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Für eine Snobdame

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Wohl ist Ihre Seele, wie Tolstoi sagt, ein dunkler Forst. Aber die Bäume sind von besonderer Art, es sind Stammbäume. Man nennt Sie eitel? Aber das Universum ist ja nicht ganz leer für Sie, solange es ein Wappenschild gibt. Auch dieses ist eine Weltschöpfung, die glänzend ist und der Symbole nicht ermangelt. Auch Sie haben Ihre Chimäre, und sie trägt Farben, wie man sie gemalt sieht auf heraldischen Feldern. Fehlt es Ihnen an Bildung? Sie sind durch die Schule des Tout-Paris, des Gotha, des Highlife gegangen. Sie lesen die Schlachtberichte, welche die Namen der Altvorderen enthalten, die sich ausgezeichnet haben, und so finden Sie die Namen der Leute, die man zum Diner einladen muss, und auf dem Wege dieser Mnemotechnik ist Ihnen die Geschichte Frankreichs vertraut geworden. Daher eine gewisse Größe in Ihrem ehrgeizigen Traum, dem Sie Ihre Freiheit geopfert haben, Ihre Stunden der Muße und des Nachdenkens, Ihre Pflichten, Ihre Freundschaften, ja selbst die Liebe. In Ihrer Phantasie wird die Gestalt eines Ihrer neuen Freunde von dem großen Heer der Ahnenbilder begleitet und umgeben. In der allerältesten französischen Erde wurzeln die Stammbäume, die Sie mit so viel Liebe hegen und deren Früchte Sie alljährlich, mit so viel Lust pflücken. Ihr Traum baut die Gegenwart auf dem Fundament der Vergangenheit auf. Die Seele der Kreuzfahrer belebt die nichtssagenden Gesichter der zeitgenössischen Nachkommen, und wenn Sie fieberhaft die Namen auf den Visitenkarten immer wieder durchstudieren, so ist es deshalb, weil Sie bei jedem Namen fühlen, wie das prunkvolle alte Frankreich aufersteht, lebt und fast zu singen beginnt, als sei es ein Toter, auferstanden aus seinem wappengeschmückten Gruftgewölbe.

Die Übersetzungen von Ernst Weiß

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