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AUSBLICK

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Monotheismus, Polytheismus oder Atheismus sind nicht an sich schon Gewalt produzierend oder friedlich demokratisch. Es ist die jeweils konkrete Religion oder Ideologie auf Gewalt und Friedenspotentiale hin zu prüfen. Das gilt auch für Formen der Spiritualität und der Religion, die keinen personalen Gott kennen, wie z. B. für den Buddhismus. Das gilt ebenso für Vernunft, Aufklärung, Fortschritt, Wissenschaft und Utopie, die in ihren real existierenden Vollzügen in der Dialektik von Gewalt und Frieden stehen und ihre Nacht- bzw. Schattenseite haben.

Auf Krieg und Frieden, Gewalt und Feindesliebe sind die konkreten normativen Personen der Religionsgründer, der Offenbarer, der Propheten, der Heiligen zu befragen, und zwar im Hinblick auf die Lehre wie auch im Hinblick auf die Praxis. Ebenso sind kanonische Texte, heilige Bücher und Traditionen im Hinblick auf Gewalt und Frieden zu beleuchten. Zu heben sind die jeweiligen Impulse zu Freiheit, Versöhnung, gewaltfreier Konfliktlösung, Feindesliebe, Frieden und Gerechtigkeit.34

In der christlichen Bibel stehen Aussagen über Gewalt und Frieden nicht gleichrangig oder gleichwertig nebeneinander. Die christliche Bibel und ihre Lehre zu Frieden und Gewalt ist von der Mitte, von der Person Jesu, von seiner Bergpredigt, von den Seligpreisungen der Gewaltlosen und der Friedensstifter, vom Kreuzestod als Zuspitzung der Vergebung und der Feindesliebe her zu interpretieren.

Neben den normativen Personen und Texten ist aber auch die konkrete Gewalt- und Friedensgeschichte der jeweiligen Religion und Weltanschauung zu betrachten. Auf sehr unterschiedlichen Altären wurden Menschenopfer dargebracht. Religion und Glaube sind sehr unheilige Allianzen mit Nationen und Ethnien, mit wirtschaftlicher und politischer Macht, mit unterschiedlichen Interessen und Ideologien eingegangen und haben so auch Gewalt, Unterdrückung, Kolonisierung und Krieg mit sanktioniert. Religionen und Glaube haben aber auch zur Zähmung von Gewalt und Aggression, zur Versöhnung zwischen Feinden, zur Überwindung von Hass, Krieg und Unrecht beigetragen. Es wäre fatal, auf die humanisierenden Kräfte der Religionen zu verzichten und die Frieden stiftenden Potentiale z. B. des christlichen Glaubens auf die Seite zu schieben. Begriffe wie Moralität und Sittlichkeit, Person und Individualität, Freiheit und Emanzipation können wir Europäer, so Jürgen Habermas 1988, nicht ernstlich verstehen, „ohne uns die Substanz des heilsgeschichtlichen Denkens jüdisch-christlicher Herkunft anzueignen.“35 Religion gehöre zum „kulturellen Potential“, aus dem sich die Integrationskraft der Gesellschaft speise.36 Habermas erinnerte daran, dass Glaube nicht notwendig zum Fürchten ist, sondern zur Selbstkontrolle einer diesseitig-demokratischen Bürgerschaft hilfreich, wenn nicht unentbehrlich. Im Motiv der Gottebenbildlichkeit des Menschen liegen Einsichten, die auch eine weltliche Gesellschaft nur zu ihrem Schaden vernachlässigen kann.

Wider den kirchlichen Narzissmus

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