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Exkurs: Zum Begriff des kollektiven Traumas

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Die Berücksichtigung sozialer Prozesse hat jedoch nicht nur hilfreichen theoretischen Entwicklungen den Weg geebnet. Wie auch das Konzept individueller Traumatisierungen erfreut sich dasjenige kollektiver Traumata großer Beliebtheit. »Über Attentate wie jene vom 11. September 2001 oder das Massaker in Norwegen kann man nicht schweigen. Jede demokratische Gesellschaft muss ein solch kollektives Trauma ausführlich und öffentlich verarbeiten«, schreibt die WOZ in ihrer 31. Ausgabe vom 04.08.2011. »Mit kollektivem Trauma […] meine ich einen Schlag gegen das grundlegende Gewebe des sozialen Lebens, welcher die Verbindungen der Menschen untereinander verletzt und die vorherrschende Empfindung von Gemeinschaft beeinträchtigt«, formuliert Erikson (1976, S. 154, zitiert nach Erikson 1991). Aber macht die Annahme eines traumatisierten Kollektivs, sofern nicht alle Angehörigen dieses Kollektivs traumatische Ereignisse erlebt haben, Sinn? Brunner (2010) listet in seinem kritischen Beitrag sich scheinbar anbietende Parallelen individueller und kollektiver Traumafolgen an. An den Bereich des traumatischen Wiedererlebens ( Kap. 3) erinnert der von Volkan (2000) beschriebene flashbackartige Zeitkollaps, bei welchem Vergangenheit und Gegenwart kollektiv-psychisch eins werden. Den PTBS-typischen Vermeidungssymptomen entspräche die mit dem Begriff der conspiracy of silence (Danieli, 1984) beschriebene Tabuisierung des Themas, welche sich häufig in den ersten Jahrzehnten nach Genoziden auf Täter- wie auf Opferseite beobachten lässt. Die psychophysiologische Übererregung im Rahmen der PTBS-Diagnose lässt sich in Gruppen beobachten, wenn die tabuisierten Themen dennoch angesprochen werden. Wie im Rahmen der Konzepte der auserwählten (Volkan, 2000) oder kulturellen (Alexander, 2004) Traumata analysiert wird, handelt es sich hierbei jedoch um sozialpsychologische Phänomene, für welche das Thema der Gruppenidentität von Relevanz ist. Alexander (2004) analysiert die kommunikativen Akte, über welche ein Traumanarrativ über den erfahrenen Schmerz entsteht, welches Teil des Kerns des kollektiven Identitätsgefühls wird. Volkan (2000) betont das offensichtliche Missbrauchspotenzial solcher sozialpsychologischen Mechanismen. Beide Autoren belegen, dass Gelingen oder Scheitern der Verankerung der Repräsentation eines Traumanarrativs in der Gruppenidentität unabhängig vom Vorliegen oder Nichtvorliegen eines realen massenhaft erfahrenen Unglücks ausfallen können.

Ein hilfreiches Konzept, welches die gesellschaftliche Dimension massenhafter traumatischer Erfahrungen wie eines Genozids abbildet, ist das des sozialen Traumas (Hamburger, 2018). Hier werden die Auswirkungen für die Verarbeitungsmöglichkeiten einer individuellen traumatischen Erfahrung beschrieben, wenn TäterInnen und Opfer soziale Gruppen repräsentieren und die Viktimisierung von übergeordneten sozialen Strukturen sanktioniert wird (Laub & Auerhahn, 1989). Hamburger (2017, S. 82, eigene Übersetzung) erkennt »die Auslöschung der kulturellen Umgebung als Resonanzkörper« als entscheidenden Mechanismus. Einen etwas anderen Schwerpunkt setzt der bereits angeführte Ansatz des kontinuierlichen traumatischen Stresses (Straker et al., 1987). Hier fehlt es unter anderem an einem gesellschaftlich verankerten Referenzpunkt einer nicht-traumatischen Realität, welcher erlaubt, das Erlebte als ethisch zu verurteilende Abweichung von dieser einzuordnen.

Solche Konzepte erlauben es, die Aspekte der individuellen traumatischen Erfahrung, der Bedeutung gesellschaftlicher Verhältnisse für ihre Verarbeitung, und Prozesse der Gruppenidentität voneinander zu trennen. Entsprechend ist Brunner (2010, S. 10) beizupflichten, wenn er schlussfolgert:

»Ich glaube, dass wir dieser Problematik nur begegnen können, wenn wir uns vom Begriff des ›Kollektiven Traumas‹ verabschieden. Entweder wird ein solches ›kollektives Trauma‹ nämlich nur metaphorisch als Erschütterung der Kommunikationsstrukturen einer Gesellschaft oder als narzisstische Kränkung einer Großgruppe verstanden. Für ein solches Verständnis ist aber ein Rekurs auf die Traumatheorie selbst unnötig, sorgt eher für Verwirrung. Oder aber es werden damit wirklich die gesellschaftlichen Auswirkungen massenhafter Traumatisierungen nach massiven Gewaltereignissen zu fassen versucht, und dafür verdeckt der Begriff des ›kollektiven Traumas‹ in seiner Unterkomplexität mehr als er erhellt, denn traumatisiert im klinischen Sinne werden nur Einzelpersonen.«

Trauma

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