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1.3.2. Vergeben

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Dieser biblische Auftrag25 ist eigentlich ein göttliches Angebot. Dass wir vergeben, ist für uns selber so unverzichtbar wichtig, dass Gott daraus ein Gebot gemacht hat. Wenn Gott uns einen Auftrag gibt, gilt immer: „Dieu donne ce qu‘il ordonne.“26 Er will uns also helfen, diesen Schritt, wie schwierig er auch sein mag, tun zu können.

Weil er die zerstörerischen Folgen des Unversöhntseins kennt, verlangt Gott aus Liebe zu uns, dass wir vergeben sollen. Das Unvergebene zerfrisst den Menschen wie eine Säure; Unversöhntheit macht lebensunfähig. Wer nicht vergibt, hält seinen Schmerz fest, und seine Seele kann nicht gesunden; Vergebung ist der Schlüssel zur inneren Heilung. Wer Menschen nicht aus ihrer Schuld entlässt, lebt in seinem Lebenshaus unaufhörlich mit ihnen zusammen. Deshalb schafft Vergebung eine große Befreiung: Wer andere Menschen entlässt27, kann in seinem Lebenshaus wieder Ruhe und Frieden finden.

Juristisch gesehen, ist Vergebung ein einfacher Willensakt. „Ich vergebe meinem Vater alles, was er mir Ungutes getan hat“, würde genügen; diese Vergebung hat Gültigkeit. Aber Gott geht es um mehr. Der Schritt der Vergebung soll in unserer Person Frieden schaffen. Dafür genügt der Willensakt nicht. Um ans Ziel zu gelangen, muss unsere Seele einen Weg gehen können. Als Seelsorger müssen wir diesen Weg kennen und die Seele des Klienten führen können. Wir sollten aber auch verstehen, worum es beim Vergeben eigentlich geht: Es geht dabei nicht um die Frage der Wahrheit und der Gerechtigkeit – die ist allein Gottes Sache –, sondern um das Ausräumen der Vorwürfe. Überall, wo eine innere Anklage ist – sie möge gerechtfertigt sein oder nicht28 –, braucht es Vergebung. Übersicht 4 zeigt die wichtigsten Etappen auf dem Weg des Vergebens auf (gegebenenfalls sind nicht alle nötig; es gilt, sich von Gott leiten zu lassen).

Übersicht 4
Vergeben – die Seele einen Weg führen:
Das Herz ausschütten; Schmerz, Wut, Scham usw. aussprechen und zu Gott hin abfließen lassen (vgl. Ps 62,9).
Sich der inneren Vorwürfe bewusst werden, die Anklage formulieren; der Helfer fragt nach und ermutigt, bis alles klar beim Namen genannt auf dem Tisch liegt.
Eintreten in Jesu Vergebungsbereitschaft.
Im lauten Gebet Punkt um Punkt im Namen Jesu vergeben; der Helfer kann nachfragen und gewisse wichtige Vergebungsschritte im Gebet bestätigen.
Ist die Bereitschaft zur „2. Meile“ (vgl. unten) vorhanden? Dazu ermutigen.
Wenn Beziehungen noch weiter bestehen: Annahme des anderen in seinem So-Sein; in die vergebende Grundhaltung gemäß Römer 15,7 eintreten.
Bitte um innere Heilung, Wiederherstellung, Wiederaufrichtung der Würde usw.; falls nötig auch um Löschung quälender Erinnerungen.
Von nun an gilt über dem Vergebenen Römer 8,28: alles muss denen, die Gott lieben, zum Guten mitwirken – es gibt keine Ausnahmen. Diese Verheißung im Glauben anzunehmen und an der gewährten Vergebung festzuhalten, bewahrt das Herz im Frieden.

Gewisse Etappen des Weges, den unsere Seele gehen muss, um zu Gottes Ziel zu kommen, fallen uns manchmal schwer. Zu diesen gehört die Notwendigkeit, uns die inneren Anklagen ehrlich einzugestehen. Hierzu ein Beispiel (Beispiel 2):

Als die Diakonisse bei der Bearbeitung ihrer Mutterbeziehung zum Ausdruck brachte, sie möchte ihrer Mutter vergeben, erklärte ich ihr, welchen Weg wir miteinander gehen würden. Da rief sie aus: „Sie anklagen, das werde ich nie tun; das darf man doch nicht!“ Ich erklärte ihr, dass es ja nur darum gehe, die Anklagen, die sie seit Langem in ihrem Herzen trage, klar zu formulieren. Sie blieb bei ihrer Weigerung; und ich beharrte darauf, die Anklage müsse formuliert werden.

Erst im übernächsten Gespräch war sie dazu bereit. Als sie ihre Vorwürfe dann laut auszudrücken begann, verstand ich, weshalb sie sich geweigert hatte: „Mutter, ich hätte dich umbringen können!“, brach es aus ihr heraus. Sie erschrak selber über die Tiefe ihrer Wut. Ich half ihr, so gut ich konnte, formulierte gewisse Anklagen klarer, fragte nach, bis alles ausgeräumt war: „Gibt es nicht noch mehr? Ist das alles? Ist der Sack ganz leer?“ Mitten in der Anklage wurden ihr ihre eigenen Fehler so stark bewusst, dass sie gleich auch ihre eigene Schuld vor Gott bringen wollte. Sie war dann aber einverstanden, den Weg des Vergebens zuerst zu Ende zu gehen, bevor wir ihre Schuld vor Gott brachten.

Und wenn der Schmerz und das Leiden zu groß sind und die Seele es nicht schafft zu vergeben? Wie kommt Gott diesen Menschen dann zu Hilfe? Dieser Frage bin ich in meiner Arbeit immer wieder begegnet. Ich verstand jeweils so gut, dass sich in der Seele des Opfers alles dagegen sträubte und es ihm menschenunmöglich schien zu vergeben. Andererseits wusste ich zu gut, dass es für die betroffene Person lebenswichtig war, es zu tun. Der erste Schritt bestand oft in der Einsicht, dass sie um ihrer selbst willen vergeben müsste; und so bewirkte Gott dann das Wollen. Aber der Schritt zum Vollbringen war auch dann oft noch groß. Deshalb beteten wir manchmal um die innere Bereitschaft und die Kraft dafür. Und wenn es auch dann zu keinem Durchbruch kam? Durch die unten geschilderte Erfahrung wurde mir zum ersten Mal klar, dass auch Vergeben-Können ein göttliches Angebot ist: Wir dürfen Gott unsere Unfähigkeit bekennen und in die Vergebungsbereitschaft Jesu eintreten. So wird auch das Vergeben zu einem von Gott vorbereiteten Werk. Dies wird hier deutlich (Beispiel 3):

Im ersten Ehejahr hatte das junge Paar eine hilfsbedürftige junge Frau bei sich aufgenommen. Nach Jahren hatte meine Klientin dann erfahren, dass Ihr Mann sie während fünf Jahren mit der jungen Frau betrogen hatte. Nun war die Ehe am Ende, und wir arbeiteten die verletzenden Erfahrungen auf. Heute war schon das dritte Gespräch, in dem die Frau versuchte, ihrem Mann zu vergeben. Und wieder sagte sie unter Tränen: „Ich schaffe es nicht!“ Was konnten wir tun? Ich schlug eine Zeit des hörenden Gebets vor: „Herr, wie möchtest du Frau B. zu Hilfe kommen?“ Ich hatte einen bildhaften Eindruck: Jesus stand Herrn B. gegenüber und schaute ihn mit seiner ganzen Barmherzigkeit und Liebe an; die von ihm ausgehende Gnade war wie ein Lichtkegel. Ich verstand, dass Jesus Frau B. einlud, sich vor ihn hinzustellen und so in seine Vergebungsbereitschaft einzutreten. Dazu war sie bereit. Im Gebet stellte sie sich vor Jesus hin; so stand sie auch selber im Lichtkegel der Gnade. Als sie ihren Mann dann mit dem Blick der Barmherzigkeit Jesu ansah, brach sie in Tränen aus und sagte: „Der arme Kerl!“ Nun war das Tor für sie offen, den Weg des Vergebens zu gehen.

Zuletzt noch etwas zum Geheimnis der „zweiten Meile“29: Die „erste Meile“ des Vergebens ist unverzichtbar, die zweite ist freiwillig. Sie besteht in dem, was Jesus bei der Kreuzigung und Stephanus bei seiner Steinigung getan haben30: Sie haben das Maß an Barmherzigkeit und Gnade vollkommen gemacht, indem sie Gott nun auch noch darum baten, ihren Mördern zu vergeben. Ich habe immer wieder erlebt, dass Menschen nach der „ersten Meile“ die zweite gerne tun, wenn wir sie auf diese Möglichkeit hinweisen. Und etwas ist mir dabei aufgefallen: Wer zur „zweiten Meile“ bereit ist, in dessen Herz kommt das göttliche Angebot des Vergebens wirklich vollkommen zum Ziel: der Friede Gottes kehrt ein in seine Seele.

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