Читать книгу Das hohe Leuchten - Ludwig Huna - Страница 9
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„Feine Töpfe!“, lobt das Mädchen aus Magdala den Händler, der auf dem Wege von Gibeon nach Jerusalem seine zwei vollbepackten Esel gemächlich vorwärts treibt. Aus den Tragkörben glänzen die Töpfe, das Erzeugnis des jüdischen Händlers, in der Sonne. Nun setzt er sich zur Rast auf einen Wegstein hin, der neben dürrem Weidengebüsch liegt. Mit einem Palmenblatt fächelt er sich Kühlung zu, denn die nahe Steinwüste schickt ihren versengenden Hauch herüber.
Das Mädchen hält vor dem Rastenden, dessen scharfgeschnittenes Gesicht mit den stechenden Augen unter einem tief in die Stirn gedrückten Wolltuchknäuel im Sonnenbrand leuchtet. Das brandrote Haar ist fast wollartig und hängt ihm auf den Nacken herab, die Kleidung des Händlers ist von feinem Damaszener Stoff, und wenn er eine seiner fahrigen Bewegungen macht, klimpert’s im Lederbeutel, der ihm an der Seite vom Gurt hängt.
„Du kommst von weit her?“, fragt das Mädchen.
Der Mann nickt und sticht mit den Augen nach dem schönen Gesicht. Er bemerkt, wie sich das Ding da vor ihm gefallsüchtig in den Hüften wiegt und die feuerrote Schürze spielend glättet. „Ich komm von Sichem und zieh mit der Ware nach dem Tempel. Immer um das Passahfest herum. Und du scheinst auch auf der Wanderung zu sein?“
„Ich bin aus Magdala am galiläischen See. Maria nennen sie mich. Meine Eltern haben ein Herbergshaus im Ort. Es kommen viele Templer und Schriftgelehrte zu uns, wenn sie nach Cäsarea Philippi reisen. Ich geh nach Jerusalem zum Fest.“
„Hm – Maria – wenn ich dich so ansehe – hm – du bist nicht unseres Blutes.“
„Nein, ich bin Galaterin. Meine Großeltern leben in Aspona, und meine Eltern siedelten sich in Magdala an. Du kennst Magdala?“
„Freilich kenne ich es. Ich komme mit meiner Ware überall hin. Aber wahrhaftig“, er äugt wohlgefällig nach ihr, „du bist schmuck, Maria. Dein rotes Schürzlein brennt wie Feuer über deinem Schoß, und dein Dunkelhaar legt Nacht über deine morgenfrische Stirn. Und dein Auge“, er lächelt sie an und pausiert ein wenig, um ihre Verlegenheit genießerisch auszukosten, „hm – hm – deine Augen sind ein einziger Brand. Dass du mit diesen Augen allein, schutzlos auf der Bergstraße wandern kannst – du hast Mut.“
Sie errötet und wischt sich den Schweiß von der Stirn, äugt in die bergige Gegend, die ringsum ihr kalkiges Gestein wie einen zerknitterten Reisemantel vor den beiden ausbreitet. „Glaub nicht, dass ich schutzlos bin“, sagt sie, und ihre feinen Nüstern beben. „Ich kann meine Krallen gebrauchen wie eine Katze. Das hat Ruben Ben Saphar gespürt in Magdala, als er mir im Feld nachspürte und mich in den vollen Weizen warf. Er sieht die Welt nur mehr mit einem Auge.“
„So wild bist du? Da muss man sich hüten.“
„Tu das nur. Lass mich übrigens ein wenig neben dir rasten. Wir können ja zu zweit nach Jerusalem wandern. Woher bist du?“
„Aus Karioth in Judäa. Aber meine Töpferwerkstatt habe ich in Sichem. Bei mir verkehren viele Rabbis und andere Gelehrte. Kommst du einmal nach Sichem, frage nach Judas, dem Töpfer, jedes Kind weist dir mein Haus.“
„Du bist beweibt?“, fragt Maria neugierig.
„Nein, meine Schwester führt mir das Haus. Ich mag die Weiber nicht, sie kosten Geld.“
Maria lacht hämisch auf. „Du Filz! Hockst wohl des Nachts auf deinen Säcken?“
Judas blinzelt sie von der Seite an. „Das Geld ist treu, ein Weib nicht.“
Sie blinzelt zurück. „Du kennst sie nicht, da du sie nicht liebst. Befreundetest du dich mit einer, die das Herz auf dem rechten Fleck hat, du sprächest anders.“ Sie pflückt eine purpurne Anemone, die neben ihr prangt, und steckt sie in den Haarknoten, der auf dem Nacken aufliegt.
Judas sieht ihr dabei gespannt zu. „Du trägst das Haar wie die römischen Hetären, und ich wette, du hast in deinem Zimmer allerlei Riechfläschchen und Salben.“
Sie schmollt und macht finstere Augen. „Das tut doch meiner Ehre nicht Abbruch. Spiel dich doch nicht als Sittenrichter auf. Ergrimmst du, wenn ich dir sage, dass ich sogar einen silbernen Spiegel habe? Und Pinzette und Schere, Brenneisen und Zahnbürste? Das alles braucht der Körper, und selbst Perlen sind für hübsche Mädchen eine Notwendigkeit.“ Lässig spielen ihre Finger mit der Kette über dem leichtgebräunten Hals.
„Sie leuchten auf deiner Haut wie Mondlicht. Aber sie kosten Geld. Die Perle, die Kleopatra in Essig löste, kostete zehn Millionen Sesterzen.“
„Du rechnest alles in Geld um, Händler von Karioth. Mit dir könnte ich schwer von Liebe reden.“
Judas äugt sie mit wachsendem Wohlgefallen an, und er bemerkt erst jetzt, wie wohlgestaltet ihr Leib ist, und wie sie das Umhängetuch voll Anmut über der Schulter zu tragen versteht. Auch der zierliche, vom Schnürwerk eingeengte Fuß entgeht seinem musternden Blick nicht, der aber auch entdeckt, dass ihre Augenbrauen schwarz gefärbt und die Fingernägel durch Henna künstlich gerötet sind.
„Rede ungescheut von Liebe“, sagt er listig lächelnd, „ich will dir lauschen wie der Freund der Freundin im Hohelied Salomos.“
„Das könnte dir passen, Schlaufuchs. Streng dich nur selbst an.“ Sie wirft die Beine übereinander und summt etwas vor sich hin. Dann mustert sie die Töpfe in den Tragkörben.
„Such dir eine Vase aus, Kind. Ich will bei dir nicht aufs Geld schauen. Sieh, diese hier ist schön bemalt, rot und gelb, ein Strauß darin dreifach ins Licht gehoben, die Form ist ungewöhnlich, hochgestielt. Ein Bezaleel hätte keine schönere Form ersinnen können. Nimm sie nur in die Hand, sie wiegt wie eine Adlerflaumfeder.“
Seine Anpreisung macht Maria kauflüstern. „Was kostet die Vase?“
„Einen Blick deiner Augen.“ Er drückt ihr mit Aufdringlichkeit die Vase in die Rechte.
Maria dreht verlegen das Gefäß zwischen den Fingern hin und her. Ja, die Vase ist fein geformt, und die Freundinnen werden sie darum beneiden. Nur traut sie seiner Freigebigkeit nicht. „So billig willst du dich bezahlt machen, Geldhocker du? Nun sprichst du schon anders als vorhin. Welcher Mensch ist der wahre in dir? So nehme ich denn das Ding mit Dank an. Und hier hast du einen Blick aus meinen Augen.“ Mit leichter Dreistigkeit sieht sie ihn unverwandt an und merkt, dass sein Wesen sich unter dem Strahl ihres Auges gleichsam verändert; er wird zaghaft verlegen – oder tut er nur so? Sie kennt sich nicht recht aus mit ihm. Ihr ist, als schmölze etwas in ihm, vielleicht Härte, Geiz, Habsucht, sie weiß es nicht, aber es sitzt plötzlich ein anderer neben ihr, der weicheren Gemütes ist und seine Überheblichkeit zu bereuen scheint.
Aber auf einmal weht wieder ein kalter Hauch über sein Gesicht. „Du – hast du – viel geliebt?“ Er fragt es hart und unverschämt.
Da lacht sie auf. „Spät erkennst du das, Judas von Karioth. Man sieht, dass du nicht viel mit unseresgleichen zu tun gehabt hast. Es ist schade um dich.“
Ihre Offenheit spornt auch sein Blut zu schnellerem Gang an. „Also dorther kommst du? Sieh, ich verachte dich deshalb nicht. Es gab einmal eine Hure Rahab, von der Moses erzählt. Sie rettete zwei Vertrauten des Josua das Leben. Es war also trotz ihrer Schmach viel Liebe in ihr. Auch du könntest – ich weiß es nicht – auch eine wohlklingende Saite auf deiner Seelenharfe haben, ein Feierkleid neben deinem beschmutzen Alltagsgewand.“
Sie tut beleidigt. „Du darfst mich nicht ungebührlich behandeln, sonst trennen sich unsere Wege. Wäre es dir nicht lieber, wenn sie eine Zeit lang zusammengingen?“ Ihre Augen bekommen einen sonderbaren Glanz.
Auch Judas spürt, wie ein angenehmer Schweiß seine Stirne netzt. Er rückt ganz nahe an sie heran und lässt seinen Atem an ihrer Wange vorbeiwehen. „Maria von Magdala“, seine Hand spielt mit dem Saum ihres Kleides, „ich will mit dir nach Jerusalem gehen und dann wieder zurück, und ich will dir Weghelfer sein, aber du musst ein wenig lieb zu mir sein; denn sieh, was ich vorhin sagte, ist nicht ganz wahr, ich meine das mit den Weibern. Ich könnte schon ein Weib lieben, wenn es das Herz aufbrächte, mich zu lieben, so wie ich bin, ganz und gar so. Mit meiner brandroten Barthässlichkeit, meinen Stechblicken, meinem unbeholfenen Wesen. Wandeln kann ich mich nicht. Mich hat Jahve so und eben so in die Welt setzen lassen durch meine Mutter. Und so mag er es verantworten, dass nichts Besseres aus mir wurde als ein geldgieriger Töpfer. Aber sieh“, er wurde wieder schleichend und geschmeidig, „das Geld hat auch seine Seele. Man muss sie nur sprechen hören, und dann bleibt sie dem Menschen treu.“
Maria verzieht unwillig die Schultern. Da ist schon wieder das Wort von der Geldtreue. Sie weiß es bei sich anders. Aber im Grunde schätzt sie doch auch die Eitelkeit des Lebens, kennt den Wert glänzender Edelsteine, die Geborgenheit unter der Hut des Goldes, den Schein, der vom Besitz auf den Menschen fällt, die Macht der Münze, die Vornehmheit der Gewandung – oh, Maria hat eine sehr irdisch gestimmte Seele, und die Schwere des Gesetzes hat sie noch nicht bedrückt. Sie wendet sich nun ganz dem verführerischen Sprecher zu und schaut ihm misstrauisch ins Auge. „Soll ich’s mit dir wagen, Freund und Wandergefährte? Hm – jedenfalls hüte ich mich, dir viel zu versprechen.“
Da legt er sachte seinen Kopf auf ihre Schulter. „Versprich mir nichts, Maria – ich will dich nach deinem Heimatort Magdalena nennen – und auch ich will dir nichts versprechen. Der Augenblick soll sein Recht haben.“ Sein Mund zuckte nach dem Geblüh ihrer Lippen.
Sie entzieht ihm schnell den weichen Polster ihrer Schulter. „Nicht so – die Straße ist gefährlich, die Sonne sinkt, wir müssen gehen.“
Im Westen erglüht der Himmel leise wie in der Farbenpracht einer Kimmung, und in den Tälern schattet schon das Grau der Dämmerung.
„Dort drüben liegt die Herberge“, sagt Judas schnell. „Sie gehört schon zu Schofat, ich kenne sie. Dort nächtigen wir, und morgen sind wir in Jerusalem.“
Sie machen sich auf den Weg. Ihre Augen suchen einander immer wieder, und wenn Judas die Packesel am Halfterband führt, bittet er Maria, dass sie vor ihm dahergehe, auf dass er das Bild ihres wiegenden Ganges vor sich habe.
So kommen sie, jedes innerlich schon von dem andern sinnlich berührt, vor der halbverfallenen Steinherberge an, wo sie in zwei nebeneinander liegenden Kammern notdürftig Unterkunft finden. In der Essstube sitzen sie zusammen, bis draußen die Nacht schwer über dem Gestein liegt. Er erzählt ihr von Karioth, von den toten Eltern, von seiner Schwester, seinem Handel und seinem in der Synagogenweisheit wühlenden Geist. Sie bekommt starke Anteilnahme an seinem Geschick.
Die Öllampe beleuchtet ihr Gesicht, dessen Schönheit jetzt vom düsteren Dämmern umspielt wird. Sie erscheint ihm noch schöner als bei Tag, und bei jedem ihrer Worte fühlt er sich schwächer werden, fühlt, wie sich ein Netz um seine Glieder legt, aus dem zu befreien er sich gar keine Mühe nehmen will. Maria, vom Wein etwas erhitzt und benommen, schließt die Augen und sieht die Vergangenheit an sich vorbeiziehen: Die Liebesnacht in den Armen ihres ersten Verführers in Magdala, ihr verschluchztes Antlitz nach dem Aufdämmern der Erkenntnis, dass ihre Ehre verloren war, ihre Flucht aus dem Vaterhaus zur Base Sebuda nach Jerusalem, das Spelunkenleben an der Mauer des Hinnomtales, ihr Aufraffen aus dem Luderleben und ihr Wandeln in reineren Gassen der Davidstadt, wo sie bei einer anderen Verwandten ein Unterkommen gefunden, ihre Hingabe an einen Mann, der es ehrlich mit ihr meinte, den sie aber in einer Aufwallung ihres Blutes verließ, um aufs Neue in dem Sumpf der Liebessünde zu versinken, und nun ... nun hält sie wieder vor der unheimlichen Pforte des Lasters und pocht an. Und ihr wird willig aufgetan. Der Böse lauert auf sie. Ein Mensch, den sie kaum kennt, aber dessen Wesen durch seine Berührung mir ihr verwandelt erscheint, streckt in dunklem Naturwillen seine Fühler nach ihr aus, sein Blut brennt nach ihr, sein Herz wallt ihr zu. Das alles sieht und fühlt sie mit geschlossenen Augen. Nun schlägt sie die Wimpern auf. Judas liegt, vom Wein durchglüht, mit dem Kopf auf ihrem Knie, seine Hand streichelt leise über die zarte Rundung.
„Komm!“
Da schleicht sie voran in ihre Kammer. Der Teufel in ihr lässt seine Lohe durch ihr Herz rasen, der heiße Sturm verzweifelter Liebe fegt durch ihre Sinne und wirft die Wollust an die Oberfläche wie das erregte Meer den Schaum. Und als Judas mit giergespannten Gliedern zu ihr schleicht, schenkt sie ihm alles, was sie zu geben hat. Er nimmt sie, wie der Föhn die Landschaft überstürmt.
Aber nach der Verschenkung ihrer durchwühlten Glieder überjagt sie ein Grauen. Es ist, als habe der Teufel in ihrem Herzen plötzlich Reißaus genommen.
Das geschah in dem Augenblick, da draußen an der Herberge vorbei zu mitternächtlicher Stunde der Schritt des Nazareners unhörbar über die Steine ging ... nach Jerusalem.
An ihre Brüste rühren eisige Finger, als streichle die Verwesung darüber hin. Ihre Lider schließen sich im seufzenden Weh.