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Eine unerwartete Hilfe

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„Aber Silber, was hast du denn?“

Ich wäre beinahe heruntergepurzelt, weil mein Pony völlig überraschend stutzte und sich quer stellte. Silber war bisher ruhig und an langen Zügeln durch den Wald getrottet und hatte nur hier und da, ohne seine sonstige Begeisterung, nach ein paar Tannenzweigen geschnappt. Meine Stimmung hatte sich wohl auf ihn übertragen. Aber jetzt blähte er die Nüstern und schnaubte aufgeregt. Ich wußte nicht warum, bis ich den Hund sah.

Ein ungewöhnlich großer und kräftiger Schäferhund mit schwarzer und goldbrauner Zeichnung blinzelte uns an und wedelte freundlich mit dem Schwanz. Er war so urplötzlich vor uns aufgetaucht, daß mein armes Pony völlig überrumpelt wurde.

Im gleichen Augenblick hörten wir das Stampfen eines galoppierenden Pferdes, und wenige Sekunden später kam uns ein Reiter auf einem stolzen Fuchs entgegen.

„Goldie, komm sofort her!“

Der Schäferhund wedelte noch einmal kurz mit seinem Schwanz und lief dann gehorsam zu seinem Herrn zurück.

Ich traute meinen Ohren nicht. Die Stimme kannte ich gut, aber die Stute hatte ich noch nie gesehen.

Der Reiter schaute mich genauso verblüfft an wie ich ihn.

„Lasse!“, rief ich erstaunt. „Was machst du denn hier?“

„Reiten“, antwortete Lasse und lachte.

„Typisch. Du mußt einen immer auf den Arm nehmen. Ich meine: wieso bist du hier?“

„Lernen. In der Stadt. Ich wohne bei meinem Onkel. Er hat einen Hof hier in Dalen gekauft.“

Silber tänzelte und wollte das fremde Pferd begrüßen. Ich warnte Lasse: „Komm lieber nicht näher. Silber ist erkältet und hustet.“

Lasse schaute belustigt von seinem hohen Fuchs auf mein kleines Pony hinunter: „Du hältst dich immer noch an das kleinere Format, wie ich sehe.“

Ich mußte lachen. Nein, Lasse hatte sich nicht verändert. Und dabei hatte ich ihn eine Ewigkeit nicht gesehen.

„Was ist eigentlich aus dieser Schimmelstute geworden, die du zusammen mit Madeleine gekauft hast?“

Das Lachen blieb mir im Hals stecken. Ich hatte mich riesig gefreut, Lasse so unerwartet im Wald zu treffen, und ich hatte für einen Augenblick alles andere vergessen. Aber nun wurde ich wieder an Siboney erinnert, denn sie war das Fohlen „dieser Schimmelstute“. Ich brachte kein Wort heraus.

„Hier in der Gegend scheinen noch andere Pferde erkältet zu sein“, meinte Lasse. „Heute morgen rief jemand meinen Onkel an und sagte, sie hätten zwei kranke Pferde auf dem Hof …“

Ich konnte Lasse nicht ansehen, weil ich dann sofort wie ein kleines Kind losgeheult hätte. Aber ich war ihm eine Erklärung schuldig: „Wir haben heute morgen angerufen. Kicki und ich. Oh, Lasse, wenn du wüßtest, wie furchtbar alles ist.“

Wir ritten Seite an Seite durch den Wald. Lasse kannte ich fast mein ganzes Leben lang. Wir besuchten als Kinder dieselbe Reitschule. Mein Onkel Magnus war dort Reitlehrer.

Eines Tages wurde die Reitschule geschlossen. Alle, die ich gern hatte – Menschen und Pferde –, wurden in alle Winde zerstreut.

Lasse hatte sich kaum verändert. Nur seine dunklen Haare waren etwas länger und seine Augen hatten etwas von ihrem schelmischen Glanz verloren, waren ein wenig ernster geworden.

Merkwürdig! Plötzlich konnte ich über alles sprechen. Ich erzählte von Siboney, und wie alles angefangen hatte, damals vor zwei Jahren, als Lasse mir einen Job auf dem Hof seines Bruders verschafft hatte …

Ich berichtete über Gazelle, die Schimmelstute, und wie Madeleine und ich uns nach dem Fohlen gesehnt hatten.

„Dieses Fohlen ist Siboney. Du hättest sie sehen müssen, als sie auf die Welt kam. Das knochigste Häufchen Elend, das man sich vorstellen kann. Sie war dunkelbraun, fast schwarz. Sie hatte übergroße, lange Ohren und sah furchtbar mürrisch aus. Wahrscheinlich war sie das häßlichste Fohlen der Welt. Aber ich war überglücklich. Ich liebte sie vom ersten Augenblick an.“

Lasse schwieg, und ich fuhr fort: „Du kannst dir meine Träume, meine Hoffnungen und Pläne vorstellen. Ich dachte immer daran, daß sie groß wird und ich sie eines Tages reite …“

„Und was passierte dann?“ fragte Lasse.

„Das ist es ja gerade. Es passierte nichts. Ich gab ihr Heu und Kraftfutter und Vitamine. Ich tat alles für sie. Aber sie wuchs nicht. Ich wollte es zuerst nicht wahrhaben, daß mit ihr etwas nicht in Ordnung sei. Jetzt muß ich es wohl einsehen … Und seit sie diesen Husten hat, frißt sie gar nichts mehr. Sie steht nur da und läßt den Kopf hängen.“

Ich schwieg. Ich hatte alles gesagt. Lasse schwieg auch. Aber ich spürte, daß er mich verstand und fühlte mich ein bißchen erleichtert.

Dann fiel mir etwas ein: „Sagtest du nicht, daß wir heute morgen mit deinem Onkel telefoniert haben?“

„Hmhm“, antwortete Lasse lächelnd. „Der neue Tierarzt ist mein Onkel.“

Wir näherten uns jetzt der Reitschule.

„Hast du etwas dagegen, wenn ich mit dir komme und auf meinen Onkel warte?“ fragte Lasse.

„Glaubst du vielleicht, es ist schöner allein zu warten?“

Lasse brachte seinen Fuchs auf eine der Koppeln und folgte mir in den Stall. Siboney lag in ihrer Box. Als wir mit Silber hereinkamen, raffte sie sich mühsam hoch. Den Hafer hatte sie nicht angerührt.

Eine Stunde später kam der Tierarzt. Er machte einen ruhigen, sympathischen Eindruck und war noch nicht so schrecklich alt. Zuerst untersuchte er Silber.

„Das Pony ist in guter Verfassung“, meinte er und schrieb nur eine Flasche Hustensaft auf.

Dann gingen wir zu Siboney.

„Ist das Pferd versichert?“ lautete die erste Frage des Tierarztes, nachdem er sich das Fohlen eine Weile angeschaut hatte. Das wirkte so kalt und nüchtern auf mich, daß ich mit Mühe und Not ein schwaches „Ja“ stammeln konnte.

„Ist sie schon immer so mager gewesen?“

Ich erklärte ihm, daß das gerade das Problem sei. Der Tierarzt murmelte irgend etwas Unverständliches und untersuchte Siboneys Zähne gründlich. Daß sie einen Unterbiß hatte, wußte ich. Aber der andere Tierarzt hatte gesagt, das sei nicht von Bedeutung.

„Lasse, sei so nett und hole mir aus meiner Tasche im Auto eine Mundklammer und eine Taschenlampe.“

„Wollen Sie Siboneys Zähne feilen?“ fragte ich vorsichtig. Dr. Södergren machte ein besorgtes Gesicht. „Ich fürchte, das würde in diesem Fall nichts nützen. Aber ich will mir ihr Gebiß doch noch genauer ansehen.“

Die Klammer hielt Siboneys Kiefer auseinander. Der Tierarzt leuchtete lange mit seiner Taschenlampe in das Maul meines Fohlens.

„Tja! Das habe ich befürchtet. Ein Unterbiß bedeutet, daß die Kaufläche verschoben ist. Das allein ist schon schlimm genug. Aber hier kommt noch ein anderer Fehler hinzu, den man Scherenbiß nennt. Ihr könnt selbst sehen, daß Oberund Unterkiefer sich kaum berühren. Die Kaumöglichkeit ist minimal. Dieses Pferd kann sein Fressen nicht verdauungsgerecht zerkleinern. Die Zähne beißen nicht aufeinander …“

Ich wollte nichts mehr hören. In meinem Kopf schien sich alles zu drehen.

„Kann man denn nichts machen?“ stammelte ich verzweifelt.

Doktor Södergren schaute mich teilnahmsvoll an und sagte: „Man soll ein Tier nicht unnötigen Qualen aussetzen. Die Antwort auf deine Frage – und ich weiß, daß das sehr hart klingt – ist, daß dieses Pferd verhungern muß. Es leidet schon lange. Das siehst du ja selbst. Es gibt keinen Grund, das arme Tier noch länger zu quälen.“

Am nächsten Tag sollte ein Auto kommen und Siboney abholen.

Ich wußte nicht mehr ein noch aus. Ich führte mein Fohlen ein letztes Mal über den Hof. Ich stolperte, und fiel hin. Meine Knie bluteten. Aber das merkte ich erst später.

Das Auto kam. Der Fahrer tauschte Siboneys weiches Lederhalfter mit geübter Hand gegen eine Kette aus. Eine kalte Eisenkette, wie Kühe sie haben. Dann zerrte er mein kleines Fohlen über die Ladebrücke in das Dunkel seines Wagens.

Eine Kette als Halfter. Ich glaube, das war das Schlimmste. Ich stand noch lange auf dem Hof. Endlich ging ich mit schweren Schritten zu meiner Wohnung.

Britta und die Pferde

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