Читать книгу Die Übersetzungen von Ernst Weiß - Manfred Müller - Страница 31
Der Fächer
ОглавлениеGnädige Frau, für Sie habe ich diesen Fächer gemalt.
Möge er Ihren Wünschen gehorchen, möge er Ihnen in Ihrer stillen Zurückgezogenheit die reizenden Schattenbilder vors Auge zaubern, wie sie einst Ihren anmutsvoll lebendigen Salon erfüllt haben, dessen Türen jetzt für immer geschlossen sind.
Ihre Kronleuchter, von deren Armen überall große weiße Blüten herabhängen, beleuchten Kunstgegenstände aus allen Zeiten und Ländern.
Ich dachte an den Geist unserer Zeit, während ich mit meinem Pinsel die neugierigen Blicke nachzeichnete, die Ihre Kronleuchter auf die Vielfalt Ihrer Nippes warfen. Beide haben die Schöpfung des Gedankens in gleicher Weise erschaut, das Leben der Jahrhunderte gesehen, quer über das Erdrund hinweg. Und maßlos hat der Geist der Zeit den Kreis seiner Fahrten ausgespannt. Getrieben von Langeweile, gierig nach Vergnügen, hat er sie abgewandelt und geändert wie Spaziergänge, nicht so sehr in ihrem Ziel als vielmehr in dem Weg der Reise; und fühlte er unterwegs seine Kräfte erlahmen, seinen Mut schwinden, dann legte er sich mit dem Gesicht zur Erde wie ein stumpfes Tier und wollte nichts mehr sehen. Ich habe dennoch die Strahlen Ihres Kronleuchters mit Liebe nachgezeichnet. Diese haben mit verliebter Melancholie so viel Dinge und Wesen gestreichelt, und nun sind sie erloschen für immer.
Trotz des winzigen Formats werden Sie vielleicht die Personen im Vordergrund erkennen und werden bemerken, dass der unparteiische Maler, gleichmäßig wohlwollend wie Sie, alle Personen mit derselben Liebe und Treue gemalt hat, mögen es große Herren sein, schöne Frauen oder begabte Männer. Dies ist ein zweifelhafter Trost in den Augen der Welt, unzureichend und im Gegenteil sogar ungerechtfertigt in den Augen der Vernunft, aber er hat Ihre Gesellschaft in einen kleinen Kosmos verwandelt, der innerlich weniger zerrissen, ja harmonischer ist als der andere, trotzdem von Leben erfüllt, und seinesgleichen sah man nie. So möchte ich auch nicht, dass irgendein Jemand diesen Fächer sähe, der nicht einen Salon wie Ihren besucht hat und der nur mit betroffenem Staunen sähe, wie hier »die gute Lebensart« Herzoge ohne Stolz mit Romanschriftstellern ohne Arroganz an einen Tisch bringt. Möglicherweise würde dieser »Jemand« ebenso wenig die Schattenseiten dieser Annäherung begreifen, deren Übermaß nur einen einzigen Tauschverkehr fördert, nämlich den der Lächerlichkeiten. Zweifellos würde in seinen Augen die Wirklichkeitsschilderung pessimistisch scheinen – zum Beispiel die Schilderung eines hochlehnigen Sorgenstuhles, worin ein großer Schriftsteller mit den Allüren eines Snobs ruht und dem Gerede eines großen Herrn lauscht, der gerade eine Dichtung durchblättert, während sein (des großen Herrn) Gesichtsausdruck, wenn anders er mir in seiner Albernheit gut gelungen ist, zur Genüge beweist, dass er von der Sache nicht die geringste Ahnung hat.
Nahe dem Kamin werden Sie C. wiedererkennen.
Er hebt den Stöpsel von einem Parfümfläschchen und erklärt seiner Nachbarin, es sei ihm gelungen, die abenteuerlichsten, die stärksten Gerüche zu konzentrieren.
B. ist verzweifelt, ihn nicht überbieten zu können, er denkt, die sicherste Methode, an der Spitze der modernsten Errungenschaften zu stehen, sei die, mit Eklat sich zur alten Mode zu bekennen, und während er das billige Veilchenparfüm einatmet, betrachtet er C. mit Verachtung.
Und Sie selbst, haben Sie nie diese künstlichen Umwege zur Natur gekannt? Zu gern hätte ich (was aber wegen der Winzigkeit der Details unausführbar ist) in einem versteckten Winkel (wie in einer Rumpelkammer) Ihrer sonst so musikalischen Bibliothek die Opern von Wagner und Symphonien von Franck oder D'Indy abgezeichnet, aber auf Ihrem Piano lagen, vor allen Augen sichtbar und noch aufgeschlagen, einige Hefte von Haydn, Händel, Palestrina.
Ich habe keine Angst gehabt, Sie auf dem rosenfarbenen Sofa abzuschildern. T. sitzt neben Ihnen und beschreibt Ihnen sein neues Zimmer, das raffiniert geteert ist, auf dass es in ihm die Illusion einer Seereise erwecke, und nun entschleiert er vor Ihnen alle Quintessenz seiner Toilette und seiner Einrichtung.
Ihr sprödes, kühles Lächeln beweist, wie niedrig Sie eine Phantasie einschätzen, welcher in ihrer Kraftlosigkeit ein leeres Zimmer nicht genügt, um in ihm alle Visionen des Universums aufzurollen, und welche Kunst und Schönheit unter einer so erbärmlich niederen Form begreift.
Ihre bezauberndsten Freundinnen sind da. Werden sie es mir verzeihen, wenn sie von Ihnen diesen Fächer zu sehen bekommen – ich weiß es nicht. Mag eine Frau die eigenartigste Schönheit tragen und vor unsern hingerissenen Augen sich abzeichnen wie ein aus dem Rahmen entsprungenes Bild von Whistler, sie wird sich doch nur in einem Porträt von Bougereau geschmeichelt wiedererkennen. Die Frauen verwirklichen die Schönheit mit ihrer Person, verstehen sie aber nicht.
Vielleicht werden sie sagen: »Wir lieben einfach eine Schönheit, die anders ist als die Ihre. Weshalb sollte sie weniger schön sein als die Ihre?«
Aber gestatten Sie mir wenigstens die Bemerkung, wie selten die Frauen sind, die das Ästhetische verstehen, das sie tadeln. Hier ist eine Jungfrau von Botticelli, sie würde, wenn nicht gerade Botticelli Mode wäre, diesen Meister hässlich und ungeschickt finden.
So nehmen denn Sie diesen Fächer mit Milde entgegen! Wenn eine von den Schattengestalten, die sich mir, nach ihrem Fluge durch meine Erinnerung, hier als Modelle gestellt haben, nachdem sie einst lebendig am Dasein gesogen, wenn eine von diesen Schattengestalten Ihnen einmal eine Träne entlockt hat, dann nehmen Sie es hin ohne Bitterkeit und bedenken Sie, es ist ein Schatten nur, an dem Sie nicht mehr leiden werden.
In aller Unschuld habe ich diese Schattengestalten auf dieses dünne Papier getragen, dem eine Bewegung ihrer Hand Flügel geben kann, denn Schmerz bereiten können Sie ihr nicht mehr, dazu sind sie zu unwirklich, zu drollig ...
Am meisten unwirklich, am drolligsten vielleicht in der Stunde, da Sie sie einladen, sie mögen erscheinen, um einige Stunden dem Tode vorwegzunehmen und ihr Scheinleben als Phantome in der künstlichen Freude Ihres Salons zu entfalten, unter den Kronleuchtern, deren Arme bedeckt sind von großen blassen Blüten.