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2.3.5 Die Ebene der Persönlichkeitsstrukturen

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Aus welcher Eigenschaft beziehen traumatische Ereignisse ihr besonderes pathogenes Potenzial? Bereits Lorenzer (1966, S. 490) betrachtete »eine strukturelle – und d. h. bleibende – Veränderung des psychischen Apparates […] unter dem Druck des Traumas« als entscheidendes Kriterium. Als von Traumatisierungen betroffene strukturelle Dimensionen werden unter anderem Abwehrorganisation und Objektbeziehungsrepräsentanzen angeführt. In Ergänzung des für die akute traumatische Phase beschriebenen Zusammenbruchs der Abwehr nehmen zahlreiche AutorInnen spezifische – typischerweise unreife – Abwehrmechanismen als kennzeichnend für Traumafolgestörungen an (z. B. Fernando, 2012; Grubrich-Simitis, 1979; Lorenzer, 1965). Ein weiterer zentraler Ansatzpunkt der strukturzersetzenden Wirkung traumatischer Ereignisse sind aus psychoanalytischer Perspektive die Niederschläge insbesondere früher interaktioneller Erfahrungen. Unter diesen Erfahrungen bilden sich unser Selbstkonzept, unsere inneren Arbeitsmodelle in Bezug auf andere Menschen und das, was wir von ihnen zu erwarten haben, sowie resultierende Reaktionstendenzen heraus. Naturgemäß kommt der Interaktionen mit unseren zentralen Bezugspersonen eine besondere Rolle in diesem Prozess der Prägung unserer Persönlichkeit und der psychischen Strukturen, auf denen diese beruht, zu. Zahlreiche TheoretikerInnen haben diese Verhältnisse mit spezifischen Modellen abzubilden versucht. So spricht Kernberg (z. B. Clarkin, Yeomans & Kernberg, 2006) von inneren Objektbeziehungen, in welchen er die Bausteine unserer psychologischen Struktur erkennt. Diese bestehen aus einer Selbst- und einer Objektrepräsentation sowie einem beide verbindenden Affekt. Stern (1985) formuliert das Konzept generalisierter Interaktionsrepräsentanzen, Fonagy (2009) erkennt den zentralen Wirkort der Interaktion mit den Pflegepersonen im Bindungssystem und resultierenden inneren Arbeitsmodellen. Ohne die z. T. erheblichen Unterschiede zwischen solchen Ansätzen egalisieren zu wollen, können drei Gemeinsamkeiten festgehalten werden. Dies sind die zentrale Rolle insb. früher Interaktionserfahrungen, ihre Abbildung in überdauernden psychischen Strukturen, und deren organisierende Wirkung auf zukünftiges Erleben und daraus resultierendes Verhalten.

Im Einfluss traumatischer Erfahrungen auf Objektbeziehungsrepräsentanzen ist natürlich die Beeinträchtigung einer bereits entwickelten Struktur im hier betrachteten Fall des Erwachsenentraumas von den Folgen traumatischer Ereignisse auf eine sich in der Entwicklung befindende Struktur zu unterscheiden. Bohleber (2000, S. 821) fasst Beiträge von Laub (z. B. Laub & Auerhahn, 1991) zusammen:

»Die kommunikative Dyade zwischen dem Selbst und seinen guten inneren Objekten bricht auseinander, was absolute innere Einsamkeit und äußerste Trostlosigkeit zur Folge hat. Die traumatische Realität zerstört den empathischen Schutzschild, den das verinnerlichte Primärobjekt bildet, und destruiert das Vertrauen auf die kontinuierliche Präsenz guter Objekte und die Erwartbarkeit mitmenschlicher Empathie, nämlich daß andere die grundlegenden Bedürfnisse anerkennen und auf sie eingehen.«

Laub (2000, S. 865) verwendet für diesen »Zustand innerer Objektlosigkeit« die Metapher einer »Erfahrung des leeren Kreises«. Küchenhoff (2004, S. 825) zieht die Bedeutung triangulierender Erfahrungen für die Entwicklung der psychischen Struktur als Verständnishilfe heran: »Im Trauma wird die […] trianguläre Struktur von Selbst, Objekt und Anderem zerstört. Der Andere erlaubt dem Selbst nicht mehr, die Differenzerfahrung zwischen Objekt und Anderem überhaupt erstmals zu machen oder sich immer wieder an ihr abzuarbeiten«. Unter Anwendung der Objektbeziehungstheorie konzeptualisieren Lorke und Ehlert (1988), wie spezifische Effekte traumatischer Ereignisse wie die Herausbildung von Täterintrojekten oder das sogenannte Stockholmsyndrom verstanden werden können. Der äußere Angriff durch den/die TäterIn wird demnach im Zuge des beschriebenen regressiven Sogs von einer inneren Dynamik der Reaktivierung infantiler Ängste komplettiert. Es kommt zu einem vollständigen Abbruch aller narzisstischer Besetzungszufuhr von außen wie von innen. »Die traumatische Regression ist auf diese Weise unauflöslich mit der Suche nach einem Hilfsich verbunden, an das die vom Ich unter dem Druck der eigenen Ohnmacht aufgegebenen, aber überlebenswichtigen Ichfunktionen delegiert werden können« (S. 508). Das tragische an der traumatischen Situation ist nun, dass einzig der/die TäterIn als mächtiges Gegenüber zur Verfügung steht:

»Die Delegation der Ichfunktionen, das Liebesbedürfnis und die Verschmelzungswünsche, die das Verfolgungstrauma im Opfer induziert, richten sich auf niemand anderen als auf den Täter. Er, der ja de facto über Leben oder Sterben, über Wert oder Unwert des Opfers entscheidet, wird vom Opfer erlebt, als sei er das Primärobjekt. Der Täter gerät also in die Position der frühesten Elternimagines, und er erhält damit deren Allmacht und deren narzißtische Qualitäten; er wird zum Garanten des psychischen Überlebens des Opfers« (S. 510, Hervorhebung im Original).

Es kommt nun zu einer Introjektion eines angenommenen (phantasmatischen) Verbots des Täters/der Täterin, durch dessen Überschreitung die Liebe des Primärobjektes verloren wurde, zusammen mit dem anscheinend aus diesem Übertritt resultierenden Fremdbild des Täters/der Täterin (Selbst als böse) ins Selbstbild. Dieses Introjekt kann nicht aufgegeben werden, obwohl es das Opfer in seiner eigenen Identität bedroht, weil es das Versprechen einer Versöhnung enthält.

Eine noch detailliertere metapsychologische Analyse des introjektiven Geschehens führt Rosenberg (2010) durch6. Er geht dabei von der dargestellten Annahme aus, dass die persönlichkeitskonstituierenden Repräsentationen Selbst-, Objekt- und Affektaspekte verbinden. Das Ich introjiziert im traumatischen Erleben also nicht nur ein Bild des traumatisierenden Objekts, sondern auch Anteile des abgespaltenen Selbsterlebens und die »die Interaktion und Handlungsintentionen begleitenden Affekte, Kognitionen, Phantasien, sensorischen Wahrnehmungseindrücke sowie kontextuelle Faktoren der Umgebung« (S. 25). Traumatische Introjekte zeichnen sich gemäß Rosenberg (2010) also nicht durch einseitige Selbst- oder Objektzugehörigkeit aus (bspw. in Form alleiniger Täterintrojekte), sondern unter anderem durch die folgenden Eigenschaften:

• Introjekte stellen eine Repräsentationsform dar, welche durch Globalität, Unvollständigkeit, Rigidität und diktatorischen Machtanspruch gekennzeichnet ist. Dies impliziert, dass der Austausch zwischen Ich und Introjekt nicht wie bei reiferen Repräsentationen vom Ich kontrolliert (Schaffung eines Denkraums), sondern vom Introjekt dominiert wird (»agiertes Verhalten ersetzt das geistige Probehandeln« (S. 70).

• Es erfolgt keine Ankoppelung an die vorbestehende Repräsentanzenstruktur durch reife sekundäre Identifikation, so dass die Introjekte »dem Ich als fremdartige innere Objekte gegenüber« treten (S. 23).

Einerseits reflektieren die Introjekte also intrusiv gegen die Ich-Struktur wirkende innere Objekte, die umso konkretistischer als Stimmen oder sogar innere Gestalten erlebt werden, je unreifer das Strukturniveau der PatientInnen entwickelt ist. Anderseits – insbesondere bei frühen Typ-II-Traumata – entwickeln sie sich zu charakterologisch verankerten Persönlichkeitsstrukturen mit einhergehendem Risiko der späteren Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung. Drittens bilden sie dissoziierte Wahrnehmungseindrücke aus traumatischen Situationserfahrungen ab, die durch entsprechende Hinweisreize aus dem Zustand der Verleugnung und Abspaltung gehoben werden können.

Mittels des konservierenden Introjekts kann das Ich die innere Beziehung zum benötigten Objekt aufrechterhalten. Gleichzeitig macht es sich zu dessen Komplizen, weil es hiermit die eigene Entwertung unterschreibt. In diesem Zusammenhang ist das Agieren zu verstehen, welches häufig genug, dem Wiederholungszwang folgend, der Befriedigung un- oder vorbewusster Strafbedürfnisse untersteht.

Rosenberg vertritt nun die Ansicht, dass den Affekten dabei die Rolle der Energetisierung der Introjektbesetzungen zukommt. Hat beispielsweise ein Gewaltopfer die Schuld des Täters/der Täterin bzw. dessen/ deren Schuldzuschreibungen an das Opfer introjiziert, kommt es aus Gründen der Bewältigung der damit einhergehenden Konflikte zu sekundären Identifikationen mit diesen Introjekten: Ein mögliches Erleben der Schuld des Täters/der Täterin verkehrt sich nun in das Erleben eigener Schuld für die traumatische Erfahrung. Diese Schuldübernahme bietet eine sinnstiftende Erklärung für das Handeln des Täters/der Täterin, seine/ihre Rehabilitierung die Chance auf Bindungserhalt zum äußeren und inneren Objekt. Konfliktspannungen zwischen dem die Identifikation auslösenden Ich und den Anteilen des Überich, welche die Introjekte beherbergen einerseits, und den vom Trauma nicht betroffenen Überichanteilen anderseits münden dann in einen Schuldteufelskreis, der sich aus den Komponenten von Schuldgefühl, Strafbedürfnis und Reinszenierung zusammensetzt.

Im Zuge der unreifen sekundären Identifikationen wird das Introjekt als etwas zum Selbst zugehöriges erlebt, was eine illusionäre Teilhabe an der introjizierten Objektmacht ermöglicht. Rosenberger legt dar, wie die Lebensverläufe vieler Traumatisierter davon zeugen, dass solche Zustände in späteren Beziehungen per Wiederholungen durch objektgerichtetes Agieren oder durch gegen das Selbst gerichtetes masochistisches und selbstverletzendes Verhalten Ausdruck finden, letztendlich aber eine Bestätigung der eigenen Existenz, narzisstischen Gewinn im Beweis von Überlebensstärke, und ein Stück Autonomie und Aktivität ermöglichen.

Diesen Abschnitt zur Bedeutung von Persönlichkeitsstrukturen für das Verständnis des traumatischen Prozesses zusammenfassend sei noch einmal Bohleber (2000, S. 828) angeführt: »Objektbeziehungstheoretische Modellbildungen stellen mit dem Zusammenbruch der inneren tragenden Objektbeziehungen die gänzliche Verlassenheit und die Unterbrechung jeglicher affektiver Bindung und innerer Kommunikation in den Mittelpunkt […]«. Seine Schlussfolgerung, dass dies »[…] zur Folge hat, daß das Traumanarrativ nicht integriert werden kann« (ebd.), leitet zum nächsten Abschnitt über.

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