Читать книгу Die Antiquitätenhändlerin - Madeleine Giese - Страница 5

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Der Feuerball versank hinter den mächtigen Kronen der Eichen. Übrig blieben ein Streifen blaue Leere und ein glühender Himmel.

Der kleine, rundliche Mann am Fenster kniff die Augen zusammen. Blinzelte, bis die Konturen verschwammen und er nur noch Farben sah.

Züngelndes Gold, flammendes Orange, weiter oben pulsierendes Rot. Blutrot. Eine Blutlache, die über den ganzen Horizont schwappte. Als hätte ein irrer Metzger seine Eimer geleert.

Morbider Quatsch! Ein alter Hammel war er, der Kinderspiele spielte. Das musste er Marie erzählen. Verdauungsbeschwerden würde sie diagnostizieren. Er kicherte.

Seine Marie. So sensibel sie war, wenn es um die eigenen Stimmungen ging, so pragmatisch bis grob konnte sie sein, wenn es sich um die Stimmungen anderer handelte.

Aber so Unrecht hätte sie dieses Mal gar nicht. Das bevorstehende Gespräch lag ihm tatsächlich im Magen.

Er drehte dem unheimlichen Himmel den Rücken, lehnte sich an den geöffneten Flügel des bodenhohen Fensters, vor sich den Raum, in den langsam die Abendschatten krochen, und lauschte in das leere Haus hinein.

Trotz des warmen Sommerabends war es kühl hier drinnen. Kühl und modrig wie in einer Gruft.

Was war nur los, heute Abend? Zeit, dass er zu Marie fuhr. Ein schönes Abendessen in ihrem wuchernden Garten, ein kühler Wein. Nur daran zu denken tat gut.

Aber zuerst das Gespräch. Es würde einen Skandal geben, klar. Aber konnte er es vertuschen? Nicht einfach bei den anderen ehrpusseligen Spießern.

Sein Nacken schmerzte. Schwer hob er die Hand, strich mit Druck über die angespannten Muskeln. Die Hemdsärmel schabten.

Er sollte eines von diesen kurzärmeligen Hemden kaufen. Bestimmt angenehm bei der Hitze den ganzen Tag. Wenn die nur nicht so albern wären. Alle Männer sahen darin aus wie verkleidete Gartenzwerge. Wer hatte in seinem Alter schon Schultern wie dieser englische Fußballgott?

Er hätte vor der Unterredung mit Marie sprechen und sie um Rat fragen sollen. Vielleicht auch nicht. So frei, wie sie immer tat, war sie auch nicht. Seinen Wagen musste er heute Abend wieder kilometerweit von ihrem Haus entfernt parken. Bloß damit die Nachbarn nichts mitbekamen. Lächerlich, sich im Morgengrauen aus dem Haus schleichen zu müssen. Lächerlich und völlig wirkungslos. Ilse Blum wusste genau, wann er kam und ging.

Er war zu alt, um den heimlichen Liebhaber zu spielen. Sie musste ihn heiraten. Aber auf dem Ohr war sie stocktaub. Stures Weib.

Wenn er nur dieses Gespräch schon hinter sich hätte. Natürlich würde die Geschichte Staub aufwirbeln. Alte Spekulationen und Vermutungen. Dummes Gerede und Gerüchte, die nur die Arbeit der Initiative stören würden. Irgendwie musste er das verhindern. Le Chêne.

Die hohen, noch leeren Bücherregale an den grauen Quaderwänden. Die schmiedeeiserne Deckenlampe. Fast ein Jahr hatte er danach gesucht. Sie schließlich verstaubt und voller Mäusedreck bei einem Händler gefunden. Der Schreibtisch, ein Prachtstück. Der Restaurator war sein Geld wert.

Er legte den Kopf leicht schräg, versuchte, seinen Laptop und das Telefon zu übersehen. Wie vor zweihundertfünfzig Jahren: ein glänzender, polierter Tisch, von dem aus die Geschicke des Schlosses geleitet werden, ein rundlicher Verwalter mit Sorgenfalten am Fenster. Le Chêne. Ein Traum. Doch, eine Art Liebe.

Marie konnte das Schloss nicht leiden.

Was heißt Schloss? Ein Torhaus. Der namenlose Verwalter von damals hatte noch ein Schloss gehabt. Wer weiß? Vielleicht gab es die Möglichkeit, alles wieder aufzubauen. Arbeit für die nächsten hundert Jahre seines Lebens.

Lächelnd lehnte er den Kopf an den Fensterflügel. Draußen glühte der Himmel über den mächtigen Eichen, die dem Schloss seinen Namen gegeben hatten.

Dr. Theobald Bernd verschränkte die Arme über seinem Kugelbauch. Er musste einen Weg finden, Le Chêne zu schützen.

Die schwere Eichentür öffnete sich. Sein Besucher trat ein.

Er straffte sich.

Sein Besucher trat näher. Dieses glatte, unbewegte Gesicht. Ein fremdes Gesicht, obwohl er es so viele Jahre kannte.

Im Zimmer war es still.

Eine tickende Uhr, ein Knacken im Gebälk, ein leises Rauschen der Bäume.

Sein Mund war trocken. Verstohlen fuhr er sich mit der Zunge über die rissigen Lippen. Versuchte, den plötzlich schnelleren Atem zu kontrollieren. Wieso sagte der andere nichts? Starrte ihn nur durchdringend an. Kam näher und starrte. Unangenehm, wie nah er kam.

Sag was, feuerte er sich an. Sein Herz klopfte.

Verstohlen sah Theo Bernd über seine Schulter ins Freie. Da war nichts. Nur der blutrote Himmel und tief unter ihm die spitzen Lanzetten des Eisenzauns.

Die Antiquitätenhändlerin

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