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Ouvertüre

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Kloster St. Erasmus, nahe Rom,

vier Tage nach dem Fest der Auferstehung des Herrn,

Anno Domini 799 (Donnerstag, 4. April)

Magnus spähte nach rechts. Sein Rücken brannte höllisch. Mit einer Instinktbewegung war es ihm gelungen, dem Schwerthieb seine tödliche Schärfe zu nehmen. Aber die Klinge hatte ihn dennoch getroffen, mehr mit dem Blatt als mit der Schneide, und die Wucht des Schlages hatte ausgereicht, eine großflächige, blutende Wunde zu hinterlassen. Aufgerissenes Fleisch, nicht sauber durchtrennt, sondern wie mit einer Schindraue zerfetzt.

Er war zu Boden gestürzt, benommen und dennoch hellwach, mit einem Gefühl von flüssigem Blei in den Adern, und hatte den nächsten, den unweigerlich tödlichen Streich erwartet. Aber der junge Enno, kaum erwachsen, war plötzlich aufgetaucht und hatte dem Angreifer mit einem sauberen Haken den Kopf von den Schultern geholt, ganz locker und kaltschnäuzig. Magnus sah den Kopf noch vor sich treideln, mit aufgerissenen Augen, den Mund in einem stummen Schrei verzerrt, die Lippen hoch über die Zähne gezogen, das gebleckte Gebiss eines Raubtieres. Der Kopf rollte auf ihn zu, machte dann eine Bewegung um die Nase herum und blieb, den Göttern sei Dank, mit abgewandtem Gesicht liegen, während die Beine des Geköpften unter dem Rumpf einknickten und der Torso stürzte wie ein gefällter Baum.

Enno hatte erstaunt geglotzt, gegrinst, die Schultern gezuckt und war davon gestürmt, weiter nach vorn, wo ein Nahgefecht der Friesen mit der Wachmannschaft des Klosters tobte, ein bunter, harter Haufen aus sardischen und maurischen Waffenknechten, die allesamt auf der Soldliste der Familie Hadrians I. standen, der als Papst Vorgänger Leos III. gewesen war. Magnus seufzte und richtete sich auf. Von voraus kam plötzlich rasendes Gebrüll, loderte aus dem brodelnden Gefechtslärm empor wie eine Stichflamme aus einem Lagerfeuer und er wusste, das waren seine Friesen im Sturmangriff. Er vergaß seinen Rücken und stürzte sich in das Getümmel.

Es gehörte zu den Unbegreiflichkeiten dieser Geschichte, dass der verwundete und vielleicht sogar geblendete Papst auf diese Weise erneut in die Hände seiner ärgsten Feinde geriet, denen er kurz zuvor mit knapper Not entronnen war, nämlich die des römischen Stadtadels, angeführt von der Familie Hadrians, der das Kloster gehörte und in dessen Mauern Leo sich nun befand.

Es war klar, er hatte viele Widersacher in der Ewigen Stadt, vor allem die führende Schicht, Leute, die ihn nicht mochten, ja hassten und von ganzem Herzen ablehnten. Nicht, weil er maßlos lebte und Konkubinen hielt, hohe Steuern forderte und Vetternwirtschaft betrieb. Welcher seiner Vorgänger hatte dies nicht getan? Vielleicht nicht so flagrant, so offen und bar jeden Schamgefühls. Nein; sie hassten ihn vor allem, weil er ein Emporkömmling war. Keiner von ihnen. Ein Plebejer, Kehricht aus den Gassen der Vorstadt, der es gewagt hatte, sich auf den Stuhl Petri zu setzen und zu residieren.

Vor allem die Hadrianer fühlten sich brüskiert und machte sich schnell zum Fürsprecher seiner Gegner. Sie steckten auch hinter dem Attentat sechs Tage nach dem Fest der Verkündigung Mariaes1. Wie üblich führte der Pontifex an diesem Tag im fünften Jahr seines Pontifikates die Reiterprozession an, von St. Peter auf dem vatikanischen Berg quer durch die Stadt, um in der Kirche St. Laurentius den Bittgottesdienst zu feiern. Er saß auf seinem Zelter2, in Purpur gehüllt, sein Kämmerer Albinos vorneweg, das Pferd führend, dahinter die Bischöfe und Würdenträger. Die Menge drängte heran, der Papst segnete unaufhörlich nach allen Seiten, keinen Blick für die geschüttelten Fäuste, kein Ohr für die ausgespienen Flüche. Und dann, kurz vor dem Ziel, in der Via Tiburtina, geschah das Unglaubliche. Plötzlich Geschreie und Tumult. Um die Prozession herum fliegen Steine. Aus den nahen Katakomben der frühchristlichen Zeit stürzen Bewaffnete auf die Straße, zerren den Papst vom Pferd, reißen ihm die Kleider vom Leib, stechen auf ihn ein, versuchen sogar, seine Augen zu treffen. Alles das vollzieht sich so schnell, dass jede Gegenwehr unmöglich ist. Die Bischöfe mit ihrem Gefolge flüchten Hals über Kopf, Gäule gehen durch, Albinos wird zu Boden gestoßen, ein Tritt des erschreckten Zelters verfehlt ihn nur knapp, bevor auch der in Panik davonfliegt.

Dann lassen die Angreifer von Leo ab, halten ihn wohl für tot, verschwinden ebenso schnell, wie sie aufgetaucht sind, von der nun menschenleeren Straße, auf der nur der Papst zurückbleibt, ein lebloses, blutendes Bündel. Der Zufall will es, dass zwei Wandermönche auf ihn stoßen und in das nahgelegene Kloster St. Erasmus bringen lassen, auf direktem Wege erneut in die Hände seiner Feinde. Als Albinos, den sein schlechtes Gewissen an den Tatort zurücktreibt, wenig später davon erfährt, weiß er sofort, dass nun jede Stunde zählt. Der Pontifex in der Gewalt der Hadrianer bedeutete, ihnen die Gelegenheit zu geben, ihre Pläne endgültig zu verwirklichen. Unverzüglich sendet er einen Boten nach Spoleto, in die Garnison der Franken.

Und Winniges, Herzog und Kommandeur des Stützpunktes, zögerte keinen Augenblick. In Eilmärschen führte er seine Truppen heran, war einen Tag und eine Nacht später vor Ort und sah sich einer Einheit römischer Stadtknechte gegenüber, die das Kloster nach außen abschirmte. Ob der Papst überhaupt noch lebte, wusste zu diesem Zeitpunkt niemand. Die Stadtknechte waren nicht mehr die Legionäre des Imperum Romanum, aber sie wurden gut geführt und wehrten sich tapfer. Es waren die Friesen unter Magnus, die mit dem entscheidenden Stoß den Weg zum Klostertor freikämpften. Drinnen warteten die Waffenknechte des Klosters auf sie und die waren von einem anderen Kaliber. Alle kampferprobt, in Feldzügen eingesetzt, harte Brocken. Sie zogen sich nach ersten schweren Gefechten mit den fränkischen Kriegern hinter die innere Klostermauer zurück und Winniges sammelte seine Unterführer. Magnus der Friese war darunter. Einer der Feldschere hatte seinen Rücken mit einer Fettsalbe versorgt. Die Blutung war gestillt, aber seine Schmerzen hatten zugenommen. Er verfluchte seine Unachtsamkeit und den kopflosen Waffenknecht, dessen Rumpf jetzt irgendwo bei den Leichen der gefallenen Feinde lag.

Eines ist klar: Das Kloster im Handstreich zu nehmen, den Papst zu befreien, bevor seine Bewacher sich besinnen können, ist misslungen. In diesem Augenblick ist der Bischof von Rom in höchster Gefahr. Seine Bewacher sind gewarnt. Es muss vor allem verhindert werden, dass sie einen Boten in die Stadt bringen, um sich Anweisungen zu holen. Sollten sie bereits Befehle haben für diesen Fall, dann hing das Leben Leos am seidenen Faden. Es war Eile geboten, so oder so! Und Winniges zögert nicht lange. Er fährt sich über den Bart und fixiert seine Soldaten.

»Wir müssen hinein. Schnell!« Sein Blick wandert über die innere Klostermauer. Sie ist mehr als zwei Männer hoch, ihre Krone ist mit spitzen Steinen und eingemörtelten Glasscherben gespickt. In seinem Kopf wirbeln die Gedanken. Er weiß, er hat keine Zeit, an taktischen Plänen zu tüfteln.

»Wir teilen uns in zwei Gruppen. Ich selbst nehme die erste. Magnus, du mit deinen Friesen die zweite. Nimm die Leichtverwundeten und lass sie auf der Westseite einen Scheinangriff machen. Zündet ein Feuer an, dass wird sie beschäftigen!« Er grinst, aber seine Augen bleiben kalt. Sie sind auf Magnus gerichtet und halten ihn fest. Seine Sätze kommen hart und schnell.

»Ich greife hier am Tor an. Du gehst über die Nordmauer. Leise annähern, hörst du, das ist wichtig! Sieh zu, dass ihr schnell und ohne Verluste hineinkommt. Ich vermute den Papst in der Priorei, gleich hier hinter dem Haupteingang. Sie werden ihn scharf bewachen. Ich brauche dich in ihrem Rücken, sonst gelingt es nicht!« Er schnäuzt sich und sieht hinüber zu den Gefallenen, die abseits der Mauer unter einer riesigen Linde gesammelt werden. Ein Heiler kümmert sich um die Verwundeten. Dann kehren seine Augen zurück, suchen Magnus, finden ihn.

»Es muss schnell gehen!«, wiederholt der Herzog eindringlich. Er hebt seinen Kopf. »Noch Fragen?«

Magnus fährt sich über seine strohblonde Haarbürste. Rechts und links davon stehen Schweißtropfen auf seinem Schädel. Er schüttelt den Kopf.

Winniges strafft sich. »Dann los! Und Gott befohlen!«

Der Herzog schlägt das Kreuz und viele der anderen tun es ihm nach. Magnus bekreuzigt sich eher flüchtig. Sorgfältig führt er sein Runenholz an Stirn und Brust, wie es seine Vorfahren schon in uralten Zeiten getan hatten. Es ist ein sehr schönes Runenholz, glänzend poliert und mit einem massiven Silberring in der Mitte. Dann holt Magnus seine Friesen zusammen. Es ist keiner unter ihnen, der ohne Blessuren davongekommen wäre. Der alte Dodo und sein Sohn Tjark sind gar unter den Toten.

Enno hat eine übel aussehende Fleischwunde am linken Oberschenkel, notdürftig mit einem schmierigen Leinenstreifen abgedeckt. Mit wenigen Worten weist Magnus seine Landsleute ein. Dann huschen sie zur Nordmauer. Enno bleibt mit den Leichtverwundeten an der Westseite zurück und bereitet das Feuer vor. Als Magnus ihr Geschrei hört und Rauch aufsteigen sieht, gibt er den Befehl zum Angriff. Sie steigen einem Kameraden auf die Schultern, gewinnen die Mauerkrone und ziehen den Untermann hoch. In wenigen Augenblicken sind sie im Inneren des Klosters. Von der Westseite her Rufen und hastige Schritte. Bei ihnen ist alles ruhig. Winniges müsste inzwischen mit seinen Leuten auch im Innenhof sein, bei der Priorei, dort, wo sie den Papst vermuten.

Die Friesen hasten im geschlossenen Trupp zum Hauptgebäude, Magnus an der Spitze, als ihnen aus einem flachen Schuppen ersticktes Rufen und Hilfegeschrei ans Ohr schlägt. Danach tumultartiges Rumoren. Dann Ruhe. Von der Priorei her kommt Gefechtslärm. Winniges ist also schon dort. Die Eingangstür des Schuppens ist mit einem daumendicken, bodenlangen Ledervorhang verschlossen. Die Häute bewegen sich leicht, gerade so, als sei kurz zuvor jemand hindurchgeschlüpft. Die Friesen zögern und beraten sich flüsternd. Ist der heilige Vater vielleicht doch hier, und eben nicht in der Priorei? Sie wollen sichergehen. Magnus winkt Eppo heran, weist ihn kurz ein und schickt ihn mit drei, vier anderen auf die Rückseite des Gebäudes. Lautlos huschen sie davon. Danach deutet Magnus mit der Klinge seines Sax3 auf zwei seiner Leute und postiert sie neben den Vorhang.

Es ist klar, wenn der Papst in diesem Schuppen ist, stehen seine Bewacher nun links und rechts des Eingangs, mit gezückten Waffen, und warten darauf, dass jemand so unvorsichtig ist, seinen Kopf vorzustrecken. Aber es hilft nichts – sie müssen hinein! Dann geht alles rasend schnell. Eppo und seine Leute brüllen plötzlich los wie die Teufel, ein mächtiger Schlag erschüttert die Rückseite des Schuppens und zugleich stürmen sie vorne hinein. Bestialischer Gestank nach Fäulnis und Fäkalien schlägt ihnen entgegen. Im Dämmerlicht sehen sie ein Bündel in der Ecke liegen, verdreckt und blutig. Daneben steht einer der Waffenknechte mit erhobenem Schwert und starrt auf die Rückwand, hinter der es noch immer lärmt und poltert. Die beiden Posten neben dem Vorhang sind zu überrascht, um Gegenwehr zu leisten. Sie werden niedergeworfen und entwaffnet. Der dritte fährt herum und hat die Klinge von Magnus’ Sax an der Kehle. Rollt die Augen und macht eine Bewegung mit dem Schwertarm und die Klinge zuckt vor und ritzt den Hals und sofort tritt Blut heraus. Der Mann erstarrt, glotzt, sein Blick wandert zwischen Magnus und dem Eisen hin und her. Schließlich hebt er die Schultern, öffnet die Faust und lässt sein Schwert fallen. Die drei werden gebunden und auf den Boden gesetzt, während sich Magnus über das stinkende Bündel beugt, dass noch immer in der Ecke liegt und jetzt ein leises Wimmern hören lässt. Es ist Leo. Er ist in eine alte Mönchskutte gehüllt. Über seinen Augen liegt eine schmutzige Wollbinde, dunkel von eingetrocknetem Blut. Am linken Fuß eine große, schwärende Wunde. Aber er lebt. Und sie haben ihn.

Dann plötzlich Schritte und Rufen vor der Hütte, der Vorhang wird zur Seite gerissen und Herzog Winniges stürmt herein. In seinen Augen ist Zorn, seine Stimme heiseres Gebell.

»Magnus, verdammt! Wo bleibst du mit deinen Friesen? Vorne war nichts. Wir hatten doch …!«

Jetzt entdeckt er den Papst, taumelt leicht, verstummt mit fragenden Augen und sieht Magnus nicken und lächeln. Winniges tut einen tiefen Seufzer. In seinen Augen schimmert plötzlich Feuchte, aber sein Blick bleibt fest auf Magnus gerichtet. Und dann umarmt er ihn.

1) 31. März, im Jahre 799 ein Sonntag.

2) Auf Passgang geschultes Reitpferd, im MA oft von Frauen oder hohen Geistlichen genutzt.

3) Einschneidige Hiebwaffe

Friesische Herrlichkeit

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