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11.

Nacht zum 13. November 1552 NGZ

Kessaila, BARILS Adyton

Ungeduldig trommelte Perry Rhodan mit den Fingern auf der dünnen Matratze. Er wartete darauf, dass das Allerheiligste zur Ruhe fand, aber die Geräusche vor seinem Quartier ebbten nicht ab. Wie viel Zeit blieb ihm, ehe Semmaru herausfand, dass sein Permit nicht länger alle Türen öffnete – und weshalb?

Die Zeit spielte gegen Rhodan. Wie auf Nadeln hockte er auf seiner Schlafbank. Immer wieder warf er einen Blick auf sein Komarmband, aber der Vorgang war reine Gewohnheit. Das Allerheiligste des Ritterordens war nicht nur gegen Eindringlinge abgesichert, auch der Funk wurde unterdrückt. Er hatte keinen Kontakt zur SOL.

Die Holostation an seinem Tisch war ebenso wenig hilfreich. Außer den Doktrinen von BARILS Botschaft bot sie nur rudimentären Zugriff auf ein internes Kommunikations- und Informationsnetz. Genug, um einen Reinigungsroboter oder Essen zu bestellen. Nicht genug, um sonst etwas zu tun – und die Menge an pseudoreligiösem Geschwurbel, die er zur Ablenkung konsumieren konnte, hatte Rhodan bereits deutlich überschritten.

Endlich kehrte Ruhe ein. Die Stimmen und Schritte verhallten. Rhodan zählte lautlos bis einhundert. Als die Stille danach immer noch anhielt, betätigte er den Türsensor.

Die Tür glitt in den Boden. Rhodan lauschte. Nichts. Er streckte den Kopf hinaus in den Gang. Immer noch nichts.

Rhodan atmete durch. Dann ging er los. Zielstrebig, aber nicht zu schnell. Er hatte schon lange gelernt, seine Wirkung auf seine Umgebung einzuschätzen, und im Augenblick wollte er nur eins: unauffällig wirken. Nicht wie jemand, der ein Permit gestohlen hatte und sich mitten in der Nacht davonschleichen wollte, sondern so, als hätte er jedes Recht der Galaxis, zum Tor hinauszuspazieren. Denn genau das gedachte er zu tun.

Seine Schritte echoten durch die schwarz-weißen Gänge der Zitadelle. Nach zwei Abbiegungen erreichte er den Hauptgang, den er bei seiner Ankunft in Begleitung der drei Ritter durchquert hatte. Von da an musste er nur noch den Windungen des Flurs folgen, und dann ... Mist!

Die Wachen waren noch da, und es waren keine Maschinen, wie er gehofft hatte. Somit nutzte ihm sein Permit genau gar nichts. Ein automatischer Türsensor mochte sich von seinem Beutestück täuschen lassen, bei Robotern hätte Rhodan zumindest sein Glück versucht. Aber Wachen aus Fleisch und Blut? Selbst wenn sie Semmaru nicht persönlich kannten – es war offensichtlich, dass Perry Rhodan kein ein Meter großes Insektenwesen war.

Er brauchte einen anderen Ausgang. Sogar ein derart massiv bewachtes Gebäude wie BARILS Allerheiligstes musste Nebenzugänge haben. Liefereingänge, Versorgungsschächte, irgendetwas gab es immer.

Rhodan duckte sich in einen Seitengang, ehe die Wachen auf ihn aufmerksam wurden. Er brauchte einen Plan, im wortwörtlichen Sinn. Suchend blickte er sich um. Irgendwo musste es doch ein Positronikpult geben, um Informationen abzurufen.

Tja, irgendwo vielleicht. Aber nicht in der Nähe. Die grauen Wände gaben keinerlei Hinweis auf Kontaktstellen, mit denen er ein Hilfsholo aktivieren könnte. Was hatte er auch erwartet? Das Adyton war schließlich kein öffentliches Gebäude. In der Zitadelle hielt sich nur auf, wer dazu befugt war, und das waren, seinen bisherigen Informationen nach zu urteilen, herzlich wenige Leute.

Aber ein Holo mit Zugang zum internen Informationsnetz kannte er. Es befand sich genau dort, von wo er aufgebrochen war. Mit einem leisen Fluch kehrte Rhodan in sein Quartier zurück und rief das Arbeitsholo auf. Es erlaubte ihm keinen Zugriff auf sensible Daten, und dazu zählten zweifellos auch die Gebäudepläne. Aber vielleicht mit Semmarus Permit ...

Rhodan forderte eine Neuidentifizierung an. Ein Scannerstrahl erfasste das kleine Signet an seinem Kragen und schwenkte dann nach oben, um auch seinen Kopf abzutasten. Hastig schlug Rhodan einen Arm vors Gesicht. Eine absolut hilflose Geste, mit der er vermutlich bloß bestätigte, dass er nicht der Diplomat war ...

Doch zu seiner Überraschung schrillte auch diesmal kein Alarm los. Lediglich eine Fehlermeldung leuchtete im Holo auf und informierte ihn darüber, dass der Zugang zu den persönlichen Einträgen nicht freigeschaltet werden konnte. Aber der Zugriff auf die Serviceinformationen wurde ihm gewährt.

»Glück muss man haben«, murmelte Rhodan.

Mit flinken Fingern gab er seine Suche ein und aktivierte die Raumübersicht der Zitadelle.

Es kostete ihn weitere wertvolle Minuten, aber er fand ein paar Seitengänge, die vielversprechend aussahen. Einer davon war ein Wartungsschacht im ersten Stock, der zu einer Lüftungsanlage führte. Ein anderer war der Zulieferweg für die Versorgungsmaschine der Kantine. Rhodan würde es erst mit der Lüftung probieren. Irgendwoher mussten die Fliegen, die sich Semmaru einverleibt hatte, schließlich kommen. Und wo Ungeziefer eindrang, gab es vielleicht auch eine Möglichkeit, hinauszugelangen.

Rhodan wollte das Holo bereits desaktivieren, als sein Blick auf die Bezeichnung eines kleinen Komplexes am unteren Rand fiel: »Semmarus Arbeitsräume«.

Unentschlossen verharrte Rhodan vor dem Holo. Er musste immer noch Informationen beschaffen, die er Blitzer und den Kosmokraten liefern konnte. Über dieses Arbeitsholo bekam er keinen Zugriff darauf. Aber Semmaru war ein Ritter, einer von nur sechs, wenn man BARILS Stimme nicht mitzählte. Es war nicht unwahrscheinlich, dass der Diplomat Zugang zu Daten hatte, die Rhodan tatsächlich nutzen konnte, und mit dem gestohlenen Permit war die Chance groß, dass er auf diese Auskünfte sogar zugreifen konnte.

Allerdings lagen Semmarus Arbeitsräume in der entgegengesetzten Richtung von Rhodans Fluchtwegen. Sollte er es wirklich riskieren, noch länger mit einem fremden Permit durch die Zitadelle zu schleichen?

Aber das war nicht die Frage, erkannte Rhodan. Er musste. Sobald er das Adyton verließ, würde seine Flucht auffallen. Ab dann hatte er wahrscheinlich schon genug damit zu tun, rechtzeitig den Raumhafen zu erreichen, um zur SOL zu gelangen. Da blieb keine Gelegenheit, um noch Erkundigungen einzuholen. Und ohne neue Erkenntnisse zur SOL zurückzukehren, war keine Option.

Rhodan stieß einen weiteren Fluch aus. Er desaktivierte das Holo und eilte los.

Kaum verließ er sein Quartier, schrak er schon wieder zurück. Eine Patrouille kam den Gang herab, womöglich die Wachablösung für die Einheit am Eingang. Rhodan presste sich in den Türrahmen und lauschte. Die beiden Wesen – eines in etwa so groß wie Rhodan und mit vier Armen, das andere einen Kopf kleiner, breit gebaut und mit zwei Gesichtern ausgestattet, die links und rechts auf dem Schädel saßen – tauschten mit gedämpften Stimmen Tratsch über eine Kollegin aus. Sie hatten ihn nicht bemerkt. Rhodan duckte sich noch etwas weiter in den Schatten, damit das auch so blieb. Eine Abzweigung vor seinem Versteck entfernt bogen die beiden in einen Quergang ein. Er atmete auf.

Das war knapp gewesen. Er musste vorsichtig sein, Eile allein half nicht weiter. Mit sorgsamen Schritten setzte er seinen Weg fort.

Semmarus Räume waren nicht schwer zu erreichen. Einmal den richtigen Flur gefunden, war der orangefarbene Schimmer in der Wand unübersehbar. Sie waren aus demselben Material gefertigt wie der Stuhl, den der Diplomat im Verhandlungssaal eingenommen hatte.

Rhodan sah sich um. Er entdeckte keine Überwachungsvorrichtungen, aber das musste nicht zwangsläufig bedeuten, dass keine vorhanden waren. Obwohl er bislang den Eindruck gewonnen hatte, dass die Bewachung der Zitadelle nur nach außen angelegt war und das Innere des Adytons einen solchen Schutz offenbar nicht nötig hatte ... Spätestens wenn er Semmarus Permit benutzte, um die Tür in dessen Arbeitsbereich zu öffnen, war mit einem stillen Alarm zu rechnen.

Also musste er sich beeilen. Rasch hinein, sich kurz einen Überblick verschaffen und wieder abhauen. Er atmete noch einmal durch, dann berührte er den Türsensor.

Der Scanner erfasste erst seinen Hüftbereich, tastete dann nach unten und schließlich nach oben, wo er Semmarus Permit an Rhodans Kragen fand. Die Tür glitt auf, und Rhodan huschte hindurch.

Bewegungssensoren erkannten sein Eintreten und aktivierten eine indirekte Beleuchtung. Auch in diesem Raum waren Boden, Decke und Wände orange marmoriert. Eine Wand war mit der dreidimensionalen Sternkarte der Yahounagalaxis bedeckt. An der Wand gegenüber lagerten Speicherkristalle in allen Größen, der dazugehörige Leseapparat war in den Tisch eingelassen, der unter dem Panoramafenster an der Stirnseite des Raums platziert war.

Verdammt! Wie sollte er da eine Auswahl treffen? Er konnte nicht alle Datenspeicher mitnehmen, und allein sich einen groben Überblick zu verschaffen, würde Tage dauern!

Ihm blieb nur eine Hoffnung. Er aktivierte die Arbeitsstation und rief eine Übersicht der letzten Zugriffe auf. Das Ergebnis bot kaum Überraschungen. Der erste Eintrag war eine Recherche über das »fremde« Raumfahrzeug, das in Yahouna aufgetaucht war – die SOL. Kurzerhand griff Rhodan nach einem Datenspeicher, der ihm halbwegs leer anmutete, und kopierte alles, was die Ritter über das Expeditionsraumschiff wussten.

Der nächste Datensatz enthielt Koordinaten, die Rhodan bereits kannte: das Diulusystem, in dem BARILS Ritter der SOL zum ersten Mal begegnet waren, dazu Informationen über die Truvaud und A-Kuatonds Auftrag. Rhodan kopierte auch diesen Eintrag, ebenso alle anderen, die sich noch im Kurzzeitspeicher der Positronikkonsole befanden. Dann nahm er den Datenkristall aus seiner Halterung und verbarg ihn unter seinem Hemd.

Damit besaß er zumindest einen groben Überblick über die letzten Aktivitäten des Diplomaten. Er konnte nur hoffen, dass sich in diesem Datenwust etwas fand, mit dem er den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen vermochte. Mehr konnte er nicht tun.

Er desaktivierte die Arbeitsstation und trat an die Tür. Vorsichtig sah er sich um. Der Gang war leer. So weit, so gut. Nun musste er es nur noch zum Wartungsschacht schaffen.

Das war der Moment, in dem er die Schritte hörte. Wachen. Nicht nur zwei, das waren mindestens zehn. Und dem Geräusch nach kamen sie im Laufschritt auf ihn zu.

Rhodan rannte los. Jeder seiner Schritte hämmerte laut in seinen Ohren, aber aufgespürt hatten ihn die Ritter ohnehin schon. Seine einzige Chance lag darin, sie abzuhängen.

Er sprintete durch die Flure, schlug einen Haken, bog in einen der Seitengänge ein und bremste abrupt ab, als ihm dort ebenfalls Wachen entgegenkamen.

»Halt!«, schrie eine von ihnen. »Stehen bleiben!«

Rhodan dachte nicht daran. Er kehrte um und lief in die entgegengesetzte Richtung. Die führte ihn zwar fort vom Wartungsschacht, aber das war nun zweitrangig. Er würde einen Ausweg finden, sobald er in Sicherheit war. Zuerst musste er ...

Mit der Wucht eines Rammbocks traf ihn etwas in die Seite und schleuderte ihn zu Boden. Rhodan japste nach Luft, doch bevor er sich wieder gefangen hatte, war der Angreifer bereits über ihm. Nur mit Glück konnte Rhodan den Arm abfangen, ehe sich ein schartiges Messer in seinen Hals bohrte. Dabei war das flatterige Wesen keineswegs kräftig. Es war nur äußerst entschlossen. Rhodan versuchte, es von sich zu stoßen, aber voller Wut krallte es sich an ihm fest, kratzte und biss nach ihm.

Endlich gelang es Rhodan, sein Körpergewicht gegen das des Angreifers einzusetzen. Er schubste das fauchende Wesen von sich, nur um gleich darauf von zwei weiteren Wesen gleicher Art attackiert zu werden.

Gemeinsam prügelten sie auf ihn ein. Eine Weile konnte Rhodan sie abwehren, doch gegen zwei Angreifer war er rasch unterlegen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seinen Kopf mit den Armen zu schützen – wohl wissend, dass er dadurch alle anderen Stellen umso mehr ihren Tritten und Schlägen aussetzte.

Er keuchte, als ihn ein Schlag in die Nieren traf, und biss die Zähne zusammen, als seine Rippen unter einem kräftigen Tritt bedenklich knacksten. Aber das war in Ordnung, solange sie nicht ...

»Kii'Daan! Nimm das Messer!«

So viel dazu. Nun musste er doch die Arme herunternehmen. Einen Messerstich steckte selbst sein Zellaktivator nicht so einfach weg.

Einmal mehr sah er in die zusammengekniffenen Augen eines der Angreifer. Dann erschlafften dessen Gesichtsmuskeln. Im selben Augenblick fühlte Rhodan, wie er auch jede Kontrolle über seinen Körper verlor. Seine Arme sackten kraftlos herab, und mit ihnen die drei Wesen, die er sich eben noch vom Leib hatte halten müssen.

Unfähig, auch nur den kleinsten Muskel zu rühren, sah Rhodan zu, wie BARILS Wachen die paralysierten Flügelwesen von ihm herunterhievten und davontrugen.

Rhodan kämpfte gegen die Wirkung des Paralysestrahls an. Der Zellaktivator unter seinem Schlüsselbein kribbelte und juckte, aber seine Erstarrung löste sich viel zu langsam. Hilflos musste er zulassen, dass die Wachen ihn ebenfalls aufhoben.

Sie trugen ihn in sein Quartier, doch diesmal ließen sie keinen Zweifel daran, dass er nicht länger Gast, sondern Gefangener war. Gut sichtbar platzierten sich zwei Wachen vor seiner Tür.

Die Zeit verstrich. Seine Finger waren das Erste, was er wieder bewegen konnte. Rhodan tastete über seine Brust, nach dem Datenträger unter seinem Hemd. Er war noch da. Also hatten die Wachen zumindest den nicht gefunden.

Aber spielte das überhaupt noch eine Rolle? Es war vorbei. Seine Flucht war gescheitert. Schlimmer: Er hatte offenbart, dass er nicht in BARILS Willen handelte.

Hatte er damit das Schicksal der SOL endgültig besiegelt?

Er hätte fliehen sollen, statt in Semmarus Daten zu stöbern. Wenn er seine Chance genutzt hätte und einfach verschwunden wäre ...

Perry Rhodan wünschte, er hätte sich selbst schwungvoll ohrfeigen können. Aber es dauerte noch drei weitere Stunden, ehe die Wirkung der Paralyse endgültig abklang.

Mission SOL 2020 Paket (1 bis 12)

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