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Ein aufregender Geländeritt

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Die Mädchen der Freitagsgruppe hatten mir lange in den Ohren gelegen. Sie wollten in den Weihnachtsferien unbedingt zusammen mit den großen Pferden ausreiten. Ich schob die Entscheidung immer wieder hinaus. Waren sie dazu überhaupt schon in der Lage? Aber irgendwann mußten sie es ja doch versuchen. Ich gab schließlich nach.

„Darf ich mitkommen?“ bat Nirre. Sie saß am Küchentisch und bemalte ihre Fingernägel mit einem gräßlichen braunroten Lack. Sicherlich der letzte Schrei. „Ich kann nur Silber reiten … Die anderen Pferde kenne ich nicht, aber sie machen einen streitsüchtigen Eindruck.“

Lasse streckte seine langen Beine unter den Tisch, wo Goldie mit hängender Zunge lag. Es war warm in der Küche, und Goldie konnte ihren dichten Winterpelz ja nicht ausziehen.

„Willst du nicht auch mitreiten?“ fragte ich Lasse scherzhaft.

„Gern“, antwortete Lasse. „Nur morgen muß ich leider in die Stadt. Aber ich habe eine glänzende Idee: Du reitest für mich Cayenne. Dann kann Nirre Silber haben, und alle sind zufrieden.“

Unter anderen Umständen wäre ich über sein Angebot seelig gewesen. Lasses Fuchs hatte so freundliche, liebe Augen. Aber morgen auf einem fremden Pferd? Der Gedanke gefiel mir gar nicht.

„Hast du Angst?“ fragte Lasse. „Cayenne ist das treueste und zuverlässigste Pferd der Welt.“

„Das glaube ich dir sogar“, antwortete ich. „Ich möchte ihn auch schrecklich gern reiten. Aber morgen trage ich die Verantwortung für die ganze Truppe. Da will ich nicht auf einem Pferd sitzen, das ich noch nie geritten habe.“

„Er tut niemandem etwas“, beharrte Lasse. „Vor dem Straßenverkehr hat er auch keine Angst.“

„Na gut.“ Was blieb mir anderes übrig, als einzuwilligen. „Aber wundere dich nicht, wenn Cayenne ohne mich nach Hause kommt.“

„Das tut er nicht“, versicherte Lasse. „Holst du Cayenne selbst ab?“

„Ich kann mit dem Fahrrad …“

„Bist du verrückt? Das ist doch zu weit. Du solltest den Führerschein machen.“

„Was tut man nicht alles für die große Ehre, Cayenne reiten zu dürfen“, lachte ich.

Am nächsten Morgen strampelte ich zum Hof von Lasses Onkel. Der Weg war beschwerlich und matschig. Ein paarmal wäre ich beinahe gestürzt. Als ich endlich ankam, schien niemand zu Hause zu sein. Ich schloß mein Fahrrad ab und ging sofort in den Stall. Cayenne sah mich überrascht an und wieherte leise, so wie ein einsames Pferd einen Fremden begrüßt, der unerwartet seinen Stall betritt.

Lasse hatte eine Nachricht für mich hinterlassen: „Vergiß die Taschenlampe nicht“, stand auf einem Zettel, der am Sattel befestigt war. Sicher, es würde wahrscheinlich dunkel sein, wenn ich zurückkam. Aber das machte mir nichts aus. Ich war schon oft nachts geritten.

Cayenne gefiel mir vom ersten Augenblick an. Frei und raumgreifend schritt er durch die Allee. Dabei beobachtete er alles und richtete seine Ohren neugierig geradeaus. Nur einmal wurde ich unruhig und war auf alles gefaßt: auf der Landstraße überholte uns ein großer Bagger mit ohrenbetäubendem Lärm. Silber wäre schon beim Anblick dieses Ungeheuers vor Schreck in den Graben gesprungen. Aber Cayenne hob nur den Kopf, blähte die Nüstern und schnaubte verächtlich. Jetzt war ich überzeugt, daß Cayenne sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ.

In der Reitschule warteten bereits alle auf mich. Mit einer Ausnahme ritten die Teilnehmer ruhig und erwartungsvoll über den Hof: Billy vollführte wieder einmal seine Bocksprünge. Aber diesmal hatte Billy eine energische Reiterin, die nicht ängstlich, sondern böse wurde, wenn er seine Tricks anwandte. Das spürte Billy bald und gab überraschend schnell auf.

Vor dem Stall standen diejenigen, die nicht mitreiten durften und verspotteten uns: „Es muß ja jemand hier sein, um die reiterlosen Pferde in Empfang zu nehmen“, riefen sie uns nach.

Ich hoffte, daß dieser Scherz ein Scherz bleiben würde.

Direkt hinter mir ritt Marie auf Organdie. Dann folgte der Nordschwede Kurre mit einem Mädchen, das gern schnell ritt, aber nicht die Geduld besaß, richtig Reiten zu lernen. Auf Patrik saß Lotta. Sie war zwar groß und kräftig, aber immer ein bißchen nervös. Sie schielte oft zurück, um aufzupassen, daß Billy nicht zu nahe kam. Ein Mädchen mit langen blonden Haaren ritt das geduldige Fjordpferd Rauhbein. Das Schlußlicht bildete meine Schwester.

Organdie spielte gleich zu Beginn verrückt. Sie sträubte sich und wollte immer alles anders machen als wir. Ich ließ abwechselnd traben und schreiten, damit Organdie keine Möglichkeit bekam, allzu hitzig zu werden. Marie war bleich und schien es zu bereuen, daß sie mitgeritten war.

Wir durchquerten ohne Zwischenfälle unseren vertrauten Wald, der oben auf dem Höhenzug bei der Kiesgrube endete. Von hier aus hatten wir eine wunderbare Sicht über den Sund, der weiß und zugefroren unter uns lag.

„Eine tolle Aussicht“, staunte Lotta und hielt Patrik an.

„Ich habe keine Zeit, die Aussicht zu genießen“, murmelte Marie. Organdie wollte sich immer noch nicht beruhigen. Marie tat mir leid.

Wir ritten einen ziemlich steilen Abhang hinunter. Ich forderte alle auf, langsam im Schritt hinter mir her zu reiten. Für Silber war das unmöglich. Aber weil er der letzte war, machte es nichts, daß er ausgelassen und fröhlich abwärts galoppierte.

Wir überquerten eine breite Straße. Vor uns forderte ein wunderschöner, verschneiter Weg zum Galopp auf.

„Halt! Wartet!“ rief Marie.

Ich schaute sehnsüchtig auf den weichen Waldweg. Ich spürte, daß auch Cayenne endlich galoppieren wollte.

„Ich reite zurück“, erklärte Marie traurig. „Ich mache euch sonst alles kaputt.“

Sie hatte recht. Alle hatten sich so lange auf diesen Ritt gefreut. Und was war ein Geländeritt ohne Galopp?

„Wirst du allein mit Organdie fertig?“ fragte ich besorgt.

„Klar. Wenn ich sie an langen Zügeln schreiten lasse, bleibt sie einigermaßen ruhig.“

Die arme Marie. Nachdem sie uns verlassen hatte, war unsere Stimmung nicht mehr so fröhlich. Wie würde es ihr wohl auf dem Heimritt ergehen?

Wir ritten jetzt auf einer schmalen Landstraße, auf der unsere Pferde zügig traben konnten. Ich drehte mich um und sah glückliche Gesichter.

Wir erreichten das Ufer. Vorsichtig wagten wir uns am Rand auf das dicke Eis, das unter den Hufen furchteinflößend und hohl dröhnte. Ich wußte, daß es hier sehr flach und vollkommen ungefährlich war. Aber die Kinder fanden es spannend und ein bißchen unheimlich.

Wir ritten lange am Ufer entlang. Als wir endlich wieder den herrlichen Waldweg vor uns hatten, durften alle galoppieren. Ich drosselte das Tempo anfangs, um sicher zu sein, daß meine Schülerinnen ohne Schwierigkeit folgen konnten.

Cayenne holte weit aus. Dadurch hatte ich das Gefühl, wir galoppierten langsam. Erst als ich mich umdrehte und das schnelle, dumpfe Schlagen der anderen Hufe hörte, wußte ich, daß wir bereits mit hoher Geschwindigkeit durch den Wald jagten. Ich hob mich aus dem Sattel und ließ Cayenne laufen. Ein Tannenzweig peitschte mein Gesicht, aber ich merkte es kaum. Seit langem war ich nicht mehr so frei und schnell geritten. Ich war glücklich und vergaß beinahe die Kinder. Dann hörte ich sie „Oh“ und „Ah“ rufen, weil ihre Pferde vor lauter Übermut ausgelassene Sprünge vollführten.

Ich hob meine rechte Hand hoch und rief: „Langsamer! Halt!“

Ein strahlendes Durcheinander umringte Cayenne und mich. Die Mädchen waren außer Atem und redeten alle gleichzeitig. Die Pferde schnaubten, warfen die Köpfe hoch und wollten weitergaloppieren.

„So schnell bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht geritten.“

„Habt ihr Billy gesehen? Du lieber Himmel. Ich glaubte, ich würde jeden Augenblick vom Pferd fallen.“

„Kurre ist ganz ausgelassen. Ich konnte ihn kaum noch halten.“

Allmählich beruhigten sich die Mädchen und auch die Pferde. Ich hatte den Eindruck, meine Schülerinnen träumten schon von dem nächsten abenteuerlichen Geländeritt, als wir schweigend heimwärts ritten. Ich sollte diese Ausflüge öfter mit ihnen wagen. Immer nur in der Nähe des Stalles zu reiten war ein bißchen eintönig für Pferd und Reiter.

Als wir auf unserem Rückweg die breite Straße kaum überquert hatten, kamen aus beiden Richtungen zwei große Lastwagen angefahren. Billy und Kurre rasten erschrocken an mir vorbei. Bevor ich reagieren konnte, schloß Cayenne sich ihnen an. Wenn es mir nicht sofort gelang, ihn und die beiden anderen Pferde anzuhalten, würden alle Pferde hinter uns herjagen. Die Situation war mehr als kritisch.

Ich zerrte mit aller Kraft an den Zügeln und brachte Cayenne dazu, sich einmal um sich selbst zu drehen. Das war meine einzige Chance. Ich kannte Cayenne nicht und wußte nicht, wie er sich sonst verhalten hätte.

Die anderen Pferde stutzten, als Cayenne so plötzlich kehrt machte: Patrik tänzelte nervös auf der Stelle, Rauhbein und Silber verhielten sich ruhig. Aber ihre Augen blitzten so unternehmungslustig, als hätten sie Lust zu einem Galopp …

Kurre und Billy kamen nicht weit. Als sie merkten, daß die anderen Pferde ihnen nicht folgten, gelang es den Mädchen, sie anzuhalten. Ein wenig verdutzt trabten sie zu uns zurück.

„Ich hatte mir geschworen, daß Billy heute nicht mit mir durchgehen würde.“ Das Mädchen, das Billy ritt, war wütend.

Was für ein Glück, daß Marie mit Organdie schon vorher nach Hause geritten war, dachte ich. Organdie war früher ein Rennpferd. Sie wäre um keinen Preis stehengeblieben. „Bei diesem Tempo holen wir Marie schnell ein“, meinte Lotta, als könne sie meine Gedanken lesen.

„Wir reiten jetzt in der gleichen Reihenfolge wie vorher weiter“, rief ich. Gehorsam reihten sich alle hinter mir auf. Wir gingen mit dem Oberkörper nach vorn, um Hinterhand und Rücken unserer Pferde zu entlasten und kletterten die steile Böschung hinauf. Als wir unseren vertrauten Wald wieder erreichten, wurde es schon dunkel. Die Mädchen verhielten sich merkwürdig still.

„Seid ihr etwa müde?“ wollte ich wissen.

„Nein, aber hungrig“, jammerte Lotta. Sie war immer hungrig. „Hoffentlich empfängt uns zu Hause jemand mit warmem Kakao.“

„Ich habe keine Arme mehr“, beschwerte sich ein anderes Mädchen. „Billy legt sich schrecklich in die Zügel. Er will seinen Kopf durchsetzen. Sobald ich ihm nachgebe, läuft er direkt hinter Patriks Schweif her.“

Wir näherten uns der Reitschule. Wir mußten nur noch über den kleinen Graben springen und über einige Felder traben. Das warme Licht hinter den Fenstern unseres Klubhauses leuchtete uns schon entgegen.

Cayenne zeigte keine Spur von Müdigkeit. Er war wunderbar zu reiten. Vor dem Graben blieb er stehen und schaute nachdenklich hinüber. Dann schnaubte er und wollte rückwärts gehen. Wahrscheinlich konnte er im Dunkeln nicht erkennen, wie klein und harmlos der Graben war.

„Nun komm schon“, forderte ich und klopfte aufmunternd seinen Hals. Widerwillig schritt Cayenne auf den Graben zu. Er spannte seine Muskeln und setzte mit einem riesigen Sprung hinüber. Das mußte komisch ausgesehen haben. Ich lachte innerlich. Ich lenkte Cayenne automatisch weg vom Stall nach rechts, damit er nicht zum Stall galoppierte … Das war ja gar nicht Cayennes Stall. Aber daran dachte ich in diesem Augenblick nicht. Ich schlug einfach aus Gewohnheit diese Richtung ein.

Cayennes gewaltiger Sprung über den Graben war zuviel für Kurre und Billy. Sie machten es ihm nach und stürzten dann in rasendem Galopp über die Felder.

„Nach rechts! Reitet nach rechts!“ schrie ich so laut ich konnte. Hoffentlich gelang es mir, Cayenne zu halten. Er kratzte ungeduldig mit den Vorderhufen im Schnee. Kurre stampfte wie eine rasende Dampfmaschine an mir vorbei. Es schien hoffnungslos, ihn beeinflussen zu wollen. Und Billy ging mit seiner Reiterin durch. Es sah lebensgefährlich aus. Aber kurz vor dem Stall beruhigte er sich: Aus dieser Entfernung lohnte es sich nicht mehr zu galoppieren. Kurre folgte Billys Beispiel.

Ich atmete auf.

Wir waren wieder in der Reitschule. Die Mädchen stiegen erschöpft und glücklich von ihren Pferden. Ich saß auf Cayenne und ermahnte sie: „Kümmert euch gut um die Pferde. Gebt ihnen Wasser und überprüft vor allem die Hufe – und zwar bevor ihr Kakao trinkt.“

„Das ist doch selbstverständlich“, riefen alle. Sie waren ein wenig beleidigt, „Wofür hältst du uns eigentlich?“

Ich sagte schnell, daß ich nur Spaß gemacht hätte. „Schließlich weiß ich genau, daß ihr die zuverlässigsten und ordentlichsten Kinder der Welt seid. Zufrieden?“

„Schon. Aber wieso Kinder …?“

Ich lachte nur.

Ich war froh, daß Nirre nicht allein mit Silber im Stall war. Billys Reiterin würde schon auf sie aufpassen. Marie kam zu mir und berichtete, daß Organdie sie brav zurückgebracht hätte. Diese Sorge war ich also auch los.

Ich ließ Cayenne an langen Zügeln zu seinem Stall schreiten. Er zeigte immer noch keine Anzeichen von Müdigkeit. Ein solches Pferd muß jeden Tag mindestens zwei Stunden geritten werden, überlegte ich. Ob Lasse mir Cayenne wieder überlassen wird?

Auf dem Heimweg wieherte Cayenne ein paarmal sehnsüchtig. Ich glaube, er vermißte die anderen Pferde. Wenn Lasses Onkel seinen Plan ausführte, mußte Cayenne bald nicht mehr einsam in seinem großen Stall stehen …

Im Stall brannte Licht. Als ich den Fuchs in seine Box führte, sah ich, daß jemand ausgemistet und frische Sägespäne gestreut hatte. Frisches Wasser stand bereit und die Futterkrippe strotzte vor Heu und Hafer. Cayenne stürzte sich sofort gierig auf den Hafer, noch ehe ich ihm die Trense abnehmen konnte.

„Hei! Ist alles gutgegangen?“

Lasse stand plötzlich in der Stalltür, und Goldie schwänzelte um mich herum.

„Dein Pferd ist herrlich“, schwärmte ich. „Vielen Dank, daß du es mir anvertraut hast …“

Während ich Cayenne striegelte, erzählte ich Lasse von unserer Reittour.

„Hör mal, du mußt hungrig sein“, meinte Lasse. „Wir wollen gerade essen. Komm doch mit herein.“

Jetzt merkte ich erst, daß ich tatsächlich furchtbaren Hunger hatte. Und ein Essen, das Lasses Tante zubereitete, schmeckte sicher tausendmal besser als alles, was ich zustande brachte.

„Vielen Dank“, antwortete ich zögernd, „aber meine Schwester wartet auf mich. Sie ist bestimmt genauso hungrig wie ich. Es wäre nicht fair, sie warten zu lassen. Am besten strample ich jetzt auf meinem Fahrrad durch die Dunkelheit zurück …“

Das sagte ich so, als ob ich hundert Kilometer zurücklegen mußte. Meine kleine List hatte Erfolg …

„Ich fahre dich schnell nach Hause“, schlug Lasse vor. „Das Fahrrad kannst du dir ein anderes Mal abholen.“

Und so war ich schnell bei meiner Schwester, die hungrig auf mich wartete.

Britta und die Pferde

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