Читать книгу Die Antiquitätenhändlerin - Madeleine Giese - Страница 10

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Im Schuppen brannte Licht, er konnte durch das Fenster Hannas rotes Haar sehen.

Vorsichtig klopfte Jascha an die Scheibe.

Die junge Frau sah aufgeschreckt zu ihm. Eine ungeschickte Handbewegung, und sie stieß gegen die Tasse. Der Kaffee schwappte auf den Tisch und spritzte auf die ausgebreiteten Papiere.

«Mist!» Sie hob den Saum ihres Sommerkleides und tupfte vorsichtig über die Bögen.

Als er durch die Tür trat, empfing ihn ein raues «Jascha, du Blödmann».

«Kaffee gibt keine Flecken. Zumindest bei dir nicht», entgegnete er.

Eine Sekunde sah sie ratlos an sich herunter, die Hand um den feuchten Saum ihres braunen Kleides geballt. Dann fiel der Groschen. Ein kurzes Lächeln huschte über ihre Mundwinkel.

Er verschränkte die Arme und lehnte sich gegen den Türrahmen. «Der Raum steht dir.»

Grünes Blitzen in ihren Augen. «Weil er voll Gerümpel ist, was?»

Langsam ließ er seinen Blick durch den engen Gartenschuppen gleiten. Musterte das karge Mobiliar, die erdverkrusteten Gartengeräte in der Ecke, die Holzregale, voll geladen mit Düngersäcken, alten Farbdosen, zusammengeknüllten Plänen, schmutzigen Gartenhandschuhen.

Jetzt legte der Blödmann auch noch sein Kinn in die Hände. Eine Sekunde lang kribbelte es in ihren Fingern. Einmal noch durch seine nachtschwarzen Locken fahren. Sehen, wie sich seine dichten Wimpern über den hellgrauen Augen senkten ... Kinderschänderin!, rief sie sich zur Ordnung. Einmal war genug.

Sie drehte ihm den Rücken zu.

«Es sind die Farben», sagte er nachdenklich, hielt Daumen und Zeigefinger wie einen Kameraschlitz vor ein Auge und kniff das andere zu. «Das Holz der Wände – Goldbraun. Das Licht einwandfrei golden.» Mit der imaginären Kamera umrundete er sie. «Und in der Mitte: du!»

Jetzt stand er ihr gegenüber am Tisch.

«Kleid, na ja, eher kakao- als kaffeebraun. Haare wie Feuersglut. So was Glimmendes, verstehst du? Alles erdfarben. Wie sich’s für ’ne Gärtnerin gehört. Erdiges Feuer.»

Sie ließ den Rockzipfel fallen, stützte sich mit beiden Händen am Tisch ab und senkte den Kopf.

Er stutzte und trat zögernd näher. «Hey, Hanna. Was ist denn los?»

Er angelte sich einen der wackeligen Gartenhocker und ließ sich zusammengekrümmt darauf nieder. Versuchte, von unten in ihr Gesicht zu sehen. «Komm, sag Onkel Jascha, was los ist. Es ist, weil alles so weitergeht, als wäre nix passiert, oder?», fragte er leise.

«Außer Theo sind die von der Initiative doch alles Idioten», stieß sie unvermittelt hervor.

Er räusperte sich.

«’tschuldigung. Ich wollte deinen Vater nicht beleidigen.»

Lässig winkte er ab. Na ja, er hoffte zumindest lässig.

«Theo war der Einzige, mit dem ich mich unterhalten konnte. Über den Garten, über meine Pläne. Es hat ihn wirklich interessiert, was ich vorhatte. Verstehst du?»

Natürlich verstand er. Das war immer so mit Theo. Er war der geborene Zuhörer gewesen. Man konnte mit dem verrücktesten Zeug zu ihm kommen. Theo hatte ihm auch erklärt, dass der Unterschied zwischen einer Vierundzwanzig-jährigen und einem Achtzehnjährigen zwanzig Jahre mehr war als zwischen einer Vierunddreißigjährigen und einem Achtundzwanzigjährigen. Na super!

«Landschaftsgärtnerei. Hat er was von verstanden», und sie fügte resigniert hinzu: «Im Gegensatz zu den anderen Dilettanten.»

«Sag das mal unserem Eiselein. Der kriegt garantiert ’nen Herzinfarkt.»

«Wäre doch gar nicht so schlecht, oder?»

Sie grinsten sich an. Sein Herz klopfte schneller, wie immer in den seltenen Momenten ihrer Vertrautheit. Wenn sie für einen Moment den Altersunterschied zwischen ihnen vergaß. Wie in der Nacht am Teich ... Er schluckte die Bilder hinunter und fragte stattdessen: «Kommst du morgen zur Sitzung?»

«Muss ich ja wohl. Ich kann das Projekt nicht einfach so sausen lassen, schließlich ist das eine Semesterarbeit.»

Ein kurzes Schniefen, und sie begann, die Bögen auf dem Tisch zusammenzurollen.

«Julius Caesar will, dass Marie Theos Arbeit übernimmt», sagte Jascha, während sie die Rollen sorgfältig in den ramponierten Metallspind packte.

«Den Garten auch?»

«Glaube ich nicht. Die Möbel und so. Aber Marie ist auch ’ne prima Gärtnerin.»

Hanna sah ihn mitleidig an. «Du hast echt keine Ahnung.»

Er grinste. «Nee. Von Barockgärten wirklich nicht. Aber ich bin ein super Mäher. Frag Marie.»

«Ich sperre jetzt ab.»

Er erhob sich von seinem Hocker und folgte ihr nach draußen. Die warme Nachtluft streichelte seine bloßen Arme. Ein paar Frösche quakten, weit entfernt bellte ein Hund. Tief atmete er ein. «Ich möchte gerne der Sommerabend sein. Oder die Luft.»

«Oder das Gequake?»

Er lachte.

Sie blieben stehen und sahen in den Himmel. Er spürte ihren warmen Körper, roch den leicht salzigen Schweißgeruch ihrer Haut, den Geruch von Erde, der immer nach der Gartenarbeit an ihr zu haften schien. Ihm wurde ein bisschen schwindelig.

«Stimmt es, dass auf Le Chêne Blut liegt?», fragte sie leise.

«Glaubst du, irgendein Herrschersitz wurde nicht mit Blut gebaut?», fragte er zurück.

«Das meine ich nicht», entgegnete sie ungeduldig. «Theo hat mir erzählt, dass hier ein Mord passiert ist, als er noch jung war.»

«Das ist schon ewig her. Hundert Jahre oder dreißig.»

«Du bist ein Küken.»

Verdammter Mist. «Ihr habt viel geredet?», fragte er hastig.

«Nicht besonders, aber ich hätte ihn ganz gerne richtig gekannt.»

«Ich habe ihn auch nicht gekannt, obwohl ich ihn mein Leben lang kenne.» Jascha bohrte die Hände in seine Hosentaschen.

«Das liegt am Altersunterschied», sagte sie und schlenderte los.

«Quatsch.» Mit einigen Schritten holte er sie ein. «Bei Marie ist das nicht so. Und die ist fünfzig Jahre älter als ich. Altersunterschiede sind nur im Kopf, nicht in den Jahren.»

Mit einem Ruck blieb sie stehen.

Er biss sich auf die Unterlippe. Falsches Thema. Nein. Richtiges Thema zur falschen Zeit. «Zeit ist nicht linear», beharrte er trotzig.

«Was?» Verständnislos sah sie ihn an.

«Wir denken, Vergangenheit ist der Vorläufer der Gegenwart», sprudelte er los. «Und nach der Gegenwart kommt die Zukunft. Eben linear.»

Sie verschränkte die Arme. «Und?»

«Dann guck mal nach oben», sagte er und hob den Kopf. «Millionen Sterne. Die meisten davon sind schon erloschen. Trotzdem sehen wir in unserer Gegenwart das Licht ihrer Vergangenheit.»

«Licht der Vergangenheit», wiederholte sie spöttisch. Sah wieder nach oben, breitete die Arme aus und sagte mit theatralischer Stimme: «Deshalb bauen wir Le Chêne wieder auf, damit das Licht der Vergangenheit nicht erlischt.»

«Glaub ich nicht», entgegnete er trocken. «Le Chêne ist unser Staudamm gegen die Angst.»

«Angst?»

«Unsere Angst vor der Sterblichkeit.»

«Du meinst, wenn die vor 250 Jahren es geschafft haben, dass etwas von ihnen bleibt, schaffen wir das auch?»

«Klar, so bleiben auch wir selber ewig. Unsterblich.»

«Und da die Zeit nicht linear, sondern – gleichzeitig? – abläuft, steht das alte Le Chêne neben dem neu errichteten? Oder liegen sie übereinander? Du weißt schon? So ein Geisterschloss mit verschwommenen Linien. Asynchron verschoben?»

Diese spöttischen Augen. Er streckte die Arme aus und zog sie an sich. «Vorsicht», flüsterte er dicht an ihrem Ohr. «Beinahe hättest du einem alten Burgfräulein im Weg gestanden. Es kam aus der Vergangenheit und war gerade dabei, durch dich hindurchzugehen.»

Die Linien ihres leicht geöffneten Mundes waren ganz nah. Die Mundwinkel kaum merkbar nach oben geschoben.

Mit trabendem Schritt lief Christoph Fischer auf die zwei Gestalten zu, die eng beieinander auf dem Kiesweg standen. Im matten Licht der Wegbeleuchtung erkannte er Jascha und die Landschaftsgärtnerin.

«Guten Abend», rief er herüber.

Sie fuhren auseinander.

«Dr. Fischer. Hallo», nuschelte der Junge tonlos.

Freundlich trippelte er neben ihnen auf der Stelle. «Mein Ausgleich zu eitrigen Zähnen und entzündeten Kiefern. Viel los in der Praxis. Da bin ich heute ein bisschen spät dran. Und ihr?»

«Wir sehn uns ja morgen», sagte Jascha. Wenn der Kerl nur endlich weiterrennen würde. Stattdessen trippelte der nur langsamer und fragte: «Morgen?»

«Sitzung der Initiative. War Dr. Dolb nicht bei Ihnen?»

«Hat mich wohl verpasst», sagte der Zahnarzt und wischte sich mit dem Handtuch, das er locker um den Hals hängen hatte, die Stirn. «Morgen geht’s schlecht bei mir.»

Jascha nickte und hob die Hand. «Also! Wir müssen los. Viel Spaß in der Vergangenheit.»

«Wie meinst du das?» Fischer blieb wie angewurzelt stehen.

«Nichts. Ich meine, weil Sie doch auf Le Chêne laufen. Die Vergangenheit. Da haben wir uns gerade drüber unterhalten», sagte der Junge hastig.

«Also, gute Nacht», schaltete sich Hanna ein. «Wir drehen das Licht am Tor aus.»

Sie schien sich so zu fühlen wie er selbst. Unbehaglich, als passten einem plötzlich die eigenen Kleider nicht mehr.

Sie wandten sich zum Gehen.

Was hatte er nur Schreckliches gesagt? Fischer hatte ein Gesicht gemacht, als wäre er einem Gespenst begegnet. Bloß wegen so ’nem blöden Satz über die Vergangenheit.

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