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Ein lustiger Ritt im Schnee

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„Britta! Hilfe! Ich stürze …“

Typisch, dachte ich. Immer wieder müssen wir wegen Pia den schönsten Galopp unterbrechen. „Halte wenigstens die Zügel fest“, warnte ich sie und brachte mein Pony widerwillig zum Stehen. Ich drehte mich im Sattel um. Im Gestrüpp entdeckte ich Pia, die mit ihrer Nase mitten im weichen Schnee steckte.

Wie jeden Sonntag ritt ich als Reitlehrerin mit meiner Gruppe aus. Es war Dezember. Die Luft war mild und feucht. Sie schien in uns hineinzukriechen. Ich hatte einen viel zu warmen Pullover angezogen. Es tropfte von den Tannen, und halbgeschmolzene Schneebrocken fielen sanft auf uns und unsere Pferde.

„Was für ein ekelhaftes Wetter“, schimpfte Pia, als sie endlich wieder auf den Weg stapfte. Wütend befreite sie ihr sommersprossiges Gesicht von dem weißen Schnee. „Ein riesiger Schneeklumpen traf mein Pferd mitten im Galopp genau auf sein Hinterteil. Klatsch! Kein Wunder, daß es sich furchtbar erschreckt hatte.“

Pia schüttelte sich wie eine nasse Katze und krabbelte dann wieder auf ihr kleines, braunes Pony hinauf, das sie wie immer ohne Sattel ritt.

„Du lieber Himmel, bin ich naß geworden“, jammerte sie. „Na, macht nichts. Oder wißt ihr etwas Schöneres, als wenn einem eiskaltes, nasses Wasser langsam den Rücken hinunterrinnt …?“

Wir ritten weiter. Mein Pferd holte weit und schnell aus. Ich mußte es immer wieder zügeln, damit die anderen folgen konnten.

„Wie fühlst du dich auf Rauhbein?“ fragte ich Ann, die auf dem kräftigen Fjordpferd neben mir ritt.

„Ein bißchen ungewohnt“, antwortete sie. „Schließlich habe ich fast immer nur Silber geritten. Hoffentlich geht es ihm bald wieder besser!“

„Das hoffe ich auch“, erwiderte ich besorgt. „Es ist eine Qual, Billy zu reiten, wenn ich gleichzeitig auf euch aufpassen muß. Du siehst ja, wie er sich aufführt, wenn er auch nur einen Augenblick auf die anderen Pferde warten muß. Er beißt auf die Trense, schüttelt ungeduldig den Kopf und stampft verdrossen auf der Stelle.“

„Das stimmt. Ich möchte nicht mit dir tauschen“, erklärte Ann.

Sie klopfte liebevoll den Pferdehals mit ihren weichen Handschuhen. Ihr Pferd spielte mit den Ohren und trottete zufrieden weiter.

Billy blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Er mußte irgend etwas Merkwürdiges gesehen oder gehört haben. Ein leichtes Zittern lief über seinen Körper. Er hob den Kopf und spitzte die Ohren. Dann machte er ein paar schnelle Schritte vorwärts und wollte lostraben. Aber weil ich ihn zurückhielt, schüttelte er mißmutig seine dichte, unbändige Mähne. Billy war ein ausgesprochen kräftiges Pony. Ich konnte ihn kaum halten.

„Hallo!“ Kicki kam uns überraschend im Schrittempo entgegen.

„Donnerwetter! Sie reitet ja auf Lord Peter“, staunte Pia.

Kicki ritt den schwarzen Vollbluthengst am langen Zügel. Als sie uns sah, straffte sie die Zügel und hielt an.

„Hoffentlich habe ich euch nicht zu sehr erschreckt“, begrüßte sie uns und sah besorgt auf Billy, der versuchte, mit mir einen wahren Affentanz aufzuführen. Lord Peter neigte vornehm seinen Kopf ein wenig und wirkte natürlich im Vergleich zu den Ponys zierlich und elegant.

„Nein, nein“, beruhigte ich Kicki. „Aber ich bin dir doch dankbar, daß du nicht im Galopp auf uns zukamst …“

„Thomas hat mir für heute das Galoppieren verboten“, antwortete Kicki und spielte vielsagend mit ihrem rechten Zopf. „Er meint, daß Lord Peter Rückenschmerzen hat. Ich habe also strengste Anweisung, nur im Schritt zu reiten. Von wegen Rückenschmerzen. Lord Peter tänzelt und wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich in einen befreienden Galopp zu fallen. Stimmt’s nicht, alter Junge?“ flüsterte sie dem Pferd sanft schmeichelnd ins Ohr.

Dann blickte Kicki verwundert auf Billy und mich. „Das sind doch nicht Billys Zügel, oder?“

„Nein, ich habe die von Silber ausgeliehen“, antwortete ich. „Billys Zügel können jeden Augenblick reißen. Ich muß sie heute abend flicken.“

„Ja, ich möchte Billy auch nicht mit abgerissenen Zügeln reiten“, lachte Kicki. „Aber warum reitest du eigentlich nicht Silber?“

„Er hustet“, sagte ich bekümmert. „Dabei ist Silber sonst nie krank. Siboney geht es noch viel schlechter. Ich mache mir ernste Sorgen um sie. Sie hat Nasenausfluß und ist völlig teilnahmslos. Wahrscheinlich hat sie Silber angesteckt.“

„Du mußt unbedingt den Tierarzt anrufen“, mahnte Kicki.

„Das werde ich auch tun“, beteuerte ich. „Es ist nur … na ja, du weißt doch, Siboney, sie …“

Ich schwieg und sah meine Freundin hilfesuchend an. „Ich glaube“, fuhr ich leise fort und wich Kickis Blicken aus, „ich glaube, es geht jetzt nicht mehr länger. Siboney …“

Nein. Ich konnte nicht darüber sprechen. Auch nicht mit meiner besten Freundin. Das war einzig und allein mein Problem. Und ich mußte es lösen. Ich mußte die Entscheidung fällen. Ich ganz allein.

„Du, Kicki, sei mir nicht bös, aber ich muß jetzt mit den Kleinen weiterreiten“, sagte ich schnell. „Sonst gerät Billy noch außer Rand und Band. Außerdem müssen wir in einer Viertelstunde wieder zurück zur Reitschule.“

Kicki sah mich mit großen Augen an und schüttelte verwundert den Kopf. „Nun, wir sehen uns nachher“, sagte sie nur und ritt auf dem schwarzen Hengst davon.

Ich wandte mich meinen jungen Schülern zu und fragte: „Habt ihr Lust auf einen kleinen Galopp?“

„Jaa!“ riefen Cilla, Pia, Lillan und Ann begeistert.

Die Ponys freuten sich genauso wie wir und stürmten mit ausgelassenen Sprüngen davon. Ich mußte mich andauernd umdrehen um zu prüfen, ob auch noch alle im Sattel saßen. Pia war schon wieder fast neben die Ohren von Lillebror gerutscht und kreischte um Hilfe. Zugegeben, das sah wahnsinnig komisch aus. Die anderen konnten sich vor Lachen kaum noch auf ihren Pferden halten. Ich mußte das Tempo drosseln und wir ritten im Schritt weiter.

Die Kinder lachten und kicherten und schienen sich herrlich zu amüsieren.

Ich hörte ihnen nur mit halbem Ohr zu. Meine Gedanken kreisten um Silber und Siboney … Aber ich mußte mich zusammenreißen. Ich durfte Billy nicht eine Sekunde unbeobachtet lassen. Er würde das sofort ausnutzen, und dann konnte es mir passieren, daß ich zu Fuß nach Hause gehen mußte.

In den letzten Tagen hatte ich so oft an die beiden Ponys gedacht, daß ich auch nachts wach lag und grübelte. Am nächsten Morgen war ich dann wie gerädert. Obgleich ich blaß und traurig war, schien niemand zu bemerken, daß mit mir irgend etwas nicht in Ordnung war.

Ich gab mir alle Mühe, mich auf Billy zu konzentrieren. Aber der Kloß in meinem Hals wuchs, und meine Augen brannten. Ich wollte nicht weinen. Nicht jetzt. Ich mußte immer wieder an heute morgen denken, als ich die Stalltür öffnete: Silber, mein fröhliches, graues Waliser Pony hustete und krächzte. Ihn schien das weniger zu stören als mich, denn er machte sich mit ungemindertem Appetit über den Hafer her. Aber Siboney. Rundlich war sie nie gewesen. Im Gegenteil. Ich kannte kein knochigeres Fohlen als Siboney. Aber sie gehörte mir. Ich liebte sie. Ich hoffte immer … Und nun stand sie da mit hängendem Kopf. Sie sah erbärmlich aus. Der Husten erschütterte ihren abgemagerten Körper. Nahrung verweigerte sie. Ich durfte die Entscheidung nicht länger hinausschieben …

Wir waren gleich zu Hause. Zu Hause auf der Reitschule. Billy überquerte gerade einen kleinen Graben.

„Hilfe, mein Sattel!“ schrie Cilla plötzlich. Ich wandte mich blitzschnell um und sah gerade noch, wie sie mit dem Kopf voran im Graben landete. Sessan drehte sich mit dem Sattel, der ihm um die Ohren schlackerte, aufgeregt im Kreis. Das passierte leider nicht zum erstenmal … Sessans Sattelgurt konnte man so fest wie möglich schnallen, und nach einer Weile war er auf unerklärliche Weise wieder locker. „Ist das gemütlich im Schnee“, lachte Cilla und kletterte als Schneemann aus dem Graben.

„Kannst du den Sattel selber wieder in Ordnung bringen?“ fragte ich.

„Klar“, erwiderte Cilla seelenruhig wie immer.

„Pia“, rief ich erschrocken. Lillebror streckte die Vorderbeine in die Luft und ließ sich genüßlich in den Schnee fallen. Pia lachte aus vollem Hals. Es sah ulkig aus, aber mir war heute nicht zum Lachen zumute. Ich schüttelte den Kopf und sagte: „Ihr mit euren Streichen habt mir gerade noch gefehlt. Falls du Lillebror höflich bittest, sich zu erheben, können wir vielleicht weiterreiten.“

„Bist du heute komisch“, kicherte Lillan.

Pia kletterte immer noch lachend auf ihr Pony, und wir schritten über die Wiesen heimwärts. Man konnte die Reitschule jetzt sehen: den Stall, das Wohngebäude, das uns als Klubhaus diente, und das kleine Häuschen, in dem ich wohnte.

Auf einer der Koppeln galoppierte Lord Peter mit wehender Mähne und begrüßte uns wiehernd. Auf dem Übungsplatz ritt Hasse Organdie in kurzem Galopp. Vor dem Stall standen wie immer viele Neugierige herum. Es waren immer dieselben. Kicki schleppte einen Sack Sägespäne, und Thomas bastelte an seinem Auto herum.

All das spielte sich vor meinen Augen ab. Aber ich sah es nicht. Jeder war mit irgend etwas beschäftigt – genau wie immer. Aber zum erstenmal, seit ich vor ungefähr fünf Monaten als Reitlehrerin nach Dalen gekommen war, schien es mich nichts anzugehen, schien ich nicht dazuzugehören. Wie einsam ist man doch, wenn niemand die Sorgen kennt, die einen erdrücken.

Ich ritt auf den Hof. Ich hatte einen Entschluß gefaßt. Einen sehr schweren Entschluß.

Britta und die Pferde

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