Читать книгу Rosa startet gegen den Wind - Maja Christ - Страница 12

8

Оглавление

Frau Lehmann, die Kindergärtnerin, funkelte mich wütend an, als ich, vollkommen aus der Puste, am Kindergarten ankam.

»Frau Linde! Sie sind zehn Minuten zu spät. Abholzeit ist um eins, nicht um ein Uhr irgendwas«, sagte sie streng und schob mir meine Enkelkinder entgegen, die mich mit großen Augen ansahen.

»Oma, hast du uns nicht mehr lieb?«, fragte Anna mit bebender Stimme.

»Aber natürlich habe ich euch ganz doll lieb!«, rief ich, ging in die Hocke und schlang meine Arme um die beiden. »Nun zu Ihnen, Frau Lehmann«, sagte ich zu der Betreuerin, nachdem ich ächzend wieder aufgestanden war. Ich bekam kaum Luft von der rasanten Fahrt auf meinem Pedelec. So sportlich war ich dann wohl doch nicht. »Ich habe doch angerufen, dass ich mich ein wenig verspäte.«

»Ja, und? Da kann ja jeder kommen. Abholzeit ist Abholzeit!«

»Hören Sie mal, ich bin noch nie zu spät gekommen!«

»Na, das stimmt nicht!«, entgegnete Frau Lehmann schnippisch.

»Wie? Wann denn bitte schön?«

»Na, heute!«

»Ach, Sie haben ja einen Vogel!«, sagte ich, sammelte meine Enkel ein und zog erhobenen Hauptes von dannen. Hinter mir hörte ich Frau Lehmann zetern.

»Oma?« Anna zupfte mich am Ärmel.

Ich beugte mich zu ihr hinunter. »Ja, Anna?«

»Das darf man doch gar nicht sagen, oder? Dass die Frau Lehmann einen Vogel hat.«

Ich legte meinen rechten Zeigefinger auf die Lippen. »Nein, Anna, das darf man nicht sagen. Und das sagen wir auch nicht wieder, in Ordnung? Sonst schimpft die Mama bloß mit uns.«

»Oma?«

»Ja?«

»Du hast aber recht, Oma! Die Frau Lehmann hat einen Vogel.«

»Genau!«, rief nun auch Finni. »Frau Lehmann simpft imma.«

Was hatte ich hier nur angerichtet? »Kommt, Kinder«, sagte ich. »Heute gehen wir auswärts essen.«

»Oh, ja! Du bist die beste Oma, die wir haben!«, rief meine Enkelin und ihr Bruder stimmte fröhlich mit ein. Oje, was wohl Felicitas’ Mutter dazu sagen würde, wenn sie das hörte?

Ich steuerte eine kleine Gaststube an und hielt den Kindern die Tür auf. »So, Kinder, hereinspaziert. Dann hoffen wir mal, dass wir hier etwas zu essen bekommen«, sagte ich. Es würde nicht mehr lange dauern, bis zumindest Finni so hungrig sein würde, dass ich es bereuen könnte, mit Rudi die Zeit vergessen zu haben.

»Guten Tag«, sagte ich zu einer jungen Dame, die am Tresen stand und uns freundlich zunickte. »Haben Sie auch einen kinderfreundlichen Mittagstisch?« Bitte, bitte, bitte, setzte ich mein Stoßgebet ab und sah mich um. Viele Gäste waren nicht da. Außer uns war noch ein einzelner grauhaariger Mann hier, der gerade am Tresen ein Helles trank. An einem Tischchen aß ein jüngeres Paar zu Mittag.

»Ja, ich denke schon, dass wir da etwas finden werden«, sagte die Kellnerin. »Setzen Sie sich gerne dort an den Ecktisch am Fenster. Ich bringe Ihnen gleich die Karte.«

Ich amtete auf und dirigierte die Kinder an den Ecktisch. Kurz darauf kam ein Mann mit Glatze hervorgeschossen und brachte uns einen Hochstuhl. »Hier, junger Mann!«, sagte er zu meinem Enkel. »Darf ich dir auf unseren Thron helfen?«

»Jaaa!«, rief Finni.

»Oh, vielen Dank«, erwiderte ich.

Anna beobachtete das Ganze stirnrunzelnd. »Hast du auch einen Thron für mich?«, wollte sie nun wissen.

»Aber natürlich!«, erwiderte der Mann. »Für Prinzessinnen wie du eine bist, haben wir ein ganz besonderes Prinzessinnen-Kissen!« Er lief davon und kam mit einem rosaroten Sitzkissen in Samtoptik zurück. Anna gingen die Augen auf. Sie konnte ihr Glück kaum fassen und ließ sich zufrieden auf dem Kissen, mir gegenüber, nieder.

Kurz darauf aßen meine beiden Königsenkelkinder glücklich eine kleine Portion Käsespätzle und ich eine Brotzeit. Warum machte ich das nicht viel häufiger mal – Essengehen mit meinen Enkeln? Na gut, auf die Dauer würde das ins Geld gehen.

Die Kinder hatten ihre Teller geleert – sogar Finni hatte alles aufgegessen – und langsam wurden sie unruhig. Also bezahlte ich und machte mich mit den beiden auf den Weg zum Spielplatz.

»Mama, wo bist du?«, rief Tobias am späten Nachmittag durchs Haus.

»Hier oben, im Zimmer deines Bruders. Wir lesen!«, rief ich zurück.

Kurz, nachdem wir das Restaurant verlassen hatten, hatte Felicitas angerufen und mir mitgeteilt, dass sie wieder ein wichtiges Meeting hätte. Carsten würde die Kinder später bei mir abholen. Nachdem wir auf dem Spielplatz gewesen waren, hatte ich den restlichen Nachmittag über mit den beiden Kindern auf Carstens Jugendbett gesessen, Bilderbücher vorgelesen und Geschichten erzählt. Die beiden Kinder hatten sich – jeder auf einer Seite – an mich gekuschelt und gelauscht. Besonders interessant hatten sie die letzte Geschichte von dem Pinguin gefunden, der fliegen lernen wollte. Die hatte ich mir kurzerhand ausgedacht, als die Bilderbücher ausgegangen waren. Was lag näher für einen flugunfähigen Vogel, als sich ein Flugzeug zu bauen? So war der Pinguin die letzte halbe Stunde glücklich, mit einem roten Doppeldecker, über die Eisschollen der Antarktis geflogen und hatte bei seinen Artgenossen für eine Menge Aufsehen gesorgt.

»Oma, ich finde das toll, dass der Pinguin jetzt fliegen kann wie die Albatrosse«, sagte Anna. Finni sagte nichts mehr – er war in meinem Arm eingeschlafen.

»Ja, wenn man einen Traum hat, sollte man dafür kämpfen und sich nicht von den anderen bestimmen lassen, die das nicht verstehen, nicht wahr?«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu meiner Enkeltochter.

»Ja! Oma?«

»Ja, mein Kind?« Ich strich ihr über ihr Haar.

»Wenn ich groß bin, will ich auch fliegen! In einem roten Doppeldecker!«, sagte Anna ehrfurchtsvoll.

»Das kannst du bestimmt machen, Anna.«

»Echt, Oma?«

»Ja, klar! Warum nicht?«

»Cool«, meinte Anna gerade, da rief Tobias erneut nach mir.

Er kam ins Zimmer und sagte: »Ähm, Mama, hallo. Ich kann mein Essen nicht finden.«

»Oh, du musst dir eine Brotzeit machen. Ich habe nicht gekocht«, sagte ich.

»Wie?« Tobias starrte mich an.

»Ich hatte keine Zeit.«

»Wie, keine Zeit?«

»Tobias, ich hatte etwas vor und hatte keine Zeit, für dich zu kochen. Du kannst dir auch eine Pizza liefern lassen oder einen Döner holen oder was auch immer.«

»Och, Mann, Mama!«, schimpfte Tobias und dampfte ab. Ich hörte noch, wie er sich bei Carsten beschwerte, der gerade ins Haus gekommen war, um seine Kinder abzuholen, da knallte auch schon die Haustür.

»Ups, der ist sauer«, sagte ich zu meiner Enkelin und schmunzelte sie an.

»Hallo, Mama!« Carsten kam ins Zimmer.

Anna sprang auf und fiel ihm in die Arme. »Papa!«

Ich stupste Finni an, der sofort die Augen aufschlug und ebenfalls aufsprang, um seinen Vater zu begrüßen. »Papa!«

Carsten zog die Augenbrauen hoch. »Hat er gerade geschlafen?«, wollte er wissen.

»Ja, ein wenig«, gab ich zu.

»Na prima. Mama, du sollst ihn nicht schlafen lassen, dann schläft er nachher nicht!«

»Entschuldige«, entgegnete ich. »Ich habe es erst gar nicht gemerkt. Wir haben hier so schön gesessen und Bilderbücher angeschaut.«

»Ja, Papa. Und der Pinguin hat fliegen gelernt!«, rief Anna aufgeregt.

»Aha«, machte Carsten und wandte sich wieder an mich. »Mama, wirklich, warum warst du nicht draußen mit den Kindern? Es war so schönes Wetter heute.«

»Ja, ich weiß, wir waren auch draußen, nicht wahr, Kinder?«

»Ja, auf dem Spieli! Oma hat uns gesaukelt!«, rief Finni. Ich arbeitete mich aus dem Bett und tätschelte meinem Enkel den Kopf. »Und Frau Lehmann ist ein Vogel!«, ergänzte Finni stolz.

»Nein, Finni, die hat einen Vogel!«, korrigierte ihn seine große Schwester. »Du verdrehst immer alles!« Sie stieß ihm gegen die Schulter.

Finn schubste zurück und schimpfte. »Du drehst selbst! Du bist doof!«

»Selber doof!«, schrie Anna.

Ich ging dazwischen. »Kinder, beruhigt euch. Wollt ihr noch einen Kakao zum Abschied?« Ich wandte mich an Carsten, der mich schon wütend anfunkelte. Wahrscheinlich fragte er sich gerade, ob ich den beiden die Schimpfwörter beigebracht hatte. Doch ich trug nur an dem einen eine Mitschuld. »So viel Zeit hast du sicher noch, oder?«, fragte ich meinen Sohn.

Er konnte allerdings nichts mehr entgegnen, weil die Kinder schon lauthals »Ja« gerufen hatten und hinunter zur Küche liefen. Also brummte er ein »Na gut, ausnahmsweise« und trottete hinter mir her. Kurz vor der Küche hielt er mich zurück. »Sag mal, was war denn das mit Tobias? Der war so wütend.«

»Och, der hat wohl noch ein wenig Schwierigkeiten damit, erwachsen zu werden. Aber du hast es ja auch geschafft.«

Carsten musterte mich seltsam. »Du weißt schon, dass du in der letzten Zeit etwas sonderbar bist, Mama, oder?«

»Inwiefern?«

»Na, so allgemein. Du warst immer so zuverlässig. Und jetzt bist du mit den Gedanken ganz woanders. Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«

Ich lächelte, während ich Milch auf dem Herd aufsetzte. »Och, mit mir ist alles in bester Ordnung«, sagte ich. »Und, bevor ich es vergesse: Übermorgen müsst ihr eine andere Betreuung für Anna und Finni organisieren. Da kann ich nicht.« Sicherheitshalber wandte ich mich wieder dem Topf zu – nicht wegen der Milch, sondern weil ich nicht wollte, dass Carsten sah, dass ich dabei immer noch breit lächelte.

Rosa startet gegen den Wind

Подняться наверх