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Ein Kind der Steppe

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Über den fernen Höhenzügen lagerte schwacher Dunst, verhüllte die schneeweißen Gipfel. Dazwischen dehnten sich geschwungene Hügel, durchschnitten von Trockentälern. Noch hatte die Schneeschmelze in den Bergen nicht begonnen. Doch nach kurzen Frühlingsregen begann die Steppe zu grünen, zeigten sich die ersten Blüten. Und wo die Wurzeln der wenigen Pappeln und Weiden das Grundwasser unter dem kargen Boden erreichten, sprangen die Knospen an den Zweigen.

Am Rand der Steppe, die hier allmählich in Wüste überging, standen nur noch einzelne sturmgebeugte Tamarisken. Ein kühler Morgenwind ließ die Gräser rascheln. Schräge Sonnenstrahlen wärmten den nachtkalten Sand. Und ein Wüstenwaran wand sich schlafträge am Hang einer kahlen Düne.

So begann Wirrus erster Tag. In der Morgendämmerung, vor kaum einer halben Stunde, war er geboren, hatte sich mit heftigem Schütteln aus den Eihüllen befreit und war dann allein aufgestanden, unbeholfen und mühsam, Grashalme in seinem struppigen Fell. Seine Mutter lag noch immer auf der Seite; sie schien erschöpft.

Wirru wußte noch nicht, daß die schweratmende Stute am Boden seine Mutter war: Das mußte er erst lernen. Er sah nur die anderen Wildpferde der kleinen Herde in der Nähe stehen und den aufmerksam beobachtenden Hengst. Erst als die Stute schwerfällig aufstand, kurz die abgestreiften Eihüllen bekaute und langsam auf Wirru zukam, blickte er einmal zu ihr hinüber. Sie war ihm genauso fremd wie alle anderen.

Noch ein wenig unsicher stand Wirru auf seinen staksigen Beinen, schnupperte geräuschvoll die Morgenluft. Nichts schien ihm vertraut. Der Wind spielte mit seiner kurzen Stehmähne. Neugierig beobachtete Wirru ein paar Krähen, die sich mit einem Raben um die abseits im Gras liegenden Eihüllen zankten. Und die Stute kam näher.

Plötzlich spürte Wirru den warmen Geruch der Stute, spürte ihre Zunge behutsam über seinen Körper lecken, von vorn über seine weichen Nüstern bis zu seinem kurzen Schwanz, immer wieder. Es war ein gutes Gefühl. Und instinktiv suchte er zwischen ihren Beinen am Bauch nach Milch.

Es dauerte eine ganze Weile, bis er ihre Zitzen fand; ungestüm stieß er dagegen. Endlich spürte er die warme Milch auf seiner Zunge. Und die Stute ließ ihn geduldig trinken.

Die Krähen erhoben sich krächzend, strichen im Tiefflug ab zu einem der Trockentäler; der Rabe verschlang allein seine Beute.

Inzwischen war die Sonne höher gestiegen; es wurde warm. Die Leitstute scharrte ungeduldig mit den Hufen im feuchten Gras. Der Hengst wieherte kurz. Es war das Zeichen zum Aufbruch. Wirrus Mutter wandte sich ab, suchte ihren Platz in der Herde. Wirru folgte ihr. Jetzt fühlte er sich nicht mehr so allein. Und er fühlte sich satt.

Sandkristalle glitzerten im Sonnenlicht. Die Grasnarben wurden allmählich spärlicher. Langsam zog die Herde in die Wüste, wie jeden Morgen, bewegte sich in gemächlichem Paßgang. Im Frühjahr grünte auch die Wüste für kurze Zeit, trieben die Saksaulsträucher ihre winzigen Blätter.

Hier fanden die Wildpferde noch genügend Nahrung. Doch sie waren nicht die einzigen. Immer wieder kreuzten fremde Spuren ihren Weg: die scharf abgezeichneten Fußschwielen von Wildkamelen und die Hufabdrücke von Dschiggetais, den mongolischen Halbeseln. Und ab und zu stießen sie auf fliegenumsurrte Dunghaufen.

Sonst störte kein Laut die Stille, nur die Gräser raschelten im Wind. Wenn eines der Wildpferde schnaubte, blickte Wirru sich neugierig um, sah ihre wedelnden Schwänze, die nach Insekten schlugen. Und er sah noch etwas: Fast am Schluß der Herde, halb verdeckt von den Großen, lief noch ein anderes Fohlen, kaum älter als er. Doch die kleine Stute beachtete ihn nicht.

In diesem Augenblick verlangsamte die Leitstute ihre Gangart. An einer feuchteren Stelle zwischen den sandigen Hügeln wuchs saftiges Gras. Die Herde begann gemächlich zu äsen, auch Wirrus Mutter.

Wirru senkte nur ein wenig den Kopf, spürte das Kitzeln der langen Grashalme an seiner Nase. Er mußte niesen, ein paarmal hintereinander. Verwirrt sprang er zur Seite.

Seine Mutter ließ auch beim Äsen keinen Blick von ihm. Zwischendurch wandte sie sich ihm zu und beknabberte behutsam seine weichen Ohren und die Kruppe. Das gefiel Wirru; er hielt ganz still. Und jedesmal, wenn die Herde stehenblieb, zeigte die Mutter ihm ihre Zärtlichkeit.

Gegen Mittag wurde es heiß. Die Sonne brannte von einem wolkenlosen Himmel. Der sandige Boden warf die Hitze zurück; die flimmernde Luftschicht reichte Wirru bis an die Flanken. Auch der Wind brachte kaum Kühlung, trieb graugelbe Sandhosen vor sich her.

Wirru spürte seine Nüstern trocken werden vom Staub. Er fühlte sich unbehaglich. Durstig suchte er nach Milch. Und seine Mutter stillte seinen Durst.

Er trank noch viel an diesem Tag. Als die Herde mit sinkender Sonne an den Rand der Steppe zurückkehrte, fühlte er sich müde und erschöpft.

Wirru, das Wildpferd

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