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Kleines Zwischenspiel (Rückschau)
5.

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Wenn man in die Kirche einbricht und das Heiligenbild zerstört, so gebühren einem von Rechts wegen der nordwärts gerichtete Baum und das zehnspeichige Rad.

Fivelgoer Recht, 71. Küre

Campus beate Marie (Kloster Marienkamp,)

am Tage der heiligen Apostel Philippus und Jakobus

Anno Domini 1345 (Dienstag, 3. Mai)

Der Reiter verhielt kurz, richtete sich im Sattel auf und sah sich nach allen Seiten um. Die Abtei stand hinter einer flachen Erhebung im Nordosten, das Hauptgebäude neben der Kirche erhob sich dunkel und massig gegen den düsteren Abendhimmel. Die ungewöhnliche Kälte und Nässe dieses Frühjahrs hatte auch diesen Tag gepackt und umklammerte ihn zäh und unerbittlich. Von See her fegten immer wieder scharfe Böen heran, die unter die Kutte fuhren und ins Fleisch bissen. Es folgte ihm niemand, davon war er nun überzeugt, er drehte die Schulter in den Wind und trat seinem Maultier in die Flanken.

Die Nachricht hatte ihn erst heute früh, noch im Morgengrauen, erreicht. Ein Mönch hatte sie gebracht, er kannte das graue, mürrische Gesicht, ohne sich seines Namens zu erinnern. Der Befehl des Abtes war ebenso eindeutig wie strikt gewesen: Nach der Vesper hatte er sich einzufinden, man erwarte ihn und es sei nicht nur das Kapitel vertreten, sondern auch hohe Geistlichkeit, was immer das bedeuten mochte. Einen Grund oder Anlass hatte der Bruder nicht genannt, aber angedeutet, es handele sich keineswegs um Routine. Ton und Verhalten des Boten hatte ihn in eine tiefe, ängstliche Unruhe versetzt. Noch einmal erforschte er sein Gewissen, während er sich dem Vorwerk des Klosters näherte. Er fand nichts Belastendes, musste aber einräumen, dass der Mensch, und also auch er selbst, sündhaft und seine Seele vor Gott stets befleckt sei.

Das machte ihn nicht ruhiger. Der Bruder Pförtner maß ihn streng und abweisend und schickte nach einem Novizen, während ein Helfer des Stallmeisters ihm das Maultier abnahm. Der Novize kam, verneigte sich wortlos und führte ihn in aller Eile zur Klause des Abtes, die über dem Dormitorium73 lag. Während sie durch die Flure und Gänge hasteten, begegnete ihnen niemand. Leer und kalt war auch die Wohnung des Abtes, zu der ihm der junge Mönch mit einer weiteren Verneigung die Tür geöffnet hatte. Er stand und wagte nicht, sich zu regen.

Der Raum war mit einigen Kerzen mäßig erleuchtet, die Feuerstelle war unbeheizt. Im Hintergrund stand die Kniebank Abt Hilderaads unter einem Marienbildnis, daneben weitere Kerzen, über das Armpolster der Bank war ein Rosenkranz gelegt.

Er hörte Schritte und sein Herz begann zu pochen. Neben dem Marienaltar öffnete sich eine ihm bis dahin verborgen gebliebene Tür und der Bruder Cellerar74 trat ein, Gottfried von Diest, sein alter Feind. Und dahinter Abt Hilderaad und dann der Erzbischof von Brema. Er sank taumelnd in die Knie, aber ein barscher Befehl des Abtes holte ihn zurück auf die Füße. Die Herren nahmen Platz, zuerst der Kirchenfürst, dann Hilderaad und Gottfried, während er stand. Niemand forderte ihn zum Sitzen auf, obwohl es noch einen Schemel gab, er sah ihn neben dem Schreibtisch des Abtes, an dem Hilderaad auch aß. Die Atmosphäre war gespannt, und das eisige Schweigen machte ihm zu schaffen. Er wartete, den mönchischen Regeln entsprechend, mit gesenktem Kopf darauf, dass er angesprochen wurde.

Von der Klosterkirche kam das Läuten zum Completorium75, ohne dass irgendetwas geschah. Er fragte sich nicht, warum weder der Erzbischof noch der Abt und sein Cellerar am Nachtgebet teilnahmen, sondern betete still und im Wechsel ein Vaterunser und danach ein Ave Maria, und dann sprach der Abt ihn an.

»Nun, Bruder Ludgerus?«

Er hob den Kopf und fing einen Blick des Erzbischofs auf, der in unter hängenden Lidern musterte. »Hier bin ich, Vater, wie du befohlen hast«, sagte er hastig und sah Hilderaad nicken. Die Augen des Bruder Cellerar waren flach und ausdruckslos, die Pupillen einer Eidechse, er hatte sie immer gehasst.

»Seine Eminenz, der Erzbischof, hat mit dir zu reden«, fuhr der Abt fort und Otto winkte den Mönch mit einer müden Bewegung zu sich.

Er trat eilfertig hinzu, sank in die Knie und küsste die dargebotene Hand mit dem goldenen Siegelring. »Ich grüße Euch, Vestra Sanctitatis76«, sagte er unterwürfig.

Die beiden Mönche wechselten einen raschen Blick und auf den Zügen des Abtes stand nun ein geringschätziges Lächeln. Der Erzbischof nahm die schmeichelnde Anrede ohne Regung entgegen. »Du bist der Pfarrer in Eesensem und dein Schollenherr ist Magnus tom Diek?«, fragte Otto gelangweilt und Bruder Ludgerus hob überrascht den Kopf, um ihn gleich danach demütig wieder zu senken.

»Jawohl, Vestra Sanctitatis«, antwortete er und Hilde­raads Lächeln verschwand.

»Ich strebe nicht nach dem Stuhl Petri«, sagte der Erzbischof träge, aber mit deutlichem Unwillen in der Stimme und Ludgerus sank ein Stückchen in die Knie.

»Jawohl, Eure Eminenz!«

»Was weißt du von ihm?«, fragte Otto und der Kirchspielpfarrer brauchte einen Moment, um sich klarzumachen, dass nun wieder sein Schollenherr gemeint war.

»Er ist getauft, Herr«, sagte er vorsichtig und äugte in Richtung auf den Abt. »Aber er trägt noch immer das Runenholz seiner Väter, auch in der Kirche.« Er sah, wie der Erzbischof die Stirn runzelte.

»Daran ist nichts verwerflich, solange er dem Herrn gehorsam ist«, sagte Otto und beugte sich vor. »Er ist doch gehorsam?«

»Ich weiß nichts anderes, Eure Eminenz«, erwiderte Bruder Ludgerus beflissen und wollte dann fortfahren, aber der Kirchenfürst hob die Hand und wechselte das Thema.

»Berichte mir von deinem Kirchspiel!«

Die verdeckte Tür öffnete sich erneut und ein Gehilfe des Bruders Cellerar brachte ein Tablett mit Brot, kaltem Braten und Bier herein. Vor Schreck vergaß der Mönch zu antworten und starrte entsetzt auf diesen Vorgang. Es war unerhört, dass in der Abtei um diese Zeit noch gegessen werden sollte. Das Completorium war vorüber und die Mönche, und zwar alle, hatten zu beten oder zu schlafen. Sonst nichts. Er wartete auf eine scharfe Zurechtweisung des Abtes, auf einen harten Befehl, der den Adlatus hinausscheuchen würde, denn natürlich übertrat der Kellermeister seine Befugnisse. Aber nichts dergleichen geschah und der Erzbischof von Brema sah mit Wohlgefallen auf das Tablett. Anscheinend hatte der Bruder Cellerar den Geschmack des Kirchenfürsten getroffen.

Der Abt und der Bruder Cellerar warteten, bis sich der Erzbischof bedient hatte und griffen dann ebenfalls zu. Ludgerus wurde nichts angeboten. Mit knurrendem Magen und pochendem Herzen stand er da, während die anderen aßen.

Der Erzbischof fing seinen Blick auf. Er kaute mit vollem Mund. »Nun?«

»Es zählt auf den Kopf einhundertfünfundachtzig Seelen, Herr«, beeilte sich Ludgerus zu sagen.

»Alle getauft?«

»Bis auf wenige, Herr«, antwortete Ludgerus. »Das ist nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass selbst der Schollenherr noch vor wenigen Monden Heide war.«

Der Erzbischof griff nach seinem Bierhumpen. »Er ist nun Christ, der Herr freut sich über jede gewonnene Seele und über Magnus tom Diek sprechen wir noch«, wies er Ludgerus zurecht. »An deiner Kirche wird gebaut?«

»In diesen Tagen, Herr. Sie erhält ein neues Dach aus irdenen Schindeln, zum Wohle des Herrn und weil das alte, es war aus Stroh, Herr, seit längerem schon undicht war.«

»Fasele hier nicht über das Wohl des Herrn, da kenne ich mich besser aus«, sagte der Erzbischof ohne besondere Betonung, aber die Rüge kam mit einer derartigen Schärfe, dass Bruder Ludgerus erschreckt verstummte. Der Abt wechselte einen raschen Blick mit dem Keller­meister, die Echsenaugen des Cellerars glitzerten höhnisch. »Ist es wahr, dass dein Schollenherr den Umbau bezahlt?«

»Jawohl, Eure Eminenz«

»Aber zuerst wollte er nicht?«

»So ist es, Herr. Ich hatte ihn schon oft darum gebeten, aber Magnus tom Diek sagte immer, dass unser Herr Jesus und seine Jünger das Wort Gottes unter freiem Himmel verkündet hätten.«

»So. Sagte er das.« Über das Gesicht des Erzbischofs glitt ein freudloses Lächeln. »Dann hat dir der Brokmanne geholfen?«

»So ist es, Herr.«

»Mit Baumaterial und Arbeitern? Oder mit Geld?«

Warum stellt er Fragen, deren Antworten er bereits kennt, überlegte der Mönch fieberhaft. »Mit Baumaterial und Zimmerleuten, Eure Eminenz. Als mein Schollenherr von der Sache erfuhr, hat er mich zum Abbruch aller Maßnahmen gezwungen.«

»Wie hat er davon erfahren?«

Ludgerus runzelte die Stirn, in seinen Augen war plötzlich Ärger. »Über seinen Handmann«

»Du hast ihn nicht unterrichtet?«

»Das hielt ich nicht für nötig, Eminenz, da ich seine Hilfe nicht brauchte. Ich hatte alles, was zum Umbau erforderlich war.«

Der Erzbischof schwieg. Dann warf er dem Abt einen Blick zu, den Hilderaad mit einem kurzen Schulterzucken erwiderte. ›Wie ich Euch sagte‹, konnte das heißen.

»Du magst ihn nicht, nicht wahr?«

»Er ist mein Schollenherr«, antwortete Ludgerus steif. »Meine Kirche steht auf seinem Grund, ich reite einen Maulesel aus seinem Stall und ernähre mich von seinen Feldern.«

»Und der Gnade des Herrn!«, versetzte der Erzbischof spitz und da musste Ludgerus lächeln. »Warum lächelst du?«, fragte Otto ungehalten.

Der Mönch verneigte sich. »Ich habe einen solchen Dialog vor einiger Zeit mit Magnus tom Diek geführt, Eminenz. Er sagte damals, was ich Euch heute sagte, und Ihr, versteht Ihr, Ihr spracht eben genau die Worte, die ich ihm entgegenhielt. Daran musste ich denken«, sagte er mit leichtem Lächeln, dem sich niemand anschloss.

Danach herrschte langes, lastendes Schweigen, in dessen Verlauf der Erzbischof mit keiner Regung zu erkennen gab, was er dachte. Auch der Abt und sein Cellerar blieben ausdruckslos, man bediente sich vom Vespermahl, während Ludgerus stand und sich über Anlass und Ziel der Unterredung den Kopf zermarterte.

Der Oberhirte hatte nicht gelächelt, die Mundwinkel des Abtes waren gar nach unten gefallen und der Kellermeister behielt seinen flachen Reptilienblick. Ein Novize huschte herein, putzte die Kerzen und verschwand. Von irgendwoher wehte gedämpfter Gesang in das Zimmer, es klang, als ob sich im Vorraum zum Dormitorium die Vigilia77 nicht in der gebührenden Ruhe vollziehe und Bruder Ludgerus dachte mit Verbitterung an den Verlust von Askese in seinem Orden, den Verfall von Zucht und Disziplin. Tugenden, auf deren Primat die Benediktiner immer stolz gewesen waren. Nicht zu reden von den Werten der Barmherzigkeit und der Gastfreundschaft, die hier, da man ihn mit knurrendem Magen stehen ließ, ebenfalls mit Füßen getreten wurden.

Es war der allenthalben zu beobachtende Niedergang dessen, was klösterliche Gemeinschaften gegenüber der säkularen Welt noch vor hundert Jahren ausgezeichnet, ja woraus sie ihren durch die größere Nähe zum Herrn begründeten Machtanspruch abgeleitet hatten. Davon war nichts mehr übrig.

Er musterte die Schmausenden vor sich und seine Verstimmung stieg. Aber zugleich war er sich seiner Rolle sehr bewusst. Er hatte sich in Demut und Gehorsam zu üben. Und eines durfte er nicht aufs Spiel setzen: Er wollte, aller Widrigkeiten zum Trotz, Gemeindepfarrer in Eesensem bleiben. Gewiss, das Leben in der Geborgenheit eines Kapitels hatte seine Annehmlichkeiten. Es gab geregeltes Essen, einen weichen Strohsack auf der Bettstatt, Ruhe hinter dicken Mauern und die Gemeinschaft mit den Brüdern. Als Pfarrer eines Kirchspiels wie Eesensem lag er oft hungrig unter einer dünnen Decke, seine Pritsche war hart und er wusste sich von vielen Schafen seiner Herde ungeliebt.

Und dennoch; er hatte die Süße einer Form von Macht geschmeckt, die für einen einfachen Bruder in einer Abtei unerreichbar war. Auf keinen Fall wollte er in das Kloster zurück.

»Du kennst beide, den Brokmannen und deinen Schollenherrn. Was unterscheidet sie?«, fragte der Erzbischof unvermittelt und mit vollem Mund.

Ludgerus dachte über die Frage nach. Sie war nicht ungefährlich, vor allem deshalb, weil er nicht wusste, was Otto hören wollte. Für ihn war klar, dass Keno Hylmerisna der Kirche näher stand als Magnus tom Diek. Das zeigte sich auch an dem Vorfall mit dem Dach. Der Brokmanne hatte nicht nur Geld zur Förderung des Glaubens, er war auch bereit, es aus freiem Willen auszugeben. Das hatte ihr Gespräch damals gezeigt, an jenem kalten Spätwinterabend, als der Brokmanne ihn völlig überraschend noch nach Einbruch der Dunkelheit aufgesucht hatte.

Er, Bruder Ludgerus, hatte sich schon in seinem Verschlag hinter dem Altar zu Ruhe begeben, das Nachtgebet gesprochen und sich auf der Pritsche eingerollt, als ihn ein hartes Pochen an der Türe hochgerissen hatte, dem sofort das Geräusch knirschender Angeln und dann schwere Schritte gefolgt waren. Der Brokmanne war nicht allein gewesen, ein Riesenklotz von Kerl war bei ihm, er hatte eine Sturmlaterne in der Hand getragen. Ludgerus hatte den Mann noch nie gesehen, es musste einer von den Fremden gewesen sein. Die Unterredung war kurz gewesen, der Brokmanne hatte vor seiner Pritsche gestanden und ihm gesagt, dass seine Kirche ein neues Dach brauche und er, Keno Hylmerisna, sei bereit, das nötige Silber dafür zu geben. »Dein Schollenherr tut es ja wohl nicht!«

Er hatte gelegen, steif wie ein Brett, die Decke bis an sein Kinn hochgezogen, und nicht gewusst, was er sagen sollte. Von dem Kerl hatte er in dem Dämmerlicht nur die riesige Faust gesehen, wie drohend vorgestreckt, in der die Laterne ausgesehen hatte wie ein Spielzeug.

»Was verlangst du dafür?«, hatte er gefragt.

»Deine Gewogenheit«, hatte der Brokmanne mit sardonischem Lächeln geantwortet. »Und dass du für mich betest. Für mich, meine Familie und ihre Zukunft zum Wohle unseres Herrn Jesus Christus.«

»Amen!«, hatte er geantwortet und die Hände unter der Decke vorziehen wollen, um den Brokmannen zu segnen, aber der hatte schon weitergeredet, hatte Material und Arbeiter für die nächsten Tage angekündigt, sich dann umgedreht und war gegangen, ohne auch nur eine Reaktion abzuwarten, der Klotz mit der Laterne hinterher. Und der Brokmanne hatte sein Versprechen gehalten.

»Keno Hylmerisna gibt zum Wohle der Kirche und Magnus tom Diek trägt noch immer die heidnischen Symbole seiner Väter«, sagte Ludgerus mit Bedacht.

Der Erzbischof ging nicht darauf ein. Er schien unberührt. Seine Augen waren stumpf wie blindes Glas. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Magnus tom Diek Gedanken nachhängt, die weiland der Kaiser Carolus Magnus den Friesen in ihre Köpfe gepflanzt haben soll, während Keno Hylmerisna ein der Vernunft zugänglicher Mann zu sein scheint. Was weißt du davon?«

Es klang träge und uninteressiert, aber das war es eindeutig nicht und Ludgerus hörte sein Herz klopfen. Er begriff plötzlich, warum er hier war. Welchen Zweck dieses Gespräch verfolgte. Dass es um den Machtkampf zwischen zwei widerstreitende Auffassungen über die Zukunft der Friesen ging. Und dass sich die Ziele des Brokmannen eher mit denen der Kirche zu decken schienen als die Vorstellungen eines Magnus tom Diek. Er begriff auch, dass der Erzbischof von Brema in diesem Spiel seine eigenen Steine setzte. Was er nicht begriff war, welche Rolle ihm selbst, Bruder Ludgerus, zufiel, wenn er denn eine hatte.

»Mein Schollenherr hat Gedanken, die im Gegensatz zu den Vorstellungen des Brokmannen manchmal etwas verschroben anmuten«, sagte er mit falschem Lächeln.

Der Erzbischof hörte auf zu essen und lehnte sich zurück. Dann sprach er weiter, als hätte Ludgerus nichts gesagt. »Es ist Gott zum Gefallen, wenn er auf Erden starke Diener hat, zum Wohle der Verkündigung und zum Schutz des Glaubens. Es ist ebenso auch gottgefällig, solche Männer zu fördern und ihnen gehorsam zu sein. Ersteres tut die Kirche, letzteres erwartet die Kirche von ihren Schafen!«

Dann schoss sein massiger Oberkörper nach vorn. »Ich will, dass du deinen Schollenherrn im Auge behältst. Höre, was er sagt und berichte deinem Abt, der mir berichten wird!« Er hob mahnend den Zeigefinger. »Sprich aber auch mit ihm. Mache ihm deutlich, wo die Interessen der Kirche liegen. Nimm jeden Einfluss, der möglich ist, ihn von seinen schädlichen Gedanken abzubringen!«

Er sank in den Stuhl zurück, griff nach seinem Bierkrug und schlug mit der Linken ein nachlässiges Kreuzzeichen. »Du kannst gehen.«

Ludgerus widerstand der Versuchung, in die Knie zu sinken. Er verneigte sich tief vor dem Erzbischof und dem Abt und bekreuzigte sich. Er war schon fast an der Türe, als ihn Otto noch einmal ansprach. »Wie weit ist der Umbau deiner Kirche, Bruder Ludgerus?«

Es war das erste Mal, dass der Kirchenfürst ihn mit seinem Namen anredete, und ein warmes Gefühl der Dankbarkeit durchfuhr seinen Körper. »Sie ist fast fertig, Vestra Sanctitatis«, sagte er und der Erzbischof lächelte.

»Damit sind aber noch nicht alle deine Wünsche befriedigt, wie ich höre?«

Bruder Ludgerus neigte demütig den Kopf. »Wenn ich heute meine Schafe zum Gottesdienst rufe, schlage ich gegen einen Holzklotz, der vor der Kirche hängt, Herr. Das hören nur wenige. Die anderen kommen, weil sie der Zuruf ereilt oder wenn sie glauben, es wäre an der Zeit.« Er richtete sich auf und in seinen Augen war nun ein Leuchten. »Mein größter Wunsch ist eine Glocke, Eure Eminenz. Dann wäre meine Kirche ein rechtes Haus Gottes!«

»Auf solche Dinge sieht der Herr nicht. Er predigte in der Wüste und sein Dach war der Himmel«, sagte der Erzbischof streng, aber er lächelte noch immer. »Dein Wunsch jedoch trifft auf mein Wohlwollen. Wir werden sehen. Und nun entferne dich!«

73) Schlafsaal eines Klosters. Hier schliefen die Mönche, denen keine Einzelzelle zustand.

74) Kellermeister, zugleich Verwalter der Klostergüter.

75) Nachtgebet, siehe auch zeitlich Ordnung der Tagesabläufe, Kapitel 6.

76) lat.: Eure Heiligkeit

77) Nachtwache, in der eingeteilte Mönche über den Schlaf ihrer Brüder wachten.

Friesische Herrlichkeit

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