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Szenario

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Honoré sitzt in seinem Zimmer. Er steht auf und betrachtet sich im Spiegel:

Seine Krawatte: Wie oft schon hast du mit Sehnsucht meinen Knoten angezogen und ihn wieder in Träumerei gelockert, bis er Ausdruck bekam und etwas unordentlich aussah! Also verliebt, mein Freund ... aber warum so trüb?.

Seine Feder: Ja, weshalb so traurig? Seit einer Woche hetzt du mich zu sehr, mein Meister, und doch habe ich mich schon sehr geändert in meiner Lebensführung. Ich war gewappnet für die ruhmreichsten Taten, und jetzt glaube ich, dass ich nur Liebesbriefe schreiben werde, wenn ich nach dem Briefpapier Schlüsse ziehen darf, das du dir hast kommen lassen. Aber diese Liebesbriefe werden traurig sein, das sagt mir die nervöse, verzweifelte Geste, mit der du nach mir greifst, um mich sofort wieder hinzulegen. Du bist verliebt, mein Freund, aber warum so traurig?

Rosen, Orchideen, Hortensien, Venushaar, die alle im Zimmer sind: Immer hast du uns geliebt, aber niemals hast du uns alle so oft zu dir gerufen, damit wir dich bezaubern durch unsere stolze oder übermütige Haltung, durch unsern beredten Ausdruck, durch die rührende Stimme unserer Düfte. Gewiss, du siehst in uns die frische Anmut deiner Vielgeliebten gespiegelt. Du bist verliebt, aber warum so traurig?

Die Bücher: Wir waren dir immer kluge Berater, du hast uns oft befragt und hast uns nie gehorcht. Bei deinen Handlungen haben wir dir nicht geholfen, wir haben dir gute Winke gegeben, du bist trotzdem ins Verderben gerannt. Aber du hast dich wenigstens nicht im Dunkeln geschlagen und nicht wie unter einem Alpdrucke: Wirf uns nicht zur Seite wie alte Lehrer, die man nicht mehr mag. Schon als Kind hast du uns in Händen gehalten. Deine reinen Augen taten sich weit auf im Staunen, als du uns damals betrachtetest. Liebst du uns nicht um unserer selbst willen, dann doch wegen der Erinnerung an dich, der Erinnerung an dein früheres Selbst, Erinnerung an alles, was aus dir hätte werden können – und ist die bloße Möglichkeit, dass aus dir so viel hätte werden können, nicht auch schon ein Stück Wirklichkeit, wenn du daran denkst?

Komm, hör unsere traute, wortreiche Rede! Wir sagen dir nicht, weshalb du verliebt bist, nur, weshalb du traurig bist! Und verliert unser Kind seinen Mut und weint es, wir wiegen es in Schlummer wie einst, wenn die Stimme der Mutter unsern Worten die milde Würde lieh, vor dem Feuer, das hell in tausend Funken brannte und in den tausend Lichtern deiner Träume und deiner Hoffnungen strahlte.

Honoré: Ich liebe sie und glaube, sie wird mich lieben. Aber mein Herz sagt mir, dass ich, der bisher so Wandelbare, immer sie lieben werde; und meine gute Fee weiß, dass ihre Liebe nur einen Monat dauern wird. So zögere ich, bevor ich in das Paradies allzu flüchtiger Wonnen eintrete, auf der Schwelle und trockne meine Augen.

Seine gute Fee: Teurer Freund, ich bringe dir deine Begnadigung vom Himmel. Dein Glück soll nur von dir abhängen. Willst du während eines Monats, auf die Gefahr hin, dir die erhofften Freuden dieses Liebesbeginns zu trüben, deine Geliebte verschmähen, und weißt du die Koketterie so weit zu treiben, dass du den Gleichgültigen spielst, indem du nicht zu den verabredeten Rendezvous kommst, deine Lippen wegwendest, wenn sie dir, als sei es ein Strauß von Rosen, ihre Brust reicht – dann wird eure treue, gegenseitig geteilte Liebe sich auf dem Grund ewiger Dauer erheben, auf dem unverrückbaren Grundstein deiner Geduld.

Honoré (springt vor Freude auf) Meine gute Fee, ich bete dich an, ich gehorche dir!

Die kleine Uhr aus Meißner Porzellan: Deine Freundin ist unpünktlich; mein Zeiger hat bereits die Minute überschritten, zu der, so lang ersehnt, deine Freundin kommen sollte. Ich fürchte, ich muss noch lange mit meinem monotonen Pendelschlag die Zeit deiner melancholisch wonnigen Erwartung durchmessen; wohl weiß ich, was Zeit ist, nicht aber, was Leben ist; traurige Stunden wandeln den gleichen Gang auf meinem Zifferblatt wie die frohen, sie wimmeln in mir unerkennbar durcheinander wie Bienen im Sack.

Die gute Fee: Vergiss nicht, mir zu gehorchen, die ewige Dauer deiner Liebe hängt davon ab!

Die Uhr schlägt fieberhaft, die Rosen werden unruhig, die Orchideen beugen, sich in ihrer angstvollen Bedrängung vor Honoré, eine hat ein missgünstiges Gesicht. Die tatenlose Feder betrachtet ihn mit Trauer, es tut ihr weh, sich nicht regen zu dürfen. Die Bücher setzen ihr ernstes Murmeln ohne Pause fort. Alles sagt ihm: »Gehorch der Fee und denk daran, dass die ewige Dauer deiner Liebe davon abhängt!«

Honoré (zögert nicht einen Augenblick); Wie sollte ich nicht gehorchen, wie könnt ihr an mir zweifeln?

Die Vielgeliebte tritt ein. Die Rosen, die Orchideen, die Uhr aus Meißen und der keuchende Honore, alles vibriert im gleichen Einklang mit ihr.

Honoré (stürzt auf ihren Mund) »Ich liebe dich!«

Epilog: Und es war, als hätte er der Sehnsuchtsflamme seiner Geliebten das Lebenslicht ausgeblasen. Sie tat, als ob sie beleidigt sei über die Unschicklichkeit seines Benehmens, sie floh, und nie sah er sie wieder, ohne dass sie ihn marterte mit ihrem strengen, gleichgültig feindlichen Blick ...

Die Übersetzungen von Ernst Weiß

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