Читать книгу Die Antiquitätenhändlerin - Madeleine Giese - Страница 8
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Оглавление«Mein lieber Philipp.»
Der Bürgermeister streckte dem Bankdirektor beide Hände entgegen. Philipp Stroh überließ ihm zögernd eine Hand, die sofort gepackt und kräftig geschüttelt wurde.
«Mein lieber Philipp», wiederholte Dr. Dolb bedeutsam. Jetzt legte er sogar noch einen Arm um seine Schulter und drückte herzhaft zu.
Stroh hasste es, angefasst zu werden. Schon das dauernde Händeschütteln mit den Bankkunden kostete ihn Tag für Tag mehr Überwindung. Räuspernd drehte er sich aus dem festen Griff.
«Schrecklich, dieser Unfall.» Der Bürgermeister schüttelte das graue Lockenhaupt und quetschte einen feuchten Schimmer in seine Augen.
Angewidert wendete sich der jüngere Mann ab und wies mit der ausgestreckten Hand zum Haus. «Meine Frau hat Kaffee gemacht. Wollen wir uns auf die Terrasse setzen?»
Ein tiefer Seufzer, ein Straffen der Schulter, und die kleinen, kugelrunden Augen waren wieder klar. «Gut, dass Bettina auch da ist. Ich wollte mit euch beiden reden.»
Es ging also um die Initiative. Hätte er sich denken können, so kurz nach Theos Tod. Mit einer steifen Bewegung wies Philipp Stroh auf den von Koniferen begrenzten Pflasterweg, der rund um das lang gestreckte Haus führte.
«Ganz schön heiß heute», schnaufte Dr. Dolb vor ihm. Der Bürgermeister öffnete sein helles Leinenjackett und griff sich in den Hosenbund, um ihn zu lockern. «Gut, dass die Leichenhalle eine neue Klimaanlage hat. Ihr wart ja alle dagegen, aber Theo wird es mir danken.»
Stroh fühlte einen kurzen Würgereiz. Unwillkürlich hatte er das Bild der Leichenhalle vor Augen, diesen kühlen Raum mit seinem penetranten Blumengeruch. Und darunter etwas anderes. Kaum wahrnehmbar. Süßlich. Hastig hob er die Hand und winkte seiner Frau auf der Terrasse zu. Im Weitergehen sog er mit tiefen Zügen die warme Gartenluft ein.
«Ist er denn schon wieder ...?»
«Nein, nein. Er ist noch in der Gerichtsmedizin. Keine Ahnung, was die mit ihm anstellen. Hoffentlich nähen sie ihn wieder ordentlich zu», antwortete Dolb munter.
Mit demonstrativ ausgestreckten Armen ging er auf die Terrasse: «Meine liebe Bettina!»
Bettina Stroh schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und umklammerte die Kaffeekanne. «Mögen Sie Kaffee? Ich kann Ihnen auch gern etwas anderes anbieten. Saft? Oder lieber einen Wein?»
«Aber, aber! Wir waren doch beim Du.»
Etwas scherzhaft Schmollendes hatte sich in seine Stimme geschlichen, das Bettina mit einem hellen Lachen kommentierte. Verwundert sah Philipp Stroh seiner Frau zu. Er wusste, dass sie Dolb nicht ausstehen konnte, aber davon war nichts zu spüren. Wie sie den Hals beim Lachen zurückwarf, und natürlich trug sie das blaue Kleid. Bis zum Nabel konnte man sehen, was dieser alte Schleimer auch tat.
«Ich muss noch ein paar Besuche machen. Also leider Kaffee», sagte der alte Schleimer gerade und ließ sich umständlich auf dem gepolsterten Gartenstuhl nieder.
«Weiß man schon etwas Neues über den Unfall?», fragte die Schlange und schlug ein Bein über das andere.
«Schreckliche Geschichte.» Wieder ein bedächtiges, endloses Wiegen der grauen Locken.
«Aber das Leben geht weiter. Und Theo wäre der Letzte, der gewollt hätte, dass diese Geschichte der Initiative schadet.»
«Diese Geschichte» – damit war wohl Theos Tod gemeint.
Flüchtig sah Stroh den alten Museumsdirektor vor sich. Sein pfiffiges Gesicht, das mit den spöttisch nach unten gezogenen Mundwinkeln manchmal an einen zufriedenen Teufel erinnerte.
«Und deshalb wollte ich so schnell wie möglich mit euch reden.»
Aha, jetzt kam es.
«Theo hinterlässt eine betrübliche Lücke in unserer Initiative. So schmerzhaft es ist, diese Lücke muss geschlossen werden. Und ich weiß auch, von wem.»
Bedeutungsvoll blinzelnd beugte sich Dolb vor, griff nach seiner Tasse und rührte bedächtig den heißen Kaffee. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Bettina ihn erwartungsvoll ansah. Schöne Frau, völlig verschwendet an ihren fischköpfigen Mann, der so tat, als würde ihn das alles nichts angehen.
«Wir brauchen einen Fachmann, einen, der bereit ist, Zeit und Spürsinn in die Remöblierung von Le Chêne zu stecken. Und wen haben wir da?»
«Heinz Eiselein», antwortete der Bankdirektor prompt.
Klirrend stellte Dr. Dolb die Tasse auf den Tisch zurück. «Einen Fachmann, sagte ich.»
«Aber Heinz Eiselein ist doch unser Heimatkundler.»
«Von mir aus! Wir brauchen einen richtigen Fachmann. Jemand, der sich mit dem Antiquitätenmarkt auskennt und über Preise und Möglichkeiten Bescheid weiß.»
«Und an wen hast du gedacht?»
«Marie Weller», kam es wie aus der Pistole geschossen von seiner Frau. Anerkennend nickte Dolb ihr zu. «Genau. Sie ist Händlerin, sie kennt sich aus. Und sie ist Mitglied der Initiative.»
«Kein sehr begeistertes Mitglied», wandte der Bankdirektor ein.
«Manchmal denke ich, sie ist nur dabei, weil Theo dabei ist. War, meine ich», sagte seine Frau mit einem merkwürdigen Unterton. Was sollte dieser Ton? Meinte sie etwa ...?
«Sie waren Freunde», sagte er fest und versuchte, das verstohlene Lächeln der beiden anderen zu übersehen.
«Sie ist unsere Fachfrau», beharrte der Bürgermeister und verschränkte die Arme.
Abstoßend, dieser wuchtige Körper unter dem vornehmen Kopf. Die edel geschnittenen Züge eines Julius Caesar auf dem Körper eines übergewichtigen LKW-Fahrers.
«Heinz wird damit nicht einverstanden sein.»
«Um den kümmere ich mich.» Dolb schob entschlossen das Kinn vor.
Philipp Stroh lehnte sich in seinem Gartenstuhl zurück und blinzelte über den Rasen, der in der späten Nachmittagssonne erfrischend grün schimmerte. Wenn Dolb nur endlich ginge, dann könnte er die Fuchsien gießen. In ihren Terrakottatrögen waren sie bestimmt schon ganz ausgetrocknet.
«Gott, ich müsste unbedingt mal wieder in den kleinen Laden von Frau Weller. Den hat sie doch noch?», hörte er mit halbem Ohr seine Frau plappern.
«Wir waren neulich da», antwortete Dolb und beugte sich vertraulich zu ihr hin. «Meine Jüngste und ich. Wir haben für meine Frau was zum Geburtstag besorgt. Man muss die alte Dame doch unterstützen.»
Ohne den Blick von seinen Töpfen zu wenden, stieß Stroh leise hervor: «Der Laden ist nicht angemeldet. So etwas ist illegal. Betrug.»
«Mein Gott, Philipp. Jetzt sei nicht päpstlicher als der Papst. Du weißt doch, dass ihr Vater das Familienvermögen verschleudert hat. Und von irgendwas muss sie leben. Allein das riesige Haus. Ich will mir gar nicht vorstellen, was das kostet.»
«Den hat sie doch so lange gepflegt, oder?», fragte seine Frau.
«Du hast ihn nicht mehr gekannt. Aber als ich ein junger Mann war, hat der alte Weller mal mit seinem Spazierstock die Scheiben von fünf Autos eingeschlagen, weil sie auf dem Gehweg parkten. Ganz schön verrückt, der Alte. Seine Tochter konnte einem leidtun.» Mit einem anerkennenden Kichern fuhr der Bürgermeister fort: «Aber immerhin: Er hat in seiner Jugend ganz schön was rangeschafft.»
«Und im Alter alles verloren. Seine Tochter kann auch nicht mit Geld umgehen.» Stroh drehte sich ihnen wieder zu. «Ich weiß nicht, ob sie die richtige Wahl ist. Immerhin handelt es sich um Spendengelder.»
«Mein Gott, Philipp. Sie hat kein Geld. Das heißt doch nicht, dass sie unredlich ist.»
War da nicht etwas Aggressives in ihrem Ton? Er musterte seine Frau unter halb geschlossenen Lidern und beschloss, diesen unqualifizierten Beitrag zu ignorieren.
«Ich werde sie jedenfalls morgen Abend vorschlagen. Kann ich auf euch zählen?», fragte Dolb ungeduldig und richtete sich halb in seinem Stuhl auf.
«Ich bin zwar nicht im Vorstand, wie mein moralisch hoch stehender Mann ...», ein verächtlicher Seitenblick streifte ihn, «aber ich finde die Idee gut. Meine Stimme hast du.»
Stroh zögerte kurz. «Ich werde darüber nachdenken.»
Dolb nickte. «Ich muss los. Noch ein paar andere Mitglieder informieren.»
Manipulieren wäre treffender, dachte Stroh und erhob sich ebenfalls.
Der Abschied war deutlich frostiger als die Begrüßung. Gemeinsam sah das Ehepaar dem Bürgermeister nach, bis er um das Haus verschwunden war.
«Und Theo ist noch nicht einmal beerdigt», sagte Bettina nachdenklich.
Besitzergreifend legte ihr Mann den Arm um ihre sonnenwarmen Schultern. Wie gut sie roch. Er näherte sich ihrem Ohr. Mit belegter Stimme flüsterte er: «Aber er hat es schön kühl. In der Leichenhalle.» Befriedigt spürte er, wie sich der Körper in seinem Arm versteifte.