Читать книгу Wirru, das Wildpferd - Lothar Streblow - Страница 8
Schmerzliche Erfahrung
ОглавлениеEine Woche später kannte Wirru sich aus, kannte den Hengst und die Leitstute und die anderen Stuten. Von nun an blieb er freiwillig bei seiner Mutter, suchte ihre Nähe, ihre Zärtlichkeit. Und jetzt duldete sie auch, wenn Wirru einmal zu anderen lief; er kam ja stets wieder zurück, wollte Milch und Geborgenheit.
Auch die Mutter der kleinen Stute schien nichts mehr dagegen zu haben, wenn die beiden jungen Fohlen miteinander spielten. In den letzten Tagen noch hatte sie Wirru ein paarmal wütend bedroht, als er sich näherte. Und Wirru war in hoppelndem Trab davongerannt, bis seine Mutter ihn wieder einfing.
Jetzt wurde er nicht mehr weggescheucht. Wohlig schnaufend wälzte er sich im taufrischen Gras, während Senja übermütig um ihn herumsprang und wiehernd in die Höhe stieg. Die beiden Mütter sahen geduldig zu.
An diesem Morgen war überhaupt einiges anders. Die Sonne stand schon ziemlich hoch. Und nach der Kühle der Nacht genoß Wirru die wärmenden Strahlen.
Die Leitstute aber ließ sich Zeit. Immer wieder leckte sie ihr Fohlen sauber, das sie in der Morgendämmerung geboren hatte. Mit wackeligen Beinen schmatzte es seine erste Milch. Wirru betrachtete es neugierig aus der Ferne. Näher heran traute er sich nicht an das Kleine. Er hatte inzwischen dazugelernt.
Auch als die Leitstute sich mit ihrem Fohlen an die Spitze der Herde setzte, hielt Wirru respektvollen Abstand. Folgsam lief er seitlich hinter seiner Mutter. Um die Krähenschar, die sich lärmend um die zurückgelassenen Eihüllen balgte, kümmerte er sich nicht.
Es war wärmer geworden. Insekten schwirrten durch die Luft. Wirru hatte alle Mühe, aufdringliche Fliegen abzuwehren, die ihn mit ihren Stichen plagten. Unentwegt schlug er aus, zuckte mit den Ohren und kratzte sich.
Dabei achtete er kaum darauf, wohin er trat. Die Herde durchquerte eine geröllbedeckte Erosionsrinneb mit einzelnen Zwergsträuchern, eine ziemlich unwegsame Gegend. Wirrus kleine Hufe stolperten unbeholfen über die Steine.
Plötzlich rutschte er von einem Geröllbrocken ab. Sein rechter Vorderhuf knickte um, und der Stein prallte hart gegen seinen linken Hinterhuf. Wirru durchzuckte ein scharfer Schmerz. Ein klägliches Wiehern drang aus seiner Kehle. Nach ein paar humpelnden Schritten blieb er stehen, zitternd und mit geweiteten Nüstern.
Besorgt wandte seine Mutter sich ihm zu. Viel helfen konnte sie ihm nicht. Aber sie leckte ihm immer wieder tröstend über seine weiche Nase. Wirru hielt ganz still. Und allmählich ließ der Schmerz etwas nach.
Erst nach einer Weile wagte Wirru vorsichtig ein paar Schritte. Doch bei jedem Schritt kam der Schmerz wieder. Mühsam humpelte Wirru weiter. Der Hengst war wachsam beobachtend in der Nähe geblieben. Fürsorglich geleitete er die beiden zu der wartenden Herde.
Aber die Leitstute mit ihrem neugeborenen Fohlen lief nicht mehr weit. Sie war noch erschöpft von der anstrengenden Geburt. Und sie spürte Durst. Kurz darauf begann sie mit den Vorderhufen im Boden zu scharren, stieß schon dicht unter der Oberfläche auf feuchten Sand.
Allmählich begann sich Grundwasser in dem Loch zu sammeln, quoll nach und nach aus der Tiefe. Eins nach dem anderen tranken die Pferde gierig das kühle Naß. Es schmeckte leicht scharf nach gelösten Salzen. Doch das machte Wildpferden nichts aus.
Wirru und die anderen Fohlen bekamen ihre Milch. Die Großen weideten das harte Gras. Und schon lange vor der Abenddämmerung wanderte die Herde zurück in die Steppe.