Читать книгу Rosa startet gegen den Wind - Maja Christ - Страница 5

1

Оглавление

Drei rechts, vier links, sechs rechts … die Stricknadeln klickerten leise. Ich sah auf die alte Uhr, die, auf der Anrichte ihr Dasein fristend, unermüdlich tickte. In einer Stunde würde ich meine Enkelkinder aus dem Kindergarten abholen müssen. Bei dem Wetter sollten wir unbedingt einen Abstecher zum Spielplatz am Alterlanger See machen. Sechs links, vier rechts … kochen musste ich auch noch. Durch die offene Terrassentür hörte man die Vögel im Garten tschilpen. Eine Sippe Spatzen hatte sich mal wieder in unserem alten Apfelbaum niedergelassen und schien lauthals über irgendetwas zu streiten. Apropos streiten – was Helmut jetzt wohl machte?

»Rosa? Alles in Ordnung?«

Ich senkte die Stricknadeln, rückte meine Brille zurecht, schob eine Strähne meiner graublonden Haare aus der Stirn und sah zu meiner Nachbarin im Sessel gegenüber. Sie hatte ebenfalls ihre Stricknadeln beiseite gelegt und musterte mich.

»Ja, ja, alles in Ordnung, Moni. Warum fragst du? Möchtet ihr noch Kaffee haben?«, fragte ich und nickte in Richtung meines Couchtisches, wo eine Thermoskanne und drei, inzwischen leere, Kaffeetassen standen. Meine Freundin Leni, die in ihr Strickmuster vertieft auf dem Sofa saß, schüttelte den Kopf ohne aufzusehen.

»Nein, danke«, erwiderte Monika und spitzte pikiert die Lippen. »Ich trinke doch nur eine Tasse am Tag. Das weißt du doch!«

Warum so vorwurfsvoll? War es etwa unhöflich, jemandem einen Kaffee anzubieten? Moni fuchtelte stirnrunzelnd mit einer ihrer Stricknadeln herum. Ich folgte ihrem Blick auf die rosafarbene Merino-Wolle in meinem Schoß, die ich für den Pullover meiner Enkeltochter ausgesucht hatte.

»Hattest du nicht gesagt, du wolltest einen keltischen Zopf stricken?«, fragte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Ja, das hatte ich. Doch ich musste ihr recht geben: Mein bisher fabriziertes Muster erinnerte nicht im Geringsten an einen mir bekannten Zopf. Seit mehreren Reihen schon hatte ich das Überkreuzen durcheinandergebracht.

»Oh, da habe ich mich wohl verzählt.« Ich zuckte mit den Schultern und begann, die letzten Reihen wieder aufzuribbeln.

Moni schüttelte den Kopf. »Also, Rosa. Wo bist du denn nur mit deinen Gedanken?«

Ja, wo war ich? Jedenfalls nicht auf einer Insel der Balearen oder Kanaren oder Karibik oder wo auch immer. Da saß Helmut gerade mit seiner Ursel. Gut ein Jahr war es her, dass mir mein Bis-dato-Ehemann eröffnet hatte, er habe festgestellt, dass er noch so viel erleben könne, jetzt wo er in Rente wäre. Das war kurz nach dem Tod seiner Mutter gewesen. Auf jeden Fall sagte Helmut mir damals, er habe beschlossen, etwas in seinem Leben zu ändern. Ab sofort wolle er die Abende nicht mehr auf dem Sofa sitzend und vor dem Fernseher verbringen, sondern verreisen und Abenteuer erleben. »Schön«, hatte ich erwidert, »ich möchte auch noch viel erleben!« Und ich hatte ihn gefragt, ob er sich schon überlegt hätte, wo wir als erstes hinfahren könnten. Vielleicht nach Paris? Oder Prag? Oder an die Algarve? Da wollte ich immer schon einmal hin. Doch Helmut hatte mich nur ganz komisch angesehen und den Kopf geschüttelt. Und dann faselte er auf einmal etwas von seiner Physiotherapeutin Ursel, die ganz hervorragend massieren würde und außerdem fast zwanzig Jahre jünger als er wäre und somit seine ideale Reise- und Lebensbegleiterin darstellte. Ich hatte dann erst einmal nichts mehr gesagt.

Nun waren die beiden bereits seit mehreren Wochen auf einer fernen Insel und ließen es sich gutgehen, während ich hier in Erlangen saß, Enkelkinder hütete, meinen erwachsenen Sohn bekochte und mich bei Stricktreffen wie heute mit meinen Freundinnen selbst bemitleidete.

»Rosa? Was machst du denn da? Du bist aber heute wirklich nicht bei der Sache«, rief nun auch Leni.

Aus meinen Erinnerungen aufgeschreckt begutachtete ich erneut mein Stickzeug. Ach herrje, das führte heute zu nichts mehr. Frustriert legte ich die Nadeln samt Wolle beiseite und wandte mich an meine Freundinnen. »Vielleicht sollte ich auch mein Leben ändern«, sagte ich.

Moni runzelte die Stirn. Sie hatte sichtliche Schwierigkeiten damit, meinen Gedankengang nachzuvollziehen. Doch dann rückte sie ihre Hornbrille zurecht, schob ein paar Locken ihrer hellbraun gefärbten Dauerwelle beiseite und nickte eifrig. »Ja, Rosa, das ist eine gute Idee.« Mit einem hoffnungsvollen Lächeln ergänzte sie: »Willst du vielleicht endlich zu meinem Yoga-Kurs mitkommen? Ich würde mich so freuen.«

Das konnte ich mir gut vorstellen – also, dass Moni sich freuen würde. Sie war ganz verrückt nach Yoga, Tai-Chi, Nordic Walking und dem ganzen Kram. Meine Person konnte ich mir da allerdings nicht vorstellen. Meine Freundinnen versuchten seit Jahren, mich zu überzeugen, sie zu ihrem Yoga-­Kurs zu begleiten. Einmal hatten sie es geschafft und ich war danach alles andere als entspannt gewesen. Energisch schüttelte ich den Kopf und erwiderte: »Entschuldige, Moni, aber ich dachte eigentlich nicht an Yoga.«

Das Lächeln fror ein und Moni verzog den Mund zu einem Schmollen. Das hatte sie schon in der Schule gemacht. So lange kannte ich sie schon und hatte Zeit gehabt, mich an ihre Marotten zu gewöhnen. Eine davon war, dass sie unglaublich schnell beleidigt war. Wenn etwas nicht nach ihrer Nase lief, schaute sie einen über ihre Brille hinweg verächtlich an – so wie jetzt. »An was hast du denn dann gedacht?«, fragte sie schnippisch.

Ich seufzte. »Das weiß ich noch nicht so genau. Reisen vielleicht?« Gerne hätte ich etwas mehr von der Welt gesehen. Wer nie reisen wollte – außer vielleicht einmal an die Nord- oder Ostsee – war Helmut. Und ausgerechnet der saß nun unter irgendwelchen Palmen und ließ sich vermutlich von seiner Ursel gerade mit frischem Kokosöl massieren. »Oder ein neues Hobby?«, ergänzte ich.

Moni schien noch immer beleidigt. »Aber kein Yoga? Was denn dann? Walking?«

Ich zuckte mit den Schultern. Walking hatte ich ausprobiert, als ich noch mit Helmut zusammen war und keinen Gefallen an dem Herumschlenkern der Stöcke gefunden. Für schwerere Wandertouren waren sie nützlich, aber auf dem Trimm-dich-Pfad im Meilwald hatte ich den Einsatz meiner Wanderstöcke als reichlich überflüssig empfunden – auch wenn Moni das anders gesehen hatte und mich immer wieder ermuntert hatte, die Arme höher zu schwingen. Ich schüttelte mich bei dem Gedanken und schaute aus dem Fenster. Die Frühlingssonne strahlte vom Himmel, die Wolken hinter unserem alten Apfelbaum sahen aus wie lauter kleine Wattebausche und Mauersegler schwirrten über die Dächer. Sie wirkten unbeschwert und frei.

»Du findest sicher etwas Nettes für dich«, sagte Leni aufmunternd. Ich löste meinen Blick von den Wolken und sah zwischen meinen beiden Freundinnen hin und her. Wir waren schon ein seltsames Trio. Moni war etwas kleiner und – trotz Yoga und all dem anderen – ein wenig molliger als ich. Sie trug meist Kleidung in Erdfarben, die Leni für gewöhnlich als bieder umschrieb. Heute war es eine olivfarbene Bluse und eine beige Baumwollhose. Meine Garderobe war zwar meist ebenfalls zurückhaltend, doch ich bevorzugte dezente Blau- und Bordeauxtöne. Leni war ganz anders – nicht nur äußerlich, sondern auch vom Wesen her. Ich mochte ihre freundliche und zuvorkommende Art. Sie war klein und zierlich, doch davon durfte man sich nicht täuschen lassen: Leni verstand es durchaus, ihren Kopf durchzusetzen. Ihre Kleidung war das komplette Gegenteil von bieder: Über einer knallgelben Leggins trug sie heute eine pinkfarbene, fast knielange Tunika. Die langen, inzwischen silberfarbenen Haare hatte sie sich zu einem Zopf geflochten und ihre hellen Augen blitzten schelmisch, als sie weitersprach. »Vielleicht möchtest du einen Tanzkurs besuchen? Da könntest du gleich einen neuen Mann kennenlernen.« Sie zwinkerte mir zu. »Schau doch mal im Internet.«

Nun nickte auch Moni. »Und wenn du verreisen möchtest: Walter und ich fahren diesen Sommer wieder nach Sankt Peter-Ording. Du könntest doch mitkommen?«

Ganz sicher nicht. Und einen neuen Mann wollte ich ebenso wenig kennenlernen. Doch ich wollte meine Besucherinnen nicht vor den Kopf stoßen. Also erhob ich mich aus meinem Sessel und sagte, um das Thema erst einmal abzuschließen: »Ich schaue mal, was sich findet. So, möchte noch jemand Kaffee haben, bevor ich meine Enkelkinder aus dem Kindergarten abhole? Oder ein paar Kekse?«

Zum Abschied klopfte Leni mir auf die Schulter und erinnerte mich daran, im Internet nach einer netten Beschäftigungsmöglichkeit für mich zu suchen. Dann einigten wir uns darauf, bald wieder gemeinsam zu wandern. Schließlich gab es viele schöne Strecken in der Fränkischen Schweiz und unsere letzte Wanderung von Obertrubach zum Signalstein und entlang der Mühlen des Trubachtals lag schon ein paar Wochen zurück. Außerdem könnten wir bei dem schönen Wetter auch mal wieder eine Radtour machen. Seit Leni und ich uns Pedelecs zugelegt hatten, hatte sich unser Radius deutlich erweitert.

Moni ergänzte noch, dass das Senioren-Nachbarschaftscafé einige sehr interessante Kurse und Lesungen anbieten würde. Daraufhin handelte sie sich, statt der erhofften Zustimmung, nur böse Blicke von Leni und mir ein. Vielleicht war ich mit Anfang 60 nicht mehr so jung wie Helmuts Ursel, aber für ein Seniorencafé war ich definitiv noch lange nicht im richtigen Alter. Das Internet zu durchforsten, klang da schon verlockender. Doch das musste warten. Jetzt musste ich schleunigst Klöße mit Soße machen, eine der Leibspeisen meiner Enkel. Und für Tobias galt es noch eine Fleischbeilage zuzubereiten, sonst würde er heute Abend wieder unausstehlich sein. Tobias war mein jüngerer Sohn. Er war Anfang 20, machte nach einigem Hin und Her inzwischen eine Ausbildung zum Industriemechaniker und wohnte noch zu Hause. Das war unter anderem der Grund, dass Helmut es mir überlassen hatte, weiter hier in unserem Haus in Alterlangen zu wohnen. »Das bin ich dir doch irgendwie schuldig«, hatte er mir gönnerhaft erklärt. »Dann musst du nicht nach einer neuen Wohnung suchen und es bleibt fast alles so wie bisher: Tobias kann bei dir leben, Carstens Kinder können hier wie gewohnt spielen und deine Freundinnen sind weiterhin in der Nähe für eure Kaffeekränzchen.«

Das hatte fast so geklungen, als ob er mir damit einen Gefallen tun würde. Tatsächlich hatte sich kaum etwas für mich geändert, seit er ausgezogen war: Unser inzwischen erwachsener Sohn legte mir weiterhin seine schmutzige Wäsche ins Bad – du wäschst doch sowieso – und ließ sich bekochen – du kochst doch so gerne und du machst doch eh Mittagessen für Carstens Kinder. Sogar Helmut kam ständig vorbei, weil er seine ganzen Sachen noch im Haus hatte. Zu seiner neuen Lebensbegleitung hatte er bislang nur das Nötigste mitgenommen.

Rosa startet gegen den Wind

Подняться наверх