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4 Die Besonderheiten der Berufseingangsphase in der Berufsbiographie des Lehrers: Hochqualifizierter Spezialist und dennoch Novize
ОглавлениеAls neuer Lehrer sind Sie in einer herausfordernden Situation. Sie sind hochqualifiziert und vermutlich hoch motiviert, das erlernte Wissen umzusetzen. Als Absolvent der Lehrerbildung des 21. Jahrhunderts haben Sie viele Dinge gelernt, die an Ihrer neuen Arbeitsstätte dringend benötigt werden. So haben Sie vermutlich Vorstellungen, wie Sie eigenverantwortliches Lernen der Schüler organisieren können. Sie kennen die PISA-Ergebnisse und halten es für selbstverständlich, dass Schüler und Lehrer den Lernerfolg mittels zentraler Leistungstests erheben. Sie verfügen über ein Repertoire aktivierender Methoden und haben sich mit Unterrichts- und Schulentwicklung auseinander gesetzt. Sie sind an den Rückmeldungen der Schüler zu Ihrem Unterricht interessiert und möchten gerne ein Lernangebot offerieren, das einer heterogenen Schülerzusammensetzung Möglichkeiten des leistungsdifferenzierten Lernens bietet. Wenn Sie Ihre Arbeit an einer Schule aufnehmen, wird Ihr zukünftiger Schulleiter mit Begeisterung auf diese Qualifikationen zurückgreifen – und Sie selbst werden mit Ihrem frischen Blick von außen erkennen, wo es an Ihrem neuen Arbeitsplatz hakt, was nicht gut geregelt ist, wo die Probleme liegen. Mit anderen Worten: Sie könnten sofort als hochspezialisierter Fachmann für Unterrichts- und Schulentwicklung beginnen – umso mehr, je länger Ihr neues Kollegium schon ohne Neueinstellungen auskommen musste.
Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite nämlich sind Sie in vielen Bereichen erneut Anfänger, nun schon zum dritten Mal, nach Studium und Referendariat. Denn obwohl Sie über all die aufgezählten Qualifikationen verfügen, fehlt Ihnen doch jenes grundlegende Know-how, das Sie sich erst im Beruf erwerben müssen. Terhart umschreibt den Sachverhalt folgendermaßen: Berufseinsteiger seien berufsfähig, aber nicht berufsfertig (TERHART, 2001, S. 128). So haben Sie noch nie zuvor 25–30 Unterrichtstunden in der Woche vorbereitet und mehrere hundert Schülerarbeiten korrigiert – Ihre entsprechenden Routinen aus dem Referendariat müssen nun modifiziert und an den veränderten Arbeitsdruck angepasst werden. Sie sind jetzt Chef im Ring – und übernehmen erstmals die komplette Verantwortung im Bereich der Klassenleitung, der Schüler- und Elternberatung. Und nicht zuletzt gilt es nun, Ihre ganz eigene Ausprägung der Lehrerrolle zu finden und zu gestalten. Bisher, im Referendariat, unter Beobachtung durch die Menschen, die Sie begleitet und bewertet haben, gab es sicherlich Anpassungsprozesse Ihrerseits an deren Wünsche und Erwartungen. Gleichzeitig gab es aber nicht selten auch Schutz für Sie durch die Ausbildungssituation, da man Ihnen in dieser Phase vermutlich nicht die schwierigsten Klassen übertragen hat – und da Sie immer Berater in Ihrem Rücken wussten. Hier war bestimmt auch der Zusammenhalt der Ausbildungsseminare sehr hilfreich. Nun sind Sie auf sich gestellt – und erleben, dass dies Chance und Herausforderung zugleich ist.
Als erleichternd empfinden Sie sicher, dass die Beobachtungs- und Beurteilungssituation zunächst zu Ende ist. Sie können nun frei aufspielen. Aber gleichzeitig merken Sie, dass Ihr Handlungsrepertoire in vielen pädagogischen Fragen dringend erweitert werden muss.
Erfolge und Misserfolge in der Berufseingangsphase
Diese ambivalente Situation ist prägend in der Berufseingangsphase – und sie wird Sie zwischen den Extremen Spezialist einerseits und Novize andererseits hin- und herpendeln lassen, mit allen dazugehörigen Höhen und Tiefen. An einem Tag werden Sie beglückt aus der Schule schweben, weil Sie von Ihren Schülern eine wunderbare Rückmeldung über Ihren Unterricht erhalten haben, oder weil Ihre Klasse prima in einer Vergleichsarbeit abgeschnitten hat, oder weil eine Elternvertreterin Sie angerufen hat, um Ihnen zu sagen, wie sehr Ihr frischer Schwung der Klasse gut tut. Und schon am nächsten Tag kann es Ihnen passieren, dass die gleiche Klasse, die Sie noch gestern gelobt hat, über Tische und Bänke steigt, weil nun etwas anderes auf der Tagesordnung der Schüler steht: Nämlich das Kräftemessen mit Ihnen als jungem Kollegen. Oder Sie bekommen einen heftigen Rüffel von einem Chemiekollegen, weil Sie die Sammlung nicht so hinterlassen haben, wie es an dieser Schule der Standard ist – Sie haben es einfach nicht geschafft, Ihr Zeitmanagement hakte, es klingelte plötzlich, die Schüler waren weg – und Sie hatten nur zehn Minuten bis zur nächsten Stunde …
Das Auf und Ab der Gefühle wird Sie ein Lehrerleben lang begleiten – es gehört untrennbar zu der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Und gelegentliche Anfälle von Selbstzweifeln gehören auch bei gestandenen, erfolgreichen Lehrern dazu, sind immer wieder Motivation, das eigene Tun zu überdenken und nicht einzurosten. Die Stärke der Ausschläge der Aufs und Abs aber wird sich im Laufe Ihrer ersten Berufsjahre deutlich verringern, und zwar in dem Maße, in dem es Ihnen gelingt, für sich produktive Routinen zu finden und weiterzuentwickeln.
Erfolge und Misserfolge wahrnehmen und zulassen
Wichtig dabei ist aber, dass Sie beides in Ihren ersten Berufsjahren bewusst wahrnehmen. Feiern Sie Ihre Erfolge, auch die kleinen – genießen Sie sie! Gewöhnen Sie sich daran, Ihre Schultage regelmäßig unter dem Gesichtspunkt zu bilanzieren: Was ist heute gut gelaufen? Worüber habe ich mich gefreut? Vom wem habe ich eine positive Rückmeldung erhalten? Und registrieren Sie dabei nicht nur überragende Events, sondern auch die vielen kleinen Erfolge, aus denen sich die großen letztendlich zusammensetzen: Das Lächeln einer Schülerin, der Sie etwas erfolgreich erklärt haben, den Stundenschluss mit dem Klingelzeichen, das Ihnen zeigt, dass Sie gut geplant haben; die interessierten Fragen von Schülern, die beweisen, dass der ihnen angebotene Stoff sie erreicht.
Tabuisieren Sie Ihre Misserfolge nicht, aber übertreiben Sie sie auch nicht panisch, sondern versuchen Sie aufmerksam zu rekapitulieren, was wo aus dem Ruder gelaufen und an welcher Stelle etwas schief gegangen ist. Suchen Sie das Gespräch mit Ihnen freundlich gesonnenen Kollegen oder machen Sie sich Notizen und probieren beim nächsten Mal etwas anderes aus – eine andere persönliche Haltung, einen anderen Ablauf, andere Methoden etc.
Vor allem aber: Nehmen Sie sich Ihre Misserfolge nicht übermäßig zu Herzen, sondern gehen Sie freundlich mit sich selbst um. Sie arbeiten ja an Ihren Problemen, Sie holen sich Rat – mehr können Sie beim besten Willen nicht tun!