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Vorwort

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Es gibt gegenwärtig unzählige wunde Stellen, eine Welt, die blutet, in der gestritten, gelitten und gestorben wird, wenn tausende Flüchtlinge aus Afrika im Mittelmeer ertrinken oder nach lebensgefährlichen Überfahrten in Italien stranden; wenn Menschen, Frauen und Kinder als Ware gehandelt werden; wenn Menschen an unheilbarer Krankheit, Überforderung und Vereinsamung leiden, in Depression und Sucht, Burnout und massivem Mangel an Zeit, in Unversöhnlichkeit, Streit und Neid.

Einmal gibt es einen Sturm der Entrüstung, einen Aufschrei der Humanität mit einer Welle der Solidarität, dann werden Schuldige, Verantwortliche oder Sündenböcke gesucht. Oder Aufrufe bleiben als bloße moralische Appelle in der Rhetorik stecken und nähren mehr das Gefühl der Ohnmacht und der Resignation. Vieles geht versteckt und unbemerkt vor sich. An Hunger stirbt man auch im 3. Jahrtausend sehr leise. Und dann gibt es eine große Fläche von blinden Flecken verbunden mit Abstumpfung und Unempfindlichkeit. Nachrichten, Fakten, Ereignisse, die fassungsloses Schweigen oder Schreie verursachen könnten, werden zu einer Frage der Quote oder Statistik.

Gott erscheint an den Wegkreuzungen, an den Orten, die uns nicht vertraut sind, an denen wir uns nicht auf Sicherheiten stützen können, so Papst Franziskus. Jorge Bergoglio kritisierte eine um sich selbst kreisende Kirche, die sich selbst genug sei und die in „theologischen Narzissmus“ verfalle. Narziss ist in das eigene Spiegelbild verliebt, kann auf nichts anderes und niemanden anderen mehr achten als auf sich selbst. Der narzisstisch sich selbst verhaftete Mensch kann – aus welchen Gründen auch immer – nicht lieben. Entscheidend bleiben geistig-geistliche Offenheit und die Bereitschaft zu kreativer Auseinandersetzung mit den Fragen der Gegenwart, überraschende Orte souveräner Gastfreundschaft, intellektuelle Diakonie, gepaart mit demütigem Selbstbewusstsein, vor allem ein Herz, Kopf und Sinne weitendes Gehen an die Ränder des Lebens und des Denkens.

Es wäre fatal, wenn Spiritualität die Brüche des Lebens, das Unheil, die konkrete Unversöhnlichkeit außer Acht lassen, von der realen Lebenswelt entfremden und gegenüber der wirklichen Not immunisieren würde. Denn Gott ist nicht in einer gespenstischen Ortlosigkeit angesiedelt, er ist nicht sprachlos, nicht ‚Du-los‘, nicht weltlos, nicht realitätsscheu. Es gibt einen inneren Zusammenhang von Mystik der Innerlichkeit und einer Mystik, die im anderen, im Armen, in der Gemeinschaft, in den gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Kontexten die Spuren Gottes sucht.

Dieses Buch sammelt Vorträge, Meditationen, Reden, Predigten aus den vergangenen Jahren. Entstehungsort, Stil, Situation und Zielgruppe waren recht unterschiedlich. Es wurde nicht versucht, alle Beiträge systematisch auf einen Nenner zu bringen. – Ich widme diesen Band allen, die sich in unserem Land für eine Kultur des Willkommens, der Gastfreundschaft und Solidarität einsetzen.

Innsbruck, im August 2015 Manfred Scheuer
Wider den kirchlichen Narzissmus

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