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BULGARIEN

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Bulgarien – was weiß man schon von diesem Land? Ich erinnere mich an sumogleiche Ringer, die früher regelmäßig olympisches Gold gewannen, an Schwarzmeerstrände, zu denen in den frühen Tagen der alten Bundesrepublik diejenigen fuhren, die sich Mallorca oder Italien noch nicht leisten konnten. In meiner Studienzeit hatte es mich einmal nach Bulgarien verschlagen, wo ich eine Familie aus Erfurt traf, die bitter über die deutsche Teilung klagte, die doch im Westen längst als eine Selbstverständlichkeit hingenommen wurde. Kennzeichnend für das westdeutsche Bulgarienbild der frühen Jahre war die Bemerkung des deutschen Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki, der von seiner Verwunderung berichtete, als er Günter Grass kennenlernte, denn der habe ausgesehen „wie ein bulgarischer Geheimagent.“

Mit der Geschichte verhält es sich natürlich nicht anders. Auch für den Geschichtsinteressierten gleicht die bulgarische Historie einem Buch mit sieben Siegeln. Fremd klingen die Namen und die Schauplätze dem Mitteleuropäer in den Ohren, kaum nachvollziehbar die nationalen Dramen, deren größtes das halbe Jahrtausend war, während dem Bulgarien unter der türkischen Fremdherrschaft beinahe seine Identität verlor.

Der geschichtliche Raum, in dem sich die bulgarische Geschichte vollzog, war das alte Thrakien, das ausweislich der Berichte antiker Autoren von einem kriegerischen Menschenschlag bewohnt wurde. Denken wir nur an den Gladiator Spartakus. Erst im sechsten Jahrhunderts erscheinen die Slawen als ein amorphes Stammesgemisch. Bald darauf folgten die sogenannten „Proto-Bulgaren“, ein asiatisches Reitervolk, das als Herrenschicht die ansässige Slawenbevölkerung unterwarf und regierte. Die ersten Khane dieser „Proto-Bulgaren“ brachten mächtig Schwung in die Geschichte des Balkans, denn sie besiegten die Byzantiner und belagerten mehrfach die Kaiserstadt Konstantinopel. Im Unterschied zu den Ungarn, die ihre ethnische Identität und Sprache durch die Jahrhunderte hinweg bewahrten, wurde die kleine Schicht der Proto-Bulgaren allerdings mit der Zeit von der zahlenmäßig weit überlegenen slawischen Mehrheitsbevölkerung assimiliert. Die beiden Populationen vermischten sich, so dass am Ende von den asiatischen Proto-Bulgaren nur noch der Name „Bulgaren“ für das mehrheitlich slawischsprachige Volk übrigblieb. In der Regierungszeit von Zar Boris I (852-889) wurde dieses frühbulgarische Völkergemisch durch die Einführung des orthodoxen Christentums und der kyrillischen Sprache europatauglich kultiviert. Zar Simon (889-027) erhob Bulgarien zur Vormacht unter den Balkanvölkern. Von der religiösen Inbrunst der frühen Bulgaren legen die Gründungen des Rila-Klosters und einiger Athos Klöster Zeugnis ab.

Leider haben es die goldenen Zeiten der großen und der kleinen Völker an sich, meist schnell zu Ende zu gehen. Im Falle Bulgariens geschah dies im Jahre 1014 durch eine nationale Katastrophe. Der byzantinischen Kaiser Basileius II, ein gewaltiger Schlagetot, der das byzantinische Imperium von Armenien bis zur Donau wieder aufrichtete, besiegte die bulgarische Armee und ließ 14.000 gefangen Bulgaren blenden. Jedem Hundertsten ließ er wenigstens ein Auge, damit er seine blinden Kameraden zurück in die Heimat führen konnte. Zar Samuel traf angesichts dieses Elends der Schlag. Damit war das Ende des ersten bulgarischen Reiches besiegelt.

Im 13. und 14. Jahrhundert entstand ein zweites bulgarisches Reich, das aber schon 1393 den Türken erlag. So ging es den Bulgaren ähnlich wie den Serben vier Jahre vorher: ein halbes Jahrtausend lang währte die türkische Herrschaft, ehe 1878 die russischen Befreier kamen.

Trotz oder gerade wegen der Türkenzeit war die Erinnerung an die glanzvollen Jahrhunderte der bulgarischen Geschichte unvergessen. Stolz bezeichnen sich die Bulgaren als das „erste“ aller slawischen Völker. Sie waren es, die die den ersten slawischen Staat gründeten (noch vor der Kiewer Rus), sie waren das erste slawische Volk, das das Christentum annahm, sie waren die ersten Slawen, die die kyrillische Schrift verwendeten, und der erste slawische Patriarch war ein Bulgare gewesen.

In gewisser Weise waren also die frühen Russen „Schüler“ der Bulgaren gewesen, woran sicher der eine oder andere gedacht haben mochte, als die Russen, nachdem sie die Bulgaren im 19. Jahrhundert von den Türken befreit hatten, sie im 20. Jahrhundert in ihr Sowjetimperium einsackten. Viel hörte man nicht von den Bulgaren innerhalb des Ostblocks. Dann aber stand dann plötzlich auch Bulgarien als Beitrittskandidat vor den Toren der Europäischen Gemeinschaft.


Reiterstatue Zar Alexanders II


Alexander Newski Kathedrale Sofia

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