Читать книгу Das hohe Leuchten - Ludwig Huna - Страница 11
ОглавлениеAchtes Kapitel
Am andern Morgen wechselt der Täufer seinen Standplatz, eilt, dass die Seinen kaum nachkommen, in eine verlassene Gegend am Jordan, wo sich Karrenwege kreuzen. Auch diese Gegend nennt das Volk Bethabara.
Schweres Gewölk wälzt sich heran und hängt seine Dunkelheit über den Fluss. Johannes und sein Volk ziehen bis an den schlammigen Jordan heran nach einer Bucht, wo die Wasser ruhiger gehen. Dort zwischen Tamarinden und Sykomoren ist man mehr geschützt vor den Wettern als in dem baumlosen Felsgeröll der nahen peräischen Wüste.
Unter Wetterängsten war die Menge der Judäer, Samariter, Griechen, Galiläer, Idumäer und Araber, waren alle die Händler, Kriegsleute, Zöllner, Handwerker, Fischer, Hirten samt ihren Weibern dem Täufer nachgefolgt. Und als er nun zwischen dem Ufergestrüpp haltmachte und seine Jünger darangingen, ihm wieder das schützende Dach zu zimmern, verteilte sich auch die Masse der Zuläufer auf dem Sandboden, der sich etwas ansteigend am Ufer weit ins Land hinein erstreckte, und man begann die Zelte zu errichten, da und dort ein Feuer anzuzünden, um das Frühmahl zu bereiten.
Da geschieht etwas, was vielen der sich geschäftig Mühenden verborgen bleibt, das aber in seiner Ewigkeitsschwere den Werdegang der Welt erschütterte.
Jesus naht sich dem Täufer. Ganz demütig, ein bescheidener Forderer; wie einer der vielen, die nach der Taufe begehren.
Johannes sieht den Mann herankommen und erbebt. Ist es der Edelwuchs des Nazareners, die ungewöhnliche Haltung, die natürliche und zugleich göttliche Hoheit, das herrliche Auge in dem von Nachtwachen gebleichten Gesicht, was den Täufer in Verwirrung bringt? Ist es der Strom der Reinheit, der aus der Seele Jesu hinüberströmt in das hellseherische Herz des Johannes? Das Unnennbare in dem herankommenden Mann Gottes sendet sein Licht in die empfangsbereite Seele des Propheten. Er staunt und schweigt und lässt den Galiläer an sich herankommen.
„Ich bin der Zimmermann Jesus aus Nazareth in Galiläa. Gib mir deine Taufe.“ In schlichter Art klingt es von den schöngeformten Lippen an das Ohr des Johannes.
In diesem Augenblick zerreißt das Gewölk über der Niederung, und Sonne flutet auf die zwei Menschen nieder, die sich Aug in Auge gegenüberstehen und deren Seelen sich gegenseitig zu erfühlen suchen.
Da durchbebt es jede Faser des Täufers. Er wird sich der Größe und der Wucht des Augenblicks bewusst. Vom Himmel taut selige Erkenntnis auf ihn nieder: Dieser ist’s! Und sein Inneres duckt sich zusammen, wird demütig und klein, das unbändige Drohen und Verdammen dieser Tage erstickt unter dem Gewoge neuer aus den Himmeln stürmender Bewusstseinskräfte. „Hier ist mehr denn ich!“, durchhallt es die Büßerseele.
Und dieses Erkennen formt das Wort, das nun von den bartumwilderten Johanneslippen tönt: „Ich bedarf wohl, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?“
Und Jesus spricht mit sanfter Bescheidenheit: „So lass es jetzt so sein, denn alle Gerechtigkeit muss erfüllt werden.“ Und er entkleidet sich und steigt unter dem Schutz dunkelnder Tamarinden in das reinigende Wasser, fühlt, wie unter dem nassen Schwall die Vergangenheit von ihm abfällt. Das Wasser wellt über seinem Leib zusammen, und wie er emporsteigt, greift sein Auge, des Abglanzes einer neuen Seele voll, nach der Sonne, die das Gewölk sieghaft durchleuchtet, und ihm ist, als schwebe eine weißschimmernde Taube von der Welten Ursphäre herab und beschirme sein getauftes, neugebornes Herz. Das zarte Tiergeschöpf – das weiß Jesus aus der Essäer Lehre – ist das Sinnbild der göttlich befruchtenden und Liebe gebärenden Liebe; es senkt sich im entscheidenden Augenblick seines Lebens weihebringend aus unsichtbaren Höhen auf sein Gemüt herab. Und der ganze Himmel über ihm liegt in fließendem Glanz und verströmt seinen leuchtenden Reichtum in seine Seele, sie für seine menschheitsbeglückende Zukunft segnend.
Auch der Täufer ist wie geblendet von dem Glanz, der aus der schimmernden Taubengloriole sich auf des Fremdlings Haupt ergießt. Seine eigene Segnung erstarrt unter der Wucht des Augenblicks.
Inmitten der Lichttrunkenheit ertönt des Himmels erhabene Bestätigung in die Herzen des Nazareners und des Täufers: „Dies ist mein lieber Sohn, dessen ich Zeugnis gebe.“
Johannes erzittert in jedem Nerv. Jesus steht reglos noch mit den Knien im Jordanwasser, die durchheiligten klaren Augen gnadenerweckt nach oben gerichtet, durch und durch ergriffen. Sein Antlitz ist durchstrahlt vom Glanz göttlicher Erhabenheit. Er glaubt zu spüren, dass mit diesem Taufbad das Schlammwasser aller Sünden von seinem Leibe trieft.
Da verblasst des Himmels hehres Geleuchte, die Sonne versinkt wieder hinter schwärzlichen Wolken, drohend verfinstert sich aufs Neue das Antlitz des Herrn über der Jordanerde.
Jesus hüllt sich in sein Essäergewand und nimmt mit einem Blick voll Dank und Liebe Abschied von seinem Wegbereiter, geht durch das Grün der Tamarinden, durch des Flusses Buschwerk, fast unbemerkt von der Menge, und verschwindet hinter einem Sandhügel, der von hohem Rohr umstanden ist.
Johannes blickt ihm entgeistert nach. Bis Andreas und Simon Jona an ihn herantreten und ihn aus dem vermeintlichen Traum wecken. „Johannes, das Volk verlangt nach dir. Auch sind Priester und Leviten aus Jerusalem gekommen, die dich sprechen wollen.“
Abwehrend flüstert der Täufer vor sich hin: „Gottes Sohn ...“ Und mit heiserer, fremder Stimme, die Hand ein wenig erhoben, setzt er hinzu: „So führt die Männer zu mir.“
Eine Schar stolzer Tempelpriester und Leviten, geführt von dem Vorsteher der Synagoge, schreitet durch den schlammigen Sand, vorsichtig die Röcke hebend. Aalglatte Wichte, vom Eigendünkel geschwellte Rauherzen, die mit dem sonderbaren Wüstenschwelger in Honig und Heuschrecken in Berührung kommen wollen, um zu ergründen, wieweit er mit seiner Narrheit das Volk ansteckt. Sie haben strenge Aufträge des Synedriums und des Hohepriesters Kaiphas, ihm auf den Zahn zu fühlen und die Dunkelheiten, die noch auf seiner Person lasten, zu durchleuchten.
Der Älteste der Synagoge, in einer Sänfte herbeigetragen, von den Leviten bewacht, lässt sich vor Johannes, dem verwilderten Gottesboten, niedersetzen. Von der Sänfte heraus richtet er das verschwommene, wasserblaue Auge nach dem Täufer und runzelt die Stirn. „Also wirklich wie wir’s geträumt hatten. Ausgedörrt, verhungert, ausgehöhlt, so wie es die Leute sich zuraunen. Und nun wer, ja, wer bist du eigentlich, der du die Herzen der Juden aufwühlst? Du tust ja, als wärst du Christus der Gesalbte.“
Johannes, noch benommen von den Schauern des Geschehens, blickt sie mit Gelassenheit an. „Ich bin nicht Christus.“
Der Templer stochert weiter: „Ja, was denn dann? Bist du vielleicht Elias?“
Unwillig schüttelt der Täufer das Haupt, dass die Mähne fliegt. „Ich bin’s nicht.“
„So bist du wohl der Prophet, den Moses geweissagt hat?“
„Ich bin’s nicht.“
Da wird der Frager ungeduldig. „Wir müssen doch denen Antwort geben, die uns zu dir geschickt. Was sagst du also von dir selbst?“
Johannes dehnt sich in den Hüften. „Was Jesajas gesagt, das bin ich, die Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn!“
Die Herren aus Jerusalem tuscheln verlegen miteinander. Mit der unklaren Antwort konnten sie nichts anfangen, das war zu wenig verständlich. „Warum taufst du denn, wenn du keiner der großen Genannten bist?“, versucht zum letzten Mal der Pharisäer ihm einen Stich zu geben.
Da weist er ihn mit einem furchtbaren Blick zurecht. „Ich taufe mit Wasser, seht ihr denn das nicht? Aber der, den ihr nicht kennet, ist schon mitten unter euch, er ist es, von dem ich gesagt, dass er nach mir kommen wird, der auch schon vor mir gewesen ist und des ich nicht wert bin, die Riemen seiner Schuhe zu lösen.“
In namenloser Traurigkeit suchen des Täufers Blicke die Wegspur Jesu zu entdecken, denn ihm ist, als müsse sie leuchten unter dem Tritt seines Fußes. Er möchte den Entschwundenen zurückholen und vor die Antlitze der Frömmler stellen.
Diese lächeln einander zu. Sie verstehen ihn nicht. Wie soll ihn erst das dumme Volk verstehen? Mit solchen verschleierten Andeutungen müht er sich vergeblich an die Seele der Geistesarmen heran, geschweige, dass er einen Aufruhr unter den Juden entfachen könnte. „Er ist ein Tor“, stellt einer von ihnen fest, und die andern nehmen das Wort mit Genugtuung auf. Ihn noch weiter zu fragen, halten sie daher für überflüssig.
Der Älteste gibt den Sänftenträgern einen Wink, die kleine Karawane setzt sich unter Geschnatter in Bewegung. In ihren Abzug grollen die ersten Donner des Himmels hinein.