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Wer erzieht eine Domina?

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Viele, die ans Fenster kommen, sind Anfänger.

„Ich habe so was noch nie gemacht“,

sagen sie, „ich will es probieren.“

Dann liegt es an mir, ob sie an den Punkt gelangen,

dass sie es mögen und wiederkommen

oder ob es ein einmaliges Erlebnis bleibt.

Eine Domina erniedrigt. Sie ist im Bereich der bizarren sexuellen Vorlieben tätig. Aber sie hat keinen Verkehr mit einem Gast, niemals. Es findet kein „normaler“ Sex, kein Geschlechtsverkehr, zwischen einer Domina und einem Mann statt. Sondern Spiele. Wir spielen miteinander. Eine Session ist beendet, sobald der Gast gekommen bist. Das ist die Regel, eine Regel mit vielen Ausnahmen. Ich gebe zu, wenn Gäste mir nicht sonderlich sympathisch sind, bin ich froh, wenn sie fertig sind. Aber es gibt auch solche, die ihren Fetisch haben und zu mir sagen: „Ich möchte hier nicht abspritzen, das ist für mich gar nicht relevant, ich mag aber die Spielchen mit dir.“ Anderen reicht es schon, dass sie mich nur angucken. „Bleib genau so, beweg dich nicht, ich mach den Rest.“ Und dann wichsen sie vor mir, reden sich geil und starren mich währenddessen an: „Du siehst so hübsch aus.“ Von solchen Gästen hatte ich einige. Ich war früher aber auch ein Hingucker, weil ich super hergerichtet war. Mein Look war viel dramatischer als heute. Ich schminke mich immer noch sorgfältig, tusche mir meine Wimpern, die Lippen sind rot. Früher aber trug ich dazu noch ein aufwändiges Augen-Make-up mit Eyeliner, Katzenaugen, die Lippen ganz dick geschminkt, ich sah ganz anders aus.

Als Domina schlüpfe ich zwar in eine Rolle. Ich verwandle mich, aber letztlich bleibe ich die, die ich bin. Meistens komme ich in Jogginghose und Schlabberlook zur Schicht. Manchmal steht dann schon ein Gast vor meinem Fenster und glotzt mich an. Ich sage: „Warte hier. Geh nicht weg. Bin gleich zurück.“ Oben im Studio ziehe ich mich schnell um, lege Make-up auf. Dauert alles nicht lange, da bin ich routiniert, nach wenigen Minuten komme ich fertig gestylt zurück ans Fenster. Wenn ich Glück habe, ist der Typ noch da. „Wo kommst du denn her?“, fragt er mich mit großen Augen. Und ich, ein bisschen pikiert: „Ich bin gerade erst an dir vorbeigekommen, danke auch.“ Also, so viel zum Thema Verwandlung. Ich selbst nehme sie offensichtlich gar nicht mehr wahr, die Gäste schon. Ich fühle mich nicht verändert, ich richte mich einfach nur nach den Wünschen der Gäste und versuche zu erkennen, was ihre geheimsten Bedürfnisse sind. Die wenigsten Menschen verstehen, dass mein Beruf nichts anderes ist als genau das: ein Beruf.

Als Domina kommt man nicht auf die Welt. Letztlich waren es die Gäste, die mich zu einer gemacht, die mich zu einer Domina erzogen haben und mir gerade in den ersten Monaten, als ich den Stiefeljob machte, alles beibrachten, was ich wissen musste. Ich war aufmerksam, hörte ihnen genau zu und eignete mir schnell an, was ich noch nicht kannte. Das dominante Auftreten, die bestimmende und direkte Art, das hatte ich in mir, das Verbale lag mir, aber die konkreten Tätigkeiten und Handhabungen waren mir zum Teil fremd. Bei vielen Praktiken fehlte mir schlicht die Erfahrung. Peitschen, Brustwarzen bearbeiten, Eier abbinden, Einläufe machen – so was konnte ich noch nicht. Aber da ich ja gewieft bin, war ich in der Lage, schnell das umzusetzen, was die Gäste mochten, wenn sie es mir nur genau erklärten. Dauerte vielleicht mal ein bisschen länger bei mir, aber das konnte ich irgendwie überspielen und dann fluppte es auch.

Optisch ging es auch nicht sofort knallhart los. Ich fing mit einem milden Outfit an, mit großen, runden Ohrringen, Polizeimütze, BH, Strapsen, Lackkrempe, Stiefeln mit Miniabsatz. Mir blieb auch nichts anderes übrig, als anfangs zu improvisieren, weil mir das Geld ausgegangen war. Für mein erstes SM-Studio, dass ich im French Quarter übernehmen konnte, hatte ich eine Abstandszahlung leisten müssen. 2000 D-Mark waren das damals, inklusive Andreaskreuz, Käfig und weiterem Mobiliar. Das restliche Equipment wie Peitschen, Paddel, Handschellen, Kleidung, Masken musste ich mir nach und nach selber anschaffen. Das Studio lag im Keller und war für die Herbertstraße geradezu extravagant ausgestattet, was daran lag, dass der Besitzer des Hauses einen kleinen Fimmel hatte. Ich hatte dort ein eigenes Badezimmer und – jetzt kommts! – eine Toilette mit Klodeckel aus Blattgold, die Badewanne war sogar komplett mit Blattgold überzogen. Wollte man einen Raum betreten, musste man einen Pimmel anfassen: Alle Türgriffe hatten die Form männlicher Genitalien. In dem Haus ging es damals recht familiär und locker zu, weil wir Frauen uns noch keine Konkurrenz machen mussten, wie es später der Fall war. In den 80er- und 90er-Jahren war das Potenzial an Gästen unerschöpflich und jede Frau konnte genug Geld verdienen, wenn sie sich nicht dumm anstellte. Ich hatte anfangs erst nachts gearbeitet, so wie heute, wechselte aber in die Tagschicht. Jeden Morgen, bevor wir unsere Plätze in den Fenstern einnahmen, hockten wir zusammen und frühstückten in aller Ruhe. Jede Frau brachte etwas mit. Wir waren vier Frauen in der Tag- und vier in der Nachtschicht und eine Frau saß in der Tür und machte den Einlass. Jedes Fenster hatte eine Sprechluke aus Glas. Wenn ein Gast ans Fenster kam, öffnete man nur die Luke auf Gesichtshöhe, wie bei einem Schalter am Bahnhof. Die Luken hatte der Besitzer des French Quarters extra einbauen lassen. Das gefiel mir, das war praktisch.

Es waren gute Jahre. Ich mochte mein erstes Studio, habe gern dort gearbeitet. Wie heute auch saß ich in einem Hinterhof. In gewisser Weise schließt sich ein Kreis. Ich denke, wo ich jetzt bin, werde ich irgendwann mit dem Job aufhören.

Herbertstraße

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