Читать книгу EHEC-Alarm - Lothar Beutin - Страница 27
Kiel, 2. 5. 2011
ОглавлениеAm Montag, als Harald im Institut eintraf, nahmen die Dinge einen anderen Verlauf, als er es sich vorgestellt hatte.
„Du sollst gleich zu Jörg in sein Büro kommen“, sagte Ines, die schon fleißig ihre Reagenzgläser füllte. Man sah ihr nicht an, wie viele Stunden sie damit heute schon zugebracht hatte.
„Worum geht es denn?“, fragte er.
Ines zuckte mit den Achseln und sagte: „An deiner Stelle würde ich ihn nicht warten lassen.“
„Du bist heute sowieso schon ziemlich spät dran“, fügte sie nach einem Blick auf ihre Uhr hinzu, um sich danach wieder ihren Reagenzgläsern zuzuwenden.
Ob Jörg vielleicht schon im Bilde war, mehr wusste, als Harald glaubte? Vielleicht hatte dieser Schläger vom Bauernhof die Nummer auf der Visitenkarte schon angerufen? Harald fühlte deutlich seinen Herzschlag in der Brust, als er bei Jörg anklopfte und in sein Büro trat.
Jörg blickte von seinem vollgepackten Schreibtisch hoch und machte ein verblüfftes Gesicht. „Sag mal, wie siehst du denn aus? Hattest du einen Unfall?“
Jörg deutete mit seinem Finger auf ihn, nachdem er die blauen Flecken auf seinem Gesicht bemerkt hatte.
Er weiß, was gestern passiert ist, dachte Harald und wurde blass. Er nuschelte: „Bin auf der Treppe hingefallen, ist weiter nix Schlimmes.“
Zu Haralds Überraschung interessierte sich Jörg nach dieser Antwort schon nicht mehr für sein marmoriertes Gesicht und kam zum Thema: „Also Harald. Ich muss mal mit dir reden. Du hast ja inzwischen hier schon einiges gelernt, wie mir Alexander erzählt hat. Er traut dir noch mehr zu, sagt er. Ich denke, dein Klonierungsprojekt lässt noch Platz für weitere spannende Sachen, hm?“
Harald stand vor Jörgs Schreibtisch und nickte stumm. Er wusste nicht genau, worauf Jörg hinauswollte. Ihm kam der Gedanke, Jörg fand, er würde auf seinem Projekt zu wenig leisten.
Jörg ließ ihm keine Zeit für weitere Spekulationen.
Ob Harald nicht Lust hätte, an einem neuartigen EHEC-Stamm zu arbeiten, fragte Jörg. Ein Stamm von einer Kieler Patientin, mit neuartigen Eigenschaften.
„Das wäre doch mal interessant, dem weiter nachzugehen, oder?“
Harald schluckte deutlich, dachte an Marie und sah Jörg stumm an.
„Setz dich doch endlich mal hin, Harald!“ Jörg deutete ungehalten auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Bist ja wie auf dem Sprung!“
„Hör mal“, sagte Jörg verschwörerisch, als Harald jetzt vor ihm saß. „Dieser EHEC-Keim ist vielleicht gefährlich! Die Frau ist vor ein paar Tagen im Krankenhaus daran gestorben!“
Er beobachtete Harald, der sich mit halb offenem Mund auf den angebotenen Stuhl hatte sinken lassen. „Könnte sein, dass da was Größeres dahintersteckt, Harald. Möglicherweise gibt es noch mehr Patienten mit diesem EHEC-Typ.“
Jörg war nicht entgangen, dass Harald blass wurde und seine Hände unwillkürlich zu Fäusten ballte. Was war los mit dem? Hatte der plötzlich Schiss damit zu arbeiten, weil der EHEC-Keim gefährlich war?
Harald stotterte, als er zustimmte. Jörg fand das noch merkwürdiger. „Was bist du so nervös, Harald?“, fragte er lauernd. „Hast du etwa Angst vor dem Projekt?“
Harald gab zunächst darauf keine Antwort, der Gedanke an Marie hielt ihn fest, dann fing sich wieder. „Ich mache es, ist klar.“
Jörgs Gesichtsausdruck blieb immer noch skeptisch.
„Nein wirklich, ist klar, ich bin nur überrascht“, bekräftigte Harald.
„Na gut“, sagte Jörg und schien damit zufrieden zu sein. „Am besten du gibst zu Beginn und während des Projekts regelmäßig Stuhlproben an Sybille. Die kann dann prüfen, ob du dich nicht infiziert hast. Vielleicht gibt dir das mehr Sicherheit bei dem Projekt!“
„Okay, klar“, sagte Harald nur.
„Noch was. Erzähl den anderen bitte noch nichts davon. Besonders Marko nicht, sonst gibt es wieder nur Neid und Eifersüchteleien. Den EHEC-Stamm kannst du dir von Sybille geben lassen, sie weiß Bescheid. Dann mach mal einen Forschungsplan. Schreib auf, was du alles mit dem Stamm anstellen willst.“
Jörg griente ihn an. „Den Forschungsplan zeigst du mir aber, bevor du loslegst. Das war’s fürs Erste. Ich bin gespannt, was dir an Experimenten so einfällt.“
Damit war für Jörg das Gespräch beendet.
Harald erhob sich mühsam aus dem Stuhl. Als er sah, dass Jörg sich bereits von ihm ab und seinen Papieren wieder zugewandt hatte, verließ er das Büro auf wackligen Füßen.
Das war der EHEC von Marie. Wusste Jörg wirklich nichts, oder tat er nur so? Auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz kam Harald an Sybilles Labor vorbei. Die Tür stand halb offen, er blieb stehen und schaute hinein.
„Du siehst ja kreidebleich aus“, stellte Sybille fest. Sie schaute genauer hin, runzelte die Stirn und kam näher. „Was ist denn mit deinem Gesicht passiert? War es beim Chef so schlimm?“ Sie lachte verlegen und strich sich eine Locke aus der Stirn. „Na, du bist doch gerade aus seiner Tür herausgekommen.“
„Nein, das war ein Unfall, bin ausgerutscht“, murmelte Harald. „Du ich weiß nicht. Er will, dass ich mit dem neuen EHEC-Stamm arbeite, den ihr aus dem städtischen Krankenhaus bekommen habt.“
„Ach so? Ich dachte, Marko wollte sich darum kümmern“, sagte Sybille.
„Marko?“
„Ja, Marko hatte Jörg danach gefragt und mich gebeten, ihm den EHEC anzuzüchten.“
„Davon hat mir Jörg nichts gesagt, aber dieser EHEC, das ist der …“ Haralds Stimme stockte. Sybille merkte jetzt, dass er kurz vor einem Zusammenbruch stand.
„Komm, wir gehen mal ein Stockwerk tiefer, da haben wir mehr Ruhe“, sagte Sybille besorgt und zog Harald an seiner Hand hinter sich her über den Flur. Sie gingen die Treppe hinunter bis in den ersten Stock. Dort war ein Seminarraum, der nur selten genutzt wurde. Sybille zog die Tür hinter sich zu und platzierte Harald wie ein kleines Kind auf einen der Stühle, die um den ovalen Tisch herumstanden.
„Jetzt erzähl mal, was los ist!“, sagte sie.
Harald hob seinen Kopf, sah Sybille unendlich traurig an und aus seinen braunen Augen flossen Tränen. Sybille stand dicht vor ihm, streichelte sein Haar und drückte seinen Kopf an ihren Bauch. Nach einer Weile durchzuckten die Weinkrämpfe Harald seltener und er fing stockend an, zu erzählen. Je länger er redete, desto mehr flossen seine Worte, während die Tränen versiegten. Er ließ nichts aus von dem, was er in den letzten Wochen erlebt und sich dabei gedacht hatte. Sybille hatte für ihn wieder die Stelle seiner großen Schwester eingenommen.
Als er zu Ende gekommen war, fasste Sybille zusammen. „Also, du bist absolut sicher, dass die Patientin, die an dem EHEC gestorben ist, deine Freundin Marie war?“
Harald nickte kaum merkbar.
„Und du meinst, Jörg hat sich mit ihr getroffen und sie mit seinem EHEC angesteckt? Ist es das, was du denkst?“
„Getroffen..! Er hat sie gevögelt“, sagte Harald. „Da bin ich mir sicher!“
„Das glaubst du doch nur, weil du seine Visitenkarte bei ihr auf dem Bauernhof gefunden hast!“
Sybilles Stimme war jetzt voller Zweifel. „Also ich weiß nicht so recht. Er verteilt doch seine Karten ziemlich wahllos an alle möglichen Leute. Frau Steiner hat mir erzählt, sie müssen ständig neue Visitenkarten für ihn nachdrucken lassen.“
Sie seufzte. Es war Jörg zuzutrauen, dass er es versucht hatte, mit dieser Frau. Gerade weil er wusste, dass sie mit einem seiner Studenten liiert war. So etwas stimulierte ihn. Das Alphatier schnappt dem Jüngeren die Frau weg. Ein richtiger Macho, sie kannte ihn ja. Aber einen wirklichen Beweis hatte Harald doch nicht. Wenn Haralds Geschichte mit der Ansteckung stimmen sollte, wäre es ein dickes Ding. War Jörg vielleicht deswegen ein paar Tage zu Hause geblieben, um sich in Ruhe mit Marie zu treffen? Und wenn er bereits wusste, dass er eine EHEC-Infektion hatte und sich trotzdem mit ihr eingelassen hatte? Sybille konnte sich das nicht vorstellen, aber malte sich in Gedanken so einiges aus. Zumindest gäbe es einen im Institut, der sich tierisch freuen würde, wenn das alles so gewesen war und dann herauskam. Aber jetzt musste sie Harald erst einmal beruhigen.
„Zuerst ist es nicht sicher, dass die EHEC-Stämme von Jörg und von Marie die gleichen sind. Es gibt schließlich Hunderte von verschiedenen EHEC-Typen“, konstatierte Sybille.
„Aber du hast doch gesagt, die beiden EHEC sind sich ähnlich. Was wäre denn daran so schlimm, wenn du Jörgs EHEC zur serologischen Bestimmung an das Zentrallabor schicktest?“, bat Harald.
„Schlimm? Was stellst du dir vor? Ohne Jörg zu fragen? Niemals! Ich riskiere doch nicht meine Stelle für so etwas. Wenn die vom Zentrallabor sich dann bei ihm mit dem Ergebnis melden, wie soll ich denn das erklären? Selbst wenn alles stimmt, wie du es sagst, er hat seinen EHEC ja sicherlich nicht absichtlich weiterverbreitet. Er war nicht einmal krank und außerdem war seine zweite Stuhlprobe schon EHEC-negativ.“ Sybille lief nervös auf und ab, während sie vor sich hinredete.
Plötzlich öffnete sich die Tür. Im Türrahmen stand Marko Brant und starrte auf Sybille und Harald. Sein faltiges Gesicht verzog sich allmählich zu einem schiefen Grinsen, das durch die hängende Zigarette in seinem Mundwinkel noch verstärkt wurde. „Na so etwas! Ihr beide hier, so ganz allein? Eine Zweierkonferenz?“, stichelte er.
„Was gibt es denn?“, fragte Sybille kalt.
„Eigentlich suche ich Holger.“
Sybille zeigte mit der Hand in den Raum. „Bitte sehr, vielleicht findest du ihn hier irgendwo.“
„Man wird ja wohl mal fragen dürfen?“ Marko zog beleidigt ab und ließ die Tür offen stehen.
Sybille kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Nach einer Weile sagte sie schließlich: „Wenn du Genaueres wissen willst, dann musst du dich selbst darum kümmern, Harald. Schließlich hat Jörg dich doch gerade damit beauftragt, mit dem EHEC aus dem Krankenhaus zu arbeiten!“