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Physiotherapie

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Ich springe aus meinem Rollstuhl heraus, laufe wie ein Irrer durch die Gänge und bin dabei so schnell, dass sich Usain Bolt wie eine Schildkröte fühlen würde. Ich bin auf der Flucht, auf der Flucht vor dem Personal, vor den anderen Patienten, vor jedem Menschen hier. Gerade übertreibe ich es mit den positiven Gedanken. So formuliert, betreibe ich Selbstbetrug. In Wahrheit sitze ich gerade entsetzt vor meinem Patientenerholungsroboter kurz PER. Er ist Physiotherapeut und in Wirklichkeit leider keine Maschine, sondern er ist ein Mensch, und Per ist sein Name. Dieser Mensch verlangt von mir nun Unmenschliches.

Zur Begrüßung kam von ihm ein mit ironischer Miene vorgetragenes »Sooo jetzt werd ich's dir besorgen.« Hinsetzen, hinlegen, hinsetzen, hinlegen, hinsetzen, zur Seite drehen, richtig zur Seite drehen, die Beine anwinkeln, aufrichten, richtig aufrichten, Körper anspannen, mit den Händen abstützen, nicht nach hinten fallen, auf der Bettkante sitzen, sitzen, sitzen, atmen, atmen.

»Wann komme ich weg von dem Bett?«

»Heute nicht.«

Hinlegen, atmen, zur Seite drehen, richtig zur Seite drehen.

»Fass mich nicht immer an!«

Die Beine anwinkeln, aufrichten, richtig aufrichten, Körper anspannen, mit den Händen abstützen, nicht nach hinten fallen, auf der Bettkante sitzen, sitzen, sitzen, atmen, atmen. Ich kann nicht mehr. Als ich schließlich aus Erschöpfung versuche meinen Geist aus meinem Körper zurückzuziehen, ist dann doch endlich Schluss. Voller Erleichterung probiere ich auch einen Witz.

»Ich hatte mir meinen ersten Krankenhaussex irgendwie anders vorgestellt.«

»Ja, ist schon scheiße, von einem Fremden so begrapscht zu werden, aber ich bin schlimmer dran als du.«

Was für eine Frechheit, denke ich und frage: »Warum?!«

»Ich bekomme Geld dafür, ich bin die Nutte in diesem Verhältnis.«

»Aua!« Lachen tut noch weh. »Mag sein, aber es war für mich nicht einvernehmlich.«

Per lacht. Ich lache vermutlich mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Nach der Tortur, die ich aus traumatisierenden Gründen nur in Ansätzen beschrieben habe, beichte ich Hündchen, dass ich es betrogen habe. Hündchen lacht gequält, weil es nicht weiß, ob ich das Gesagte ernst meine.

»Es tut mir ja Leid, dass diese Aktion für dich so traumatisch war, aber das war sicher alles andere als Sex. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Hündchen grinst und seine Augen blitzen auf. »Wenn's dir wieder besser geht, dann gibt’s von mir einvernehmliche Physiotherapie, äh ich meine das andere.«

»Wehe du nutzt meine Situation aus! Wenn ich wollte, könnte ich jetzt schon wieder kratzen und beißen.«

Später kann ich nicht schlafen. Mein ganzer Körper kribbelt wie eingeschlafene Füße. Entweder ist es ein Zeichen dafür, dass mein Körper sich ins Jenseits verabschiedet oder dafür, dass er wieder gesund wird. Ich muss ja positiv denken. Es ist also ein Zeichen, dass er stirbt. Bestimmt fühlt sich so Verwesung an.

Ich bin normal, nur ...

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