen, was ich sagen wollte. Kicki bürstete unterdessen ihre kastanienbraunen Haare.

„Bitte rufen Sie die Auskunft unter der Nummer 90120 an. – Bitte rufen Sie die Auskunft unter der Nummer 90120 an. – Bitte rufen Sie …“

Eine teilnahmslose Stimme wiederholte diesen stupiden Satz immer wieder.

„So was Dummes“, murmelte ich und legte den Hörer auf. „Was hat das denn zu bedeuten?“

Irritiert wählte ich die neue Nummer.

„Der Tierarzt Dr. Andersson ist verzogen. Den neuen Tierarzt Dr. Södergren erreichen Sie unter der Nummer …“

„So ist das meistens“, seufzte Kicki. „Das reinste Versteckspiel, wenn man mal einen Tierarzt braucht.“

Unsicher wählte ich die Nummer von Dr. Södergren. Was sollte ich ihm sagen? Es ging ja nicht nur darum, daß meine beiden Pferde Husten und Schnupfen hatten …

Guten Tag. Ich habe ein kleines Fohlen, das nicht wachsen will. Jetzt hat es auch noch einen furchtbaren Husten, und ich glaube, es gibt keine Hoffnung mehr …

Konnte ich das so kalt sagen, als ginge es mich nichts an? Wieder spürte ich einen großen Kloß in meinem Hals. Ich schluckte und schluckte und versuchte verzweifelt, die Tränen zu unterdrücken, die über meine Wangen rannen.

„Bitte, Kicki“, schluchzte ich und reichte ihr den Telefonhörer. Dann sank ich auf einen Stuhl und verbarg mein Gesicht in den Händen. Ich hatte mich noch nie so elend gefühlt.

„Guten Morgen. Hier spricht Kicki Berggren von der Reitschule in Dalen. Zwei unserer Pferde husten. Eins davon ist noch ein Fohlen, und wir glauben, daß ihm noch etwas anderes fehlt. Es wächst nicht und entwickelt sich nicht wie ein normales Pferd. Vielleicht könnten Sie vorbeikommen und sich die Pferde ansehen … Gut. Vielen Dank. Bis dann.“

Kicki legte den Hörer auf und wandte sich zu mir: „Er kommt heute nachmittag. Er muß erst noch einige andere Krankenbesuche machen. Kopf hoch! Ich koche uns jetzt erst einmal eine Kanne heißen Tee.“

Der Vormittag zog sich in die Länge. Ich ging in den Stall. Silber begrüßte mich wie immer freudig wiehernd. Ich nahm Striegel und Kardätsche vom Regal und ging in seine Box. Ich redete leise mit ihm, während ich sein dichtes, graues Fell striegelte, das jetzt im Winter matter glänzte.

„Was hast du nur für einen dicken Pelz bekommen, alter Junge. Du siehst ja aus wie ein Eisbär. Ob ich wohl deinen Bauch bürsten darf, ohne daß du protestierst? Oder bist du heute kitzlig?“

Silber spielte mit den Ohren. Das bedeutete, daß er gern gebürstet werden wollte. Ich kämmte seinen strähnigen Schopf, bis er in weichen Wellen über die Stirn fiel und bürstete vorsichtig Mähne und Schweif, die fast weiß waren. In diesem Winter war Silber nicht so dunkel geworden wie im vorigen Jahr. Im Sommer wird er sicher wieder ganz weiß werden. Ich dachte daran, wie edel sein Kopf aussah ohne diesen „Winterbart“ und ohne diese ulkigen Büschel in den Ohren.

Silber hustete kaum noch. Aber was ich von Siboney hörte, klang so furchtbar, daß ich es einfach nicht länger aushielt. Ich zäumte Silber und ritt mit ihm in den Wald. Ich nahm mir gar nicht erst die Zeit, ihn zu satteln. Ich wollte nur im Schritt reiten. Sicherlich machte ich keine gute Reiterfigur. Aber das war mir im Augenblick egal. Ich saß traurig und zusammengesunken, mit Tränen in den Augen, auf meinem Pony.

Britta und die Pferde

Подняться наверх