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Mein Pilot schob die riesigen Hallentore auf. Ich lugte vorsichtig ins Innere. Staub tanzte in den Sonnenstrahlen. Viele Flugzeuge waren nicht in der Halle und ich erinnerte mich daran, dass er etwas von einem Ausflug erzählt hatte. Rudi Frantz ging auf ein kleines Flugzeug zu, begutachtete es von allen Seiten und schob es dann langsam aus der Halle. Es erinnerte mich an die Maschine, mit der meine Männer damals geflogen waren. Sie hatte noch weniger Sitzplätze – zwei, um genau zu sein. Doch für meinen ersten Flug langte das ja.

»Soll ich irgendwo mit anfassen?«, wollte ich wissen und griff nach einer Strebe unterm Flügel.

»Nein, danke, das mache ich lieber selbst«, rief Rudi mir zu. »Das Flugzeug ist ganz leicht.«

Etwas verloren lief ich hinter ihm her. Nichts zu tun zu haben, war ich nicht gewohnt. Ich packte immer mit an.

Draußen angekommen, hielt er an, lief nach vorne zum Cockpit und öffnete die »Beifahrertür«. Wie nannte man das wohl beim Flugzeug?

»So, Rosa, dann steigen Sie mal ein.«

Jetzt ließ es sich nicht mehr leugnen. Ich war aufgeregt.

Mein Pilot nickte mir aufmunternd zu. »Die Mike-India beißt nicht, keine Sorge.«

Das war aber auch ein seltsamer Name. »Wieso heißt das Flugzeug eigentlich Mike-India?«, wollte ich wissen, nachdem Rudi mir ins Flugzeug und beim Anschnallen geholfen hatte. Wie er das geschafft hatte, konnte ich mir allerdings nicht erklären. Wie war es möglich, den Gurt festzuziehen, wenn mein Herz ständig mit aller Macht dagegen hämmerte? Hoffentlich hatte ich keine Herzerkrankung, von der ich nichts wusste. Inzwischen erwartete ich nämlich jeden Moment, dass meine Pumpe aussetzte. Diese Aufregung war mit Sicherheit zu viel für das arme Ding und die Idee mit dem Rundflug definitiv eine Torheit gewesen. Vielleicht hätte ich mich vorher Leni oder sogar Moni anvertrauen sollen. Die beiden hätten mich bestimmt davon abgehalten. Misstrauisch beäugte ich die Tür, die gerade von außen geschlossen wurde. Ob die in der Luft plötzlich aufgehen konnte?

»Das ist die Flugzeug-Kennung. Genauer gesagt, die letzten beiden Buchstaben im internationalen Alphabet«, erklärte mir mein Pilot, nachdem er einmal um das Flugzeug herumgelaufen war und sich nun neben mich setzte. Ich war so mit meinen Bedenken beschäftigt gewesen, dass ich einen Moment brauchte, um zu verstehen, dass seine Erklärung sich auf meine Frage von eben bezog. »So, also«, führte er seine Erläuterungen fort. »Das hier ist ein Ultraleichtflugzeug, das kann maximal zwei Piloten fassen und …«

Den Rest hörte ich nicht mehr. Was ich stattdessen hörte, war ein Rauschen in meinen Ohren. Das musste die Aufregung sein. Was würde meine Familie sagen, wenn ich jetzt abstürzte? Womöglich noch mitten hinein in Carstens Garten. Und mein Sohn wusste noch nicht einmal von meinem Ausflug!

»Alles in Ordnung, Rosa?«, drang Rudis lautstarke Frage zu mir durch. Er sah mich fragend an.

Ich nickte. »Ja, alles in Ordnung.« Oh jemine, oh jemine, dachte ich.

»Sollen wir dann mal starten?«

Ich nickte wieder. »Ja, bitte.« Nicht, dass ich doch noch einen Rückzieher machte. Ich war zwar kurz davor, aber die Blöße wollte ich mir nicht geben.

Rudi Frantz beugte sich zu mir und reichte mir einen Kopfhörer, der über mir am Gestänge gebaumelt hatte. »Hier, das Headset. Dann wollen wir mal.« Ich setzte mir das Ding auf, Rudi tat es mir gleich und startete den Motor, woraufhin sich das Flugzeug einmal durchschüttelte. Doch dann beruhigte sich der Motor wohl wieder und schien relativ rund zu laufen. Vor uns drehte sich der Propeller so schnell, dass man ihn gar nicht mehr sehen konnte.

»Äh, Rudi!«, rief ich durch das Mikrofon des Headsets und erschrak, weil ich meine eigene Stimme im Kopfhörer hörte, und zwar ziemlich laut.

»Sie können ganz normal sprechen«, meinte Rudi. »Ich verstehe Sie gut.«

»Oh, Entschuldigung«, sagte ich etwas leiser. »Ähm, kann ich etwas fragen?«

Rudi drehte mir freundlich lächelnd den Kopf zu. »Ja, natürlich.«

»Kann die Tür hier während des Fluges aufgehen?«

»Nein, keine Sorge, die habe ich gut verschlossen«, sagte er. »Und wenn was ist und ich nicht mehr reagieren sollte, ziehen Sie hier.« Er zeigte nach oben zu einem roten Griff. »Da aktiviert man den Rettungsschirm für den Notfall. An dem segelt dann das ganze Flugzeug zu Boden.«

Entsetzt starrte ich ihn an. Notfall? Hatte er gerade Notfall gesagt?

»Werden wir nicht brauchen, keine Sorge.«

Ich starrte ihn immer noch an. Rudi ignorierte es und sprach stattdessen seelenruhig mit irgendjemandem über das Funkgerät. Ich nahm eine fremde Stimme im Ohr wahr, aber ich hörte nicht zu, weil sich das Flugzeug nun langsam in Bewegung setzte. Während wir zur Startbahn rollten, krallte ich mich mit beiden Händen in meinem Gurt fest. Worauf hatte ich mich nur eingelassen? Vielleicht wäre Tai-Chi doch besser gewesen? Oder Yoga? Was hätte ich dafür gegeben, jetzt auf einer Yogamatte zu liegen.

»So«, sagte Rudi. »Dann wollen wir mal Gas geben.«

Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass wir uns schon auf der Startbahn befanden. Die war wie eine riesige Straße und wir standen quasi mitten auf dem Mittelstreifen. Sogar einen Zebrastreifen gab es. Wieso brauchte man hier einen Zebrastreifen? Die Flugzeuge konnten doch nicht einfach mitten in der Landung anhalten und einen Fußgänger durchlassen?!

Bevor ich mir weiter darüber Gedanken machen konnte, gab Rudi Gas. Das Flugzeug setzte sich wieder in Bewegung, erst langsam, dann immer schneller. »Oh, jeee …«

»Rosa?«

»Hm?«, machte ich.

»Danke«, grummelte mein Pilot.

Ich verstand nicht. »Wie, danke?«, presste ich hervor. Ich atmete schwer und öffnete erst das rechte, dann das linke Auge.

»Ich wollte bloß sagen, Sie könnten dann jetzt aufhören, zu schreien. Aber Sie sind ja wieder still«, brummte Rudi.

»Oh, Entschuldigung.« Hatte ich gerade tatsächlich geschrien? Vorsichtig schielte ich aus dem Fenster. Wir waren schon in der Luft. »Und die Tür kann wirklich nicht aufgehen?«, fragte ich.

»Solange Sie den Griff in Ruhe lassen, kann da nichts passieren«, sagte Rudi.

Ich schielte wieder aus dem Fenster. Die Hallen, die Bäume, das Restaurant – alles wurde langsam kleiner. Vor uns konnte man bereits die Häuser von Erlangen sehen, den Kanal und die Regnitz. Auf der einen Seite, das mussten Eltersdorf und Bruck sein. Dann war dort Alterlangen. Ich reckte den Kopf. Das Flugzeug flog nun eine sanfte Kurve und ich konnte unter mir deutlich den Boden sehen – wie eine Modelleisenbahnlandschaft. Tatsächlich fuhr da unten sogar ein Zug.

»Da fährt ein Zug!«, rief ich freudig aus. »Allmächd is des fei der Wahansinn!«

Dann sah ich das erste Mal zu meinem Piloten hinüber. Der steuerte ganz souverän das Flugzeug, als wäre es das Normalste der Welt. Nun schaute er ebenfalls zu mir herüber. »Und, wieder landen oder weiter?«, wollte er wissen.

»Gerne weiter. Das ist unglaublich.« Ich kriegte mich gar nicht wieder ein. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Also, ich wusste nicht, ob ich mir überhaupt etwas vorgestellt hatte – aber falls ja: Das hier übertraf alles. Die Sonne spiegelte sich im Wasser unter uns und auch die Wolken sahen wunderhübsch aus – so weiß und weich und nah.

»Kann man die anfassen?«, fragte ich und zeigte hoch zu einem Wattebausch, unter dem wir gerade entlangflogen.

Rudi grinste. »Wenn wir ohne Tür fliegen würden, vielleicht. Aber viel zum Anfassen ist da nicht. Die Wolken sind bloß Nebel in Wattebauschform.«

»Oh, ja, natürlich«, erwiderte ich. Was für eine dumme Idee von mir.

»Schauen Sie«, sagte Rudi irgendwann, nachdem wir eine Weile geflogen waren. »Das Walberla.« Er zeigte nach draußen auf einen kleinen Höhenzug. Dort hinauf, auf die Ehrenbürg, wie das Walberla auch hieß, war ich im letzten Herbst mit Leni gewandert und ich suchte aufgeregt den Wanderweg ab, den wir von Kirchehrenbach aus genommen hatten. Von hier oben sah es zwar etwas unbedeutender aus, als wenn man in der Mittagssonne hochwanderte, doch aus der Luft war es nicht weniger schön anzusehen. Alles sah bezaubernd aus auf unserem Weg. Ich nickte glücklich.

»Möchten Sie mal steuern?«, fragte Rudi. »Hier, übernehmen Sie ruhig den Steuerknüppel.«

Entsetzt starrte ich meinen Piloten an, doch er lächelte mich so freundlich an, dass ich fast dachte, er könnte das ernst gemeint haben.

»Na kommen Sie, ist ganz einfach.« Er rührte ein wenig mit dem Steuerknüppel herum und das Flugzeug wackelte leicht hin und her. Mein Magen sackte eine Etage tiefer.

»Allmächd«, rief ich.

»Es ist wirklich nicht schwer und es kann gar nichts schiefgehen«, sagte Rudi beruhigend.

»Wirklich?«

»Aber ja, natürlich. Ich passe ja auf.«

»Und wir stürzen dann nicht ab?« Ich schielte auf den Griff von dem Notfallschirm über mir.

Rudi lachte. »Nein, das werden wir nicht. Na los! Und kommen Sie nicht auf die Idee, den Rettungsschirm zu ziehen!« Er nahm seine Hand weiter nach unten, damit ich den einzigen Steuerknüppel, den dieses Flugzeug hatte, auch umfassen konnte. Vorsichtig griff ich mit meiner linken Hand nach dem weichen Handknauf.

»Nicht so verkrampfen, ganz locker«, erklärte mein Pilot, doch das war einfacher gesagt als getan. Die Art und Weise, wie ich den Steuerknüppel umklammerte, ließ sich wirklich am besten mit »verkrampft« umschreiben.

»Einfach geradeaus fliegen …«, sagte er.

Der hatte gut reden! Ich atmete einmal tief durch und versuchte, geradeaus zu fliegen. Ich versuchte es wirklich, doch das Flugzeug senkte die Nase nach unten, Richtung Boden. Also riss ich am Knüppel und das Flugzeug stieg nach oben. »Huch! Hilfe«, quiekte ich und schloss sicherheitshalber die Augen.

Rudi brachte das Flugzeug zurück in eine ruhige Lage. Zaghaft öffnete ich meine Augen wieder.

»So, jetzt noch einmal, mit mehr Gefühl«, sagte er lachend. Also versuchte ich es erneut und musste ebenfalls lachen – vor Freude und Faszination.

»Prima«, meinte Rudi. »Und jetzt fliegen wir eine Kurve nach rechts.«

Ich drückte den Steuerknüppel vorsichtig zur Seite.

»Ja, Wahnsinn!«, rief ich. Ich, Rosa Linde, steuerte ein echtes Flugzeug – fast ganz allein. Und es stürzte nicht ab. Es flog einfach weiter – wenn auch in Schlangenlinien.

Rosa startet gegen den Wind

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