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DIALOG

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In den Religionen mischen sich Heiliges und Gewalt, Wesen und Unwesen. Deshalb bedarf es beim Dialog der Bereitschaft zur Selbstkritik, zur Läuterung des Gedächtnisses und zum Lernen von den anderen. Gerade weil sich Wesen und Unwesen von Religion vermischen, sind Offenbarung und Aufklärung kritisch zu vermitteln. Dies kann aber nicht so geschehen, dass wir die Religion auf die Seite legen. Wenn wir Religion auf Ethik reduzieren, schlägt Liebe in Kälte um. Immanuel Kant hatte den Grund des Bösen in der Freiheit, bzw. in der freien Willkür des Menschen, geortet. Er begnügte sich mit der Hoffnung, zu der unbegreiflichen und niemals gewissen „Revolution der Gesinnung“ durch „eigene Kraftanwendung“ zu gelangen17. Freiheit und Liebe nur zum Postulat des Sollens zu erheben, ist aber „selber Bestandstück der Ideologie, welche die Kälte verewigt. Ihm eignet das Zwanghafte, Unterdrückende, das der Liebesfähigkeit entgegenwirkt.“18 Dann wären der eigentliche Glaubensakt im Sinne des Vertrauens und des Gebetes, dann sind die Hoffnungskraft und das Trostpotential der Religionen an den Rand geschoben. Ein Dialog zwischen den Religionen kann nicht auf der Basis eines kleinsten gemeinsamen moralischen Nenners erfolgen, sondern muss vom Ureigenen der Religionen ausgehen. Die Wahrheitsfrage darf dabei nicht gleichgültig ausgeklammert werden. Kriterien für den Wahrheitsanspruch der Religionen sind: Sie müssen einen Heilsbezug, einen Gottbezug, einen essentiellen Freiheitsbezug und einen praktischen Weltbezug haben.19 Sie sind z. B. daraufhin zu befragen, in welcher Form sie Sinn erschließen, wie sie zu Gerechtigkeit und Frieden stehen, welches Gewaltpotential sie freisetzen.

Grundsätzlich sind Mystik und Aufklärung einander gar nicht so fremd, wie es auf den ersten Blick erscheint. Dies lässt sich an der radikalen Selbstkritik bzw. Selbsterkenntnis, die an der Basis mystischer Wege steht, aber auch für die Aufklärung charakteristisch ist, zeigen20. So ist theologische Rede vom Bösen unabdingbar mit menschlicher Freiheit verbunden. Insofern schließt sie die Bereitschaft zu einer ständigen schöpferischen Selbstkritik ein. Die Wahrung der Freiheit erfordert die Unterscheidung der Geister mit einem Gespür bzw. mit der Analyse der Täuschungen in Gefühl und Erkenntnis. Und in diesem Anliegen sind sich mystische, spirituelle und aufgeklärte Traditionen näher, als manche Verächter der Spiritualität und der Mystik meinen (vgl. Ignatius von Loyola, Teresa von Ávila, Fenelon, Kant). In beiden Traditionen schlägt das Ideal der Reinigung bzw. Reinheit, Klarheit und Lauterkeit in allen Dimensionen der Wirklichkeit immer wieder durch. Die Mystiker, und nicht nur sie, suchen die reine Selbstlosigkeit der Liebe, Immanuel Kant die Reinheit der sittlichen Gesinnung (ohne jede sinnliche Neigung!). Die Anliegen von Mystik und Aufklärung sind wahlverwandt. Selbstaufklärung über die Bedingungen der Möglichkeit der eigenen Erkenntnis, kritische Durchleuchtung aller vorfindlichen Bilder und Ergebnisse21, schonungslose Analyse des Subjekts und seiner Welt, eine Reinigung der sittlichen Motive (bis hin zu einem starken Antieudämonismus), die Entdeckung der Passivität der Vernunft.22

Wider den kirchlichen Narzissmus

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