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Der verschwundene Fluß

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Über der Wüste schwebte eine flimmernde Hitzeschicht. Selbst der Wind wehte heiß von den Dünen. Und wenn einer der seltenen Regenschauer niederging, verdampfte die Feuchtigkeit, kaum daß sie den Boden berührte.

In diesen Tagen war die Wildpferdherde weit durch die Wüste gezogen, wie jeden Frühsommer auf dem Weg in die Berge. Jetzt trieben auch die Hirten ihre Viehherden in die grünende Steppe. Jeden Tag wurden es mehr. Schafe und Rinder lagerten um die wenigen Wasserstellen, weideten an den mit Schmelzwasser von den Bergen gefüllten Flußläufen. Die Wildpferde mischten sich nicht gern unter brüllende Kühe und blökende Schafe. Sie brauchten die Wildnis, suchten die Einsamkeit der Weite.

Doch auch in den scheinbar endlosen Einöden Zentralasiens blieben sie nicht allein. Karawanenstraßen durchzogen die Wüste. Kamele und Esel stöhnten unter schweren Lasten, unerbittlich getrieben von ihren Herren, von kläffenden Hunden. Und manchmal rumpelte ein klappriger Lastwagen über die sandigen Pisten, eine mächtige Staubfahne hinter sich herziehend.

Wirru hörte die Geräusche nur von fern. Er wußte noch nicht, was sie bedeuteten. Er war müde und achtete nicht darauf, verließ sich auf den Schutz der Großen.

Die Leitstute aber wich allem Fremden aus. Im Laufe der Jahre waren die Wildpferde immer vorsichtiger geworden. Menschengeruch bedeutete Gefahr. An jeder Wasserstelle konnten Jäger lauern, um sie einzufangen, vor allem die Fohlen. Und meist bedeutete das den Tod des Hengstes und der Stuten.

So dauerte es lange, bis sie Wasser fanden, um ungestört ihren Durst zu stillen. Noch bekam Wirru seine Milch, doch seine Nüstern waren trocken vor Hitze und Staub. Tagsüber fand er kaum einen Platz zum Ruhen im heißen Sand. Erst wenn es gegen Abend kühler wurde, begann er sich wohler zu fühlen, und er knabberte ein wenig am Gras.

Im Sommer kam die Dämmerung spät. Die Strecken wurden länger, das Laufen mühsamer. Die Wüste hatte viele Gesichter: Sie war steinig und bedeckt mit geborstenem Geröll, selten nur flach und lehmig-trocken; manchmal ließen sich die haushohen Dünen aus Flugsand kaum überblicken, wirkten wie ein zu Sand erstarrtes Meer.

An solchen Tagen war Wirru froh, wenn er im mageren Schatten einer windschiefen Tamariske ein wenig verschnaufen konnte. Die Großen überließen den Fohlen bereitwillig die schattigen Stellen.

Viel Zeit blieb jedoch nicht zum Ruhen. Bevor die Nacht hereinbrach, mußte die Herde eine Wasserstelle finden. Im Gegensatz zu Kamelen, die lange Zeit ohne Wasser auskamen, brauchten die Wildpferde ihre regelmäßige Tränke. Und die Leitstute wußte, daß der Weg noch weit war. Mürrisch trat Wirru in das grelle Licht.

Die Sonne näherte sich schon dem Horizont, als die fast vegetationslose Landschaft sich endlich änderte. Die steinigen Hügel waren flacher und bedeckt mit halbverdorrtem Gesträuch. Einzelne Pappeln tauchten auf, warfen lange Schatten. Zwischen trockenen Binsen zeigten sich die Spuren von Füchsen, Hasen und Wildschweinen. Das deutete auf Wasser, auf einen nahen Fluß.

Erleichtert fielen die Wildpferde in leichten Trab. Staub wirbelte auf. Und im rötlichen Abendlicht erreichte die Herde eine flache Senke.

Enttäuscht zögerten die Tiere. Das Flußbett lag trocken. Wie so oft hatte sich der Grund des Flusses durch angeschwemmten Schlamm und Sand so weit gehoben, daß das Wasser sich in tiefer liegendem Land ein neues Bett suchen mußte. So war der alte Flußarm ausgetrocknet. Nur der dichtere Bewuchs an den Ufern bewies, daß es hier früher einmal Wasser gegeben hatte.

Aber die Leitstute ließ sich nicht beirren. Sie kannte diese Gegend, dieses Flußbett. Und sie folgte den Spuren der anderen Tiere.

Zielsicher führte sie ihre Herde im alten Bett flußaufwärts, vorbei an salzigen Tümpeln. Doch die Wildpferde tranken nur wenig. Erst als sie jenseits der Schwemmsandbarriere auf träge fließendes Wasser stießen, stillten sie gierig ihren Durst. Und an den schlammig-feuchten Ufern fanden sie auch genügend frisches Grün.

Dunkelheit senkte sich über das Land am Fluß. Von irgendwo aus der Ferne drangen Geräusche herüber: Schafeblöken und Ziegengemecker und das dumpfe Brüllen von Lastkamelen. Spät erst verklangen die fremden Stimmen.

Wirru schlief ziemlich unruhig, trotz seiner Müdigkeit. Er suchte die Nähe seiner Mutter, drängte sich an ihren warmen Leib, spürte ihren Kopf wohltuend auf seinen Schultern.

In dieser Nacht blieb der Hengst sehr wachsam.

Wirru, das Wildpferd

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