Читать книгу Ottonen und Salier - Ludger Körntgen - Страница 22
II. Grundlagen und Praxis der Königsherrschaft 1. Herrschaft ohne institutionelle Sicherung
ОглавлениеWie fast vier Jahrzehnte zuvor sein Vater konnte Otto II. Herrschaftspositionen übernehmen, die sein Vorgänger erst hatte aufbauen müssen: Nicht nur zum König, sondern als letzter westlicher Herrscher nach byzantinischem und karolingischem Vorbild auch zum Mitkaiser gekrönt, verheiratet mit einer Byzantinerin, stand er deutlich über den Großen des Reichs und konnte einen Anspruch erheben, der sogar dem des westfränkischen Karolingers überlegen war. Trotzdem blieb ihm nicht erspart, was alle ottonischen Herrscher bei Herrschaftsantritt erleben mussten: eine Zeit gefährlicher Konflikte, die nur mühsam bewältigt werden konnten. Es scheint nahe zu liegen, die Rebellionen von Mitgliedern der Königsfamilie oder anderen Großen sowie die Konflikte mit Königen oder Fürsten, die am Rande oder außerhalb der ottonischen Herrschaftsordnung standen, als Reaktion auf einen jeweils gesteigerten Herrschaftsanspruch des neuen Königs oder auf seine politischen Zielsetzungen und Programme zu deuten. Ottonische Geschichte erscheint in diesem Horizont als Abfolge politischer Aktionen und als Wechsel von Herrschaftsvorstellungen und politischen Programmen der Könige.
Eine solche Perspektive ist aber deutlicher von neuzeitlichen Erfahrungen mit machtstaatlichem Handeln und modernen Vorstellungen von Politik geprägt als von den Bedingungen, unter denen ottonische Königsherrschaft entstanden ist und immer wieder behauptet werden musste. Durch die spätkarolingische Entwicklung waren Herrschaftsrechte und Herrschaftsgrundlagen des Königtums zu einem großen Teil an die führenden Adelsfamilien übergegangen und häufig mit deren Eigenbesitz verschmolzen. Das Königtum der Ottonen hatte sich in einem Kontext gebildet, in dem der Herrschaftsanspruch des Adels selbstverständlich war; die Herrschaft des Königs war wesentlich durch Ausgleich mit den führenden Adelsfamilien möglich geworden und blieb auf die Akzeptanz durch den Adel angewiesen. Zwar konnte schon Otto der Große, nicht zuletzt durch die Krönung in Aachen, im Anspruch und im äußeren Erscheinungsbild seines Königtums an die karolingischen Vorgänger anknüpfen, doch wurden dadurch die Grundlagen und der neue Rahmen der ottonischen Herrschaft nicht überschritten.
Vor allem fehlten dem ottonischen Königtum institutionelle Sicherungen, wie sie das karolingische Königtum ausgebildet hatte. Amtsträger, die der König hätte kontrollieren und beliebig ein- und absetzen können, gab es nicht; die vom König vergebenen Ämter hatten sich schon seit der spätkarolingischen Zeit weitgehend zu adeligen Herrschaftspositionen gewandelt, die mit den eigenen Herrschaftsrechten des Adels verschmolzen. Gleiches gilt für Besitztümer und Herrschaftsrechte, die der König als Lehen an adelige Herrschaftsträger vergab. Herrschaftspositionen und Besitz zu vergeben sowie Gunst und herrscherliche Huld zu erweisen, waren wesentliche Momente der Praxis und der Darstellung königlicher Herrschaft. Dabei agierte der König nicht frei nach eigenen Vorstellungen und politischen Plänen, sondern unter den Bedingungen, die sich aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Interessen ergaben, und nach den ungeschriebenen Regeln, die sich in der Interaktion von Adel und Königtum seit der spätkarolingischen Zeit herausgebildet hatten.
Der Herrscher bildete allenfalls das Zentrum eines Netzwerkes aus persönlichen Bindungen, freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen sowie herrschaftlichen Funktionen, das verschiedene Knotenpunkte aufwies. In dieser polyzentrischen Herrschaftsordnung war der König nicht der alles bewegende Motor politischer Aktionen; ebenso wichtig waren die Interessen und Ansprüche der Großen sowie die Erwartungen, die man mit dem Königtum verband. Die Herrschaftsordnung beruhte weitgehend auf dem persönlichen Gegenüber einer sehr kleinen Gruppe herausgehobener Herrschaftsträger. In diesem Rahmen hing die Wirkung königlicher Herrschaft zu einem großen Teil von der persönlichen Präsenz des Königs ab; die unmittelbare persönliche Begegnung war wichtiger als eine weitreichende, aber nicht konkret wirksame Herrschaftsgewalt.