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5.

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Nach einigen anfänglichen Schwierigkeiten hatte Schneider das Rizin soweit präpariert, um es für die Herstellung von Antiserum einzusetzen. Aber jetzt ergab sich ein neues Problem. Antikörper gegen Rizin gab es nirgendwo zu kaufen und es wurde bald klar, warum. Um Antiserum herzustellen, musste man Tiere mit Rizin immunisieren. Durch die giftige Wirkung des Rizins starben die Tiere, bevor sie überhaupt Zeit hatten, Antikörper zu bilden. Etwa so, wie es Georgij Markov in London ergangen war. Schneider versuchte es mit Rizinverdünnungen, aber ohne Erfolg. Nachdem er die Tiere mit dem verdünnten Rizin immunisiert hatte, musste er feststellen, dass die Menge des Giftes nicht ausgereicht hatte, um das Immunsystem der Tiere zu stimulieren. Auf diese Art bekam er keine Antikörper.

Aber es gab doch schon Impfungen gegen bakterielle Toxine! Schneider informierte sich, wie man es bei Tetanustoxinen, die Wundstarrkrampf auslösen, gemacht hatte. Der Trick war, das Toxin zu verändern, damit es nicht mehr giftig war, man nannte das Produkt ein Toxoid. Damit konnte man problemlos immunisieren. Das Toxoid musste aber dem Tetanustoxin noch so ähnlich sein, dass Antikörper erzeugt wurden, die auch mit dem ursprünglichen Toxin reagierten. Das klang einfach, aber war die eigentliche große Kunst. Ein mit dem Toxoid geimpfter Mensch wurde nicht krank, bildete aber Antikörper, die ihn bei einer Infektion auch gegen das tödliche Tetanustoxin schützen konnten.

Genau so musste es doch auch für Rizin funktionieren. Um ein Rizin Toxoid zu erzeugen, kam eine Reihe von Chemikalien infrage. Schneider musste ihre Wirkung ausprobieren und mit seinen Zellkulturen prüfen, ob das Rizin nach der Behandlung noch giftig war. Das war ein langer Weg und es war keinesfalls sicher, dass er am Ende neutralisierende Antikörper gegen das Gift in den Händen halten würde.


Bea drängelte. Sie brauchte das Antiserum, um den Nachweistest für Rizin aufzubauen und sie suchte den schnellen Erfolg. Schneider erzählte ihr von seinen Vorstellungen. Bea kannte sich mit Toxinen nicht aus, hatte aber schnell begriffen, worum es ging. Schneider führte Beas Nervosität auf ihren übersteigerten Ehrgeiz zurück. Er kannte die wahren Gründe nicht. Bea musste Griebsch und Hellman regelmäßig Bericht erstatten. Griebsch verlangte das von ihr als Vorgesetzter. Da er selbst wenig von der Sache verstand, ließ er sich leicht mit Allgemeinplätzen zufriedenstellen. Mit Hellman war es nicht so leicht. Hellman wollte Erfolge der AG-Toxine für sich vermarkten und Griebsch und Schneider kaltstellen. Hellman hatte Bea versprochen, ihren Mann Ronald mit einer Planstelle zu versorgen, wenn sie ihm Informationen lieferte, die seinem Vorhaben nutzten. Sie wusste, dass Hellman genug Einfluss bei Krantz hatte, um Ronald die Stelle zu verschaffen. Ihrem Mann erzählte sie nichts davon. Ronny war ehrgeizig. Er hatte schon einen Wissenschaftspreis gewonnen und hätte es abgelehnt, mithilfe seiner Frau und Hellmans Protektion eine Festanstellung zu erreichen.


Dem argwöhnischen Griebsch war bewusst, dass er für Krantz neben Hellman nur die zweite Garnitur war. Das kränkte ihn. Hatte er nicht stets versucht, sich bei Krantz in ein gutes Licht zu setzen? Für Krantz hatte er Artikel über biologische Waffen geschrieben und darauf verzichtet, dass sein Name als Autor genannt wurde. Überhaupt war er Krantz jederzeit zu Diensten. Aber es half nichts, der Mediziner Krantz und der Veterinär Hellman verachteten den Biochemiker Griebsch. Umso stärker, je mehr er sich bei ihnen anbiederte. Griebsch spürte das aus den Worten und der Körpersprache der beiden. Krantz schien in ihm nur einen nützlichen Idioten zu sehen. Hellman würde immer eine Nummer größer sein als er.

Irgendwann hatte Griebsch begriffen, dass es keinen Sinn machte, Krantz einfach nur hinterherzulaufen. Er beschloss, von nun an zweigleisig zu fahren. Äußerlich blieb er der loyale Beamte, in Wirklichkeit verfolgte er seine eigenen Pläne. Er würde sich die Anerkennung schon holen, die ihm zustand. Griebsch erhöhte den Druck auf Beatrix und gab ihr zu verstehen, dass Schneider sie nur ausnutzen wolle. Er versprach, ihr bei der nächsten Gelegenheit die Leitung der Arbeitsgruppe zu übertragen. Schließlich gehörte diese AG doch zu seinem Kompetenzbereich. Beatrix sollte ihn nur noch genauer darüber informieren, was in der AG vor sich ging. Vor allem genauer und früher als Hellman. Der Moment würde kommen, an dem er diese Informationen für seine Karriere nutzen könnte.

Für Bea schien das perfekt. Hellman wollte sich für ihren Mann einsetzen und Griebsch förderte ihre Karriere. Sie sollte ihm dafür doch nur Bericht erstatten und das war völlig normal. Selbst, wenn es Schneider nicht passte. Schneider galt bei Griebsch und Hellman nicht viel, von ihm hatte sie kaum etwas zu befürchten. Bald würden sie und Ronny gemeinsam die AG-Toxine managen.


Schneider war ganz in seiner Arbeit mit dem Rizin aufgegangen. Es machte fast soviel Spaß wie in alten Zeiten. Er hatte eine neue wissenschaftliche Herausforderung gefunden und begann, das Rizin mit allen möglichen Chemikalien zu behandeln. Manche wirkten sehr radikal und veränderten das Rizin zu sehr, sodass es für die Herstellung von Antikörpern nicht mehr geeignet war. Andere Stoffe zeigten dagegen kaum eine Wirkung. Schlimmer noch, denn Rizin erwies sich als ein hartnäckiger Stoff, dem chemischer Stress nicht viel ausmachte. Diese Versuche zogen sich lange hin, die Behandlungen brauchten Tage und danach mussten die Präparate an den Zellkulturen auf ihre Wirkung geprüft werden. Kein Wunder, dass es nirgendwo Antiserum gegen Rizin zu kaufen gab. Sämtliche Kataloge und Websites pharmazeutischer Firmen hatte Schneider durchgewälzt, nichts.

Zum Glück verlor Rizin nach einigen Tagen bei Umgebungstemperatur seine giftige Wirkung allmählich von selbst. Vielleicht lag darin auch die Lösung. Möglicherweise waren die natürlichen Abbauprodukte des Rizins besser geeignet für die Herstellung von Antiserum. Schneider nahm sich vor, mehr Arbeit darin zu investieren.


Wochen vergingen. Hellman drängte auf neue Ergebnisse und der Zeitvertrag von Ronny, der in zwei Monaten ablief, tickte in Beas Kopf wie eine Uhr. Bei der nächsten Pressekonferenz wollte Hellman über einen Durchbruch in der AG-Toxine berichten. Weil Schneider mit seinen Versuchen bisher nicht vorangekommen war, bestand Bea darauf, Kaninchen mit ansteigenden Mengen von Rizin zu immunisieren. Sie hoffte, Antikörper zu bekommen, bevor die Tiere an der Giftwirkung des Rizins starben. Schneider war skeptisch, aber er konnte Bea nicht daran hindern. Die Versuche endeten kläglich. Nach der Impfung mit geringen Mengen Rizin zeigten die Tiere keine Vergiftungserscheinungen, bildeten aber auch keine Antikörper. Beim Überschreiten einer bestimmten Dosis starben sie schnell und qualvoll, ohne vorher Antikörper produziert zu haben.

Als Schneider sah, wie tief enttäuscht Bea vor dem Käfig mit den toten Kaninchen stand, dachte er zunächst, es wäre wegen der Tiere, merkte aber bald, dass es nicht der Grund war. Dann glaubte er, es wäre ihr Ehrgeiz, weil sie als junge Wissenschaftlerin Erfolge brauchte. Inzwischen hatte er sich ein neues Verfahren zur Immunisierung überlegt und um Bea zu ermutigen, erzählte er ihr davon.

Rizin musste in die Körperzellen eindringen, um diese zu zerstören. Schneider hatte die Idee, Rizin mit einem zweiten, ungiftigen Stoff zu verbinden, damit es nicht mehr in die Körperzellen eindringen konnte. Das gekoppelte Rizin würde nur im Blutstrom zirkulieren, wo es keinen Schaden anrichten konnte, aber für das Immunsystem erkennbar war. Die Kaninchen würden gegen diesen Stoff Antikörper machen, zumindest hoffte Schneider das. Bisher war es nur eine Idee. Bea rechnete sich aus, dass für die notwendigen Versuche viel mehr Zeit vergehen würde, als ihrem Mann Ronald verblieb. Aber Schneiders Idee klang gut und sie nahm sich vor, der Entwicklung vorzugreifen. Als sie das nächste Mal bei Hellman vorsprach, stellte sie die ganze Sache als schon realisiert dar, damit Hellman sich endlich für ihren Mann einsetzte.

Hellman nahm die Neuigkeit gerne auf und berichtete zwei Wochen später auf einer Pressekonferenz über einen Durchbruch zu einer Rizin Schutzimpfung. Den Erfolg der AG-Toxine schrieb er hauptsächlich dem Wirken des Duos Krantz und Hellman zu. Die Pressevertreter griffen das gerne auf und revanchierten sich mit positiven Artikeln. Damit rückte die Existenz der AG-Toxine, die Hellman in der Pressekonferenz erwähnt hatte, zum ersten Mal in das Licht der Öffentlichkeit.

Nach der Pressekonferenz häuften sich Anrufe von Journalisten im Institut. Manche davon fanden den Weg bis in das Büro von Schneider. Der wollte nicht mit einer unausgegorenen Geschichte in Zusammenhang gebracht werden. Zuerst verwies er die Journalisten an die Pressestelle des IEI gemäß der offiziellen Anweisung von Krantz. Sollten Krantz und Hellman sich doch darstellen, wie sie wollten. Aber die Rivalität zwischen Griebsch und Hellman war ihm nicht verborgen geblieben. Im Institut sprach man so offen davon, dass es jeder mitbekommen musste. Schneider hatte sich schon gewundert, dass Griebsch bei der Pressekonferenz nicht zu sehen gewesen war. Alles Weitere lieferte die Gerüchteküche des Instituts, deren Herdplatten nie kalt wurden.

Bald kam Schneider der Gedanke, dass es besser sei, wenn Griebsch und Hellman sich miteinander beschäftigten, anstatt mit ihm. Dafür konnte er etwas tun. Er musste nur alle Anrufe von Journalisten an Griebsch weiterleiten. Formal war das korrekt, Griebsch war sein Vorgesetzter. Für Griebsch sah es so aus, als würde Schneider den Dienstweg genau einhalten. Bei diesem Gedanken musste Schneider in seinem Büro plötzlich so laut auflachen, dass Tanja an die Tür kam und ihn erstaunt ansah.

Die Pressestelle des IEI war für Journalisten eine unergiebige Nachrichtenquelle. Sie waren froh, endlich an einen wirklichen Experten vermittelt zu werden. Bevor er ihre Anrufe weiterleitete, erzählte Schneider ihnen, Griebsch sei der geistige Vater der Rizinforschung am Institut. Ein Universitätsprofessor und ausgewiesener Biochemiker. Leo Schneider und Beatrix Nagel seien nur bei Griebsch im Labor beschäftigt und hätten nichts zu berichten. Die Journalisten stiegen darauf ein. Griebsch war ein neuer Kontakt und nach den langweiligen Mitteilungen aus der Pressestelle hofften sie auf spannendere Informationen.


Horst Griebsch saß am Schreibtisch und stellte gerade seine Kaffeetasse ab, als das Telefon klingelte. Wie immer ließ er es erst dreimal läuten, bevor er abnahm, um sein barsches Grippsch in den Hörer zu blaffen. Er war schlecht gelaunt. Die Pressekonferenz, zu der man ihn nicht eingeladen hatte, lag noch nicht lange zurück. Am Telefon war ein Journalist. Griebsch war überrascht, der Mann schien ihn recht gut zu kennen. Als der Journalist ihm dann erzählte, er kenne die Hintergründe und wüsste, dass nicht Hellman, sondern er der Experte für Rizin sei, taute Horst Griebsch schnell auf. Er wusste nichts von Schneiders Hintergrundaktivitäten. Der Journalist hatte schnell gemerkt, wie Griebsch sich geschmeichelt fühlte, nachdem er ihm das gesagt hatte. Alsbald hatte Griebsch einen Termin für sein erstes Interview.

Nachdem Horst Griebsch noch mehrere derartige Anrufe erhalten hatte, gewann er allmählich die Überzeugung, ein hinlänglich bekannter Bioterrorismusexperte zu sein. Das baldige Angebot auf ein exklusives Interview für eine überregionale Zeitung empfand er schon als eine Selbstverständlichkeit. Leo Schneiders Saat war aufgegangen, allerdings hatte er nicht bedacht, was Griebsch den Journalisten alles erzählen würde. Schneider wusste nicht, dass Bea alle drei Tage bei Griebsch vorstellig wurde und aus der AG-Toxine berichtete. Manches davon hatte Griebsch nicht richtig verstanden und Dinge, die erst in der Planungsphase waren, hielt er für schon verwirklicht. Dieses Gemisch aus Fantasie und Wirklichkeit vermarktete er für sein Interview. Sein professoraler Habitus gab das Übrige, um ihn zu einem idealen Kandidaten für einen Artikel auf der Wissenschaftsseite der Frankfurter Zeitung zu küren. Nach dem Interview ließ er sich noch gerne dazu bewegen, neben der Marmorbüste des Institutsgründers für ein Foto zu posieren.


Als Schneider an einem Morgen in sein Labor kam, hatte ihm Tanja die aufgeschlagene Frankfurter Zeitung auf den Tisch gelegt. Im Wissenschaftsteil gab es eine ganze Seite mit dem Interview und einem Foto von Griebsch, wie er mit gedankenvoller Miene neben der Büste des Institutsgründers stand. „Lies mal“, sagte Tanja wütend. „Da steht, Griebsch hat das alles selbst gemacht, wofür wir uns hier die ganze Zeit abrackern.“

Tatsächlich, in dem Artikel mutierte Griebsch zum großen Rizin Experten, der durch seine Forschungen gezeigt hatte, wie man das Teufelszeug neutralisiert und dagegen einen Impfstoff herstellt. Es war nicht klar, ob Griebsch oder der Journalist übertrieben hatte, aber das war eigentlich nebensächlich. Weniger nebensächlich waren die Einzelheiten, die dort standen. Einzelheiten, die weder Griebsch noch der Journalist kennen konnten, es sei denn, jemand hätte ihnen diese Informationen gegeben. Weder er noch Tanja kamen dafür infrage. Schneider fühlte deutlich sein Herz klopfen. Bei dem Gedanken, dass sein Labor überwacht wurde und jemand ihre Aufzeichnungen registrierte, wurde ihm schlecht. Er las den Artikel ein zweites Mal, fand aber keine Namen, nur allgemein die AG-Toxine. IEI Direktor Krantz wurde für sein Wirken des Lobes voll erwähnt. Das passte zwar nicht in den Zusammenhang, aber es wunderte Schneider auch nicht.

„Griebsch hat das Interview bestimmt nicht vorher von Krantz absegnen lassen“, sagte Leo zu Tanja. „Krantz hat angeordnet, dass alles, was an die Presse gehen soll, ihm erst vorgelegt werden muss. Der hätte doch dieses Interview nach der letzten Pressekonferenz gar nicht akzeptiert. Ich glaube, Griebsch hat das einfach allein durchgezogen, weil er gegen Hellman punkten wollte. Den letzten Absatz mit der Lobeshymne auf Krantz hat er nur eingebracht, um ihm zu schmeicheln.“

Tanja war noch mehr geladen, als Leo dann sagte: „Lass den Griebsch doch angeben. Vielleicht hilft uns das und wir bekommen für die AG-Toxine personelle Unterstützung. Vielleicht kommt Karin wieder zurück in unsere Gruppe.“ Er glaubte das aber nicht wirklich und Tanja brummelte verärgert: „Früher hättest du dir das nicht so einfach bieten lassen.“

„Hast du wirklich Lust darauf, dass dein Name im Zusammenhang mit Biowaffen in der Zeitung steht?“, fragte Leo. „Da fällt mir ein, wolltest du nicht im Sommer nach New York fliegen? Ist dir klar, auf welchen CIA Listen du erscheinst, wenn dein Name in diesem Zusammenhang in der Presse erscheint?“ Bei diesem Stichwort fiel Schneider Sam Stevenson ein, ein Gastwissenschaftler aus den USA, ohne eigenes Projekt, der in den letzten Wochen durch die verschiedenen Abteilungen des IEI geschleust wurde.

Tanja überlegte und ihr fielen Drewitz und die Stasiakten aus der Glinkastraße ein, die es nie gegeben hatte, oder nicht mehr gab. „Stimmt, daran habe ich gar nicht gedacht, als ich den Artikel gelesen habe. Unsere Arbeit hat sich so verändert. Früher waren wir stolz, wenn unsere Sachen veröffentlicht wurden und jetzt? Wir können nichts mehr publizieren, ohne das Krantz, Hellman und Griebsch bestimmen wann, wo und was.“

„Aber auch weil wir keine Lust haben, ins Fadenkreuz von irgendwelchen Spinnern zu geraten“, fügte Leo hinzu. Nachdem er sich wieder gefasst hatte, las er den Artikel erneut gründlich Wort für Wort. Nein, weder er noch Tanja waren darin erwähnt. Er war froh, dass Griebsch so eitel gewesen war, sich selbst und nur sich selbst als den größten Rizinexperten aller Zeiten dargestellt zu haben.


Tanja ließ die Sache trotzdem keine Ruhe. Am nächsten Tag fragte sie Schneider, ob er nicht ein anderes Projekt für sie hätte. Etwas, von dem man nicht morgen wieder in der Zeitung lesen müsste. Schneider brauchte Tanja nicht mehr so oft für die Rizinarbeiten und war damit einverstanden. Es gab schließlich noch ein zweites Projekt, das sie bearbeiten mussten: Botulinumtoxin, kurz BoNT. Da Tanja gerne mit Bakterien arbeitete, ermutigte Leo sie, sich darin einzuarbeiten und die Clostridien, die das BoNT produzierten, zum Wachsen zu bringen. Vielleicht konnten sie dadurch auch mehr über die undichte Stelle im Labor herausfinden. Sie beschlossen, mit niemandem über das BoNT Projekt zu reden und alle Aufzeichnungen darüber nicht auf dem Institutsrechner, sondern nur auf einem USB-Stick zu speichern. Das war eigentlich verboten, aber die Leute aus der IT-Abteilung kümmerten sich gewöhnlich nicht um solche Einzelheiten. Die hatten schon genug Sorgen, das Netzwerk am Laufen zu halten. Hellman und Griebsch schienen Leo und Tanja nicht als versiert genug, um selbst virtuell schnüffeln zu können.

Tanja war der einzige Mensch im IEI, dem Leo Schneider noch vertraute. Da sie sich schon so lange kannten, gingen sie miteinander um wie ein altes Ehepaar, gerade weil nie etwas zwischen ihnen gelaufen war. Nach dem veröffentlichten Interview mit Griebsch hatte Schneider Bea in Verdacht, ihm die Informationen zugesteckt zu haben. Schlimm genug, wenn es so war, aber noch schlimmer, wenn sie auf eine andere, unbekannte Art abgehört wurden. Vielleicht würden sie es ja doch noch herausbekommen. Wenn es bald ein Interview über Botulinumtoxine gäbe, wüssten sie zumindest Bescheid.

Von einem Kollegen aus Leipzig hatte Schneider Clostridienstämme bekommen, die verschiedene Typen von Botulinumtoxin produzierten. Allerdings konnte man die Clostridien nicht in der normalen Atmosphäre wachsen lassen, weil sie gegenüber Sauerstoff empfindlich waren. Außerdem brauchten diese Bakterien Eiweiß als Nahrungsquelle. Tanja musste die Clostridien deshalb in eine Fleischbouillon einimpfen und in Gastöpfen bebrüten, in denen der Luftsauerstoff durch Stickstoff ersetzt worden war. Unter diesen Bedingungen gediehen sie gut und produzierten auch das Botulinumtoxin. Tanja gefiel die neue Aufgabe, vielleicht erinnerte sie die Arbeit mit den Clostridien, die nur auf Leichen wuchsen, an ihre frühere Stelle in der Gerichtsmedizin. Jedenfalls konnte sie den Gestank, der von diesen Bazillen ausging, erstaunlich gut ertragen.


Währenddessen führte Schneider seine Experimente mit Rizin weiter fort und hielt Beatrix nur so weit wie nötig darüber auf dem Laufenden. Aber er war aufmerksam. Wenn er Bea traf, beobachtete er sie und suchte nach Anzeichen, die ihm verdächtig vorkamen. Im Büro ließ er sie mitten im Gespräch sitzen. Er sagte, er müsste Unterlagen holen, um kurz danach plötzlich wieder aufzutauchen. Er wollte sie dabei ertappen, wenn sie in seinen Protokollen wühlte oder in seinen Computerdateien. Aber Bea verhielt sich unverdächtig. Der Blick ihrer grauen Augen blieb unbefangen und hielt dem seinem stand, als er sie fragte, ob Griebsch die Sachen aus dem Interview von ihr hatte. Leo Schneider wusste nicht mehr, wem er glauben sollte.

Natürlich drängelte Bea immer mehr, ohne Antiserum konnte sie keine Nachweismethode entwickeln und Hellman setzte sie weiterhin unter Druck. Schneider wusste von Ronalds Zeitvertrag und wie sehr diese Situation Ronald und Bea belastete. Er selbst hatte bis zum Alter von neununddreißig Jahren unter solchen Bedingungen gearbeitet und trotzdem hinderte ihn ein unbestimmtes Gefühl daran, ein positiveres Bild von Bea zu gewinnen. Leo Schneider forschte weiter an der Entwicklung des Rizinantiserums, weil ihn interessierte, ob es funktionieren würde, so wie er es sich vorgestellt hatte. Bea redete ihm nach dem Fiasko mit ihren Immunisierungen nicht mehr in seine Versuche rein.

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