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Die 7a

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Nirgendwo war ich so lange wie in diesem Studio.

Ich fühle mich hier geborgen, beschützt.

Hier bin ich ich selbst.

Ich habe fast überall gearbeitet, auf dem Straßenstrich, in Bars, in Privatapartments, in einem Saunaclub, im Edelbordell, längstens in meinem Dominastudio. Kurzum, es ist keineswegs übertrieben, wenn ich behaupte, ich kenne jede, wirklich jede Facette, die der Job mit sich bringt. Letztlich geht es aber immer nur um eines: den potenziellen Gast so anzusprechen, dass er anbeißt, um ihn anschließend nicht mehr von der Leine zu lassen. Und im Ködern war ich immer gut. Schon in den Anfängen meiner Hamburger Zeit, als ich in verschiedenen Apartments in der Innenstadt anschaffen ging. Da brachte ich es locker auf meine zehn bis zwölf Gäste am Tag, locker! Wenn die Männer mich anriefen, lag es an mir, sie anzulocken, indem ich meine Stimme entsprechend klingen ließ, und das lag mir einfach im Blut. Meistens habe ich den richtigen Ton getroffen, ich spürte, was der Mann will und war nett und freundlich. Sobald die Sache an sich losging, konnte ich ziemlich forsch werden, viele Gäste mochten gerade das, andere stieß ich damit aber auch ab. Auch wenn ich weiß, dass ich mit ein bisschen Freundlichkeit und einem Lächeln auf den Lippen manchmal mehr erreicht hätte. In gewisser Weise war ich dominant von Haus aus, lange bevor ich zur Domina wurde. Vielleicht hatte ich weniger Skrupel als andere, weniger Ängste und Hemmungen, weil ich vom Leben so abgehärtet war. Ich habe auch eine sanfte, hilfsbereite Seite, die ich nicht immer so gezeigt habe.

Die 7a, das Haus in der Herbertstraße, in dem ich inzwischen arbeite, gehört einem Geschäftsmann, geleitet wird es wiederum von einer Frau (wie übrigens alle Häuser in unserer Straße), der Wirtschafterin. Wir Frauen hier sprechen von ihr als unserer „Chefin“. Streng genommen ist sie mir aber nicht vorgesetzt, denn ich bin selbstständige Unternehmerin. Wenn ich beim Amt meinen Beruf angeben muss, dann schreibe ich „Prostituierte“ an die entsprechende Stelle im Formular, steuerlich gemeldet ist meine Arbeit als „Wellness-Behandlung“. Während der Coronazeit wurde ich als Solo-Selbstständige beim Arbeitsamt geführt. Ich arbeite also auf eigene Rechnung, bin für mich selbst verantwortlich und habe keinen Zuhälter – was ich immer wieder betonen muss, denn selbstverständlich ist das im Milieu nicht. Früher gab es Luden in meinem Leben, davon werde ich noch berichten, aber ich habe mich von ihnen befreit. Ohne einen Zuhälter bin ich besser dran. Gelegentlich gab es Versuche, mir einen Zuhälter reinzudrücken, damit ich wieder „in festen Händen“ sei, wie man so schön sagt. Es reichte schon aus, dass ich über einen Typen aus dem Milieu sagte, der sei ja ganz nett, der sehe gut aus. Und dann bekam der Typ das gesteckt. „Du, komm mal öfter ins Haus, ich glaube, die hat Bock auf dich.“ Hatte ich aber nicht.

Das Geld, das ich während meiner Schicht verdiene, ist also mein Verdienst, ich muss keinem Luden etwas abgeben. Als Domina habe ich einen festen Stundensatz. Über Geld redet man bekanntlich aber nicht. Bei Extras und Sonderwünschen geht der Preis natürlich nach oben. Mehr soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: Das Geld ist nicht leicht verdient. Der Job einer Domina geht physisch und psychisch an die Grenzen.

Wenn meine Schicht in der Herbertstraße beendet ist, mache ich als Erstes meine Abrechnung im Büro im Erdgeschoss, einem kleinen Zimmer gleich hinter den Koberräumen. Was ich sehr wohl von meinem Verdienst abgebe, das ist die Miete für mein Zimmer in der 7a, die ich pro Schicht zahle. Die Schicht kann 24 Stunden dauern oder nach einer Stunde beendet sein, wenn ich keine Lust mehr habe oder nichts los ist. Ein weiterer Kostenfaktor für mich ist Paul.

Paul, ja, das ist eine ganz eigene Geschichte. Er ist seit mehr als 20 Jahren an meiner Seite, anfangs war er ein Gast, dann wurde er zu meiner Hilfskraft, womit das, was er für mich tut, nur unzureichend beschrieben ist. Paul ist mit mir gewachsen und hat mich nie im Stich gelassen, so viel ist sicher und das werde ich ihm nie vergessen. Er erträgt meine Launen, nimmt mich so, wie ich bin, wenn ich schlecht drauf bin. Ich kann Paul zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen. „Setz dich ins Auto, ich brauch dich!“, und egal, wo er gerade ist oder was er macht, er lässt alles stehen und liegen und steht in einer Stunde vor meiner Tür. In gewisser Weise habe ich ihn von mir abhängig gemacht. Positiv gesagt, habe ich Paul eine Aufgabe in seinem Leben gegeben, eine Perspektive. Wenn auch nur platonisch und in einem mehr oder weniger dienenden Verhältnis ist Paul der einzige Mann, mit dem ich es lange ausgehalten habe. Der dicke Paul: Ich mag ihn, auch wenn er manchmal Müll redet oder seine fünf Minuten hat, dann meckert er nur rum und führt Selbstgespräche. Wenn ich „Paul“ rufe, mehrfach, und er nicht reagiert, weiß ich schon, jetzt ist es wieder so weit. Dann könnte ich ihn an die Wand klatschen. Vor mehr als 20 Jahren lief er an meinem Fenster vorbei, schaute mich an, laberte mich damit voll, welche anderen Frauen in der Straße er gut fand, war unschlüssig, verschwand wieder, so ging das über mehrere Stunden weiter. Irgendwann fasste er seinen Mut zusammen und kam zu mir rein. Er wollte das Übliche – Brustwarzen, wichsen, unkompliziert, kein Sklave im Sinne von Bück dich und Peitsche. Nach sechs, sieben Treffen wurde es privat, wir telefonierten, hatten aber nie eine Affäre. Menschlich passte es zwischen uns, ich schätzte seine Zuverlässigkeit, damit hatte er schon bei mir gewonnen. Was er an mir so mochte, kann ich gar nicht sagen, ich habe ihn auch nie gefragt. Er wechselte schließlich die Seiten, seitdem arbeitet er für mich als mein Mann für alle Fälle, als Begleiter, helfende Hand. Er fährt mich, geht einkaufen, putzt mein Studio, hat ein Auge auf mich, geht mit den Gästen zum Geldautomaten, passt auf, dass keiner abhaut, ohne zu zahlen. Er ist jetzt 72 und lebt allein auf dem Land, vor den Toren Hamburgs. Seine Wohnung ist ein einziges Chaos, ein bisschen Messie ist er wohl. Früher arbeitete er in der Landwirtschaft. Soweit ich weiß, hatte er noch nie eine Beziehung. Er erzählte mir mal von einer früheren Begebenheit, als er mit einer Frau auf einer Wolldecke an einem See zusammenlag, aber passiert sei dabei auch nichts, sagte er. Das war sein einziger Kontakt zu einer Frau.

Wenn ich in der Herbertstraße arbeite, ist er auch immer da. Paul „unterstützt“ mich sogar, wenn ein Gast den Wunsch äußert, bei der Session einen Kerl dabeihaben zu wollen. Dann spielt er den Sklaven, kommt nackt rein, lässt sich auch mal einen blasen. Manchmal sind Gäste von ihm schockiert, er ist ja ziemlich beleibt. „Lass mal bleiben“, sagen sie, „schick den mal wieder weg.“ Andere mögen ihn aber und lassen sich von ihm mit dem Rohrstock vermöbeln, wenn ich mal keine Lust habe, oder er bearbeitet den Gast auf dem Gynostuhl. Ist schon vorgekommen. Einmal fragte mich ein Gast, als er schon in meinem Studio war: „Hast du Musik?“ Hatte ich nicht, mag ich auch nicht, lenkt mich nur ab. Der Gast wollte aber partout Musik hören. „Ich kann jemanden holen, der uns etwas vorsingt“, sagte ich. „Paul, komm mal nach oben“, rief ich durchs Treppenhaus, „du wirst hier gebraucht!“ Und dann kam Paul und fing an zu singen: „Hoch auf dem gelben Wagen …“ Und weil er nur eine Strophe kannte, schmetterte er die immer wieder von vorne. Meine Kollegin Maja, die dazu gekommen war, und ich tanzten die ganze Zeit durchs Zimmer. Der Gast war begeistert und tanzte mit.

Paul macht also bereitwillig alles, was ich ihn machen lasse. Während der Pandemie, als mich das Nichtstun fast in den Wahnsinn trieb, dieses Rausgekicktwerden aus dem Leben, rief ich ihn jeden Tag an: „Gehts dir gut, ist alles okay?“ Denn auch er hockte ganz allein in seiner Bude und in seinem Alter kann ja auch schnell mal was passieren.

Zurück zur 7a. Mein Studio ist im ersten Stock des Hauses. Die Räumlichkeiten unten sind – abgesehen von den Koberräumen, die bei entsprechender Beleuchtung eine anrüchige Atmosphäre haben – völlig unglamourös. Es gibt einen Flur mit Küchenzeile, das besagte Büro und einen Aufenthaltsraum mit Schminktisch, Regalen und einem Schrank mit Spinden. Alles nicht neu, alles abgeschmackt, wie die ganze Herbertstraße. Ich belege zwei der Spinde in dem Schrank mit meinem Krimskrams, mit allem, was sich im Laufe der Zeit so ansammelt: irgendwelche Papiere, alte Briefe, Taschentücher, Medikamente, Schminksachen, eine Keksdose für den Notfall einer Hungerattacke, neuerdings auch immer eine Tüte mit Mund-Nasen-Schutz und Handdesinfektion. Innen an der Tür des oberen Spindes hängt ein Foto meines Sohnes, aufgenommen wurde es während eines Türkeiurlaubes, beim Sonnenuntergang am Meer, damals war er sieben Jahre alt. Die Spinde sind abschließbar, um Wertsachen zu verstauen. Das nutzt aber auch nichts, wenn eingebrochen wird, so wie es während des ersten Lockdowns passiert ist. Meine Fächer wurden zum Glück verschont. Wäre ohnehin nichts zu holen gewesen.

Wirklich interessant wird es, wenn man vom Erdgeschoss nach oben geht und dort mein Studio betritt. Der Weg dorthin führt über eine enge, steile Holztreppe. Wände, Decken, Türen, alles ist rosa gestrichen, im Aufgang hängen Lichterketten und Bilder mit erotischen, comicartigen Frauendarstellungen. Außen an meiner Tür klebt, wie an den meisten anderen Zimmern auch, ein runder Sticker: Hier besteht Kondompflicht gemäß ProstSchG §32, steht darauf. Eine klare Ansage an die Gäste, die keiner übersehen kann.

Mein Studio, das ich mein Zimmer nenne, besteht tatsächlich aus drei ineinander übergehenden Räumen. Wer hier reinkommt, ist erst mal überrascht, die meisten positiv, weil sie so eine fast heimelige, gemütliche Atmosphäre – schwarze und dunkelblaue Farbe an den Wänden, schummrig beleuchtet – nicht erwartet hätten. Mein Studio hat seinen ganz eigenen Charakter, es ist mein ganzer Stolz. Nichts ist stylish, geleckt, modern, cool, stattdessen gebraucht, gelebt, gewachsen – so wie ich in den Jahren in der Herbertstraße. Das Inventar lässt keine SM-Wünsche offen. Alles hat seinen Platz, ich könnte mich hier blind bewegen und wüsste genau, wo ich was finde.

Zimmer Nummer eins ist Eingangsbereich und begehbarer Kleiderschrank in einem. Links und rechts hängen meine diversen Outfits auf Bügeln: unzählige Kleider, Röcke, Bustiers, Korsagen, Oberteile jeglicher Art mit Nieten, Schlaufen, Ösen, Lack und Leder, fast alles in Schwarz. Zwischendrin leuchtet eine weiße Schwesternuniform aus Lack. Auch die hat ihre Liebhaber. Während einer Session wechsle ich öfters mal die Klamotten, wenn ein Gast sich das wünscht – „Zieh ein anderes Oberteil an oder den Rock!“ – oder wenn ich den Gast mit etwas Neuem überraschen will. Dann wird aus der Domina schnell mal eine Krankenschwester. An der Stirnseite des Eingangsbereichs steht ein deckenhohes Regal, von oben bis unten voll mit meinen High Heels und Stiefeln, alle in Reih und Glied – ich bin ein ordentlicher Mensch. Auch hier dominiert die Farbe Schwarz, aber ich trage auch gerne sexy Schuhe in Rot, Pink oder Animalprint. Daneben befindet sich ein kleines Bad mit Toilette. Ein Schrank mit Handtüchern, eine Pritsche, ein Stuhl und ein Schirmständer – gefüllt mit Rohrstöcken in allen möglichen Ausführungen, dick, dünn, kurz, lang – vervollständigen das Mobiliar im Eingangsbereich.

Weiter gehts in Zimmer Nummer zwei. Der Gynoraum. Da gehts zur Sache. In der Mitte steht der Gynäkologenstuhl. Wer hier Platz nimmt, steht auf Analdehnungen, Harnröhrenstimulierungen oder will die Eier aufgespritzt bekommen – alles nichts Besonderes, gehört zum Standardprogramm. An den Wänden hängen Gurte, Riemen, Dildos für den Handgebrauch und Umschnalldildos, Ketten, Stricke und Leinen für Fesselungen, Masken. Ein Schuhanzieher liegt auch herum, mit dem kann ich, wem es gefällt, schön den Po vertrimmen. Im Prinzip wiederholt sich das Equipment in jedem Zimmer, sodass ich immer alles griffbereit habe. In einer Kommode lagere ich Utensilien wie Kondome, Sterillium und Handschuhe. Hygiene steht bei mir immer schon an erster Stelle, nicht erst seit Corona. Außerdem habe ich eine ganze Batterie Kochsalzlösung. Die Kochsalzlösung geht in die Eier, dazu lege ich einen Zugang oder spritze es den Gästen, je nachdem, wie sie es haben wollen, direkt in den Hodensack. Es gibt mehr Männer, als man denkt, die genau das mögen. Sie träumen davon, dass ich ihnen die Eier aufspritze und haben oft völlig übertriebene Vorstellungen. Sie wollen es riesig groß haben, der Hoden soll wie ein Euter aussehen. Ich weiß natürlich, was möglich ist und vor allem ungefährlich. Und ich weiß, wann Schluss ist. Was sich daran für den Gast gut anfühlt, ist schwer zu sagen. Ich kann nicht für den Mann sprechen, was er empfindet, wenn er plötzlich so einen Riesensack zwischen seinen Beinen hängen hat. Ich frage ihn nur: „Gut so? Gefällts dir?“ Und wenn er antwortet: „Ja, ist geil!“, dann frage ich nicht im gleichen Atemzug nach der Erklärung, warum er das macht. So läuft das nicht. Ich versuche zwar zu verstehen, warum die Gäste dieses oder jenes anturnt, aber es gelingt mir, ehrlich gesagt, auch nicht immer.

In einer der Ecken im Gynoraum steht ein echter Käfig aus stabilen Eisenstangen. Eine kleine Gefängniszelle auf einer Fläche von ein bis zwei Quadratmetern, mit einem Hocker darin. Manche Gäste mögen es, eingesperrt zu werden. Für eine halbe Stunde, eine ganze Stunde oder noch länger. Spiele mit dem Käfig ergeben sich meistens im Laufe einer Session, so etwas ist situationsbedingt. Dann sagt einer: „Sperr mich doch mal ein. Ich will wissen, wie das ist.“ Letztendlich gefällt es ihm so gut, dass er länger drinbleiben will. „Geh mal eine rauchen“, heißt es oder: „Lass mich ‘ne Stunde hier und komm dann wieder.“ Einer meiner Gäste kommt nur zu mir, damit ich ihn wie einen Gefangenen behandle. Und während er eingesperrt ist, trägt er eine langhaarige, braune Frauenperücke. Mehr braucht er nicht. Leichter kann ich mein Geld nicht verdienen.

Vom Eingangsbereich geht das dritte Zimmer ab, das ist der Hauptraum meines Studios. Hier gibt es ein Bett, zwei Clubsessel mit einem Tischchen dazwischen, ein Waschbecken, eine mobile Toilette sowie einen Bock, wie man ihn aus dem Turnunterricht kennt, allerdings bezogen mit schwarzem Leder. Der wird aber nicht für Spielerein benutzt, er dient nur noch als Ablage. Der Hauptraum hat zwei Fenster zum Hinterhof, beide sind verdunkelt und haben Vorhänge aus schwarzem Lack. Auch in diesem Raum findet sich wieder das komplette Equipment zum Hauen, Fesseln und Knechten. Wenn ein neuer Gast zu mir kommt, besprechen wir hier erst einmal, was seine Vorstellungen sind, falls er welche hat, was er mag, was er probieren möchte. Und ich frage, was er bereit ist, auszugeben oder ich nenne ihm meinen Preis für das, was er sich wünscht. Es gibt nicht das Standardprogramm, jede Session ist bei aller Routine doch ein bisschen anders. Fesselungen, Schläge, Wachsspiele – das alles sind Klassiker im SM-Bereich. Schätzungsweise zwei Drittel der Gäste möchte, dass ich ihnen die Eier abbinde, die Hoden teile und strammziehe. Das mache ich übrigens meistens mit einem Schnürsenkel. Lederbänder werden zu flutschig, nachdem sie gewaschen wurden und rutschen ab. Schnürsenkel behalten ihre Festigkeit, wenn sie getrocknet sind. Ich kann sie mehrfach benutzen. Das nur als kleiner Tipp für alle, die es mal probieren möchten.

Wenn wir uns finanziell geeinigt haben, bitte ich den Gast, sich auszuziehen und zu waschen. Manche sind dabei locker, andere zeigen Schamgefühl, sind anfangs sehr nervös. „Ich weiß gar nicht, wie das hier geht“, sagen sie. „Du machst gar nichts“, antworte ich dann. „Entspann dich einfach! Es ist alles gut, ist alles okay. Du machst ab jetzt einfach nur das, was ich sage.“ Ich versuche, sie ein bisschen runterzubringen, meistens klappt das auch. Langsam lockert sich die Situation. Es gibt aber auch Gäste, die haben noch nicht einmal die Hose ausgezogen und spritzen schon ab. Sie verschwinden dann wieder, bevor es überhaupt losgegangen ist. Und es gibt diejenigen, die mit mir nach oben gegangen sind, obwohl sie gar kein SM wollten. Aber ich locke sie erst mal, um zu schauen, was vielleicht doch möglich ist, gerade an Tagen, an denen in der Herbertstraße Flaute herrscht. Und sobald sie in meinem Studio sind und sehen, was hier alles möglich ist und was ich zu bieten habe, schlägt die Stimmung um. Dann reden sie nicht mehr wie eben noch unten am Fenster von „Verkehr“, „Ficken“ oder „Blasen“, weil sie auf den Geschmack gekommen sind. Weil sie etwas Neues, Unbekanntes ausprobieren möchten. Nur wenige, vielleicht sind es fünf Prozent der Gäste, machen im allerletzten Moment einen Rückzieher. Sie haben Muffe und behaupten, sie hätten ihr Portemonnaie im Auto vergessen oder präsentieren sonst eine Ausrede. Die lass ich wieder ziehen. Ich kann mit all diesen unterschiedlichen Typen von Gästen umgehen. Nach all den Jahren ist mir nichts mehr fremd und mir ist auch nichts unangenehm. Hier im Studio bin ich völlig ich selbst. Hier entfalte ich mich, als Domina bin ich hier die Herrin.

Wer sich dazu entschieden hat, zu bleiben, der landet entweder nebenan auf dem Gynostuhl oder im Hauptraum auf dem Bett, das vor einer Spiegelwand steht. Hier ist alles möglich. Fesselsessions mit Seilen und Handschellen, Wachsspiele an Eiern, Brustwarzen oder über den ganzen Körper, Analdehnungen im Liegen, Fisten in Hundestellung, Befriedigung mit einem Dildo, Peitschen mit Paddel, Lederriemen, Klatsche … – jeder nach seinem Geschmack. Wer will, den fessele ich ans Andreaskreuz, ein Kreuz in X-Form. Es ist üblicherweise aus Holz oder Metall gefertigt und an den Enden sind Riemen und Gurte zur Fixierung von Armen und Beinen angebracht. Mein Andreaskreuz allerdings ist schwarz auf die dunkelbaue Wand gegenüber vom Bett aufgemalt, vom Boden bis zur Decke. Aus Platzgründen habe ich mich für die schlichtere Variante entschieden, die Lederriemen zur Fesselung sind an kurzen Eisenketten in die Wand gedübelt. Damals in meinem Studio im French Quarter, in der Herbertstraße 28, hatte ich noch ein richtiges Andreaskreuz, aber ich komme mit meinem aufgemalten auch gut zurecht. Im Laufe der Jahre hat sich so einiges in meinem Studio angesammelt. Vom schlichten Kochlöffel, mit dem sich Gäste verhauen lassen, bis hin zu einem Riesendildo, etwa 50 Zentimeter lang und 20 Zentimeter im Durchmesser. Der ist nur Deko, aber selbst auf den waren einige scharf. Er kam aber nie zum Einsatz, bei aller Geilheit mancher Gäste, der menschliche Körper hat halt seine Grenzen der Dehnbarkeit.

So vielfältig und abwechslungsreich mein Beruf ist – und es gibt heute noch Situationen oder Wünsche, die selbst mich überraschen – eine gewisse Routine hat sich eingeschlichen. Manchmal muss ich aufpassen, dass mir selbst nicht langweilig wird bei dem, was ich tue, vor allem darf der Gast niemals spüren, ich sei nicht zu 100 Prozent für ihn da. Das passiert aber nicht, dazu bin ich zu sehr Profi. Zudem versuche ich, mir immer wieder neue Spielereien auszudenken, Fremdes auszuprobieren, um die Spannung aufrecht zu erhalten, auch für mich. Und gleichzeitig strengt es mich an, den Gästen jedes Mal wieder klarzumachen, wenn sie dies und jenes an Extras möchten, dann müssen sie dafür auch mehr Geld bezahlen. Alles zusammen, die Routine, das Feilschen, der Wandel des Gewerbes, macht das Arbeiten beschwerlicher, mühsamer.

Als mich eine gute Freundin – die nicht aus dem Milieu ist – zum ersten Mal in meinem Studio besuchte, sagte sie spontan, sie fühle sich wie auf einer Theaterbühne. „Dein wunderbares kleines Horrorschloss mit einer Atmosphäre wie in einer Gruselmärchenwelt. Es ist verrucht und dunkel, eine Flucht aus der Realität in die Phantasie. Wer hier reinkommt, fühlt sich entrückt und besoffen. Und wenn man zurückkehrt in die Realität, kriegt man erst einmal einen Schock.“ Besser hätte ich es auch nicht sagen können.

Wenn ich mich nach einer Session ausruhe, bevor ich wieder runter in mein Fenster gehe, gönne ich mir ein paar Minuten Pause und setze mich in einen der beiden Clubsessel. Von dort schaue ich auf eine Maske, die an der gegenüberliegenden Wand hängt, sie wirkt wie ein Gemälde, wie ein Kunstwerk. Schwarzes Leder, die Lippen rot bemalt, die Augenumrandungen sind leuchtend blau und der Teil der Maske, den man beim Tragen über den Hinterkopf ziehen würde, ist straff um den Gesichtsteil herum an der Wand befestigt. Im Halbdunkel des Raumes mutet die Maske ein wenig an wie die Kopfbedeckung einer Ordensschwester. Und ist doch das genaue Gegenteil. Mir gefällt sie, vielleicht gerade deswegen. Wegen dieser Widersprüchlichkeit. Ich mag es, sie anzuschauen, so wie sie da hängt. Ich weiß nicht mehr, wie sie in meinen Besitz kam, aber sie begleitet mich jetzt schon seit 30 Jahren und wo immer ich gearbeitet habe, fand sie ihren Platz.

Herbertstraße

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