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Am nächsten Tag stand ich pünktlich, kurz vor neun, am Flugplatz. Mein Herz hämmerte mir bis zum Hals, aber nicht von der Fahrt, sondern vor Aufregung. Rudi kam auch gerade angeradelt, als ich mein Pedelec am Zaun anschloss.

»Guten Morgen! Auch sportlich?«, rief er mir fröhlich zu und stellte sein Fahrrad neben meines. Es war das gleiche, das auch am Tag meines Gastfluges hier geparkt hatte. Kein Pedelec, sondern ein ganz normales Rad ohne Antriebshilfe. Wenn hier also jemand sportlich war, dann er.

Rudi setzte seinen Fahrradhelm ab und hängte ihn an den Lenker. Dann grinste er mich verschmitzt an, kam auf mich zu und schüttelte zur Begrüßung meine Hand.

»Guten Morgen«, sagte ich.

»Und, aufgeregt?«

»Und wie! Ich konnte kaum schlafen, aber das hatte ich ja schon befürchtet.«

Rudi hielt mir das Tor auf – ganz der Gentleman. Ich bedankte mich mit einem Lächeln.

Zunächst sammelte Rudi meine Unterlagen und Anträge ein. »Von deinem Tauglichkeitszeugnis möchte ich eine Kopie machen. Kommst du mit zum Tower? Da steht ein Kopierer. Wir müssen uns auch endlich mal einen fürs Büro anschaffen.«

Ich nickte. Diesen Tower wollte ich mir unbedingt einmal ansehen. Gemeinsam liefen wir über das Vorfeld des Flugplatzes. Am Tower angekommen, hielt Rudi mir die Tür auf. Ich trat ein und stand in einem Treppenhaus, von dem eine Teeküche und ein Flur abgingen. Eine Treppe führte nach unten zu den Toiletten, wie ich den Hinweisschildchen an der Wand entnehmen konnte. Rudi wies mit der Hand nach oben und ich stieg die Stufen bis in den ersten Stock empor. Hier gab es ein paar Tische und Stühle, einen Computer und an der Wand so eine Deutschlandkarte, wie sie auch in der Flugschule hing. Neben dem Computer stand der Kopierer, an dem Rudi nun meine Dokumente kopierte. Anschließend führte er mich weiter nach oben. Etwas außer Atem kam ich im zweiten Stock an. Hier war der wichtige Teil des Towers. Über die Rundumsicht-Glasfront hatte man eine fantastische Sicht auf den gesamten Flugplatz mit der Landebahn und der großen Wiese. Draußen führte ein Balkon aus Metallgitter einmal um das Gebäude herum. Das Flugplatzgelände war größer als ich erwartet hatte und man konnte weit sehen von hier oben – sogar die Hochhäuser am Europakanal meinte ich zu erkennen. Ich kam aus dem Staunen kaum heraus.

»Guten Morgen, Rudi. Alles klar? Wen bringst du denn da vorbei?«

Erst jetzt registrierte ich den jungen Mann, der hinter einem Tresen stand und uns freundlich grüßte.

»Kristian«, wandte Rudi sich an den Flugleiter, »darf ich dir Rosa vorstellen? Sie hat heute ihre erste Flugstunde bei mir. Rosa, das ist Kristian, einer unserer Flugleiter. Er passt auf, dass alles seine Ordnung hat. Ohne ihn oder Hanne geht hier keiner in die Luft.«

Der Flugleiter kam näher und schüttelte mir über den Tresen hinweg die Hand. »Freut mich. Herzlich willkommen. Und viel Spaß!«

»Danke. Ich freue mich auch«, sagte ich und folgte dann Rudi, der schon wieder die Treppe hinabstieg.

»So, heute fliegen wir ein bisschen hinaus, damit du das Flugzeug besser kennenlernst. Dann machen wir noch ein paar Platzrunden«, sagte Rudi, als wir wieder auf das Vorfeld traten.

Mein Herz schlug schon wieder wie wild, während ich Rudi zum Hangar folgte. Heute war die Halle viel voller als beim letzten Mal. In einer Ecke stand der gelbe Doppeldecker, den ich schon auf den Fotos der Flugschule gesehen hatte. Er sah fast aus wie die Flugzeuge in diesem Film mit Heinz Rühmann aus den Vierzigern – nur in bunt.

»Schick«, sagte ich und zeigte auf das Flugzeug.

»Der gehört Hanne«, erklärte Rudi und ich war sicher, eine große Portion Stolz aus seiner Stimme zu hören. »Sie hat ihn selbst restauriert. Ein Stieglitz. Oder offiziell Focke-Wulf FW 44.«

»Das war sicher viel Arbeit, oder?«

Rudi nickte. »Oh ja. Ein paar Jahre Arbeit mit viel Teamwork.« Er zog das Flugzeug heraus, mit dem wir auch beim letzten Mal geflogen waren. Draußen angekommen, ging er zum Cockpit. »Wir machen jetzt den Vorflugcheck. Hier steht, was wir vor dem Flug überprüfen müssen.«

Rudi reichte mir eine Liste, die er aus dem Cockpit geholt hatte.

Ich sah erst die Liste an und dann ihn. »Ja?«

»Als Erstes gehen wir etwas zurück und schauen uns das Flugzeug in Ruhe an. Sind die Flügel noch dran?«

Ich lachte. »Äh, ja, schaut so aus.«

»Bestens, das ist doch schon das Wichtigste. Sind sie gerade oder hängt irgendwo etwas runter, was da nicht herunterhängen sollte?«

Ich legte den Kopf schief und betrachtete das Flugzeug genauer. Woher sollte ich wissen, was für so eine Maschine gerade bedeutete? Und was herunterhängen durfte und was nicht? »Sieht gut aus?«, erwiderte ich, und ja – es klang mehr wie eine Frage als eine Antwort.

Rudi nickte zustimmend und lief dann mit mir alle wichtigen Stellen des Flugzeugs ab. Ich hatte noch nie so viele Splinte in so kurzer Zeit gesehen – vorher nicht einmal gewusst, was ein Splint war. Hier steckten diese Sicherungsstifte allerdings an jeder erdenklichen Stelle, um irgendwelche Schrauben oder Muttern zu sichern. Nach einer Viertelstunde ließ Rudi mich einsteigen. Diesmal durfte ich tatsächlich auf den Pilotensitz. Meine Hände waren ganz feucht geschwitzt, als er mir beim Anschnallen half. Während Rudi die Tür von außen verriegelte, musste ich mir erst einmal die Hände an meiner Hose trocknen.

»So, jetzt kannst du die Liste umdrehen, hier drinnen geht es weiter mit dem Check«, sagte Rudi, nachdem er sich neben mich gesetzt hatte.

Ich nickte und Rudi begann, mir die Instrumente am Armaturenbrett zu erklären. Ich versuchte, mir alles zu merken, aber ich war unglaublich aufgeregt und das alles war Neuland für mich. Er hätte genauso gut Suaheli reden können. Was machte ich hier bloß? Es war doch eine Schnapsidee. Ich würde niemals einen Pilotenschein machen und mich allein in diese Maschine setzen. Wie hatte ich mir das nur einreden können?

»Rosa? Alles in Ordnung?«

Wieder nickte ich und wischte mir die Hände erneut an meinen Oberschenkeln ab. Wie gut, dass ich eine Hose angezogen hatte, stellte ich fest. Das war viel praktischer als ein Rock, denn zwischen meinen Beinen hatte ich jetzt den Gashebel, wie Rudi mir gerade erläuterte. Er selbst hatte auch einen. War der da schon gewesen, als ich meinen Rundflug gemacht hatte? Er war mir gar nicht aufgefallen.

»So«, sagte Rudi und deutete auf den Zündschlüssel. »Ist vor uns alles frei? Bremse gezogen? Dann dreh mal den Zündschlüssel um.«

Ich hielt die Luft an und tat wie mir geheißen. Doch es passierte nichts. Außer, dass ein paar Lampen angingen. Fragend sah ich zu Rudi hinüber. »Habe ich etwas falsch gemacht?«

»Nein, nein, alles gut. Jetzt ziehst du am Choke – warte, ich helfe dir. Ja, genau so. Und jetzt drückst du auf den roten Knopf da.«

Ich drückte vorsichtig auf den Knopf. Der Motor machte seltsame Geräusche. »Etwas Gas geben«, kommandierte Rudi und mit einem Ruck sprang der Motor an. Vor Schreck quiekte ich laut auf.

»Gas zurück und Choke langsam kommen lassen«, kommandierte Rudi weiter.

Ich strahlte. Hatte ich tatsächlich gerade den Motor eines Flugzeugs gestartet? Wie Rudi setzte ich mir das Headset auf, das augenblicklich den Lärm dämpfte. Über die Kopfhörer hörte ich Rudi sprechen. »So, hier ist ein Zettel«, sagte er und klebte ein Post-It an das Armaturenbrett. »Da steht drauf, was du jetzt sagen musst.«

Stirnrunzelnd sah ich ihn an. »Wie, was muss ich denn sagen?«

»Steht da. Auf den Funkknopf am Steuerknüppel drücken und dann liest du die erste Zeile vor.«

»Das kann ich nicht lesen«, sagte ich, nahm den Zettel in die Hand und ging die erste Zeile durch. »Ich soll das über den Funk sprechen?«, rief ich entsetzt. Jetzt erst verstand ich, was Rudi von mir wollte. »Dann hören mich doch alle!?«

»Ja. Das ist der Sinn vom Funken. Kristian soll ja hören, was du vorhast.«

»Aber das haben wir ihm doch eben gesagt!«, versuchte ich mich zu retten. Ich wollte nicht über das Funkgerät mit der halben Welt reden. »Er weiß das doch schon«, jammerte ich.

Rudi grinste, schüttelte den Kopf und tippte auf den Zettel. »Na komm, ist ganz einfach. Falls ein anderer Pilot über das Vorfeld rollt – der weiß es ja noch nicht.«

Rudi hatte gut reden. Das war noch schlimmer, als mit fremden Menschen zu telefonieren. Da hörte immerhin nur einer zu. Ich atmete einmal tief durch und sagte: »Erlangen Info … Delta … Mike … India … Mike … India.« Dann sah ich erwartungsvoll zu Rudi. Der grinste schon wieder und zeigte zum Steuerknüppel.

»So, und jetzt über Funk. So gute Ohren haben die da draußen nicht, dass man dich von hier hört.«

Ach, herrje. Ich hatte die Sprechtaste nicht gedrückt! Also tief durchatmen und noch einmal.

»Delta-Mike-India-Mike-India. Erlangen Info. Hallo, Rosa, hallo, Rudi«, hörte ich den Flugleiter über Funk wie aus der Pistole geschossen antworten.

Fragend sah ich Rudi an, der auf die nächste Zeile tippte. Brav las ich weiter und Rudi hielt den Daumen hoch – anscheinend, um mir zu signalisieren, dass ich nicht kompletten Unsinn gefaselt hatte. Schnell nahm ich den Finger von der Sprechtaste und Kristian antwortete: »Delta-Mike-India. Alles klar. Piste Null-Neun.«

Ich verstand nur noch Bahnhof. Rudi meinte: »Jetzt bestätigst du das.«

»Aha«, sagte ich zu Rudi und über Funk: »Piste Null-neun, was immer das auch sein mag.«

Rudi lachte. »Die Null-Neun ist dort«, sagte er und zeigte zum einen Ende der Landebahn. Dann zeigte er zum anderen Ende und ergänzte: »Und dort hinten ist die Zwo-Sieben.« Da ich ihn immer noch stirnrunzelnd ansah, erklärte er mir: »Die Bahnen werden nach der Himmelsrichtig benannt. Null-neun ist 90 Grad, also gen Osten. Wir starten gegen den Wind.«

»Warum gegen den Wind? Wäre mit dem Wind nicht viel besser?«, hakte ich nach, woraufhin Rudi etwas von Auftrieb und Startstrecke oder so erzählte, was ich mir sowieso nicht merken konnte. Doch dann sagte er: »So, jetzt lösen wir die Bremse und mit den Seitenruderpedalen steuerst du. Folge einfach der gelben Linie über den Rollweg.«

»Wenn du das sagst«, erwiderte ich und weil ich nicht wusste, wie ich die Handbremse lösen musste, machte Rudi das. Das Flugzeug setzte sich langsam in Bewegung. Vorsichtig trat ich in die Pedale und dann rollten wir los, immer der gelben Linie nach. Das gefiel mir und ich jauchzte vor Freunde. »Das ist unglaublich!«, rief ich. »Wozu ist eigentlich der Zebrastreifen auf der Landebahn? Das habe ich mich letztes Mal schon gefragt«, wollte ich wissen.

Rudi lachte herzlich und erwiderte: »Das ist kein Zebrastreifen, sondern die Landeschwelle. Ab da darf man bei der Landung aufsetzen.«

»Ach, so. Ich hatte mich schon gewundert, wozu man da einen Zebrastreifen braucht.« Das war mir nun etwas peinlich.

»So, wir geben jetzt gleich Vollgas. Du fühlst einfach mit, in Ordnung?«

Ich nickte. »Ja.«

»Und Rosa, tu mir bitte einen Gefallen.«

Überrascht sah ich zu ihm hinüber. »Ja?«

»Die Augen bleiben offen und du schreist nicht, bitte«, sagte Rudi und zwinkerte mir zu.

»Ich versuch’s«, presste ich hervor. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich das schaffen würde.

»Jetzt Vollgas«, kommandierte Rudi und führte den Gashebel nach vorne. »In der Spur bleiben, Bugrad entlasten …«

Bugrad? Beim Schiff gab es einen Bug, aber das hier war kein Schiff. Bevor ich mir darüber Gedanken machen konnte, waren wir auch schon in der Luft. Ich quiekte – schon wieder. Hoffentlich hielt mein Fluglehrer mich nicht langsam für ein Rosa-Schweinchen, dachte ich, während Rudi das Flugzeug in eine sanfte Steiglage führte. Er sah kurz zu mir und sagte lachend: »Du kannst wieder Luft holen, Rosa.«

Ich atmete hörbar aus und ließ mir die nächsten Schritte zeigen.

»Nase nach vorne und Gas raus.« Mein Fluglehrer sah zu mir und ergänzte trocken: »Die Nase vom Flugzeug, Rosa. Den Steuerknüppel nach vorne drücken …«

Na prima, jetzt bekam ich auch noch rote Ohren. Zum Glück wurden die von dem Kopfhörer bedeckt.

Rudi gab mir weitere Anweisungen und ich steuerte das Flugzeug nach links, dann nach rechts, rauf und runter, ganze Kreise, Achten, was auch immer. Mein Puls und auch meine Atmung hatten sich langsam normalisiert und es machte sich wieder dieses unglaubliche Glücksgefühl breit, das ich auch schon bei meinem ersten Flug gespürt hatte. Nur war es diesmal noch viel intensiver. Ich hatte ganz vergessen, dass man sich so glücklich fühlen konnte.

»So, wir reihen uns mal zur Landung ein und dann machen wir noch ein paar Platzrunden«, ordnete Rudi an.

»Ay, ay, Käpt’n«, erwiderte ich lachend. Wir drehten noch eine letzte Linkskurve, dann steuerten wir die Landebahn an. Sie wurde immer größer und kam immer näher und ich wurde immer nervöser. Rudi redete behutsam auf mich ein und steuerte mit. Am Ende, kurz bevor das Flugzeug auf dem Boden aufsetzte, zog er immer weiter am Knüppel – bis es fast nicht mehr ging. »Abfangen«, nannte er es und ich überlegte, ob das Flugzeug, wenn man so am Knüppel zog, einen Looping fliegen konnte.

»Nein, dafür braucht man erstens deutlich mehr Geschwindigkeit, zweitens wäre ein Looping so knapp über dem Boden eine sehr dumme Idee und drittens darf man mit Ultraleichtflugzeugen gar keinen Kunstflug machen«, erklärte Rudi.

Wir schwebten nun wenige Zentimeter über der Landebahn und setzten sanft auf. Ich entspannte mich, doch Rudi gab gleich wieder Vollgas und schon waren wir wieder in der Luft und gewannen zügig an Höhe.

»Huch«, rief ich erschrocken.

»Konzentrieren, Rosa«, rief Rudi. »Wir drehen noch zwei Platzrunden.«

Rudi goss mir eine Tasse Kaffee ein. »Das hat doch gut geklappt«, sagte er mit einem Lächeln.

Ich war vollkommen erledigt und freute mich auf mein Sofa. »Das war ganz wunderbar«, sagte ich. »Danke für den Kaffee.« Mein Blick fiel auf die Wanduhr. Schon gleich halb zwölf. Wie schnell die Zeit vergangen war. Es war doch nur eine Stunde Flug ausgemacht gewesen. Aber das ganze Drumherum mit dem Checken und Erklären hatte viel mehr Zeit gekostet, als ich gedacht hätte. »Oh, ich muss los, ich muss meine Enkel vom Kindergarten abholen und vorher noch kochen. Obwohl – heute gibt es mal was Schnelles. Dann habe ich noch Zeit für den Kaffee.« Mir graute vor der Idee, mich jetzt in die Küche stellen zu müssen. In Gedanken flog ich immer noch.

»Wie alt sind deine Enkel?«, wollte Rudi wissen.

»Finni wird im August drei und Anna wird sechs. Sie sind sehr aufgeweckt.«

Rudi nickte und strich sich durch seinen Bart. »Was sagt denn deine Familie dazu, dass du fliegen lernst? Will dein Mann nicht auch mitmachen?«

Ich schluckte und senkte die Augen. »Meine Familie weiß noch nichts davon.«

»Oh, willst du sie überraschen?«

»Ich wollte erst einmal gucken, ob das wirklich etwas für mich ist. Ich will keine schlafenden Hunde wecken. Meinem Mann kann es ja egal sein – wir sind getrennt und er reist mit neuer Begleitung in der Weltgeschichte herum. Da dachte ich, ich möchte auch noch was erleben auf meine alten Tage.«

»Ach, quatsch!«, rief Rudi. »Alte Tage, dass ich nicht lache. Du bist doch noch jung!«

Ich grinste ihn schief an. »Ja, ja. Das sagst du nur, damit du dich selbst nicht so alt fühlst, oder?« Rudi sah mich komisch an und sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen. »Ich wollte nicht verletzend sein, bitte entschuldige. Das ist mir so herausgerutscht.« Warum musste ich immer wieder etwas sagen, was ich hinterher bereute? Ich sah mich um. Gab es hier nicht irgendwo ein Loch, in das ich mich verkriechen konnte?

Doch Rudi schien es mit Humor zu nehmen. Er winkte ab. »Also, ich bin vielleicht nicht mehr der Jüngste, aber alt fühle ich mich nur ganz selten«, sagte er und lachte dazu.

»Ja, man fühlt sich immer noch jung – bis man irgendetwas macht, wo einen die Gelenke daran erinnern, dass man nicht mehr so jung ist. Morgens aufwachen, zum Beispiel«, sagte ich bissig.

»Genau«, bestätigte Rudi. »Und deine Kinder?«, wechselte er das Thema.

»Carsten ist der Vater meiner Enkel. Er ist Anfang 30, arbeitet bei der Bank und seine Frau Felicitas hat einen Teilzeitjob in irgendeiner Werbeagentur. Sie arbeitet aber meist mehr als sie müsste, weil sie ganz wichtige Meetings hat und deshalb ihre Kinder nicht rechtzeitig vom Kindergarten abholen kann. Also übernehme ich das. Dann ist da noch Tobias. Er ist unser Nesthäkchen und so benimmt er sich auch. Er macht gerade eine Ausbildung und wohnt noch bei uns – bei mir – Helmut kommt ja nur noch sporadisch.«

»Helmut?«

»Mein Exmann. Wir sind getrennt.«

Rudi zog die Augenbrauen hoch. »Aber ihr wohnt noch zusammen?«

»Nein. Ja. Er wohnt eigentlich bei seiner Ursel, hat aber noch sein ganzes Zeugs im Haus. Und er fand es praktisch, dass ich da wohne, weil ich dann für Tobias mitkochen kann und die Enkel zum Spielen kommen können und so weiter.« Als ich das so aufzählte, hörte es sich überhaupt nicht praktisch an. Jedenfalls nicht für mich.

Rudi musterte mich. Er dachte wohl das gleiche, denn er fragte: »Und du? Findest du das auch praktisch?«

Ich senkte meinen Blick auf die Tasse, die ich mit beiden Händen umschlungen hielt. »Hm. Praktisch ist es natürlich schon …«

»Für deine Söhne und deinen Exmann bestimmt«, fiel Rudi mir ins Wort. »Aber was ist mit dir?«

In der letzten Zeit hatte wirklich selten jemand gefragt, wie es um mich stand. »Du hast recht«, erwiderte ich. »Sie gehen davon aus, dass es für mich auch praktisch ist. Aber ob ich das auch möchte, haben sie nicht gefragt. Sie haben es einfach immer als gegeben vorausgesetzt.«

»So wie bei dem Rundflug damals …«, ergänzte Rudi.

»Stimmt, da auch.« Ich trank nachdenklich einen Schluck von meinem Kaffee. »Also, verstehe mich nicht falsch. Ich liebe meine Enkel und auch meine Jungs.« Meinen Mann nicht mehr so, fügte ich in Gedanken hinzu.

»Ja, das denke ich mir. Aber du hast ja auch ein Recht auf eigenen Spaß!«

»Darum bin ich hier!«, sagte ich selbstbewusst, sah erneut auf die Uhr und sprang erschrocken auf. Zum Kochen blieb nun gar keine Zeit mehr und ich konnte froh sein, wenn ich nicht zu spät zum Kindergarten kam. Die verstanden da überhaupt keinen Spaß.

Rosa startet gegen den Wind

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