Читать книгу Der Krieg im 20. und 21. Jahrhundert - Malte Riemann - Страница 21
Politische Kriegsfolgen
ОглавлениеAuch die politischen Kriegsfolgen sind vielfältig. Zunächst haben Kriege oft maßgeblichen Einfluss auf die Regierungsstrukturen eines Staates. In demokratischen Systemen kann ein von der Bevölkerung nicht hinreichend unterstützter Krieg zu einem Regierungswechsel führen. Kriege führen aber auch zu einem extern aufgezwungenen Wandel in der Regierungsform, wie etwa in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Neben einem Wandel der Regierungsform kann der Krieg auch zur Herausbildung neuer Staaten führen. So entstand Jugoslawien etwa nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall Österreich-Ungarns und zerfiel dann selbst zwischen 1991 und 2006 in verschiedene Staaten (Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Slowenien). In seinem seminalen Werk Coercion, capital, and European states, AD 990–1992 (1992) geht der amerikanische Historiker Charles Tilly sogar so weit, zu behaupten, dass der Krieg im Kontext der europäischen Geschichte den Staat erst schafft. Nach Tilly führt der Krieg durch die Wechselwirkungen von vier Prozessen zur europäischen Staatenbildung:
1) Kriege, die in der Ausschaltung lokaler Rivalen wie etwa Prinzen, Baronen und anderen lokalen Machthabern gipfelten, führten zu einer Zentralisierung der Staatsmacht und der Einrichtung eines weitreichenden Gewaltmonopols.
2) Dieses Gewaltmonopol des Staates wurde zunehmend ausgeweitet und führte zur Bildung von Polizeikräften.
3) Kriegsführung und militärische Expansion wären nicht möglich, ohne der Bevölkerung Ressourcen zu entziehen und Kapital zu generieren. Dies führte zur Einrichtung von staatlichen Bürokratien, um Soldaten aus der eigenen Bevölkerung zu rekrutieren und Steuern zu erheben.
4) Schließlich forderten die Bevölkerungen des Staates Rechtsgarantien und repräsentative Institutionen. Diese staatlichen Zugeständnisse ermöglichten es der Bevölkerung, ihr individuelles Eigentum ohne Gewaltanwendung zu schützen, das das staatliche Gewaltmonopol gefährdet hätte.